„R“ what…?

Die Corona-Statistiken sind Augenwischerei, aber sie begründen folgenschwere volkswirtschaftliche Entscheidungen

Die Lockdown-Entscheide in vielen Staaten wurden und werden entweder emotional oder politisch gefällt – oder sie beruhen auf sehr ungenauen Zahlen. So werden der Faktor „R“ oder „Fallzahlen“ als Entscheidungsmodule genommen, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Rest-Aktivitäten zu definieren. Wir verlassen uns jedoch auf Zahlen, die wenig aussagen; sie beziehen sich nämlich nur auf die getesteten Personen mit Symptomen. Das ist unseriös. Es sollte flächendeckend oder zumindest repräsentativ getestet werden. Und, halleluja: Es besteht zudem der Verdacht, dass wir – nach den Masken – auch die Beschaffung von Testkits verpasst haben!

Bei True Economics zählen nur die Fakten. Wir sind zudem apolitisch und nur der nachhaltigen Prosperität der Volkswirtschaft verpflichtet. Wir sind auch keine Epidemiologen. Aber wir wissen Zahlen zu deuten. Und gerade hier liegt das Problem: Die Zahlen liegen gar nicht vor, um sie richtig zu deuten – womit die Deutungshoheit dann bei der Politik liegt. In gewissen Ländern liegt die Zahl der Infizierten sehr hoch, weil unter anderem auch viel getestet wurde. In anderen Ländern liegt sich tief, weil nur punktuell und bei Symptomen getestet wird. Vergleiche unter den Ländern bringen damit nichts. Auch die täglich gemeldeten „Fallzahlen“ sind deshalb nur sehr beschränkt aussagekräftig – und unter den Ländern schon gar nicht vergleichbar.

Winston Churchill vermerkte einst, dass man den Statistiken nur trauen sollte, wenn man sie selbst gefälscht hat. Nun, natürlich sprechen wir hier nicht von „Fälschungen“ durch die Politiker und die zum Teil selbsternannten Krisenstäbe. Aber es liegen schwere Miss-Interpretationen vor. 

Der ominöse „R“ Faktor

Der Reproduktionsfaktor „R“ definiert bekanntlich das Ansteckungsrisiko. Faktor 1 bedeutet, dass 1 Person eine weitere ansteckt. Sinkt der Faktor unter 1, geht die Epidemie zurück. Es wird über einen Zeitraum von 7 Tagen gemessen, so wird die wahrscheinliche Inkubationszeit einbezogen. Basis bildet aber nur die Auswahl an Probanden, welche irgendwelche Symptome zeigen oder die zumindest meinen, Symptome aufzuweisen.

Die Fallzahlen

Deutschland hat vor einigen Tagen definiert, dass es eine Grenze von maximal 50 neuen Ansteckungen pro 100‘000 Einwohner in einem Landkreis geben darf, bevor „Massnahmen ergriffen werden müssen“. Basis bildet auch hier die beschränkte Auswahl an Fällen, welche sich fast einzig aus den Probanden ergeben (welche Symptome aufweisen oder es zumindest meinen).

Es wird nicht korrekt getestet

Getestet werden also grösstenteils nur Personen mit Krankheitsanzeichen. Bis heute wurden in Deutschland von 83 Mio Einwohnern rund 3 Mio getestet. Lediglich 2.7% der Tests fielen positiv aus. Es werden also nicht alle Einwohner, oder zumindest nicht random-mässig repräsentative Samples getestet, sondern nur eine sehr kleine (zum Teil „befangene“) Auswahl. Wir wissen nicht, wie viele Personen im Land – oder einem Landkreis, bei uns in einem Kanton – tatsächlich infiziert oder immun sind. Wir tappen im Dunkeln. Im deutschen Heinsberg (dem bekannten Corona-Ausbruchs-Cluster) stellte sich nach einer profunden Testserie heraus, dass 15% der Bevölkerung immun sind – aber eben nur in diesem Cluster. In ganz Deutschland, so die Schätzung, könnten es 5% sein, in Mecklenburg-Vorpommern vielleicht weniger als 1%. In Frankreich wird eine Schätzung von 3-7% herumgereicht. In der Schweiz könnte es etwas mehr sein, Stockholm schätzt die Zahl auf gegen 20%. Tatsache ist, dass wir nicht wissen, wie sich Covid-19 landesweit ausgebreitet hat. In Südkorea, Taiwan oder Island wissen sie es besser – und können entsprechend handeln.

Der Faktor „R“ und die „Fallzahlen“ (also die neu Infizierten pro Zeiteinheit pro Bevölkerungsgruppe) ergeben sich bei uns nur aus den mehr oder weniger willkürlichen Tests. Nochmals: Getestet wird mehrheitlich nur, wenn Symptome auftreten! Das ist komplett unvollständig.

