Nach dem Lockdown: folgt der Konsumverzicht?

Ein Ausblick: Der Konsumgütermarkt bleibt auch mittelfristig schwach. Der Detailhandel muss sich warm anziehen, Gastronomie und Tourismusbranche so oder so.

Wer bisher an den V-Shape eines Rezessiönchens geglaubt hatte, wurde bereits mit Blick nach Österreich und nun nach Deutschland eines Besseren belehrt: Die Welt vor und nach Corona wird wohl nicht die gleiche sein. Unmittelbar nach den Lockdowns folgt mit Sicherheit kein Boom – das gilt schon fast als sicher. Aber wie sieht es längerfristig aus?

Wir können die Zeit nach den Lockdowns in 3 Phasen gliedern.

Phase 1:

Die Phase 1 definiert den Zeitabschnitt, in dem die Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe – auch die Gastronomie – grösstenteils wieder offen sind, allerdings bleiben das Social Distancing und die Hygieneauflagen noch bestehen. Je nach Land, Region oder Geschäft werden Masken getragen.

In dieser Phase kehrt keine besondere Konsumlust zurück. Das Bummeln in den Innenstädten und den Malls macht wenig Spass. Das Tropfenzählersystem zur Niederfrequenzhaltung reduziert per se schon die Umsätze. Die Lust, vor den Läden anzustehen ist ebenso wenig geschäftsfördernd. Eine subkutane Angst vor dem Virus hemmt zudem einen Teil der Konsumenten, ihr ursprüngliches Shoppingverhalten wieder zu pflegen. Und allfällige branchenbedingte Maskentragpflichten könnten insbesondere während den wärmeren Monaten die Konsumlust weiter einschränken. Diejenigen, die über eine längere Zeit einmal unter einer N95 Maske – also nur schon der Lightversion – geschwitzt haben und sich die Brillengläser beschlagen liessen, wissen, wovon wir sprechen.  

Ein Teil der Bevölkerung konnte in den letzten Wochen Geld sparen. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Beträge tendenziell eher die Sparquote erhöht haben und nun nicht sofort wieder verjubelt werden. Auch die aufgestauten Käufe – so der Ersatz des Kühlschranks beispielweise – werden keine signifikanten Spuren in Mehrumsätzen hinterlassen. Und wenn, dann nur kurzfristig. So verhält es sich auch mit den Dienstleistungen: Ein Grossteil wird nicht nachgeholt, keine Reise, kein Restaurantbesuch. Diese Umsätze gelten für das BIP mit Sicherheit verloren für das ganze Jahr. Es fehlt ganz einfach an der Praktikabilität des Konsums, plus an der vergangenen Lust. 

Leider reduzieren die höhere Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit das Umsatzvolumen zusätzlich. Das gekürzte Einkommen hat sofortige Auswirkungen auf die Ausgaben. Wenn fast  40% der Schweizer Bevölkerung aktuell arbeitslos sind oder kurzarbeiten, wird eben weniger konsumiert. Und die Einschränkung erfolgt beim nicht unbedingt Notwendigen im Konsumbereich (siehe Kasten).

Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit reduzieren das Konsumverhalten überverhältnismässig stark

Es ist offensichtlich, dass in Ländern mit einem raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit, so in den USA, in Italien und Spanien, dieser Negativeffekt stärker auf Teile der Konsumgüter- und Dienstleistungsbranche durchschlägt. BIP-Rückgänge sind damit in diesen Staaten ebenso stärker zu erwarten. Insbesondere in den USA wird der Konjunktureinbruch sehr rasch eine entsprechende globale Auswirkung entfalten.

Nach den Lockdowns wird die mangelnde Nachfrage in gewissen Branchen eine Rabattschlacht auslösen – betroffen werden selbstredend die saisonalen und modeaffinen Branchen sein, auch Wirtschaftsbereiche mit grossen Überlagern. Die Ware muss einfach über den Preis weg – koste es, was es wolle.

Die dadurch zu erwartende kleine Deflation bei den Konsumgütern könnte theoretisch die Nachfrage etwas steigern. Sie wird sich allerdings nicht in den Umsatzzahlen bemerkbar machen: Es wird einfach mehr Ware bei gleichem Umsatz verteilt. Ein BIP-mässiger Blindgänger.

Fazit für die Phase 1: In vielen Bereichen der Konsumgüter- und Dienstleistungsbranche wird noch für einige Wochen (je nach Land noch für einige Monate) mit Rückgängen im deutlich zweistelligen Prozentbereich zu rechnen sein.

Phase 2:

Diese Phase definiert den Zeitraum, während dem das Social Distancing nur noch ein verringertes zentrales Thema ist, keine nennenswerte zweite Corona-Welle eintritt, jedoch noch keine Medikamente oder Impfungen angeboten werden.  

