Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise können Staaten in den Ruin treiben. Heute sehen wir, dass es nicht die medizinischen, sondern die kollateralen Schäden durch die Lockdowns sind, welche in die grosse Misere führen. Wie viele Lockdowns kann sich denn ein Land überhaupt leisten?
Gouverner, c’est prévoir. Aber offenbar waren wir nicht nur schlecht vorbereitet auf diese Pandemie, wir meisterten sie auch an vielen Orten nicht professionell. Einzelne Staaten haben die Wirtschaft mit Lockdowns dermassen in den Würgegriff genommen, dass deren ökonomisch unabhängiges Fortbestehen in Frage gestellt ist – oder dass sie in ihrer Entwicklung um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zurückgeworfen werden.
Streckt Russland bereits die Waffen?
Russland war im letzten Jahrhundert schon mehrere Male zahlungsunfähig. Das letzte Mal 1998 – wir erinnern uns, die grosse Russlandkrise. Wie wir wissen, exportiert Russland ja nur Waffen, Wodka, Trolls und Rohstoffe (v.a. Erdöl). Letzteres ist preislich implodiert, Russland fehlt es an Staatseinkommen. Die Lockdowns reissen nun ein weiteres grosses Loch in die Taschen. Nachdem die Spitalkapazitäten im ganzen Land nun im Eiltempo ausgebaut wurden, sind die Intensivstationen bereit, die Coronagäste zu empfangen: dobro pozhalovat – was so viel wie „herzlich willkommen“ bedeutet. Deshalb werden die meisten Lockdowns aufgehoben, die Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht. Mehr Lockdown erträgt das Land nicht. Sollte eine zweite Pandemie-Welle kommen, ist Russland vorbereitet. Die Regierung wird nicht im Traum daran denken, die Wirtschaft wieder runterzufahren, die Seuche muss jetzt ausgestanden werden. Für einmal müssen wir Putin recht geben: Er handelt richtig, denn er hat gar keine andere vernünftige Wahl. So muss die Wiedereröffnung der Wirtschaft jetzt eben auf dem Höhepunkt der Epidemie stattfinden.
Viele Staaten waren schon vor Corona pleite
Libanon und Argentinien waren schon vor der Pandemie de facto pleite. In den nächsten Wochen wird sich weisen, was mit diesen Ländern passiert. Argentiniens Anleihen werden zurzeit noch zu 35% gehandelt. Die Schulden können nicht zurückbezahlt werden, das hat Argentinien bereits deklariert, und Zinsen werden so oder so keine bezahlt. Laut IMF ist das Land „überschuldet“, die Definition „Default“ wird wohl folgen. Bereits grassiert eine alarmierend zunehmende Armut in Libanon und Argentinien, die Lockdowns haben die Situation nun verschlimmert, die staatlichen sozialen Auffangnetze funktionieren nicht mehr. Die Situation ist noch fataler geworden, als sie ohne ein striktes Abwürgen der Wirtschaft gewesen wäre. Ein einziger Lockdown war also schon zu viel.
Es gibt andere Länder, welche de facto schon länger bankrott sind: Puerto Rico, Jemen, Sudan, Bangladesh. In diesen Ländern konnten Lockdowns zum Teil nicht einmal organisiert werden. Bangladesh zum Beispiel leidet nur schon erheblich aufgrund der importierten Lockdowns (es fehlen die Aufträge für die Textilindustrie). Gar keine Frage: Ein selber verordneter strenger Lockdown hätte diese Staaten in ein noch grösseres Desaster getrieben, als Covid-19 anrichten könnte.
Staaten können übrigens gar nicht in die Insolvenz gehen, weil es keine übergeordnete Institution gibt, welche diese anordnet. Es handelt sich oft um eine Selbstdeklaration, oder der IMF und Ratingagenturen stellen die Zahlungsunfähigkeit fest. Das hilft uns allerdings auch nicht weiter, denn de facto sind diese Staaten einfach pleite.
