Ein zu tiefer Erdölpreis ist Gift

Ein Barrel Öl der Sorte Brent um die 60 USD: Das war die bisherige neue Benchmark. Mit der könnten alle leben. Noch vor einiger Zeit lag er auf unangenehmen 100 USD, jetzt tendiert er gegen null. Die Ausschläge sind Gift für die Wirtschaft. Doch keine Lösung ist in Sicht. 

Ein hoher Erdölpreis freut natürlich die Produzentenländer. Aber sie haben gelernt, dass ein zu hoher Preis die Konjunktur in den nicht-produzierenden Ländern schwächt – was letztlich auch den produzierenden Ländern nicht dient. Ein möglichst tiefer Preis freut insbesondere die Amerikaner: sie könnten dann ihre SUVs unbeschwerter über den Highway bewegen, und es bleibt mehr Geld für den Cheeseburger. Ein zu tiefer Preis ist aber trotzdem nicht gut für die USA, denn dann kann der heute grösste erdölproduzierende Staat der Welt seine Frackingindustrie nicht mehr profitabel betreiben.

Also müsste der Preis schön in der Mitte liegen, dann tut er keinem weh. So würde weltweit alles gut planbar bleiben: für die Produzentenländer, für alle andern Volkswirtschaften, die Industrie, die Haushalte. 

Und nun dies: die komplette Preiserosion.

Erdölproduzierende Länder in Finanznöten

Dass bei einem lächerlich tiefen Ölpreis Venezuelas korruptes Regime kollabieren könnte, käme uns ja ganz willkommen. Wenn allerdings die Golfstaaten fast pleite gingen, mag uns das – kurz nur – mit einer gewissen Schadenfreude erfüllen. Bis wir uns daran erinnern, dass diese Volkswirtschaften auch für uns als Konsumenten wichtig sind. Auch Russland, welches ausser Waffen, Wodka (und auch Trolls) wohl nie etwas Brauchbares exportiert hatte – ausser Rohstoffe eben! – ist ein wichtiger Markt für uns, der intakt bleiben sollte. Bei aller Häme nämlich. Auch Brasilien und viele andere Staaten werden in ernsthafte Schwierigkeiten kommen, wenn der Erdölpreis nicht ein Niveau behält, welches diese Volkswirtschaften am Leben lässt. Für den Moment wenigstens, denn nachhaltig mag es nicht sein, vorab von Erdölverkäufen zu leben. Denn nur echte Wertschöpfungen werden das langfristige Überleben dieser Staaten sichern. 

Kurz- und mittelfristig brauchen wir für diese Länder auf jeden Fall einen attraktiven Preis an den Spotmärkten.

Der Innovationskiller

Der tiefe Erdölpreis schadet selbstredend allen Investitionen in alternative Energien. Die gesamte Branche, die auf den Innovationen, den Entwicklungen und dem Verkauf aus Leistungen aus dem Alternativenergiebereich basieren, wird leiden. Von Investitionen in diesen Feldern  müsste jetzt eigentlich abgeraten werden, sollte sich der Erdölpreis nicht markant erholen. Schade. 

Der Erdölpreis muss sich also dringend wieder auf einem höheren Niveau etablieren, sonst wird es zu Innovationsverwerfungen kommen.

Politischer Zündstoff

In den USA, wo die Erdölindustrie ein starker Supporter der derzeitigen Regierung ist (und umgekehrt), wird ein erodierender Ölpreis zum Desaster für die Trump-Show. True Economics möchte keine politische Stellung beziehen. Nur: Der Erdölpreis wird Einfluss auf die Politik haben – und damit eben auf das künftige Staats-Management. Das kann Hoffnungen oder Stirnrunzeln produzieren.

Die Chance: neue Steuern auf Energie

Es ist damit zu rechnen, dass die OECD-Staaten das neue Ölpreisniveau nicht einfach so hinnehmen werden. Sie werden neue Steuern auf fossilen Energien erheben, und das Geld so abschöpfen. Aber das muss nicht schlecht sein – im Gegenteil: Es wird helfen, mit willkommenen und bitter nötigen Mehreinnahmen aus der Krise zu finden. 

Wenn die Steuern auf billigsten und letztlich problematischen Energieträgern nicht erhöht werden, werden keine weiteren Innovationen möglich sein. 

True Economics ist eine liberale, der freien sozialen Ökonomie verpflichtete Plattform mit dem Glauben an einigermassen gut funktionierende Marktmechanismen. Steuern sind sehr oft nur ineffiziente Umlenkungs- und Umverteilungsvehikel. Aber hier nun die Ausnahme: Absurd tiefe Energiepreise sollten sofort genutzt werden für eine sinnvolle staatliche Abschöpfung. Besser als unternehmerfeindliche oder konfiskatorische Steuern für Privatpersonen.

Vonnöten: eine starke Opec++

Ein Kartell ist eigentlich immer ein ökonomischer Sündenfall. Nun sollten wir indessen eine zweite Ausnahme machen: Ein stabiler, moderat kontrollierter und sich auf einem für die ganze Weltwirtschaft vernünftig einpendelnder Ölpreis wäre für alle wünschbar. Das kann leider – und es wird jedem freien Ökonomen das Herz brechen – nur gelenkt erfolgen. Ob zum Beispiel Opec++ oder wer auch immer: Es muss eine neue Ordnung her. 

Autor: Paul Carpenter

Paul Carpenter ist ein Pseudonym. Der dahinter stehende Kommentator bleibt anonym. Paul Carpenter lebt seit 15 Jahren in Dubai, ist international vernetzt und beobachtet das Wirtschaftsgeschehen sehr kritisch. Er studierte Ökonomie und Publizistik in St. Gallen und betätigte sich lange als CEO und Unternehmer. Seit einigen Jahren ist er Unternehmensberater und schreibt Kolumnen, welche sich auf den Link von Mikro- und Makroökonomie konzentrieren.

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