Waldmeyer und das Geheimnis der grossen Yachten

Max Waldmeyer blickte von seiner Terrasse in Meisterschwanden auf den Hallwilersee hinunter. Auf dem spiegelglatten Wasser lagen kaum Schiffe. Nur ein paar Böötli. Donald Trump würde hier auch keine Yacht besitzen, überlegte Waldmeyer.

 

Und Waldmeyer googelte: Die maximal erlaubte Yachtlänge auf dem Hallwilersee beträgt nur 7.5 Meter. 7.5 Meter! «Ich sehe keine einzige richtige Yacht auf dem See», meldete er zu Charlotte rüber. Charlotte antwortete nicht.

7.5 Meter sind genug!

Siebeneinhalb Meter. Also ein Grund mehr, keine solche Nussschale zu besitzen, überlegte Waldmeyer weiter. Wenn schon, dann eine richtige Yacht. Yachten, grosse Autos oder schöne Villen machen allerdings nur Sinn, wenn man sich damit von seinen Nachbarn abheben kann. Auf dem Hallwilersee geht das eben nicht, keine Chance. Mit 7.5 Metern wäre man bestenfalls unter seinesgleichen.

Wem gehört die grösste Yacht der Welt?

Glück ist bekanntlich relativ: Man sollte deshalb in eine möglichst arme Gegend ziehen, dort aber in der schönsten Villa wohnen. Den Ferrari sollte man im tiefen Jura bewegen – und nicht am Strip in Las Vegas. Und die Yacht eben nur dort ankern, wo andere über lediglich bescheidene Boote verfügen. Was zählt, ist der relative Unterschied, überlegte Waldmeyer und versuchte so, eine Neuinterpretation der Relativitätstheorie zu begründen. Ja, es war noch nie schön, sich am untersten Ende der Nahrungskette wiederzufinden. Aber: warum nur diese umständlichen Superyachten? Oder gar die Megayachten (für Insider: Superyachten mutieren zu Magayachten, wenn sie länger als 200 Fuss sind)?

Die grösste Yacht der Welt gehört Scheich Zayed, dem Präsidenten der VAE. Sie ist 180 Meter lang und verfügt über einen Ballsaal mit über 500 Quadratmetern. Und ein Raketenabwehrsystem. Würde die Yacht jetzt hier auf dem Hallwilersee vorbeituckern, würde sie einen Tsunami auslösen, analysierte Waldmeyer. Abgesehen davon wäre der riesige Kahn auf dem Landweg erst mal gar nicht transportfähig, er müsste in der Werft in Meisterschwanden, die es gar nicht gibt, gebaut und vom Stapel gelassen werden.

«Dieser Emir würde sich wohl nie für den Hallwilersee interessieren», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber. Charlotte antwortete immer noch nicht.

Das bestgehütete Geheimnis der Weltmeere

Dieses Geheimnis der grossen Yachten scheint offenbar das bestgehütete Geheimnis der Weltmeere zu sein. Warum tun sich die Besitzer dieser aufwendigen Schiffe das nur an…?

Waldmeyer suchte nach einer Erklärung: Mit einer teuren Rolex oder einem Lamborghini kann man ein Statement gegen aussen abgeben und so vorführen, dass man vermögend ist. Oder man lacht sich eine teure und repräsentative Villa an, die dann womöglich noch in einer Illustrierten mit einer Homestory gepostet wird. Möchte man indessen so richtig markieren und darstellen, dass man sich in der obersten Liga befindet, so wird die Luft dünn. Da braucht es dann schon einen Privatjet – mit dem Nachteil allerdings, dass man den fast nie vorführen kann. Die intrinsischen Gewinne in Sachen Image sublimieren sich dann quasi in der Luft. Die fette Yacht indessen ist das ultimative Statement. Denn die kann man zeigen, an allen wichtigen Hotspots auf der Erde. Falls man nicht von immer willkommenen Paparazzi abgelichtet wird, würde man notfalls an der Uferpromenade in Cannes oder St. Tropez ankern und an Deck (dieses gegen die Promenade gewandt) ostentativ ein Glas Dom Pérignon schlürfen, um wenigstens so gesehen zu werden.

Wieviel Yacht gibt es für eine Million?

Doch nebst all diesen Vorteilen, also der schönen Aussenwirkung und den flamboyanten Signalen, die vom Besitz einer ordentlichen Yacht ausgehen, dürfen die Nachteile nicht unerwähnt bleiben. Da geht es um die Kosten. Und die sind erheblich. Früher galt – unter Kennern – die Faustregel, dass für den Kaufpreis einer Yacht pro Meter Schiffslänge eine Million zu veranschlagen ist. Aber das war einmal. Bei Megayachten muss heute gleich mit bis zu fünf Millionen gerechnet werden. Allerdings besteht ja gerade darin die Verstärkung der Aussenwirkung: Nur mit einem wirklich sehr fetten pekuniären Polster kann man sich das leisten. Das weiss jeder – deshalb die Erhöhung des Signals gegen aussen.

Aber noch etwas erkannte Waldmeyer: Sorgen müssen auch die horrenden Unterhaltskosten bereiten. Denn diese liegen pro Jahr, so eine weitere Faustregel, bei rund 10% des Kaufpreises. Crew, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen etc. stellen schnell mal den Kaufpreis eines kleinen Privatjets dar. Und das jedes Jahr. Ein weiterer Grund also, warum Privatjets heute kein wirkliches Statement mehr sind. Yachten sind einfach das ultimative Aushängeschild von Luxus, es ist die perfekteste aller Visitenkarten der Arriviertheit. Über Yachten spricht man. Pro forma versuchen Superreiche, die Besitzstruktur einer Yacht zu verschleiern, indessen nur in der Hoffnung, dass der Besitzer entdeckt und in den Medien breitgeschlagen wird. Selbst Schlösser in Frankreich oder Schottland verblassen dagegen, diese werden dann nur noch als Insignien des Mittelstandes wahrgenommen.

Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber den grossen Yachten stellte sich Waldmeyer vor, wie es denn so wäre, auf einer coolen Yacht. (Anmerkung der Redaktion: siehe Zeichnung oben, mit Waldmeyer, hinten an der Bar.)

Die verschwundene Yacht von Bill Gates

Nur: Wie kann mal letztlich so töricht sein und sich eine Superyacht leisten, obwohl man selten darauf hockt (weil es dort unendlich langweilig ist) und diese nur Geld verschlingt? Wirklich nur wegen des Statements? Die Geheimnisse um die Yachten häufen sich.

Bill Gates hatte sich, wohl in einem Moment der mentalen Schwäche (als er vergessen hatte, dass er doch immer bescheiden auftreten wollte) eine besonders hübsche Yacht für 650 Millionen bestellt, die «Aqua», 112 Meter lang. Offenbar wollte er die 127-Meter-Megayacht von Jeff Bezos nicht übertreffen, es musste ein anderer Antrieb gewesen sein. A propos Antrieb: Die «Aqua» verfügt über einen Wasserstoff-Antrieb, es ist die erste grosse Yacht mit Hydropower. Allerdings scheint es sich Bill nun doch noch anders überlegt zu haben, und er nimmt sein Schiff gar nicht erst in Betrieb. Es steht zum Verkauf. Niemand weiss, wo das gute Teil versteckt wird und zu welchem Preis es verkauft werden soll. Eine Ausnahme. Aber ein Geheimnis mehr.

Zuckerberg begnügt sich übrigens mit seiner 118 Meter kurzen «Launchpad» (300 Millionen). Aber man sieht ihn selten auf seinem schnittigen Superboot, es liegt wohl an seiner Arbeitsbelastung, denn es gibt noch einiges zu tun im Hause Meta.

Ein Must: die coolen Apps für die Yachtsuche

Waldmeyer blickte kurz in seine zwei Lieblingsapps rein: MarineTraffic und myShipTracking. Grosse Yachten müssen mit einem Transponder versehen sehen, deshalb lassen sie sich kaum verstecken. Ihre Standorte erscheinen dann – weltweit – auf diesen Apps.

Ein paar Russen, denen aus bekanntem Grund die Konfiszierung der Yachten drohte, liessen die Transponder natürlich abschalten und konnten so ihre Kähne verstecken. Allerdings ohne dann den Mehrwert der Aussenwirkung zu geniessen – weil eben versteckt. Womit das Betreiben einer Yacht, mit seinen wichtigen intrinsischen Werten (in diesen bedauerlichen Sonderfällen) in Frage gestellt wird.

Sitzt Abramowitsch jetzt in Montenegro oder Bodrum?

Mit der Frage «Warum besitzt wohl Trump keine Yacht mehr?» versuchte Waldmeyer auf seiner Terrasse über dem See, Charlotte nun endgültig auf eine Diskussionsebene zu hissen. «Der ist doch pleite!», antwortete Charlotte knapp.

«Abramowitsch hockt jetzt in Montenegro», meldete Waldmeyer weiter zu Charlotte rüber und blickte von seinen Apps auf.

«Schatz, das ist nur seine Mega-Yacht, die «Eclips», 850 Millionen Euro. Abramowitsch hat diese Woche einen Gerichtstermin in der Schweiz». Endlich war Charlotte dabei. «Zudem besitzt dieser windige Russe drei weitere grosse Yachten, vergiss zum Beispiel die «Solaris» nicht, 600 Millionen! Die liegt zurzeit in Bodrum. Abramowitsch weiss schon, warum.» Und sie fuhr fort: «Die «Tango» von Veckselberg liegt übrigens auf Mallorca, immer noch beschlagnahmt, Veckselberg ist heute aber bei Sulzer in Winterthur, auf Einladung des VRs.»

Waldmeyer war perplex. «Seit wann interessierst du dich für Yachten, Charlotte?»

«Das ist heute doch Common Knowledge, Max. Ich schau halt manchmal bei Marine Traffic rein! VesselFinder ist auch ganz interessant»

Die Auflösung des Geheimnisses

Waldmeyer ging nun ein Licht auf. Wenn Charlotte, welche sich in der Regel vorab für Tennis interessiert, weiss, wo die grossen Yachten liegen und wem sie gehören, dann ist dieses Yacht-Wissen eigentlich zum Allgemeingut geworden. Allerdings: Vielleicht ist gerade dies das Geheimnis der grossen Yachten? Es gibt nämlich gar keines! Und damit ist das wahre Ziel der Yachtbesitzer erreicht: Sie tun zwar geheimnisvoll, möchten aber immer erreichen, dass man weiss, wem ihre Schlachtschiffe gehören und wo sie gerade rumschippern oder vor Anker liegen. Und vor allem: was sie gekostet haben.

«Nöd gschenkt», meinte Waldmeyer und beendete die lebhafte Diskussion.

Waldmeyer und die schöne, heile Welt

Oder: Das künftige Leben im „Gutstaat“

Die westliche Welt wird künftig anders aussehen – in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Sie wird besser werden, stressfreier. Und viel sozialer, auch inklusiver. Waldmeyer malt sich ein Bild, wie die nahe Zukunft aussehen könnte.

Waldmeyer findet es nicht schwer, sich eine Welt vorzustellen, welche alle positiven ökonomischen und sozialen Errungenschaften vereint. Eine bessere Welt einfach, vielleicht so in zehn Jahren erst – eine gewisse Transformationszeit muss man einer Gesellschaft ja zugestehen.