Die Insolvenz kann auch moderne westliche Staaten treffen
Dass auch durchaus entwickelte Staaten zahlungsunfähig werden können, kennen wir spätestens seit der Finanzkrise: Irland traf es damals genauso wie Island. Da die Staaten gerettet wurden, verwischt die Zeit die Erinnerungsspuren. Es gäbe noch viele Beispiele. So Neufundland etwa, welches 1933 noch ein eigener Staat war und den Bankrott erklären musste. Kanada adoptierte dann das Land…
Oft braucht es nur noch einen letzten Auslöser für eine Insolvenz. Corona – bzw. die verordneten Massnahmen gegen die Seuche – kann für ein paar Länder gerade dieser berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Südliche europäische Länder können den Lockdown gar nicht finanzieren
Italien und Spanien hatten ihre Lockdowns besonders streng gehandhabt: So wurde grossen Teilen der Volkswirtschaften eine totale Zwangspause verordnet. In der Folge steigen die Haushaltsdefizite und die Staatsverschuldung mit Quantensprüngen nun auf ein Niveau, welches die eigene Aufnahme von Schulden an den Kapitalmärkten gar nicht mehr ermöglicht. Europa wird diese Länder retten. Aber nicht einmal einen einzigen Lockdown hätten sie selber finanzieren können.
Auch Länder wie Griechenland oder Zypern sind nach den Lockdowns nun wieder schwächer auf der Brust. Aber auch sie werden sich aus den Eurotöpfen alimentieren dürfen. Alleine schaffen sie es wohl nicht.
Globales Finanzsystem vor einem grossen Stresstest
Demnächst wird also mit neuen Staatspleiten zu rechnen sein, es wird zu weiteren Währungsverwerfungen und zu Instabilitäten im globalen Finanzsystem kommen.
Italien ist das Sorgenkind Nummer eins, mit einer Explosion der Staatsverschuldung auf 2.5 Billionen Euro. Das Land wurde von Fitch auf BBB gesetzt – also fast auf Junkbond-Level. Sollten Sie persönlich noch italienische Staatsanleihen halten, so wäre es jetzt wohl aller-spätestens angezeigt, diese abzustossen.
Sollte Italien tatsächlich einmal zahlungsunfähig werden, so werden inländische Investoren am meisten bluten müssen – und zwar Private, Banken sowie institutionelle Anleger. Aber auch ausländische Notenbanken und Banken sind grosse Schuldner. Französische und spanische Banken haben besonders viele italienische Anleihen gezeichnet. Französische und deutsche Banken liessen sich in hohem Masse einst auch von den attraktiven Zinsen griechischer Staatsanleihen verführen (und so wurde zwischen 2010 und 2015 nicht Griechenland „gerettet“, sondern es wurden französische und deutsche Banken geschützt).
Um Defaults zu verhindern – wir ahnen es schon – werden die Eurotöpfe nun wieder vergrössert, um allerdings auch sofort wieder geleert zu werden. Lustigerweise wird dann beispielsweise Italien selber auch wieder höhere Beträge an Euroschulden der EZB ausweisen. Letztlich ein ganz raffiniertes, aber brandgefährliches System: Man gewährt sich selber Schulden – man kreiert also Guthaben mit etwas, das man gar nicht besitzt. In der Privatwirtschaft wäre das qualifizierter Betrug. Das wahre Drama ist die totale Verknüpfung der EZB mit den europäischen Nationalbanken, den Staaten und Banken sowie den institutionellen Anlegern.
Die Lösung? Länder wie Italien kämen – theoretisch – um einen tiefen Schnitt gar nicht herum. Sie müssten die grassierende Schattenwirtschaft reduzieren, um Steuersubstrat zu schaffen. Viele Märkte müssten liberalisiert werden, und der Staatsapparat müsste verkleinert und modernisiert werden. Ob sich das überhaupt je durchziehen lässt, ohne vorher eine richtige „Insolvenz“ und einen Bailout zu produzieren, ist sehr fraglich.