Kein klares Bild

Die Zahlen – nicht das Gesamtbild – sind in Deutschland etwas genauer als in der Schweiz. Deshalb beleuchten wir das Problem anhand dieses Landes. Das Statistikproblem der beiden Länder ist allerdings ziemlich vergleichbar. Von Deutschland wissen wir, dass sich zurzeit noch etwas über 500 Personen pro Tag neu infizieren, dass es gegen 200‘000 getestete Infizierte gibt und bis heute rund 8‘000 Tote („mit“ oder „aufgrund“ Corona). Sollte die geschätzte Zahl von 5% Immunität in Deutschland stimmen, so müssten also 4 Millionen infiziert worden sein. Aber aufgrund der Tests haben wir nur weniger als 200‘000 davon gefunden! Also gingen sie in 19 von 20 Fällen „verloren“. Schätzungsweise, wir wissen es einfach nicht.

Testbereitschaft unterliegt psychologischen Einflüssen

In gewissen Landesgegenden oder zu einem gewissen Zeitpunkt führt Corona zu Angst: Man lässt sich sofort testen, wenn irgendwelche Symptome auftreten. Andererseits lässt man sich vielleicht nicht testen, weil Angst besteht, damit eine ganze Bezugsgruppe in die Quarantäne zu schicken. Das bedeutet, dass die ausgeführten Tests für die hypothetisch hochgerechnete Zahl der Infizierten nicht repräsentativ sind. Sie sind mehr oder weniger zufällig. Und von diesen Zahlen werden dann die Entscheidungs-Faktoren abgeleitet und wichtige Massnahmen getroffen: soziale Einschränkungen, Lockdowns in der Wirtschaft, etc.

Es dauert ewig bis zur „Herdenimmunität“

Ausgehend von unseren Immunitätsschätzungen (5% z.B. in Deutschland, die sich in den letzten 3 Monaten ergeben haben) und unter der Annahme, dass die Immunität weder degressiv noch progressiv, sondern linear steigt, müssten unsere deutschen Nachbarn (und wohl auch wir) theoretisch noch rund 60 Monate warten, bis die ganze Bevölkerung immun ist. Oder rund 4 Jahre, bis eine Immunität von rund 70% erreicht ist, womit eine Epidemie als „gebannt“ betrachtet werden kann. Ausser natürlich, vorher ist die Impfung da – vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Heisst das nun, dass unsere wirtschaftlichen Einschränkungen im dümmsten Fall noch 4 Jahre weiterlaufen sollen? Die Antwort erübrigt sich, weil uns ein wirtschaftlicher Kollaps vorher einholen würde. 

Immer noch dringend notwendig: Testen, testen, testen…

Die ganze Wuhan-Gegend mit 11 Mio Einwohner soll komplett getestet werden. Wer ist infiziert? Wer ist im Moment immun? Dieses Vorgehen ist eine mögliche richtige Massnahme, um Erkenntnisse zu produzieren, welche dann in adäquate Entscheide münden können. Nun hat auch Luxemburg beschlossen, seine ganze Bevölkerung von 630‘000 Einwohnern (plus die über 100‘000 Grenzgänger) zu testen. Die Regierung möchte dies in abrufbaren Gruppen vornehmen, welche später wieder erneut getestet werden können – ein sehr vorbildliches Vorgehen, quasi ein Totaltesten mit random-mässigen Schritten. Kombiniert mit der Nachverfolgung der Infektionen können punktuelle Insolationen vorgenommen werden. Das sind intelligente Alternativen zu Einschränkungen der Wirtschaft. Auch in Island möchte man möglichst die ganze Bevölkerung testen. Das kleine Land geht ebenso intelligent nach dem Zufallsprinzip vor und hat heute bereits einen ziemlich klaren Überblick, wo es steht. Wieso sind wir in der Schweiz (mit einer überblickbaren Grösse) nicht auch in der Lage, so vorzugehen? 

Testen: besser „quick and dirty“

Testen geht auch random-mässig. Die Genauigkeit wird etwas reduziert, aber die Informationen stünden rasch zur Verfügung. Stichproben pro Land, Kanton, Landkreis, ausgewählte Region: Testen also „quick and dirty“. Das Resultat würde reichen, um Klarheit über die Situation zu erlangen. Warum machen wir keine breit angelegten Stichproben-Tests? Es ist zu befürchten, dass wir – wie bei den Masken – nicht vorgesorgt hatten und nicht über die nötige Anzahl Testkits verfügen! Falls dem so sein sollte, gibt es eigentlich keine Entschuldigung mehr für die Politiker und die Behörden: Seit Monaten wissen wir, dass wir à fonds testen sollten! Da repräsentative Stichproben reichen würden, müssten keine Unmengen an Tests eingesetzt werden. 

Fazit: Unsere Volkswirtschaften können nicht warten, bis sich die Immunität verfestigt hat und der Staat so lange Lockdowns und andere strenge Einschränkungen festlegt. Das überlebt keine – keine einzige – Volkswirtschaft. Es gibt nur einen Weg: richtig testen, um rasch Überblick zu erlangen. Dann Spitalkapazitäten bereithalten, punktuelle Schutzmassnahmen ergreifen, Social Distancing, strenge Hygieneregeln, Tracing, Masken punktuell bei Dichterisiko, grosse Menschenansammlungen verhindern, Wirtschaft am Laufen halten. Wann lernen wir?