Waldmeyer blickt zurück auf das Jahr 2024

Rückblickend stellt Waldmeyer fest, dass die ersten Schritte 2024 erfolgten. Wenn man jeden Schweizer Bürger gefragt hätte, ob er im Lotto gewinnen möchte, hätte er Ja gesagt. Die Frage damals lautete ähnlich: Möchtest du nicht eine 13. AHV erhalten? Mit deutlichem Mehr hatte das Volk damals, seiner Logik folgend, mit einem Ja geantwortet und sich nicht auch noch um die Finanzierung der Ausgaben gekümmert. Dafür ist schliesslich der Staat zuständig. Und so könnte sich die Gesellschaft in den Folgejahren weiter verändert haben. Dabei musste vorab das eigene Glück im Vordergrund stehen. Es ging bei dieser Transformation um viel mehr als eine gute Work-Life-Balance. Es ging um einen Umbruch.

Man wird sich künftig um naheliegende Themen kümmern

Wir werden uns künftig viel weniger um politische Themen gekümmert haben. Vor allem nicht um solche, die weit weg von uns liegen – z.B. in der Ukraine. Die Russen machen eh, was sie wollen. Was sollen wir uns in der Schweiz um etwas kümmern, das wir gar nicht beeinflussen können! Wenn sie kommen, dann kommen sie. Unsere Armee könnte ohnehin nichts ausrichten. Die der Deutschen erst recht nicht, die ist noch weniger einsatzfähig. Und die Franzosen sahen kürzlich ein, dass sie mit ihren Geräten und der Munition gerade einmal 80 Kilometer Grenze – und dies nur während ein paar Tagen – verteidigen könnten.

Endlich wird die Gesellschaft inklusiver

Also kümmern wir uns richtigerweise um Themen, die etwas näher liegen: Um die Pflege der Diversitäten in der Gesellschaft, beispielsweise. Wir pflegen auch eine diverse Sprache, mit «Innen» und Doppelpunkten und vielem mehr. Jeder darf, wie er will.

Selbstzweifel? Das Rezept: Durch mehr Zuwanderung kann man sich positiv verändern. Deshalb auch die neuen Ramadan-Beleuchtungen, die in Deutschland und Frankreich in den Städten errichtet werden. Das ist dann nicht kulturelle Aneignung, sondern einfach inklusive, umsichtige Denke. Ja, man muss sich gutstellen mit den Bürgern und Einwohnern anderer Kulturen. Deshalb hatte Deutschland der Ukraine nach dem russischen Einmarsch erst mal ein paar Helme versprochen. Mit weitergehender Hilfe wollte man es sich mit Putin nicht verscherzen. So sieht professionelle Umsicht und Weitsicht aus.

Die Schweizer Jusos machen es vor

Die Jusos sind noch mutiger. In einem Positionspapier forderten sie bereits 2024 einen kompletten Umbruch von Wirtschaft und Gesellschaft: die Vergemeinschaftung von Vermögen, die Konzentration auf ein inklusives Leben, die Einführung der 24-Stunden-Woche. Das war konsequent. Malochen bringt einen nicht wirklich weiter. Der mutige Juso-Entwurf ist damit eine innovative Weiterentwicklung ur-kommunistischen Gedankengutes, Karl Marx’ einfach gestrickte Ideen erhalten so eine ganz andere Qualität. Die neue Erbschaftsinitiative der irrlichternden Partei spricht Bände.

Über allem stehen die Klimaziele

Die neue aufgeklärte Gesellschaft verfolgt ein Netto-Null-Ziel in Sachen CO2, bis 2050 soll es erreicht sein. Dabei kümmert man sich nicht um die grossen Umweltbelastungen im grossen Rest der Welt; Mikro-Management wird bevorzugt. Nun, man muss eben auch mal den Schneid haben, mit gutem Beispiel voranzugehen!

So fühlen wir uns leichtherzig mit jeder Fahrt im ÖV, und jede Aufhebung eines Parkfeldes und mit jeder neuen 30er-Zone in einer Hauptstrasse verbessert sich das Empfinden in der Gesellschaft. Der Einbau einer Wärmepumpenheizung verschlingt zwar Unmengen an Strom, den es künftig gar nicht zur Genüge geben wird. Aber diese Entscheide, einer Übersprunghandlung gleich, geben uns ein gutes Gefühl. Auch der Betrieb eines Elektrofahrzeuges erfüllt uns mit Stolz, denn wir schaffen es, gleichzeitig auszublenden, dass dieses zum Teil mit schmutzigem Strom aus dem Ausland fährt. Waldmeyer versucht seit Jahren, seiner Nachbarin Bettina Honegger (Verschwörungstheoretikerin, Impfgegnerin, gegen 5G, fährt einen weissen Elektro-Golf) zu erklären, dass ihr Gefährt eigentlich eine Dreckschleuder ist, betrieben, unter anderem, mit importiertem Kohlestrom aus Polen und Deutschland. Aber die Kunst Bettinas – und vieler anderer – besteht gerade darin, Waldmeyers Kritik komplett auszublenden. Und Waldmeyers Schwester Claudia (frühpensionierte Primarlehrerin, Kurzhaarschnitt, lustige farbige Brille) hockt den ganzen Tag vor ihrem PC und spielt mit Chat-GTP, welches gigantische Mengen an Strom benötigt, setzt sich aber politisch für strenge Energieziele ein.

Die Verkehrswende

Waldmeyer versuchte weiter, zehn Jahre positiv vorauszudenken. Er würde sich dann konsequenterweise nicht daran stören, künftig mit dem Velo oder dem Lastenrad in den Städten rumzukurven. So geläutert, würde er endlich die Ruhe und die gesunde Luft geniessen können. Die Abschaffung der individuellen Verkehrsmittel gegen Mitte der 2030er Jahre war schliesslich überfällig gewesen. Überland würden dann nur noch elektrisch betriebene Uber- und Bolt-Fahrzeuge unterwegs sein, mit jungen und gutaussehenden Fahrerinnen und Fahrern, die ihre Arbeit freiwillig verrichten. Es werden allerdings nur ganz kleine Fahrzeuge sein, denn der Strom ist knapp im Land. In der Nacht wird die Fahrt auf fünf Kilometer pro Fahrt beschränkt werden, denn dann, das hatte man herausgefunden, produzieren die Sonnenkollektoren nichts. Das ist aber egal, denn zuhause ist es auch schön. Im Winter gelten die gleichen Regeln, aber dann ist ohnehin 90% Homeoffice für alle angesagt, man muss also gar nicht raus. Im November werden sich die meisten Mitarbeiter der Firmen eh schon zur «Workation» abgemeldet haben, sie arbeiten dann von Thailand oder von Bali aus. Sie kommen später im Februar glücklicher und reich an Lebenserfahrung zurück an den Arbeitsort und haben viel zu erzählen. Das befruchtet nicht nur das Arbeitsklima, sondern auch die Firmen zehren dann von diesen wertvollen neuen Erfahrungsschätzen.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird Realität

Die Summe aller Sozialleistungen für Bedürftige wird ein Level erreichen, welches einem bedingungslosen Grundeinkommen entspricht. Der Staat nimmt, der Staat gibt. Aber er tut dies als verantwortungsvoller Geber. Wäre der Staat ein Mensch, wäre er ein Gutmensch. Damit wird der Begriff des «Gutstaates» neu definiert. Der Gutstaat garantiert nicht nur ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern auch ein bedingungsloses Vermögen, die Idee wurde kurzerhand von intelligenten Vorstössen in Deutschland abgekupfert.

Fortschrittlichere Arbeitsmodelle

Die Optimierung der Work-Life-Balance wird neu nicht mehr im Mittelpunkt der Arbeitnehmer stehen, sondern endlich auch die Arbeitgeber erreicht haben. Die Firmen werden erkannt haben, dass Arbeiten allein die Arbeitnehmer nicht glücklich macht. So wird jeder so viel arbeiten können, wie er möchte – selbstredend auch von zuhause aus. Die Firmen selbst haben inzwischen ihre Ziele geändert: Es geht jetzt nicht mehr darum, Gewinne zu erwirtschaften, sondern darum, a) Klimaziele zu erreichen, b) möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen, c) um Arbeitnehmer glücklich zu machen und d) sich nötigenfalls abzuschaffen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden können. Glücklicherweise wird es einen «Staats-Coach» geben, der die Firmen beim Erreichen dieser Ziele begleitet und der die diversen sozialen Auffangbecken bereithält, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Das Erbe gehört dem Staat

Zu Beginn dieses gesellschaftlichen Umbruchs hatte man sich allenthalben Sorgen gemacht, dass diese soziale Weiterentwicklung nicht finanziert werden kann. Das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen, und die Nachkommen brauchen die Kohle auch nicht, denn der Staat sorgt für sie. Also soll das Erbe dem Staat gehören – nicht zu 50% für grosse Vermögen, wie eine Juso-Initiative im Jahr 2024 wenig mutig vorsah, sondern zu 100%. Ein geniales Konzept, denn so kommt laufend unheimlich viel Geld in die Staatskasse. Grosszügig bezahlte Staatsangestellte können das Geld anschliessend wieder grosszügig verteilen, vielleicht vom Homeoffice aus und auf der Basis einer 24-Stunden-Woche.

Den Anfang machte tatsächlich die Juso-Initiative, welche 2026 vom Volk überraschenderweise, entgegen allen Prognosen, doch noch angenommen wurde; ab dann wurde eine staatliche Erbschaftssteuer von 50% auf hohen Vermögen erhoben. Sie brachte zwar kaum etwas ein, da sich die grossen Erblasser schon früher aus dem Staub gemacht hatten. Aber das Signal war wichtig: Die Bürger hatten erkannt, dass Erbschaften eigentlich dem Staat gehören.

Endlich weniger Leistungsdruck

Ja, vieles wird sich in den nächsten Jahren zum Guten verändert haben. Nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch davor, in der Schule, wo endlich der Leistungsdruck zurückgenommen wurde.

Bis zur Matura werden neu keine Noten mehr vergeben. Die Forderung von gewissen Kreisen, nun konsequent eine 20-Stunden-Woche für Arbeitseinsteiger einzuführen, wird auf grosses Interesse gestossen haben. Ein Drittel der urbanen Jugendlichen hatte bereits 2024 Depressionen, einige Jahre später waren sie erst recht überfordert. Völlig unverantwortlich wäre es deshalb, sie in den Armeedienst zu schicken. Überhaupt, die Armee sollte Frieden verbreiten. Eine SP-Vertreterin stellte fest (es war ebenso 2024), dass die Armee eigentlich keine Bewaffnung braucht. Auch Drohnen sollten nicht bewaffnet werden, so die gleiche Politikerin in der Aussenpolitischen Kommission.

Der Westen irrlichtert

Waldmeyer war zufrieden mit seiner weitsichtigen Vision für eine heile Welt. Der vermeintliche Weg zum Glück besteht also darin, dass wir gute Handlungen vornehmen und gleichzeitig die Absurditäten dahinter verdrängen. Das leuchtet ein. Wir nennen es dann Fortschritt und wähnen uns auf einem höheren Zivilisationsniveau.

Diese perfekte Welt wurde schon viel angedacht, von Karl Marx bis zu linken und grünen Weltverbesserern in Politik und Gesellschaft. Weder Karl Marx noch die Kibbuz-Erfinder noch die neuen Protagonisten einer besseren und glücklicheren Gesellschaft sind schlechte Menschen. Aber sie lagen und liegen einfach falsch.