Es ist anzunehmen, dass die Bürger aus der Schockstarre erwachen und die Konsumlust zurückkehrt. Aber vielleicht eben nicht so wie zu Vor-Corona-Zeiten. Hat da und dort vielleicht gar ein kleiner Wertewandel stattgefunden? Auf jeden Fall wird der Konsummix nicht mehr derselbe sein. Homeoffice, Isolation und Angebotsmangel werden ihre Spuren hinterlassen: Die Gesellschaft wird einen digitalen Quantensprung vollzogen haben, welche über die Art der Mediennutzung weit hinausgeht. Der Konsument wird nicht nur vermehrt Netflix schauen, anstatt ins Kino gehen, er wird nicht nur ein Buch weniger kaufen und dafür online mehr lesen. Der Konsument wird sein während dem Lockdown antrainiertes neues Konsumverhalten generell nicht mehr ablegen. Für den klassischen Konsumgüter- und Dienstleistungsmarkt sind das schlechte Nachrichten, dafür werden technologienahe Angebote profitieren.

In dieser 2. Phase wirken sich auch die Angebotsbeschränkungen aus: Unternehmen aus den Bereichen der Mode, des Sports, der Kosmetik, des Buchhandels, Tourismus, Gastronomie usw. werden die Neuheiten-Kadenz reduzieren – oder sie sind strukturell so beschädigt, dass sich die Angebotsspanne von selbst reduziert hat. Dieses Angebotsmanko führt automatisch auch zu einem Nachfragerückgang. Lehrbuchmässig sollten Angebotsmankos zu einer Verteuerung, also zu Inflation führen. Trotzdem ist nicht zu erwarten, dass es soweit kommt – im Gegenteil, die deflationären Tendenzen werden anhalten, da es an der Nachfrage immer noch fehlt. 

Viele kleinere Detailhändler, welche nun mit Ach und Krach das Schlimmste in der Krise abwenden konnten, werden ein Downsizing nicht überleben. Ihre minimale Betriebsgrösse wird unterschritten. Mehr Luft für ein Downsizing haben die Grösseren: Unrentable Filialen werden geschlossen, der Break-even Punkt auf der Umsatzskala wird gegen unten gedrückt, Mergers werden kommen. Das Detailhandelsangebot insgesamt wird so an Varietät einbüssen, die Uniformität nimmt zu. Das ist nicht nur schade, sondern wirkt sich auch negativ auf ein breites, attraktives Angebot und damit die Nachfrage aus.

Falls die Grenzöffnungen nicht schon in der Phase 1 erfolgt sind, wird nun spätestens in der Phase 2 ein kleines Nachbeben für den Detailhandel folgen. Viele Konsumenten hatten inzwischen entdeckt, wie man auch in der  nahen Umgebung einkaufen kann – und das vielleicht auch schätzen gelernt. Aber das Grundproblem der zum Teil absurden Preisdifferenzen zum Ausland ist nicht beseitigt. Werden die Grenzschliessungen aufgehoben, werden wieder Milliardenumsätze im Inland fehlen. Zumindest wird der Wettbewerb wieder besser spielen, was sich preissenkend auswirken kann. Allfällige Lippenbekenntnisse zu „buy local“ dürfen nicht überbewertet werden – das Portemonnaie diktiert das Verhalten. 

Die Effekte aus Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit werden auch in dieser Phase 2 anhalten. Mit dem Auslaufen der Kurzarbeit wird sich allerdings die Arbeitslosenrate stark erhöhen. Arbeitsmarktbedingt ist auf jeden Fall mit einem deutlich negativen Konsumeffekt zu rechnen. (Dieser Effekt wird sich besonders schlimm in den USA auswirken, wo sich die Arbeitslosen-Unterstützung auf einem mehr als bescheidenen Niveau bewegt.)

Fazit für die Phase 2: Die Konsumlust wird sich etwas verbessern, die reduzierten verfügbaren Einkommen werden jedoch weiter auf die Umsätze drücken. Die beschleunigte digitale Transformation wird in wenigen Branchen zu Mehrumsätzen führen, die klassische Konsumgüterbranche wird jedoch weiter Rückgänge im zweitstelligen Prozentbereich aufweisen. 

Phase 3:

Diese Phase umschreibt den Nachkrisen-Zeitraum im Anschluss der Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfungen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Mittel nicht nur erst erfunden, sondern auch produziert, verteilt und verabreicht werden müssen.

Bis dieser Prozess wirklich zumindest OECD-weit greift, wird es vielleicht Ende 2021 sein. Dann erst werden wir uns in einer Phase ohne Corona-Massnahmen befinden. Wir können wieder freier reisen, Güter können ebenso freier ausgetauscht werden, die Arbeitslosigkeit sinkt, weil die Motoren wieder überall anspringen. Voraussetzung: keine zweite oder dritte Pandemiewelle.

Diese Phase erst wird uns die Wahrheit zeigen. Das Resultat wird nämlich nicht deckungsgleich mit dem Jahr 2019 sein. Das Downsizing in Angebot und Nachfrage wird sich zwar stabilisieren, ein mögliches Wachstum im Jahre 2022 wird vielleicht sogar ganz hübsch aussehen (da mit 2021 verglichen wird). Wir werden uns aber auf einem niedrigeren Ausgangsniveau wiederfinden.

Es ist auch anzunehmen, dass zumindest in reifen entwickelten Staaten die Sparneigung steigt. Ja, man sollte besser vorsorgen… Der Lerneffekt wird auf die Konsumfreudigkeit durchschlagen.