Was heisst das für Anleger?
Auch Staatsanleihen anderer südlicher Länder sollten – aus Sicht des Privatanlegers – jetzt dringend liquidiert werden, denn die tatsächlichen miesen Zahlen sind in den Staatspapieren vielleicht noch nicht ganz eingepreist. Es werden zwar die zusätzlichen Corona-Verschuldungen grob geschätzt, nicht aber das erodierende Steuersubstrat, das die Haushaltbudgets zusätzlich längerfristig belasten wird. Südafrika beispielsweise ist ein weiterer Kandidat, welcher wohl herabgestuft werden müsste. Die zum Teil absurden Lockdowns haben der Wirtschaft und dem sozialen Frieden ungemein geschadet und werfen die Volkswirtschaft um viele Jahre zurück. Sollte man gar südafrikanische Staatsanleihen in Rand halten, multipliziert sich das Risiko – also lieber jetzt weg damit. Nein, es soll heute nicht wieder ein „Börsenbrief“ werden… Wir gehen nur davon aus, dass die tatsächlichen Probleme noch nicht ganz an der Oberfläche sind, sich binnen Monaten nun aber präsentieren werden. Also könnte man heute noch handeln.
Sollten Sie übrigens noch Staatsanleihen von Venezuela halten, so lassen sie sich diese bitte am besten physisch aushändigen. Vielleicht lässt sich mit den Papieren zumindest Ihr Kaminholz anzünden – für mehr sind sie nicht mehr wert.
Die nächste Krise wird kommen
Ob eine zweite Pandemiewelle, eine Strommangellage oder echte „black swans“: Neue Krisen werden kommen. Volkswirtschaften werden aber nur überleben, wenn sie sich darauf vorbereiten – und Pläne zur Hand haben, wie man beim Eintreffen der Krise dann so reagiert, damit die Ökonomie nicht abgewürgt und die ganze Zukunft eines Landes verbaut wird.
True Economics ist der Meinung, dass eine ausführliche Übungsbesprechung von Corona erfolgen muss, für Regierung, Behörden, alle Entscheidungsträger. Nun stehen wir jedoch möglicherweise kurz vor einer zweiten Pandemiewelle, und wir haben diese Übungsbesprechung noch nicht einmal richtig angedacht. Trotzdem ist jetzt und sofort ein Plan zu entwerfen, wie wir eine zweite Welle hinter uns bringen – und zwar ohne nennenswerte Ladenschliessungen, ohne den Rest der Wirtschaft in Schockstarre zu versetzen (wie wir es in Italien, in Spanien oder im Tessin gesehen haben). Wir sollten jetzt dringend gelernt haben, dass eine Pandemie nicht ein einmaliger Vorgang ist, sondern deren nichtadäquate Bewältigung nachhaltige Schäden verursacht.
Was heikel ist: Es müssen möglichst viele Staaten durch diesen Lernprozess. So sind beispielsweise fast 50% der Schweizer Volkswirtschaft vom Ausland abhängig. Es nützt also nur partiell, wenn ein einzelnes Land umsichtig handelt. Die internationale Verzahnung der meisten entwickelten Länder führt zur Erkenntnis, dass nur ein koordiniertes Vorgehen Schaden abwenden kann.
Fazit: Lockdowns kosten Unsummen. Die wirtschaftlichen Einbussen können eine Volkswirtschaft in den Ruin treiben und deren Entwicklung um Jahre zurückwerfen. Viele Staaten ertragen ökonomisch nicht einmal einen einzigen Lockdown. Gesunde Staaten wie die Schweiz könnten (in gleichem Ausmass) einen zweiten finanzieren. Das Gros der OECD Staaten wird jedoch keinen weiteren (vergleichbaren) Lockdown bezahlen können. Es ist jetzt Zeit, sich blitzartig einen Massnahmenplan zurechtzulegen, wie wir einer zweiten Pandemiewelle begegnen können, ohne nochmals einen vergleichbaren wirtschaftlichen Schaden zu produzieren.