True Economics Prognose
Die Schweizer Bundesökonomen haben in den letzten Tagen verschiedene Szenarien entwickelt: Inflation, ein bisschen Deflation, oder keines von beiden. Eine Auswahlsendung also, je nach Szenario – allerdings ohne Hinweis darauf, welches Szenario am wahrscheinlichsten eintreffen wird. Ein helvetischer Kompromiss quasi. Auch Thomas Fuster in der NZZ vom 9. Mai wollte sich nicht genau festlegen („Folgt nun die grosse Inflation?“).
True Economist wagt die Prognose: Es folgt eher eine Deflation!
Die Begründung unserer Prognose ergibt sich aus einem Puzzle von Einflüssen; wir werden dieses kurz zerlegen:
Gibt es einen Nachfragerückstau, der zu Inflation führt?
Bundesökonomen gehen in einem der Szenarien von einem Nachfragerückstau aus, der nun nach der Pandemie plötzlich zu Überkonsum führen könnte. Weil das Angebot nicht mithält, könnten die Preise erhöht werden. Dieses Szenario betrachten wir jedoch als ziemlich weltfremd. Selbst wenn in einzelnen Branchen ein kleiner Boom einsetzen sollte: Der Markt wird das Angebot in Windeseile regeln. Wenn nicht mit Inlandangeboten, so mit der bald wieder lückenlos hergestellten internationalen Vernetzung. Im Vergleich zu früher verfügen die Märkte heute über eine nahezu totale Information, Angebote können blitzschnell organisiert werden – trotz dem nun aufkommenden Abgesang auf die Globalisierung.
Konsumverzicht sollte zu Deflation führen
Die Konsumenten werden demnächst weniger konsumieren. Der Grund liegt einerseits beim reduzierten verfügbaren Einkommen (40% der arbeitenden Bevölkerung arbeitet kurz oder ist arbeitslos), andererseits wird die Konsumlust erst langsam wieder zurückkommen. Zudem springt der Tourismus nicht an, die internationalen Gäste werden noch länger als Konsumenten fehlen. Kurzfristig wird ein Nachfrageschock zu verzeichnen sein, mittelfristig bleibt die Nachfrage zumindest schwach. Das drückt auf die Preise – also eine deflationäre Wirkung.
Die Sparquote wird sich erhöhen
In westlichen entwickelten Ländern wird sich die Sparquote tendenziell erhöhen (zumindest bei dem Teil der Bevölkerung, welcher nicht von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen ist). Lerneffekte werden zumindest in den nördlichen europäischen Staaten zu einer eher verhaltenen Konsumneigung führen. Vielleicht ist die Zukunft doch nicht so sicher…? Die Altersvorsorge ist zudem nicht mehr gleich garantiert, die Nullzinspolitik lässt die künftigen Renten schrumpfen. Und alle, die nun selber von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen sind oder waren, lernen jetzt ebenso: Sie werden ihre persönlichen ökonomischen Zukunftsszenarien revidieren. Die daraus resultierende höhere Sparquote führt zu Nachfragerückgang und zu einer deflationsfördernden Tendenz.
Führt die Verknappung des Angebots zu Inflation?
Verschiedene Branchen werden nun beschädigt aus der Krise herauskommen; die Angebotspalette schrumpft etwas. Einerseits, weil gewisse Akteure die Waffen strecken, andererseits weil ein paar Lieferketten unterbrochen sind und das Angebot deshalb nur schon aus Beschaffungsgründen schmaler wird. Normalerweise führt eine Angebotsverknappung zu Inflation – aber nur bei gleichbleibender Nachfrage. Da diese nicht gegeben ist, wird aus der Angebotsecke kaum Inflation zu erwarten sein, der Markt würde Preissteigerungen nicht aufnehmen. Das Angebot würde nämlich sofort ausgeweitet werden, wenn die Nachfrage wieder steigt. Siehe Luftfahrt: Trotz beschädigter Strukturen wird künftig wohl genau so viel geflogen werden, wie das die Passagiere auch wollen.
Was ist mit den Grenzschliessungen?