Waldmeyer versteht seine wirre Vision nur als Mahnung. Er will lediglich aufzeigen, in welche zum Teil absurde und ökonomisch suizidale Richtung sich unsere westliche Gesellschaft bewegt. Der Rest der Welt wird indessen Freude an unserer Entwicklung haben, denn so werden wir noch schneller überholt werden. Insbesondere erfolgreiche Staaten in Asien klopfen sich auf die Schenkel. Wie sagte doch Waldmeyer schon zu seinem Sohn Noa: «Du wirst sehen, die Asiaten werden dereinst unsere Villen bewohnen und du wirst sie putzen müssen!»

Waldmeyer und der neue Staat Israel

Die Lage im Nahen Osten ist verzwickt: Seit bald 80 Jahren gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, eine friedliche Koexistenz der Völker aufzubauen. Waldmeyer wagt, mit dem Risiko eines Shitstorms, einen Befreiungsschlag.

 

Eine aussichtslose Lage

Seit 1948 gelang es der Weltgemeinschaft nicht, eine Lösung für eine friedliche Koexistenz zwischen dem jüdischen und dem palästinensischen Volk zu etablieren. Die UNO, der Westen, Israel und die muslimischen Völker haben schlichtweg versagt. Fast 80 Jahre lang wurde nun rumgedoktert – für nichts und wieder nichts. Die Sache mit der Zweistaaten-Lösung ist dermassen verfahren, dass sie kaum gerettet werden kann. Ein formeller Palästinenserstaat, selbstverwaltet und prosperierend? Angesichts der Hamas und der Hizbullah, welche, sekundiert vom Gottesstaat Iran, die Errichtung eines eigenen palästinensischen Staates gar nicht zum Ziel hat, sondern schlichtweg nur die Vernichtung des Staates Israel, verkommt ein solches Ansinnen zur Schimäre. Lustigerweise befeuern westliche Staaten immer noch verabscheuenswürdige Pläne der Hamas, indem sie Schulbücher finanzieren, welche schon auf den ersten Seiten die Vernichtung des jüdischen Staates propagieren. Auch die Schweiz hat diese Lehrmittel mit Millionenbeiträgen unterstützt. Und die UNO verurteilt heute konsequent Israel, fasst indessen Iran und seine Milizenschergen nur mit Samthandschuhen an.

Die Sache ist komplett aus dem Ruder gelaufen

Wir sind uns wohl einig: Die Taten insbesondere der irangesteuerten Hamas sind absolut niederträchtig. Und Israel verdient eine gesicherte Existenz. Dass Israel nun aber unverhältnismässig zurückbombt, ist auch keine Lösung. Dass sich die Hizbullah trotz UNO-Resolution nie aus dem Süden Libanons zurückgezogen hat und Israel immer noch täglich mit Raketen beschiesst – und so wieder Gegenreaktionen Israels auslöst – ist dem Frieden in der Region selbstredend auch nicht dienlich. Unabhängig von der geopolitischen Notwendigkeit, Iran in Schach zu halten, muss andererseits für die Palästinenser eine adäquate unabhängige Bleibe gefunden werden. Der ganze Nahe und Mittlere Osten, inklusive Iran und der muslimisch geprägten Afrika-Staaten, wird nicht zur Ruhe kommen, bevor dieses verfahrene Nahostproblem nicht gelöst ist.

Der Befreiungsschlag

Leider ist es nun mal so, dass die reine Existenz des Staates Israel den Hass antisemitischer Kreise und deren Gewaltbereitschaft befeuert. Waldmeyer wagt nun einen gefährlichen Gedanken: Würde denn in diesem Teil der Welt Friede herrschen, wenn es Israel gar nicht gäbe? Also rein hypothetisch, ohne davon, bei Gott und bei Allah, irgendwelche Forderungen abzuleiten: Würden alle Staaten in der Region denn in Minne miteinander leben, wenn Israel wegziehen würde? Ein Gedanke, der politisch brisant ist. Aber trotzdem: Falls es so wäre, herrschte dann Friede?

Ja, vielleicht, dachte Waldmeyer, obwohl er sich selbstredend gleich schämte, einen solchen Gedanken einer Umsiedlung überhaupt aufkommen zu lassen. Man müsste für Israel natürlich eine faire und valable Alternative finden.

Waldmeyer entwickelt einen geheimen Plan

Waldmeyer begab sich also, ganz vorsichtig, in diesen bedrohlichen Warteraum des Konjunktivs: Was wäre, wenn…? Man darf ja auch mal unkonventionell brainstormen, nicht? Und kritisch denken heisst auf keinen Fall, antisemitisch zu denken. Das muss sich auch die jüdische Gemeinde nun mal gefallen lassen.

Sicherheitshalber beschloss Waldmeyer, vorerst mit niemandem über seine Idee zu sprechen. Auch mit Charlotte nicht, schon gar nicht mit seiner Tochter Lara. Zumal Letztere nicht durch ihre Eltern, sondern vor allem durch die Sozialen Medien sozialisiert wurde und für Palästina auch mal auf die Strasse geht.

Aber nun zur Sache: Das ganze Projekt mit dem neuen Staat für Israel müsste freiwillig stattfinden. Waldmeyer legt nun seinen Plan vor:

  1. Es müsste für Israel ein neuer Ort auf der Welt gefunden werden, welcher sicher, bewohnbar und genügend gross ist, um dort zu leben.
  2. Die Weltgemeinschaft müsste dahinterstehen und einen „Umzug“ des Staates Israel akzeptieren.
  3. Eine Anschubfinanzierung müsste eingeplant werden, z.B. durch den Westen und durch die Golfstaaten.
  4. Ein Masterplan für den Umzug müsste vorliegen.

Die Geschichte hilft weiter

Die Historie hatte schon einmal ein paar Ideen hervorgebracht, die in diese Richtung gingen. So gab es vor über hundert Jahren bereits einen Plan Chamberlains, der vorsah, einen jüdischen Staat in Afrika zu errichten. Die Idee bestand darin, die damalige relativ uninteressante britische Kolonie Uganda zur Verfügung zu stellen. Der Plan wurde allerdings wieder fallengelassen. Es wäre indessen ganz interessant zu beobachten gewesen, was aus Ostafrika geworden wäre, wenn sich dort ein erfolgreicher jüdischer Staat etabliert hätte. Hätten die tüchtigen Israeli vielleicht den halben Kontinent zu einer wirtschaftlich blühenden Region entwickelt?

Zur gleichen Zeit stand El Arish auf der Liste. Der jüdische Staat wäre damit nur unwesentlich unterhalb des Gazastreifens zu liegen gekommen, an der Küste der ägyptischen Sinai-Halbinsel, auf dem Weg nach Alexandria. Auch diese Idee kam indessen nicht zum Tragen.

Schon früher, 1928, stand der Osten Russlands zur Diskussion, 1939 wurde von den Nazis ein „Madagaskar-Plan“ ausgearbeitet, und Mussolini schlug zur gleichen Zeit einen Teil Äthiopiens vor, damals eine italienische Kolonie – alles relativ charmelose Vorschläge, die schon eher Deportationscharakter hatten.

Da war 1942 der britisch-australische Ansatz, Tasmanien zur Verfügung zu stellen, schon interessanter. Dort gab es, beispielsweise, bereits eine kleine Synagoge. Und viel Land. Aber wie wir wissen, entschied sich die Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg anders. Und so wurde der jüdische Staat 1948 inmitten eines arabischen Umfelds errichtet, mit jüdisch-historischen Wurzeln zwar, aber im Epizentrum einer relativ fundamentalistischen muslimischen Welt. Das konnte ja nicht gut gehen.

Heureka: Es gibt ein ideales Land für Neu-Israel!

Waldmeyer durchforstete den Globus und fand tatsächlich den idealen Ort: Australien. Dort gibt es genügend Fläche, viele fast menschenleere Gebiete. Der Landstrich müsste allerdings einen Meerzugang haben. Die UNO könnte einen Deal mit Australien abschliessen und eine ordentliche Fläche bereitstellen, damit sich der neue Staat wirtschaftlich anständig entwickeln kann. Um künftig eine unkontrollierte israelische Siedlungspolitik zu verhindern, müsste das Land etwa mindestens doppelt so gross sein wie das heutige Israel. Am besten wäre eine Insel, da wäre eine ungebührliche Expansionspolitik zum Vorneherein schwierig. Und so landete Waldmeyer, der Logik folgend, wieder bei Tasmanien, der südlich vor Australien liegenden Insel.

Tasmanien ist ideal

Das australische Tasmanien ist rund dreimal so gross wie das heutige Israel. Es ist fruchtbar, liegt in einer gemässigten Klimazone und hat – da eben eine Insel – mehr als genügend Meerzugang. Der Ort würde also ein deutliches Upgrading darstellen. Waldmeyer wusste auch gleich, wie Neu-Israel gestaltet werden sollte. Mit Australien und der ganzen pazifischen Region müsste es ein Freihandelsabkommen geben. Neu-Israel würde sich in zwei Kantone gliedern, in ein Normal-Israel und ein Ortho-Israel (für die orthodoxen Mitglieder der jüdischen Gemeinde). Der orthodoxe Teil müsste südlicher liegen, weil es auf der Südhalbkugel weiter südlich bekanntlich kühler ist (damit würde man den etwas komplizierten Bekleidungsbräuchen der orthodoxen Juden entgegenkommen).

Die bestehende, bescheidene Population Tasmaniens könnte man im Kanton Normal-Israel integrieren, sollte sie dem Angebot der australischen Regierung für eine Umsiedlung auf den Kontinent nicht nachkommen. Im israelischen Staat leben heute Tausende von Muslimen, also würde die Integration von tasmanischen Nicht-Muslimen mit Bestimmtheit umso eleganter vonstattengehen. An die koscheren Malzeiten würden sich die verbleibenden Tasmanier sicher gewöhnen können, zumal ihre heutige gastronomische Basis doch eher bescheiden ist.

Es gibt doch noch Fragezeichen

Je weiter Waldmeyer indessen reflektierte, umso nachdenklicher wurde er. Ja, was wäre, wenn…? Würde in Nahost mit der Verlegung Israels tatsächlich Friede und Prosperität einkehren? Könnte sich der Westen ganz zurückziehen aus diesem Teil der Welt? Da wären doch noch einige Zweifel angebracht. Sunniten und Schiiten sind sich spinnefeind in der Region. Waldmeyer verstand den Unterschied zwischen den verschiedenen muslimischen Ausrichtungen nicht ganz. Offenbar bestand dieser vorab darin, dass unterschiedliche Meinungen über die Nachfolge des Propheten Mohammed herrschen. Es handelt sich also um ganz feine Nuancen, wie sie etwa zwischen Katholiken und Protestanten bestehen. Um Nuancen allerdings, die zu unüberbrückbarer Unversöhnlichkeit führen. Die schiitischen Iraner beispielsweise würden in der ganzen Region wohl weiter mit dem Feuer spielen. Und die Palästinenser kämen allein vermutlich immer noch nicht klar, hatten sie es doch bis heute, trotz Millionen-Unterstützungen aus der ganzen Welt, nie geschafft, eine funktionierende Gesellschaftsstruktur aufzubauen. Seit bald 80 Jahren konnte keinerlei wirtschaftliche Basis für ein autonomes Leben etabliert werden.

Mit anderen Worten: Es bestehen doch noch ein paar Fragezeichen für ein erfolgreiches Umsiedlungsprojekt. Sollte Waldmeyer nun seinen geplanten Befreiungsschlag wieder auf Eis legen?

