Der Börsencrash ist überfällig

Mit Verwunderung verfolgen wir zurzeit die Börsenkurse. Der Einbruch kam nicht überraschend, wir konnten uns triumphierend zurücklehnen („wir hatten es doch gewusst“)! Wir rieben uns allerdings die Augen, als es wieder aufwärts ging. Die Ausschläge zurzeit sind ein Traum für jeden Daytrader und die Hedgefunds: So lässt sich Geld verdienen. Die Richtung spielt keine Rolle, es zählt die Veränderung. 

Mit der schwersten Rezession oder gar Depression vor Augen lässt es sich ökonomisch allerdings kaum nachvollziehen, warum die Kurse jetzt nicht einmal gehörig runterrasseln. Börsenkurse sollten die künftigen Unternehmensgewinne doch „exkomptieren“. Tun sie das wirklich?

True Economics wird sich hüten, jetzt einen „Börsenbrief“ zu erstellen – oder auch künftig „Börsentipps“ abzugeben. Aber ein paar Fundamentalüberlegungen sollten erlaubt sein.

Wishful Thinking der Anleger

Vielleicht glauben die Anleger – und die weisen Analysten – dass die angekündigte Rezession bald durchgestanden ist? Dass der Corona-Knick nur kurz wirkt, dass es nachher gleich weitergeht?

Die meisten Unternehmen können in der Tat nichts für den Einbruch im 2020. Sie sind quasi „unschuldig“, die Krise kam über Nacht, gleich einem Black Swan. Einfach ein Unfall. Ein exogener Einfluss, sodass die Firmen an sich als „fundamental intakt“ bewertet werden könnten. Also einfach einen Strich unter das verhauene Ergebnis 2020, nach vorne schauen in Richtung 2021 und später.

Wer so denkt, blendet den Langzeiteffekt der globalen Lockdowns aus. Die Verwerfungen in der Wirtschaft werden länger anhalten, die Ergebnisse in vielen Branchen werden auch nachher noch „verhauen“ sein. Spätestens nach der Aufhebung der Lockdowns werden wir mit Entsetzen feststellen, dass nicht einfach dort wieder weitergemacht wird, wo vor der Krise aufgehört wurde. Viele Branchen werden sich zum Teil mit Verwunderung auf einem deutlich tieferen Niveau wiederfinden, von wo aus sie sich mühsam aufzurappeln müssen. Das Wishful Thinking betreffend eines „Unfalls“ wird dann jäh der Erkenntnis weichen, dass dummerweise falsch exkomptiert wurde. Und spätestens dann – wenn also festgestellt wird, dass nach dem Lockdown die Welt nicht mehr die gleiche ist – werden die Kurse nach unten korrigieren. Dann vielleicht aber richtig…

Leider kaum Anlagealternativen

Natürlich sind momentan – und auch nicht auf absehbare Zeit – keine gescheiten alternativen Anlagemöglichkeiten vorhanden. Mit Cash allein verliert man (in unseren Währungen sicher), mit Obligationen und Staatsanleihen ist auch keine Rendite auszumachen, und mit Investitionen in Immobilien oder Direktinvestitionen in Unternehmen ist wohl erst einmal zuzuwarten, bis sich der Nebel lichtet. Den grossen Goldkauf haben wir zudem vielleicht auch verpasst… Also bleibt doch nur die Börse?

Meine Antwort lautet: Ja, als begnadeter Daytrader lässt sich jetzt ein Haufen Geld verdienen. Falls man sich diese Qualitäten des Daytraders nicht zutraut, sollte man jetzt einfach die Hände von dem Vabanquespiel an der Börse lassen. Erst mal den Scherbenhaufen begutachten!

Jetzt alles verkaufen?

Falls wir also der Ansicht sind, dass „die Börse“ falsch liegt, dass die wahre Misere wohl nicht eingepreist ist, müsste unzweifelhaft ein grosser Crash bevorstehen. Die Konsequenz: alles verkaufen? Das könnte nicht das Dümmste sein, mit ein paar Ausnahmen vielleicht: Papiere aus Branchen mit grossem Innovationspotential, aus dem IT- und Kommunikationsbereich, Medtech, Pharma, Lebensmittel beispielsweise könnten wir halten. Aber den Rest liquidieren!