Kurzfristig könnten aufgrund des zum Erliegen gekommenen Einkaufstourismus leicht inflationäre Tendenzen auftreten. Insbesondere in den Grenzkantonen werden die Schweizer Detailhändler zurzeit in die Hände klatschen und die Preise etwas erhöhen – wie es der Lebensmittelhandel schon während den letzten Wochen praktiziert hatte. Der Wettbewerb wird aber wieder spielen, sobald die Grenzen wieder offen sind, dann eben wieder deflationär. Über einen längeren Zeitpunkt betrachtet wird der Effekt ausgeglichen.
Viel Geld, und es kostet nichts
Wenn Geld nichts kostet, muss von der Zinsfront her mit keiner Verteuerung gerechnet werden. Weder Wohnen noch kapitalintensive Produktionen oder generell Konsumgüter und Dienstleistungen sollten dadurch, also aufgrund der Kapitalkosten, teurer werden.
Wenn viel Geld gedruckt wird, droht Inflation. So das Lehrbuch. Leider hat sich die Ökonomie in den letzten Jahren nicht so verhalten, wie sich das die Ökonomen ausgedacht hatten. Da die Wirtschafts- und Geldpolitik fast aller Staaten sich im Moment mehr oder weniger kongruent verhalten, entstehen zwischen den betroffenen Ländern keine nennenswerten Ungleichgewichte – welche dann, je nachdem, Inflationen oder Deflationen auslösen könnten.
Kommt es jedoch aufgrund falscher Währungs- und Finanzpolitik zu einer starken Währungsabwertung, kann aufgrund der verteuerten Importe eine Inflation oder gar eine Hyperinflation drohen. Länder wie Argentinien, Libanon oder die Türkei können ein Lied davon singen – ganz zu schweigen von Simbabwe oder Venezuela.
Für die meisten OECD Länder gilt jedoch: Aufgrund der Geld- und Währungspolitik sollte keine nennenswerte Inflation drohen, solange die wundersame Geldvermehrung schön gleichmässig weitergeht und die Zinsen tief gehalten werden. Das wird noch sehr lange so bleiben, denn sonst können die Staatsdefizite nicht berappt werden.
Die europäischen Südstaaten lechzen nach Inflation
Die hoch verschuldeten Staaten haben ein grosses Interesse daran, mit ein bisschen Inflation (der Italiener Draghi definierte einst ziemlich selbstherrlich so um die 2% als ideal…) langfristig die Staatsschulden zum Verschwinden zu bringen. Nach ein, zwei Generationen mit tiefen Zinsen und ein bisschen Inflation, so der kühne Plan, könnten sich die Kredite ja von selbst sublimieren. Das ist einfacher als eine Rückzahlung.
Die Idee ging bis jetzt aber nicht auf. Und da die Schuldenberge nun weiter angehäuft werden, muss die Geldvermehrung mit Nullzinsen unweigerlich weitergehen. Es kann einem schwindlig werden bei der Vorstellung, wer die Zeche einmal zu bezahlen hat – und wann. Après nous le déluge, mag jetzt auch die (Nicht-Ökonomin und Französin) Lagarde sagen.
Eine nennenswerte Inflation steht trotz dieser Geld- und Währungspolitik des Westens in den nächsten Jahren aber nicht auf dem Radar. Schon alleine deshalb, weil alle gleich sündigen…
Was passiert bei höheren Steuern?
Es ist anzunehmen, dass viele Staaten ihre Steuern erhöhen müssen. Welche neue Steuern auch immer erhoben werden: Sie beschleunigen zwar den Staatskonsum, reduzieren aber letztlich den privaten Konsum. Die Wirkung ist alles andere als inflationär. Ausnahme: stärkere Erhöhungen der Mehrwertsteuer.