«Wo ist eigentlich Lara heute?», fragte Waldmeyer Charlotte.

«An der Demo. Du weisst doch, Palästina und so.»

„Halleluja“, rief Waldmeyer aus. Und er überlegte: Hoffentlich wird seine geheime Neu-Israel-Idee trotzdem irgendwie durchsickern.

Waldmeyer und braucht das Volk nur Brot und Spiele?

Max Waldmeyer macht sich Sorgen um die Entscheidungsfähigkeit des Volkes: Es entscheidet an der Urne nämlich oft so, wie er selbst nicht entscheidet. Also falsch! Vielleicht stinkt es dem Volk einfach, auf komplizierte Vorschläge einzutreten? Oder verschliesst es nur die Augen vor wichtigen Tatsachen? Betrachtet es möglicherweise Entscheidungen als lästig und möchte nur Brot und Spiele…?

Seit Dezennien gehen alle geplanten Revisionen der Pensionskassensysteme bachab. Das Volk ist im Zweifelsfall immer partout dagegen. Natürlich sind Revisionen oft unangenehm. Autokratien und Diktaturen sind da selbstredend im Vorteil.

Überforderung des Volkes? Versagen der Staatsform? Unterlassungen der Beamten und Politiker?

Waldmeyer kann allerdings nachvollziehen, dass man eine Sache ablehnt, wenn etwas nicht klar oder unangenehm ist – ausser, wenn es sich um ein grosszügiges Angebot handelt. Es sei an die Abstimmung betreffend die 13. AHV (die staatliche Schweizer Altersrente) erinnert. Klar, eine gute Geschichte, mehr zu kriegen, auch sehr sozial. Und ein paar Wenige haben das auch wirklich nötig. Wenn man gleichzeitig allerdings die Karten nicht offenlegt, wie die Geschenke finanziert werden sollen, ist das schlichtweg unlauter. Es grenzt nahezu an Staatsversagen. In keiner Firma und in keinem Haushalt würde man etwas anschaffen, ohne zu überlegen, wie das finanziert werden soll. Es scheint offenbar ein Privileg des Volkes zu sein, dass man das darf – und ein Versagen der Staatsform, wenn man das zulässt. Zusätzlich handelt es sich auch um eine schreckliche Unterlassung des Managements des Staates (also Beamte und Politiker) den Entscheidungsträgern keinen reinen Wein einzuschenken.

Alle gegen alles

Ein wunderbares Beispiel dazu lieferte die jüngste Abstimmung über die Pensionskassen-Reform: Geplant war eine Besserstellung der Minderbeschäftigten, eine Besserstellung der Frauen, eine Herabsetzung der Beiträge von älteren Mitarbeitern. Letzteres war ziemlich gescheit, da sich ihre Anstellungschancen so verbessert hätten. Und jetzt der wichtigste Punkt der gescheiterten Reform: Der Umwandlungssatz. Dieser sollte etwas gesenkt werden, weil (leider oder glücklicherweise) die Restlebenszeit der Rentner dauernd steigt. Trotz all der vielen (vor allem sozialen) Verbesserungen wurde die Reform abgelehnt.

Waldmeyer wittert eine Verschwörung

Die Reformpunkte hätten aus der Feder der Gewerkschaften und der Linken stammen können. Aber warum wurden sie trotzdem bekämpft? Weil man noch mehr wollte? Weil man gegen das Älterwerden ist?

Waldmeyer kennt die wahre Antwort: Eine Verbesserung der Pensionskasse lag ganz einfach nicht im Programm dieser Kreise. Diese haben Grösseres vor, nämlich die «Fusion» der AHV mit dem obligatorischen Teil der Pensionskassen. Waldmeyer wittert, wenn nicht eine Verschwörung, so zumindest einen cleveren, längerfristig ausgelegten Schlachtplan: eine weitere «Umverteilung» also. Das bisher privat Angesparte soll verallgemeinert werden. Ja, Individuallösungen sollen abgebaut und an ihre Stelle umfassende gesellschaftliche Gesamtlösungen treten – welche natürlich viel besser in ein letztlich sozialistisches Weltbild passen.

Der Umwandlungssatz: eine Geheimzahl?

Doch zurück zum Umwandlungssatz. Dieser scheint so etwas wie eine Geheimzahl zu sein, weil mathematisch. Und Mathematik ist nicht jedem geläufig. Deshalb hatten es die Bundesräte auch tunlichst unterlassen, sich im Vorfeld der Abstimmung hier genau zu äussern. Nun, Mathematik mag ja nicht jedermanns Stärke sein: Bundesrätin Baume-Schneider als ausgebildete Sozialhelferin mag hier früher ein paar Lektionen verpasst haben. Und Karin Keller-Suter, als ausgebildete Dolmetscherin, hat sich in ihren Lehr- und Wanderjahren wohl auch nicht auf Mathematik fixiert. Dass sich die Gewerkschaften in ihrem Abstimmungskampf nicht am Rande um den Umwandlungssatz gekümmert hatten, war hingegen Taktik. Waldmeyer traut z.B. dem vollmundigen Gewerkschaftsführer und früheren Sekundarlehrer Pierre-Yves Maillard zu, dass er der Mathematik schon ein bisschen Herr ist. Aber sie hätte gestört. Also Neinparole – und möglichst keine Diskussion über diesen ärgerlichen Umwandlungssatz.

Kapital krallen oder sich Rente gönnen?

Allerdings ist die Causa Umwandlungssatz eine ganz simple. Eigentlich handelt es sich um eine Art fortgeschrittener Dreisatz. Und um den jüngeren und noch etwas bildungsferneren Lesern die Sache kurz zu erklären: Man nehme einen angesparten Rentenbetrag bei Alter 65. Du kannst dir dieses Kapital entweder komplett auszahlen lassen (mit einigermassen erträglichen Steuerfolgen), und du kannst dich mit der Kohle sogar nach Thailand absetzen. Die ausbezahlte Summe wird vermutlich reichen, bis an dein Ende am Strand zu hocken. Ganz am Schluss, in der Demenzphase, spielt dann das Geld eh keine Rolle mehr, da dein Leben von aussen bestimmt sein wird. Soweit zu Option 1.

Und vorab: Du kannst in der Regel wählen zwischen Option 1 und Option 2.

Und nun zu Option 2: Anstatt dir das ganze Rentenkapital zu krallen, beziehst du eine lebenslange Pension. Diese Option wählst du, wenn du a) entweder dir selbst nicht zutraust, mit Disziplin über eine stattliche Summe Geld zu verfügen und diese bis am Ende (siehe oben) einzuteilen. Oder b), weil du denkst, du wirst 100 Jahre alt.

Genau hier liegt auch der erste Management-Entscheid: Du musst entscheiden, bzw. schätzen, wie alt du werden wirst. Als Mann hast du in der Schweiz bei Geburt eine Lebenserwartung von 82 Jahren. Wenn du allerdings allerlei Unbill bis zum Alter 65 überlebt hast (Absturz vom Matterhorn, Unfall mit deiner Harley, Suizid etc.), hast du mit Alter 65 eine Lebenserwartung von 84. Also zwei schöne Jahre mehr. Das sind 19-mal Sommer, die du verbringen darfst. Zumindest die Hälfte davon mag noch angenehm sein.

Als Frau sind dir noch 23 Jahre vergönnt, sofern du bis 65 nicht das Zeitlichte gesegnet hast, du wirst 88 werden. Als Frau ist man sozial also absolut privilegiert – was allerdings gerade die SP und Feministinnen nie erwähnen.

Die Geheimzahl 6.8

Aber zurück zum Umwandlungssatz: Die Zahl 6.8 sieht vor, wie man sein persönlich angespartes Rentenkapital auch jährlich beziehen kann. Das geht auch in Thailand, hat bei dieser Kalkulation allerdings keine Bewandtnis. Ein Kapital von einer Million, über Jahre von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf ein persönliches Konto des Arbeitnehmers auf die Seite geschafft, wird auf die statistisch verbleibenden Lebensjahre gerecht verteilt. Eine Million multipliziert mit 6.8% ergibt nun 68’000 pro Jahr. So viel kann man mit der heutigen Regelung als Rente erwarten. Leider wird jeder Versicherungsnehmer im Durchschnitt nun älter, das ist der Statistik geschuldet. Also muss das Rentenkapital auf mehr Restlebensjahre verteilt werden, denn sonst reicht das Kapital nicht. Bei einem Umwandlungssatz von 6% kriegt man dann leider nur noch 60’000 pro Jahr – aber bis am Schluss.

Das Drama nun: Künftig werden wir vermutlich noch älter werden, und wir müssen den Umwandlungssatz dann nochmals senken. Wieso jede Änderung des rein statistisch beeinflussten Umwandlungssatz dem Volk vorgelegt werden muss, entzieht sich der Logik. Man hätte, so überlegte Waldmeyer, dem Volk auch die Bestimmung der Lebenserwartung vorlegen können.

Ich muss meine Restlebenszeit präzise abschätzen

Damit fällt die zweite Management-Entscheidung an. Sofern ich kurz vor 65 erkenne, dass ich das prognostizierte Alter übertreffen werde, könnte ich mich für eine Rente entscheiden. Dann werden einfach die anderen, die früher schon ableben, für mich bezahlen, freiwillig und aus Solidarität – wenn auch oft im Unwissen. Wenn ich andererseits eine nur noch beschränkte Restlebenszeit vor mir sehe (weil ich z.B. starker Raucher bin oder restlos dem Alkohol verfallen), würde ich mit Vorteil die Rentenauszahlung wählen und das Geld dann raschmöglichst verjubeln. Schön ist, dass wir hier i.d.R. eine Entscheidungsfreiheit (Auszahlung oder Rente) geniessen.

Wer also gegen einen wie immer gestalteten Umwandlungssatz ist, könnte das angesparte Kapital einfach beziehen und sich um diese Umwandlungssätze foutieren.

Waldmeyer sieht genau fünf mögliche Lösungen

Aus politischer Sicht kommen wir nicht darum herum, den Gegnern von Reformen folgende Lösungen vorzuschlagen, um die Kuh vom Eis zu bringen:

  • Wir könnten dagegen sein, älter zu werden. Die Umsetzung wird sich allerdings etwas schwierig gestalten.
  • Man könnte bereit sein, für die statistisch neuen, zusätzlich erworbenen Lebensjahre (also z.B. für die letzten zwei Jahre) auf eine Rente zu verzichten.
  • Wir könnten die Beitragszahlungen in die Pensionskassen erhöhen.
  • Wir könnten das Pensionsalter erhöhen.
  • Wir könnten die Renten kürzen.

Allerdings kennen wir die Antwort unserer Gegner schon: Sie sind gegen alle fünf Lösungsansätze. Sie würden eher Lösung 6) wählen: Der Staat müsste einfach mehr Geld einschiessen!

Die Überforderung ist mit Händen zu greifen

Vielleicht ist das Volk schlichtweg überfordert bei diesen schwierigen Fragen? Oder liegt es vielleicht am mangelnden Mathematikverständnis? Oder am puren Desinteresse an Details, sodass man den lautesten Protagonisten auf den Leim kriecht? Oder möchte man einfach nichts ändern, weil bisher doch alles gut lief? Waldmeyer wagt, ganz vorsichtig, eine These: Möchte das Volk vielleicht nur Brot und Spiele? Soll es sich gar nicht um komplizierte Entscheide kümmern müssen? Die Überforderung ist nämlich mit Händen zu greifen.