Der gesunde Menschenverstand würde uns dazu raten. Der Blick in die Glaskugel hilft dabei auch nicht weiter. Wir könnten nun einfach das Gegenteil tun von dem, was uns die Bankanalysten raten: Wir hätten in den letzten Jahren damit ein paar Mal gutes Geld verdienen können.

Zum Beispiel könnten wir uns jetzt aus den Emerging Markets verabschieden: Implodierende Rohstoffpreise, gestoppter Tourismus und massive Überschuldungen könnten uns zu diesem sofortigen Schritt bewegen. Zumindest vorübergehend. Echte Emerging Markets werden sich allerdings ziemlich schnell wieder erholen.

Fazit: Wir können nur spekulieren. Zumindest eine Empfehlung kann abgegeben werden: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Gerade jetzt, in diesem Umfeld. Also doch besser alles verkaufen? Natürlich nur als intelligenter Zwischenschritt – denn die Hoffnung stirbt zuletzt, dass es irgendwann später wieder hinaufgehen muss.

Der 10-Jahreshorizont

Die Philosophie ist uns bekannt: „Wenn man Aktien nur lange genug hält, geht die Rechnung immer auf“. Stimmt, über eine sehr lange Periode ging die Rechnung meistens auf. Es gibt jedoch auch unappetitliche Ausnahmen mit miesen Zwischenzeiten. So hat der Nikkei-Index die Höchststände der 80er-Jahre bis heute bei weitem nicht erreicht. Auch viele europäische Börsen konnten zu Beginn dieses jungen Jahrhunderts ein verlorenes Jahrzehnt verbuchen. Die wahre Regel lautet: Langfristig wird man Geld verdienen an der Börse – jedoch nicht dann, wenn man zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt einsteigt!

Vielleicht ist dieser Zeitpunkt gerade jetzt gegeben. Oder vorsichtiger formuliert: Es besteht eine grosse Chance, dass der heutige Zeitpunkt für den Einstieg gerade falsch sein könnte.

Die Zeit nach dem Crash ist interessanter!

Im Moment kaufen die Notenbank in absurdem Umfang Wertschriften auf, gleichzeitig wird die Notenpresse mit Höchsttempo bedient. Irgendwann einmal – irgendwann – wird zu viel leergekauft sein und die Nachfrage an der Börse sinkt. Auch dies wird einer der spätesten Zeitpunkte sein, an denen eine Preiserosion stattfinden wird. Das Zusammentreffen dieser Einflüsse, also das Ende des „Quantitative Easing“ und der Erkenntnis, dass die Welt nach Corona doch eine andere ist, könnte endgültig die Wende an der Börse bringen.

Die Zeit nach dem Crash wird dann umso interessanter sein: Einmal angekommen in der BIP-Talsohle der einzelnen Volkswirtschaften, wird die Börse – weil letztlich trotzdem intelligent – den Aufschwung vorausnehmen. Dann gilt es, rechtzeitig wieder einzusteigen. Aber vorher besser noch heute liquidieren!

Also doch ein Börsenbrief…? Nein, nur gesunder Menschenverstand, basierend auf einem wahrscheinlichen ökonomischen Szenario. Leider ist die Börse oft ein „unguided missile“. Oft kommt es nicht so, wie man denkt. Aber so, wie man gedacht hat.

Sollen wir es also künftig eher lassen mit den „Börsenbriefen“?

Autor: Paul Carpenter

Paul Carpenter ist ein Pseudonym. Der dahinter stehende Kommentator bleibt anonym. Paul Carpenter lebt seit 15 Jahren in Dubai, ist international vernetzt und beobachtet das Wirtschaftsgeschehen sehr kritisch. Er studierte Ökonomie und Publizistik in St. Gallen und betätigte sich lange als CEO und Unternehmer. Seit einigen Jahren ist er Unternehmensberater und schreibt Kolumnen, welche sich auf den Link von Mikro- und Makroökonomie konzentrieren.

Keine Waldmeyer-Glosse verpassen!

Ich melde mich für den Newsletter an und erhalte alle zwei Wochen per Email eine kurze Info.

Sie haben sich erfolgreich angemeldet

There was an error while trying to send your request. Please try again.

TRUE ECONOMICS will use the information you provide on this form to be in touch with you and to provide updates and marketing.