Auch der Liegenschaftsmarkt wird das zu spüren bekommen, denn hier wird es bis auf weiteres bestenfalls nur zögernde Käufer geben. Oder gehen die Liegenschaftsfonds etwa davon aus, dass ein Kurzarbeitender sich jetzt gleich eine Wohnung kauft…? Die Finanzierung der Immobilien wird aufgrund strengerer Tragbarkeitsberechnungen so oder so anspruchsvoller werden. 

Die besonders gebeutelte Flugindustrie und der ganze Tourismus werden sich auf einem deutlich tieferen Level einpendeln müssen: Das Angebot wird weiter nur lückenhaft sein, schwach auch die nationale und die  internationale Nachfrage. Die reichen Russen oder die spendablen Besucher aus den Golfstaaten, die Chinesen und Inder: Sie alle werden uns zu einem guten Teil immer noch fehlen. Das merkt dann nicht nur der Hotelier, sondern auch die Bijouterie und der Taxifahrer.

Die aufgrund der Pandemie ergriffenen Massnahmen in den Unternehmen – also die Reduktion von Angebot und Beschäftigung – werden nachhaltig und nicht nur Corona-indiziert  sein. Schon früher wären in vielen Firmen wohl betriebswirtschaftliche Sparmassnahmen angezeigt gewesen. Mit dem Corona-Feigenblatt konnte nun da und dort elegant gleich viel mehr eingespart werden. Das erhöht zwar die Einzel-Effizienz, schlägt jedoch auf die Konjunktur durch – und zeigt sich insbesondere bei der Konsumnachfrage. 

Fazit für die Phase 3: Angebots- und nachfragebedingt wird der Konsum auch mittelfristig, so für die Jahre 2022 und 2023, schwach bleiben und sich verändern.

Unterschiedliche Entwicklung des Konsumaufschwungs

Es ist anzunehmen, dass sich zumindest in der zweiten und dritten Phase die Entwicklungsländer schneller erholen. Natürlich tragen auch diese Länder nachhaltige Strukturschäden davon. Aber der Nachholbedarf ist grösser, auch die Konsumlust, denn alles verfügbare Einkommen wird investiert und beschwingt mit dem Multiplikatoreffekt die Volkswirtschaften. 

Auch die Konsumenten in den USA, in Asien und in den südlichen Länder Europas werden sich so verhalten: Sie sind stark konsumgesteuert. Die Beschäftigung zumindest in den USA und in Asien wird rasch wieder steigen, der Konsum wird wieder da sein. Insbesondere in den USA ist nicht von einem Lerneffekt der Konsumenten auszugehen. Das Leben auf Pump und ohne Reserven wird weitergehen. Das ist immerhin ganz positiv für die Weltwirtschaft. Die südlichen europäischen Länder allerdings werden weiter leiden: Zwar wird das verfügbare Einkommen gleich wieder ausgegeben, leider wird es aber weniger Arbeitnehmer mit Einkommen geben. Besonders betroffen werden Italien, Spanien und das sich schon eh seit langem in Agonie befindliche Griechenland sein. Frankreich könnte sich knapp hinüberretten: dank grosszügiger Arbeitslosenunterstützung und horrendem staatlichem Konsum. Alles auf Pump natürlich. 

Die Konsumenten in den nördlichen europäischen Ländern werden sich hier etwas anders verhalten. Die Arbeitslosigkeit wird nur zögernd abgebaut, was den Konsum wenig stützt. Die Lerneffekte der Bildungsbürger werden eher greifen, das Konsumverhalten ändert sich nachhaltiger, die Sparquote wird steigen. Der Aufschwung lässt auf sich warten – wir werden uns in einem L-Shape wiederfinden. Das 2019-Niveau wird wohl über Jahre nicht mehr erreicht. Wir reden hier jedoch vorab vom Privatkonsum. Die Industrie und viele Dienstleistungsangebote werden sich glücklicherweise rascher erholen, denn diese sind weltweit ausgerichtet. Der Globalisierung sei Dank….

Folgt nun tatsächlich der Konsumverzicht?

Die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage könnte so lauten: Es wird keinen Konsuminfarkt geben, aber – nicht ganz freiwillig –  einen partiellen Konsumverzicht für klassische Konsumgüter und Dienstleistungen, mit einer anhaltenden Konsumschwäche.

Ein neuer Level kann frühestens in den Jahren 2022 und 2023 gefunden werden. Aber der Konsum wird sich dann auf einem tieferen Niveau einpendeln als 2018/2019.

Autor: Paul Carpenter

Paul Carpenter ist ein Pseudonym. Der dahinter stehende Kommentator bleibt anonym. Paul Carpenter lebt seit 15 Jahren in Dubai, ist international vernetzt und beobachtet das Wirtschaftsgeschehen sehr kritisch. Er studierte Ökonomie und Publizistik in St. Gallen und betätigte sich lange als CEO und Unternehmer. Seit einigen Jahren ist er Unternehmensberater und schreibt Kolumnen, welche sich auf den Link von Mikro- und Makroökonomie konzentrieren.

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