Waldmeyer weiss nun: Er wird sein eigenes Pensionskapital einmal beziehen. Alles auf einmal. Take the money and run. So kann er getrost auf die ganze Rentenübung verzichten. Dabei möchte er nicht mal nach Thailand.

Waldmeyer und die teutonische Kernschmelze

Oder: Der kranke Mann in Europa

Deutschland scheint sich nicht nur zu deindustrialisieren, sondern gleichsam abzuschaffen. Das ist schade – zumal wir in der Schweiz auf einen starken wirtschaftlichen Nachbarn angewiesen sind. Ein Interview mit Max Waldmeyer bringt Licht in die Sache.

Das folgende Interview von Rebecca Carpenter mit Max Waldmeyer wurde diese Woche aufgezeichnet. Waldmeyer, Ex-Unternehmer und Kolumnist, bezeichnet sich lediglich als kritischer Beobachter von Wirtschaft und Gesellschaft. Eines seiner Lieblingsthemen ist die «Verscholzung Deutschlands». Vorab gleich eine Warnung: Das Interview wird unüblich lang werden – aber es wird sich lohnen, bis zum Ende durchzuhalten!

Rebecca Carpenter (RC): Max Waldmeyer, gingen Sie nicht etwas zu weit, als Sie die aktuelle Lage in Deutschland kürzlich als «teutonische Kernschmelze» bezeichneten?

Max Waldmeyer (Wm): Ich gebe zu, das war etwas plakativ. Ich fand im entscheidenden Moment eben kein anderes Bildnis. Aber ich stehe dazu: Deutschland, so wie sich das Land noch vor ein paar Jahrzehnten präsentierte, gibt es nicht mehr. Es schafft sich laufend ab. Es geht um einen Werteverfall, um den Verlust von Leistungsbereitschaft, um Weltfremde, um eine eskalierende Bürokratie, einen ausufernden Sozialstaat, eine aus dem Ruder gelaufene Immigration und eine invasive und gefährlich wuchernde Staatsgläubigkeit.

RC: Auch in der Schweiz beobachten wir diese Tendenzen.

Wm: Stimmt. Aber wir sind nicht der kranke Mann in Europa. Im Moment ist es eindeutig Deutschland. Im schlechtesten Fall begehen wir in unserem Land die gleichen Fehler einfach 10 oder 15 Jahre später. Wir segeln eh immer im Windschatten unseres Nachbarn, vor allem wirtschaftlich. Im besten Fall lernen wir jeweils aus den Fehlern der andern und geben Gegensteuer. Im realistischen Fall bleiben wir auf dem halben Weg stecken. Zumindest haben wir in unserem Land begriffen: Das Leben ist kein Ponyhof, bei uns herrscht keine Vollkaskomentalität. Die Anzeichen eines Nannystaates sind zwar auch bei uns auszumachen, aber nie in diesem deutschen Ausmass.

RC: Deutschland wurde natürlich zusätzlich bestraft, weil eine eh schon problematische Regierungskoalition nun auch noch mit dem Problem Ukraine gebeutelt wird. Die sind da ja viel näher dran als wir.

Wm: Gerade das Beispiel mit dem Ukraine-Management zeigt, wie überfordert die Regierung ist. Erstens hatte das Land während Dezennien aufs falsche Pferd gesetzt und sich abhängig gemacht (Anmerkung der Redaktion: abhängig vom russischen Gas). Zweitens erliegt sie einer fatalen Verkennung der geopolitischen Lage: Der Ex-Sowjetunion geht es doch gar nicht um die Ukraine, die Putin-Nomenklatur hat Grösseres vor. Das scheint bei der pazifistisch verbrämten SPD noch nicht angekommen zu sein. Drittens hat die Zögerlichkeit Deutschlands (und letztlich auch des Westens) zu einer Eskalation der Kriegswirren geführt. Hätten die Deutschen in den ersten Tag nach dem russischen Einmarsch der Ukraine nicht nur Helme geschickt, sondern auch schweres Geschütz, hätte man der Invasion sofort Paroli bieten können. Die lächerlichen Konvois veralteter russischer Fahrzeuge sind uns in Erinnerung. Mit ein paar Leopard-Panzern hätte man sie gestoppt und mit der geeigneten Luftabwehr die alten Mig-Jäger runtergeholt. Die zwei Jahre später gelieferten Panzer laufen nun auf den perfekt verminten russischen Stellungen auf, und Russland konnte mit seiner inzwischen auf Kriegswirtschaft getrimmten Industrie rasch aufrüsten und allerlei Waffen und Munition bereitstellen. Wie sagte doch schon Gorbatschow: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.» Nun kommt das Kriegs-Schlamassel dem ganzen Westen nur noch teurer zu stehen. Leider scheint die deutsche Regierung nicht lernfähig zu sein. Auch versteht sie es nicht, ihre jämmerliche Armee auf Vordermann zu trimmen. Deutschland bedient heute ein Anti-Abschreckungs-Heer.

RC: Tatsächlich, die Zögerlichkeit in der vom Kanzler geführten Regierung entgeht auch uns objektiven Journalisten nicht.

Wm: Ja, deshalb der Begriff der «Verscholzung». Das zu späte Entscheiden – oder das Nicht-Entscheiden – ist ein integraler Bestandteil der deutschen Regierungspolitik.

RC: Manchmal geht es aber schneller. So, wenn es ums Klima geht. 2035 steht das Verbrenner-Aus an.

Wm: Es wird nicht mehr lange dauern, und dieses Datum wird kippen. Die benötigte Elektrizität für die ganze Umstellung in Sachen Energie und Verkehr kann schlichtweg nicht zur Verfügung gestellt werden. Auch nicht, wenn die dreckigen Braunkohlekraftwerke alle mit Volldampf laufen. Die Fahrzeugindustrie wird aber während Jahren so auf das falsche Pferd gesetzt haben, den Technologiezug verpasst und Marktanteile auf dem Weltmarkt verloren haben. So läuft staatlich gelenkte Deindustrialisierung.

RC: Firmen wandern offenbar vermehrt aus Deutschland ab.

Wm: Firmen fällen keine politischen Entscheide, sondern faktenbasierte. Wenn es sich nicht mehr lohnt, in Deutschland zu produzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben, haben die Manager dieser Unternehmen die Pflicht, nach Alternativen auszuschauen. Wenn Steuern, Lohnstückkosten, vor allem die Lohnnebenkosten, Energiepreise und behördliche Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, geht man. BASF verlegt einen Teil ihrer Produktion nun nach China, Kärcher verreist nach Lettland, Stihl kommt mit ihren weltbesten Kettensägen in die Schweiz. Welcome to Switzerland.

RC: Zurück zur Zögerlichkeit: Auch in Sachen Heizungsumstellung beispielsweise wurde Tempo gemacht!

Wm: Ja, ein herrliches Beispiel von weltfremdem Mikro-Management. Da wurde ohne Plan etwas beschlossen. Wärmepumpen brauchen extrem viel Strom-Input. Im Winter laufen sie nur mit geringer Effizienz, vorab eben mit elektrischer Zugabe. Aber woher dann den Strom nehmen und nicht stehlen? Fakt ist: Es wird künftig einfach nicht genügend Elektrizität geben. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, gibt es keinen Strom. Atomkraft gibt es auch keine mehr, fossile Kraftwerke zu wenige. Wasserkraftwerke kaum, denn Deutschland ist leider ziemlich flach. Da wurde das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Schon heute wird im Winter und in der Nacht Strom aus den dreckigsten aller Kraftwerke aus Polen importiert. Dort wird übrigens auch ein Grossteil aller Wärmepumpen gebaut. Das scheint ein weiterer Teil des Deindustrialisierungsplanes zu sein.

RC: Nun gut, aber wie hätte denn ein guter Energie-Plan ausgesehen…?

Wm: Natürlich hätte man den künftigen Energie- bzw. Strombedarf der nächsten Jahre erst mal überschlagen sollen, die Produktion dann absichern, dann den Wechsel der Verbrauchergenerationen planen sollen – also bei den Heizungen, den Fahrzeugen, beim Industriebedarf. Die Osterhasen-Aktion der Migros beginnt ja auch nicht mit dem Verkauf, sondern mit der Produktion der Hasen, basierend auf einer Verkaufsprognose. Das sollte sogar einem Jugendbuchautor einleuchten (Anm. der Redaktion: Damit ist Robert Habeck gemeint, heute Wirtschafts- und Klimaschutzminister).

RC: Sprechen wir noch über die Infrastruktur generell! Da hat Deutschland grosse Pläne für einen Ausbau.

Wm: Ja, das ist das Tüpfchen auf dem i: Die Pläne gibt es nämlich schon seit langem. Anstatt genderfreundliche, diverse Toiletten einzurichten, hätte man das Geld vielleicht für die Verbesserung der alten Dämme verwenden können. Trotz der massiven Staatseinnahmen gibt es auch immer noch marode Brücken oder eine peinlich unzuverlässige Bahn. Die Stromtrassen für den Transport der Elektrizität vom Norden, von den grossen Windparks in den Süden runter, sind immer noch nicht gebaut. Zudem ist Deutschland nach wie vor eine digitale Wüste. Und die «neuen» Bundesländer sehen auch nach 35 Jahren immer noch alt aus.

RC: Nun, die Ostdeutschen hatten ja einen schwierigen Start 1989.

Wm: Die baltischen Staaten hatten etwa zur gleichen Zeit die gleichen Voraussetzungen. Die Balten hatten nicht mal Geld, die ostdeutschen Bundesländer aber schon, die wurden geradezu überschüttet mit Investitionen. Heute leben Esten, Letten und Litauer in leidlich blühenden, modernen und vorbildlich digitalisierten Ländern, die weiter nach Aufbruch lechzen. Da ist was schief gelaufen in Deutschland. Ein Lichtblick besteht zumindest darin, dass in Ostdeutschland heute nur noch gut 12 Millionen Menschen leben. Zur Gründungszeit der DDR waren es fast 19 Millionen. Vielleicht löst sich das Problem ganz einfach durch eine komplette Abwanderung…?

RC: Wie kann man die Misere lösen?

Wm (studiert lange): Ich glaube, es braucht wieder einen Marshall-Plan.

RC: Den wird es kaum geben.

Wm: Stimmt. Aber es braucht dringend einen Regierungswechsel. Wobei ich mich frage, ob die bestehende Opposition, rund um die CDU/CSU, das Ruder wirklich herumreissen kann. Sie verpasst es laufend, die wichtigen Themen zu bewirtschaften und überlässt das Spielfeld so dem ganz linken und dem ganz rechten Spektrum. Sie merkelt weiter vor sich hin.

RC: Die Sache ist also ziemlich verfahren.

Wm: Ich würde es, von aussen betrachtet, so formulieren: Germany is in deep shit. Das Runterfahren des Erfolgsmodells Deutschland hat gut 20 Jahre gedauert. Rauffahren braucht länger. Denn inzwischen wurde ein Grossteil der marktwirtschaftlichen Strukturen zerstört. Die Reparatur wird meine Restlebenszeit vermutlich überdauern.

RC: Das klingt pessimistisch. Vielleicht kommt eine junge Generation, die wieder vorwärtsgerichtet denkt?