Die Stärkung des Schweizer Frankens wird die Deflation begünstigen
Die Nationalbank scheint sich zurzeit mit Händen und Füssen gegen eine Höherbewertung des Schweizer Frankens zu stemmen. Wir gehen davon aus, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt der Exportwirtschaft nicht noch ein zusätzliches Problem in Form eines unvorteilhafteren Wechselkurses aufladen möchte. Aber es ist anzunehmen, dass das Problem nur verschoben wird, der Schweizer Franken wird mittelfristig wieder stärker werden. Im EU- und Euro-Raum gilt es nun, wieder immense Summen Geld zu produzieren, um die Schuldenberge zu finanzieren. Und Griechenland, Spanien, Portugal und Italien müssen wieder einmal gerettet werden. Die Euroschwemme wird nicht aufzuhalten sein, genau so wenig wie der Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken. Das wird unsere Importe in die Schweiz verbilligen – also ist von dieser Front her auch eher mit Deflation zu rechnen, zumindest für unser Land.
Rohstoffpreise liegen tief
Nicht nur das Öl, auch viele andere Rohstoffe verzeichnen ein tiefes Preisniveau. Das wird sich vielleicht mittel- oder langfristig wieder ändern. Kurzfristig aber sind die Preisrückgänge noch nicht einmal in den Verbrauchsgütern eingepreist. Aus dieser Sicht ist vorerst mit einem deflationären kleinen Schub zu rechnen, mittelfristig mit neutralem Einfluss.
Wirkt die Handelspolitik der USA inflationär?
Die politisch motivierten Spiele der Administration Trump mit den Zöllen und anderen Importrestriktionen werden vorerst inflationär wirken: Die Importe verteuern sich, die Produktionskosten steigen, die Kosten werden auf das Angebot überwälzt. Das senkt nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der USA, sondern bleibt mit Preiserhöhungen letztlich beim Konsumenten hängen – allerdings vorab in den USA. Der europäische Westen ist davon (preismässig zumindest) kaum betroffen. Also ist für uns auch von Seiten Handelspolitik kaum mit Inflation zu rechnen.
Führt ein Abbau der Globalisierung zu Inflation?
Natürlich würde mehr eigene inländische Produktion zu erhöhten Preisen führen. Die nun ins Auge gefasste erhöhte Autonomie für Krisenzeiten ist berechtigt. Sie wird künftig alle möglichen Krisenszenarien einschliessen müssen, nicht nur eine neue Pandemie (sondern auch eine Strommangellage, Erdbeben, Cyberattacken, usw.). Die Erhöhung der Vorsorgesicherheit wird etwas kosten, aber nur punktuell. Eine allgemeine Inflation aus diesem Grund ist kaum zu erwarten. Die Globalisierung der Handelsströme wird sich kaum aufhalten lassen (ausser unsere europäischen Länder würden nun auch eine trumpologische Strategie mit Importrestriktionen einschlagen, was nicht zu erwarten ist).
Ist Deflation schlecht?
„Deflation“ ist zu Unrecht negativ besetzt, da damit oft die Depression der 30er-Jahre in Verbindung gebracht wird. Die damalige Deflation wurde unter anderem ausgelöst, weil die Unternehmer keine Gewinn-Perspektiven mehr hatten und ihre Angebote reduzierten – was eine unsägliche Deflationsspirale auslöste. Heute befinden wir uns in einer anderen Situation. Erstens wird monetär stark Gegensteuer gegeben, zweitens sind die Angebotsmärkte oft international aufgestellt. Diese starke Vernetzung, die Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmer, Innovationspotentiale und die einigermassen intakte Nachfrage von Volk und Staat werden keine vernichtende Deflation auslösen – selbst dann nicht, wenn eine schwere Rezession oder gar einer vorübergehende Depression droht.
Fazit: Tendenziell wird kurz- und mittelfristig eher mit einer leichten Deflation zu rechnen sein. Längerfristig wird dann wohl wieder Preisstabilität einkehren. Das muss nicht schlecht sein. Japan lebt seit Jahren ganz gut mit einer kleinen Deflation, auch die Schweiz verzeichnete in der jüngsten Zeit bereits leicht deflationäre Perioden. Ein rückläufiges Schweizer Preisniveau könnte nur helfen: Wenn es gelänge, im gleichen Ausmass auch die Produktionspreise, inklusive der Saläre, zu reduzieren, wäre das unserer Wettbewerbsfähigkeit nur zuträglich! Und mit unseren kaum mehr verzinsten Ersparnissen und dem Rentenkapital kriegen wir dann ein bisschen mehr fürs Geld…