Wm: Nun, vorerst wohl nicht. Auch junge Deutsche wurden vom Staat nun über Dezennien erzogen, dass es in Ordnung ist, wenn man etwas in der sozialen Hängematte liegenbleibt. Die Leistungsbereitschaft hat sich damit drastisch reduziert, die Generation Z hat andere Ziele. Die jungen Leute wollen am liebsten nur eine Vier-Tage-Woche – aber bei gleichem Lohn, wohlverstanden. Die jungen Grünen fabulieren auch schon mal von einer 20-Stunden-Woche. Diese Ambitionslosigkeit gegenüber der Arbeit ist allerdings ein Phänomen, das wir in ganz Westeuropa beobachten können; in Deutschland wiegt diese Konstellation in einer Spirale des Niedergangs natürlich besonders schwer.

RC: Wieso liebt denn diese Generation nicht ihren Staat? Er tut ja alles für sie.

Wm: Das tut er eben nur vordergründig. Er hat den Leuten zumindest den Leistungsdruck genommen. Er lenkt auch mal gerne ein, so wenn die Bähnler wieder streiken; sie kriegen dann die 35-Stunden-Woche und halten wieder für ein paar Monate still.

Aber der Staat bleibt das Feindbild für viele. Für die meisten sind auch Unternehmer Teil des Feinbildes, Arbeitgeber so oder so. In Deutschland arbeiten 80% nicht gern. In der Schweiz ist es umgekehrt: 80% arbeiten gerne. Das erleichtert natürlich die Staatsführung erheblich bei uns.

Dass der Staat in Deutschland nicht beliebt ist, liegt auf der Hand. Deutschland verzeichnet insgesamt die höchsten Steuern Europas, die Maximalprogression setzt schon bei rund 60’000 Euro Einkommen ein. Die Erbschaftssteuer ist hoch, die Weitergabe eines KMU an Nachkommen ist fast unmöglich. Und die Firmensteuern liegen auf einem nicht wettbewerbsfähigen Niveau.

RC: Immerhin stellt der Staat ja ordentliche Leistungen zur Verfügung.

Wm: Verglichen mit der Schweiz beispielsweise sind die Leistungen bescheiden. Die Renten sind mager, es gibt viele Streiks, die Zuverlässigkeit der Bahn, wie schon erwähnt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie zuverlässig unzuverlässig ist, Roll- und Schienenmaterial sind hoffnungslos veraltet. Aber wie soll man denn ein Verkehrsunternehmen mit 760 Unterfirmen auch führen…?

Das schlechteste Mobilfunknetz Europas liegt übrigens genau hier, in diesem Land.

Das viele Steuergeld kommt offenbar kaum unten im Volk an. Das Geld sublimiert sich quasi im System. Viele Gebühren und Kosten sind einkommensabhängig, das betrifft nicht nur die Krankenkassen, das geht bis zu den Kosten bei einer Scheidung.

Dazu kommt, dass eine breite Schicht miserabel verdient, das reicht kaum für Rücklagen. Eine Kassiererin verdient in Deutschland kaum mehr als 2‘500 Euro. Kein Wunder, sind auch die Renten dann medioker. Und die alten Leute frieren zum Teil immer noch in billigen Plattenbauten, weil sie das Geld für die Gasrechnung nicht aufbringen können. Ein Jammer.

RC: Da fragt man sich tatsächlich, wohin das viele eingenommene Geld verschwindet.

Wm: Nun, es gilt eben, einen riesigen Staats- und Beamtenapparat zu unterhalten. Leider produziert der nichts. Dafür hat jeder Gewerkschaftsführer oder Abgeordneter einen ganzen Stab von Mitarbeitern und eine schöne schwarze Limousine mit Chauffeur zur Verfügung. Auch die Ausserdienst gestellten Staatsangestellten werden fürstlich gehalten. Mutti Merkel verfügt über ein Büro mit 9 Angestellten, 2 Bodygards und 2 Chauffeuren. Vielleicht werden wir einmal erfahren, was die denn alle so tun. Zusammenfassend: Der deutsche Staatsapparat ist äusserst ineffizient, reagiert langsam und wenn, dann eben oft falsch. Der Sozialstaat wuchert fleissig vor sich hin, kostet viel, bewirkt aber nicht viel. Über die Hälfte des Bundeshaushaltes werden übrigens für die Sozialkosten aufgewendet. Tendenz steigend.

RC: Ein Problem zumindest scheint ähnlich zu liegen wie bei uns: Es gibt zu wenig Wohnraum.

Wm: Ich hatte gehofft, dass Sie das Thema nicht anschneiden. Es ist wirklich peinlich. Da wurde für das erste Regierungsjahr der Ampel noch der Bau von offenbar notwendigen 400’000 Sozialwohnungen angekündigt. Gebaut wurden dann 25’000. Das Problem mangelnder Wohnraum hat aber tatsächlich ähnliche Ursachen wie bei uns in der Schweiz: Bauen ist zusehends unattraktiv geworden, ist kompliziert, und es gibt viel zu viele Auflagen, die das Bauen verteuern. Zumindest hätte Deutschland etwas mehr Fläche zur Verfügung als wir. Aber die deutschen Hürden sind eben nochmals höher als bei uns, eine Baueingabe treibt zum Teil kafkaeske Blüten, da werden schon mal Baupläne wieder zurückgeschickt, weil sie «falsch gefaltet» wurden. Und wenn Enteignungen drohen (wie in Berlin), verabschieden sich eben die Investoren. Dann wird noch weniger gebaut, die Wohnungsnot wird noch grösser, ein Eigentumserwerb für junge Leute noch unerschwinglicher. Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass einfach nicht genügend Angebot für die Nachfrage bereitgestellt wird.

RC: Ist das Problem nun einfach systemimmanent – oder besteht es, weil «der Fisch vom Kopf stinkt»?

Wm: Eine rhetorische Frage. Es ist beides. Das System ist schon mal per se krank. Im Vergleich zu einer Schwarmintelligenz handelt es sich hier offenbar um suizidal orientierte Schwarmdummheit. Allein kann sich das System nicht retten, es wird sich dem wirtschaftlichen Tod entgegenschleppen. Also braucht es kluge Köpfe, die das System entrümpeln müssen, tatkräftige Minister und einen durchsetzungsstarken Kanzler.

Leider ist die aktuelle Regierung wohl die am schwächsten aufgestellte der Nachkriegszeit. Und sie verscholzt zusehends. Es begann schon bei der Zusammenstellung der Truppe. Der designierte Kanzler, die Inkarnation einer farblosen und schwachen Führungsgestalt, ernannte so etwas wie ein Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen. Viele hatten kaum Führungserfahrung, auch keine Fachkompetenz. Es sei an die unsägliche Christine Lambrecht erinnert, die erste Verteidigungsministerin, welche durch ihre schlagende Inkompetenz glänzte. Die Familienministerin Lisa Paus scheint nicht nur sehr farblos zu sein, sondern auch völlig überfordert. Die Wohnbauministerin, Klara Geywitz, scheint von einem anderen Stern zu stammen. Und der Wirtschaftsminister ist ein leidlich sympathischer Kerl, versteht aber wirklich nichts von Wirtschaft.

Natürlich kann man so keinen Staat führen. Die Leute entstammen offenbar einer ganz anderen Denkschule. Insgesamt hat die Regierung so den wirtschaftspolitischen Kompass verloren. Aber ohne den gibt es keinen nachhaltigen Wohlstand und Wohlfahrt. Vor allem nicht mit einem Chef-Zauderer an der Spitze. Ich denke, sein Rücktritt wäre eine Erleichterung für ganz Europa.

RC: Mensch, Waldmeyer, wir brauchen Lösungen. Nur Lamentieren bringt uns nicht weiter! Was würden Sie den Deutschen raten?

Wm: Kein vernünftiger Mensch sollte mehr in Deutschland investieren. Bei der Wettbewerbsfähigkeit ist Germanien nun binnen zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 24 abgesackt. Deshalb habe ich eine klare Message an alle tüchtigen deutschen Arbeitnehmer und Unternehmer: Kommt in die Schweiz! Wir brauchen Fachkräfte, wir heissen rührige Unternehmer willkommen! Natürlich interessiert uns nicht der Low-Tech-Bereich. Es ist in Ordnung, wenn dieser nach Polen abwandert – so wie jetzt die Produktion von Miele. Wir möchten gerne intelligente und innovative Leute bei uns! Ein besonderes Herz hatten wir auch immer schon für vermögende und gut verdienende Personen, die einer Steuerhölle entfliehen wollen. Bei uns zahlen sie dann immer noch anständig Steuern – aber eben nicht unanständig. Das Steuersubstrat können wir brauchen. Auch bei uns gibt es noch ein paar Baustellen.

RC: Da werden aber nicht alle Freude haben. Die SVP möchte nicht noch mehr Ausländer.

Wm: Natürlich bemühen wir uns nicht um die deutschen Sozialhilfeempfänger, sondern nur um die Besten! Für diese wird es immer einen Platz geben in der Schweiz. Leute, die dieser teutonischen Kernschmelze entfliehen wollen, haben ein Recht auf Hilfe. Vielleicht wäre eine neue Interpretation des Asylwesens angesagt: ein Asyl für «gehobene nachbarschaftliche Wirtschaftsflüchtlinge». Ich ringe noch nach einem prägnanten Begriff.

RC: Der wird Ihnen schon noch einfallen. Danke für das Interview, Max Waldmeyer!

Waldmeyer und die Glossen-Konkurrenz

Oder: Der Nachtzug nach Lissabon

Die Vorstösse im Zürcher Stadtparlament sieht Waldmeyer jeweils als Konkurrenz zu seinen Glossen. Sie sind dermassen weltfremd und absurd (und in diesem Sinne schweizweit wegweisend), dass sie an sich schon eine Glosse darstellen. Wie soll denn Waldmeyer dies noch toppen?

Die Realität Zürichs in einem kafkaesken Raum

Immer wieder Zürich. Aber Waldmeyer findet, dass man sehr genau auf Zürich schauen sollte. Von Biel, Chur, Lugano oder St. Gallen aus. Denn dann weiss man, was einem auch in anderen Landstrichen der Schweiz demnächst erwarten wird. Ja, Zürich scheint wohl nur die Speerspitze eines politischen Wandels zu sein. Der Zürcher Stadtrat verblüfft nämlich immer wieder mit absurden Vorschlägen. Meist handelt es sich um verquere Ideen rund um das Thema Gendern, Verkehr, Klima, Wohnen oder Umverteilung. Zürich ist Vorreiter. Man kann allerdings auch nach Berlin oder in Richtung anderer Grossstädte im Ausland blicken. Dann weiss man, was einem demnächst auch in der helvetischen Provinz zu blühen droht. Was dabei immer mitschwingt, ist eine verblüffende Weltfremde.

Glossen basieren bekanntlich auf der Überzeichnung einer Geschichte oder eines Zustandes, Glossen haben deshalb sarkastische oder ironische Noten. Und hier liegt gerade das Problem: Wenn die tatsächliche Geschichte sich bereits in einem kafkaesken Raum befindet, wird es schwierig, dies noch zu überzeichnen. Deshalb die Feststellung Waldmeyers, dass es zusehends komplexer wird, eine ironische Geschichte zu formulieren, wenn die Realität bereits zur Groteske verkommen ist.

Der Nachtzug nach Lissabon

Der Titel des bekannten Romans «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier erhält nun eine ganz neue Bedeutung. Und damit nun wieder zu Zürich – aber alles der Reihe nach.

Natürlich waren sich die Erfinder dieses genialen politischen Vorstosses im Zürcher Stadtparlament nicht wirklich bewusst, wohin ihre Ideen tatsächlich führen könnten. Wie gesagt, obwohl sie diesen Plan allen Ernstes und fundiert vorbereitet hatten. Es ging einmal mehr um eine Weltverbesserung. Man könnte auch nachsichtig sein mit solchen Volksvertretern: Sie meinen es ja nur gut. Sie meinen es auch überhaupt nicht lustig, in diesem Sinne also nicht glossenhaft.

Nun zu diesem politischen Vorstoss: Die Zürcher fliegen zu viel, und Fliegen ist nicht gut. Man sollte mehr Zug fahren. Also wäre es logisch, so die Zürcher Grünen, wenn das Bahnfahren auch über längere Distanzen gefördert wird. Zum Beispiel gerade nach Lissabon. Deshalb der brillante Vorstoss, dass die Stadt einfach mal drei Nachtzugskompositionen selbst kaufen sollte. Damit lässt sich bequem durch ganz Europa gondeln.

Die Grünen wissen genau, wie es geht

Ja, und günstig sollte das Reisen dann auch sein, so die Forderung der Stadtparlamentarier. Der Staat soll also Reiseveranstalter werden, aber bitte zum Discountpreis. Die Grünen schlugen auch gleich noch vor, dass die Österreichischen Bahnen als Betreiber bestimmt werden sollten. Das war ein kluger Vorschlag, denn es wäre unserer SBB selbstredend nicht zuzumuten, dass die vorprogrammierten Defizite dann bei ihr anfallen sollten. Die Deutsche Bahn kam auch nicht in Frage, denn deren Lokführer streiken regelmässig und deren Zuverlässigkeit besteht darin, dass sie mit Sicherheit immer unzuverlässig ist. Das geht nicht, denn Lissabon sollte man mit der Bahn möglichst noch in der zweiten Nacht erreichen und nicht irgendwann zur Tageszeit. Dass Nachtzüge kostenmässig überhaupt nicht wettbewerbsfähig sind, sondern vermutlich nur für Passagiere mit Flugangst oder mit Fahrrädern erfunden wurden, stört die Grünen nicht.

Waldmeyer versucht zu eskalieren

Waldmeyer versuchte trotzdem, die Causa Nachtzug noch eskalieren zu lassen und eine griffige Geschichte daraus zu schmieden Wie wäre es also, wenn die Stadt Zürich nun auch noch hochseetaugliche Segelboote anschaffen würde? Greta Thunberg reist ja zuweilen auch mit einem Segelboot und kann so elegant auf einen Flug verzichten. Oder wie wäre es mit autobahntauglichen Lastenrädern? Gratis-Segways für die Altersheime? Einer Zwangsausrüstung mit Inline-Skates für ausländischen Touristen (damit sie sich nicht ins Taxi setzen müssen)? Ein staatlicher Gratis-Service für E-Bikes? Die 100-prozentige steuerliche Absetzungsmöglichkeit eines Teslas – für jeden?

Oder wie wäre es mit einem unlimitierten Abo für alle Zürcher für den Nahverkehr, welches nur einen Franken pro Tag kostet? Doch nein, dieses Postulat der SP gibt es schon! Und damit schon wieder ein Glossenthema, das besetzt ist. Also besser einen 10’000-Franken-Zuschuss für jeden Bürger, der im Homeoffice bleibt und sich so gar nicht nach draussen wagen muss?

Eine Flut von grotesken politischen Vorschlägen

Die gleichen Politiker hatten sich schon mit ähnlich komischen Vorschlägen profiliert. So sollte der darbenden Zürcher Bevölkerung mit Gratis-Tampons und -Binden unter die Arme gegriffen werden – und zwar nicht der weiblichen Bevölkerung, sondern, gendermässig korrekt formuliert, den betroffenen «menstruierenden Personen». Den Kindergärtlern soll eine diverse Toilette zur Verfügung stehen, denn die Unterteilung in Weiblein und Männlein könnte diskriminierend sein – wohl im Unwissen darum, dass den fünf- und sechsjährigen Bengeln es wohl sch…egal ist, auf welchen Topf sie hocken sollen. Mutter- und Vaterschaftsurlaub soll künftig schon nur im Hinblick auf eine Schwangerschaft gewährt werden. Sozialwohnungen sollen künftig auch Bessersituierten zur Verfügung stehen. Auf digitale Werbung soll im öffentlichen Raum künftig verzichtet werden (Verlust bei den Zürcher Verkehrsbetrieben allein rund 20 Millionen pro Jahr). Begründung: Solche Werbeträger seien «aufmerksamkeitspsychologisch zu invasiv». Und so weiter. Nun, ist das alles lustig oder traurig?

Die Realpolitik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden

Waldmeyer hätte noch weitere eigene Eskalierungs-Vorschläge. Aber sie sind alle gar nicht mehr so lustig. Echt lustig ist nämlich die Realsatire – und die findet jetzt gerade mitten in der Schweiz und in der grössten Stadt statt. Ergo erhält Waldmeyer nun diese Konkurrenz. Er erkennt: Die profane Gegenwart scheint ihn einzuholen. Waldmeyer macht mit seinen Glossen trotzdem weiter. Allerdings muss er sich notgedrungen wohl auf andere Themenfelder konzentrieren. Denn die Zürcher Politik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden.

Waldmeyer und die Verteilung der fetten Erbschaftssteuern

Es mag unwahrscheinlich sein, dass die absurde Juso-Erbschafts-Initiative vom Stimmvolk angenommen wird. Aber nicht ganz unmöglich. Zumindest findet es Waldmeyer interessant zu überlegen, was mit den vielen neuen Steuergeldern denn so alles angestellt werden könnte.

Gemäss Initiativtext sollen die fetten Einnahmen aus der nationalen neuen Erbschaftssteuer unter anderem dem Klima zugutekommen – nebst einem „Umbau der Gesellschaft“. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Aber irgendwo müsste man ja mal beginnen. Waldmeyer setzte, für einmal mit Charlotte, zu einem Brainstorming an. Sie eruierten verschiedene Massnahmen, die sich für das neue Steuer-Manna herauskristallisieren könnten:

  1. Jeder Haushalt erhält gratis ein Lastenrad. Damit wird der schädliche Autoverkehr nachhaltig bekämpft und die Luftsäule über der Schweiz sauber gehalten.
  1. Der ÖV soll für alle gratis werden. Man muss der Gesellschaft ja auch mal was zurückgeben. Und wir entschleunigen unser Leben (wir wissen jetzt ja, dass wir uns mit dem ÖV in den Städten mit durchschnittlich 8 km/h bewegen).
  1. Schweizer Fleisch wird verboten. Die Kühe in unserem Land produzieren zu viel Treibhausgase. Importiertes Fleisch wird, allerdings mit nochmals erhöhten Zöllen, weiter toleriert. Das Klima weltweit wird zwar so nicht gerettet, aber dem Initiativtext wird Folge geleistet. Die Schweizer Landwirte werden grosszügig abgefunden und erhalten eine kostenlose Schulung als KI-Berater.
  1. Für Übergewichtige (BMI über 30) gibt es in allen Parks und auf den Gemeindeplätzen gratis jeden Tag Fitnessangebote. Ähnlich wie in China – nur flächendeckender.
  1. Anstatt den European Song Contest zu subventionieren, wird in jeder grösseren Stadt monatlich ein SSC (Swiss Song Contest) veranstaltet. Es wird kein Dress-Code erlassen, aber Rüschenröcke und pinkfarbene Strumpfhosen für die Zuschauer sind willkommen.
  1. Bei allen durch Kraftwerke oder andere Massnahmen unterbrochenen Flussläufen in der Schweiz werden Fischtreppen installiert. Das Bauvolumen wird einer breiten Bevölkerungsschicht zugutekommen.
  1. Die 14. und 15. AHV werden eingeführt. Wer über 90 wird, erhält eine 16. Ausschüttung.
  1. Der Einbau von diversen (also gendergerechten) Toiletten in Privaträumen wird mit 120% Subvention gefördert.
  1. Deutschland erhält eine Milliardenspende, um seine heruntergekommene Bahn zu renovieren und endlich ein flächendeckendes Mobilfunknetz zu installieren.
  1. Generell soll mehr für das Ausland getan werden, indem der globale Süden massiv unterstützt wird. Unter anderem mit dem Ausbau des Asylwesens. Es wird sogar die Zwangsunterbringung von Wirtschaftsflüchtlingen aus der ganzen Welt in privaten Häusern und Wohnungen geprüft. Familie Sonderegger wird sich künftig um eine somalische kleine Sippe in ihrem Haus in Hochstetten kümmern, Famille Maréchal in ihrer Wohnung in Le Locle um die netten Algerier. Unsere Gesellschaft wird also inklusiver.
  1. Bei all den Ausland-Unterstützungen sollen die eigenen Städte jedoch nicht vergessen gehen: Diese werden renaturiert, die letzten Parkplätze aufgelöst. An 360 Tagen im Jahr wird es einen autofreien Sonntag geben. Die Bahnhofstrasse in Zürich, die Freie Strasse in Basel und die Marktgasse in Bern werden zu einer Magerwiese umfunktioniert, eingangs und ausgangs der schönen Boulevards werden Gratisstiefel verteilt, um bei regnerischem Wetter unbehelligt zu den wenigen verbleibenden Geschäften stapfen zu können. Im fortschrittlich-linken Lausanne wird man sich, trotz schwieriger Hanglagen, für Ackerbau in der ganzen Innenstadt entschieden haben (die Produktion von Hafermilch wird besonders gefördert). In St. Gallen wird die Multergasse zum Gender-Flanierweg umfunktioniert (man streitet sich noch darum, was das baulich zu bedeuten hätte).
  1. Im Sinne des geforderten «Umbaus der Gesellschaft» werden alle privaten Dachgärten in den Städten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Es wird in der Folge in der Schweiz so etwas wie eine aufgeräumte Kibbuz-Stimmung herrschen. Ein Meilenstein in dem Umbau-Prozess – genau so, wie sich dies die irrlichternden Jusos das vorgestellt hatten.

Nur: Leider wird es zu dieser grossen Verteilung gar nicht erst kommen, denn die zu verteilenden Erbmassen werden vorher schon das Weite gesucht haben – mitsamt den vermögenden Personen, die bisher auch noch fleissig Einkommens- und Vermögenssteuern abgedrückt hatten, die AHV alimentiert und, mit ihrem überdurchschnittlichen Konsum, viel MWST abgeliefert hatten. Ja, so weit würde es kommen, wenn die Milchkuh geschlachtet wird. Merke: Man soll die Hand nie beissen, die einen nährt!

Waldmeyer heckt einen Plan B aus

Waldmeyer überlegte sich, wie denn so ein Plan B für die Schweiz aussehen würde. Wenn in dem Land also, bei Annahme dieser absurden Erbschaftsinitiative, plötzlich eine riesige Einnahmenlücke klaffen würde. Dieser Plan B wäre deshalb – leider – ein Sparplan.

Aber als erstes würde die MWST erhöht werden – und zwar kräftig, denn diese Massnahme ist am schnellsten umsetzbar. Anschliessend wird zusammengestrichen: bei den Sozialausgaben, den Investitionen in die Infrastruktur, den vielen Subventionen. Die Anschaffung der neuen F-35 wird auf 2051 verschoben. Die Arbeitszeit würde sofort auf 45 Stunden erhöht (Option: 48 Stunden), die Gebühren für Universitäten und Hochschulen auf ein neues Marktniveau gesetzt werden (Benchmark: britische oder US-Institute). Das würde nicht zuletzt die Jusos treffen, freute sich Waldmeyer, denn bei denen handelt es sich in der Regel um ewige Studenten oder Sozialhilfeempfänger, im besten Fall um weltfremde Teilzeit-Primarlehrer.

Die Spirale würde sich nach unten drehen

Das Vertrauen in die Schweizer Wirtschaft wäre gleichzeitig leider kaputt, der Schweizer Franken würde plötzlich gegen den Erdmittelpunkt rasen. In der Folge würde eine galoppierende Inflation grassieren, welche die Nationalbank mit einem 15-prozentigen Leitzins bekämpfen müsste. Die Hypothekarzinsen würden explodieren, der Mittelstand wäre bankrott, die Häuserpreise würden implodieren. Zeltstädte in den Agglomerationen würden errichtet, das internationale Rote Kreuz würde Suppenküchen bereitstellen. Die Villen in der Schweiz würden von Amerikanern, Norwegern und Chinesen zu einem Spottpreis aufgekauft (wobei sie ihren Wohnsitz, aufgrund der neuen prohibitiven Erbschaftssteuer, selbstredend nicht in die Schweiz verlegen würden). Die vermögenden und zuvor ausgereisten Personen würden mit Belustigung auf die Schweiz blicken, von Dubai, den Bahamas oder Malta aus. Waldmeyer würde zu diesem Zeitpunkt bereits in Südspanien sitzen, auf der Terrasse bei einem kühlen Drink. Er würde sich zwar nicht freuen, die Heimat verlassen zu haben. Aber obwohl nicht in der 50-Millionen-Phalanx, hätte er sich vorsichtshalber schon mal abgesetzt.

Waldmeyer überlegte sich, wie er nun einen noch konkreteren Plan B schmieden könnte. «Charlotte, was meinst du, sollten wir uns nicht Zypern wieder mal anschauen – schon nur der reichen Historie wegen?» Charlotte, nicht verlegen, entgegnete: «Ja, warum nicht, lass uns dort doch gleich diesen Non-Dom-Status prüfen, rein vorsichtshalber!»

Nachtrag der Redaktion: Der zypriotische Non-Dom-Status sieht eine praktisch steuerfreie Wohnsitznahme vor; die fast einzige Bedingung besteht in der Auflage, in dem EU-Staat mindestens 60 Tage im Jahr zu verbringen. Einkommens-, Erbschafts- und Vermögenssteuern entfallen.

Waldmeyer und die Steuerflucht

Oder: Money talks, money walks…

Die Juso-Initiative nimmt vermögende Personen in erbschaftsrechtliche Geiselhaft. Die betroffenen reichen Personen lassen sich das nicht gefallen. Schon werden Fluchtpläne geschmiedet, und Waldmeyer überlegt, was er tun würde, wenn er selbst davon betroffen wäre.

War früher alles besser in der Schweiz? Vor ein paar Jahren noch wurde die 6-Wochen-Ferien-Initiative abgelehnt. Damals noch in staatspolitisch verantwortungsbewusster Form, demokratisch reif und intelligent vorausschauend. Heute ist alles anders. So besteht ein Restrisiko, dass die neue Erbschaftsinitiative tatsächlich angenommen wird. Viele Betroffene mit über 50 Millionen Vermögen werden daher ihren formellen Wohnsitz ins Ausland verlegen. Willkommen in der Ära der Ü-50-Millionäre auf der Flucht! Damit verliert die Schweiz nicht nur Steuersubstrat, volkswirtschaftlich relevante Konsumausgaben und Investitionen, sondern auch die Kontrolle über viele Firmen und viel Vermögen. Demokratie, das stellen wir heute fest, ist nicht immer intelligent.

What, if…?

Waldmeyer gehört nicht in die Phalanx dieser Superreichen, überlegt sich aber, was er tun würde, wenn er plötzlich über 50 Millionen besässe und damit in das Fadenkreuz der Juso-Initiative geriete. Die Amerikaner lieben solche „What, if…?“-Spielchen. Auch Waldmeyer. Also, was wäre, wenn…? Waldmeyer entschliesst sich, Charlotte erst mal aus diesen Gedankenspielen herauszuhalten.

Man sollte die Hand nicht beissen, die einen nährt!

Die Schweiz schiesst sich mit dieser absurden Juso-Initiative selbst ins Knie – und zwar mit einem Volltreffer. Pro memoria: Das reichste 1% der Schweiz bezahlt einen Viertel der Steuern und besitzt 44% des Vermögens. Bei der Bundessteuer bezahlen 5% etwa zwei Drittel. Eine brandgefährliche Ausgangslage. «Deutschland schafft sich ab», wurde in den letzten Monaten, angesichts der bemitleidenswert schlechten Regierung in unserem Nachbarland, zum geflügelten Wort. In der Schweiz befinden wir uns nun, und dies beschleunigt, in einer ähnlichen Situation. Wird die Initiative angenommen, wird die Schweiz nicht mehr dieselbe sein. Ist das Vorgehen auch staatszersetzend? Ja, eindeutig. Aber es ist erlaubt!

Viele Vermögende sind schon jetzt auf der Suche nach einem neuen Steuerdomizil. Und Ja, es gibt wunderschöne Orte auf der Erde, mit freundlichen Steuerbehörden und angenehmem Klima, wo man komfortabel und sicher leben kann – oder zumindest einen Teil des Jahres verbringen kann!

Die Zeit drängt

Die Juso-Initiative sieht bei Annahme bekanntlich eine Wegzugsbesteuerung vor. So werden die Superreichen gezwungen, schon vor der eigentlichen Abstimmung zu reagieren, sonst werden sie erbschaftsrechtlich in Geiselhaft genommen. Also: Money talks, money walks. Die Ü50-Millionäre werden sich dies nicht gefallen lassen, sie werden zeitnah reagieren – lange bevor der Staat sich an ihren Vermögen delektieren wird. Auch Waldmeyer würde sich dies nicht gefallen lassen. Ein Leben lang malochen und dann die Hälfte dem Staat hinwerfen? Laut Juso soll mit den fetten Erbschaftssteuern dann gleich auch ein „Umbau der Gesellschaft“ finanziert werden. Hallelujah.

Die Initiative wird gar nicht angenommen?

Ob die Initiative Erfolg hat, ist unerheblich. Der Schaden ist schon angerichtet, denn die Wegzugspläne werden bereits geschmiedet. Es braucht Zeit für einen gutgeplanten Wegzug, besonders bei komplizierten Firmenstrukturen.

Auch wenn es heute nicht unbedingt danach aussieht, besteht zudem eine nicht unerhebliche Gefahr, dass ein lendenlahmer Bundesrat oder ein irrlichterndes Parlament einen Gegenvorschlag ausarbeitet, einen faulen, guteidgenössischen Kompromiss. Zum Beispiel 10% Erbschaftssteuer ab 1 Million? Warum nicht, wenn es die Mehrheit nicht betrifft? Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter.

Viele valable alternative Steuerdomizile

Waldmeyer stiess auf ein interessantes neues Buch: «2.LMP, der zweite Lebensmittelpunkt». Der bisher leider noch wenig bekannte Autor hatte versucht, die besten Orte für ein «Second Home» herauszufiltern – weltweit. Unter dem Aspekt der Steuerbegünstigung definierte er mindestens 17 Orte auf der Welt, wo das Leben nicht nur überwiegend steuerfrei, sondern auch sehr angenehm ist. Heureka, es gibt also intelligente Lösungen! Unter den genannten cleveren Steuerdomizilen figurieren auch weniger bekannte Orte, wo sich ein durchaus komfortables und interessantes Leben einrichten liesse. So kann es auch nach Panama City gehen, nach Phuket in Thailand oder in das wunderbar britisch-koloniale George Town in Malaysia. Alle diese weniger auf dem Radar erscheinenden Orte gelten als de facto steuerfrei.

Wenn Waldmeyer S. aus der Ostschweiz wäre

Wenn Waldmeyer nun nicht Waldmeyer, sondern der Unternehmer S. aus der Ostschweiz wäre: Wohin würde er ziehen? Die steuerfreien Bahamas wären vielleicht etwas zu tropisch, die Bermuda Inseln andererseits zu langweilig. Waldmeyer könnte einen sogenannten Non-Dom Status* in Irland wählen. Dort würde er indessen nur ein paar (vermutlich regnerische) Tage pro Jahr verbringen. Auf Mallorca, auf seinem bescheidenen Anwesen, würde es ihm nämlich besser gefallen, dort könnte er auch mal, bei einem Glas kühler Sangria, eine VR-Sitzung abhalten. In der Schweiz würde er immer noch maximal 180 Tage verbringen dürfen – was kein Problem darstellt, denn länger hatte er sich auch bisher noch nie in der alten Heimat aufgehalten.

Wenn Waldmeyer B. aus Genf wäre

Wäre Waldmeyer andererseits der Unternehmer B. aus Genf, würde er sofort Mauritius als künftiges formelles Domizil wählen. Für Frankophone wird die Auswahl deutlich kleiner sein, denn die meisten attraktiven Steuerdomizile haben eine britische Vergangenheit. Mit dem Nachteil allerdings, dass die Küche dort zuweilen etwas medioker ist (bekanntlich haben die Briten, gastronomisch gesehen, weltweit eine Blutspur hinterlassen). Doch für eine hohe Lebensqualität müssen selbstredend noch viele andere Parameter geprüft werden: Die Sicherheit, die Rechtssicherheit, der Immobilienmarkt, das Klima usw.

 

Weltweite Rasterfahndung nach den besten Fluchtorten

Waldmeyer blätterte weiter in seinem neuen Lieblingsbuch („2.LMP“). Die weltweite Rasterfahndung nach den steueroptimierenden besten Second Homes zeigt auf, dass Orte wie beispielsweise die Cayman Islands keine guten Optionen sind. Sie sind kompliziert zu erreichen, die Zeitverschiebung ist wenig hilfreich, das Leben vor Ort nicht sehr sinnstiftend. Ausser, man richtet sich gleich auf einer eigenen Insel mit eigener grosser Infrastruktur ein, die man angenehm mit dem Helikopter erreichen kann. Das wäre kaum ein Problem, wenn Waldmeyer eben nicht Waldmeyer wäre, sondern beispielsweise Sir Richard Branson: Sir Richard residiert nämlich steuerfrei auf Neckar Island (Teil der britischen Virgin Islands) in einem eigens errichteten Dorf im balinesischen Stil.

Zahlreiche andere vermeintlich tolle Steueroasen eignen sich ebenso wenig, so die karibischen Eilande Anguilla oder Trinidad and Tobago und viele mehr: Erstens handelt es sich oft nur um hervorragende Orte für Offshore-Firmen, nicht aber um Steuerdomizile für natürliche Personen. Oder sie sind hoffnungslos klein und/oder uninteressant, so Bonaire (holländische Antillen), Antigua in der Karibik oder die Pitcairns im Pazifik.

Bye, bye Switzerland?

Fazit ist, dass es sehr wohl einen ganzen Strauss äusserst geeigneter Orte auf der Welt gibt, wo relativ einfach eine neue (Steuer-) Bleibe errichtet werden kann. Die Voraussetzungen sind in der Regel eine überblickbare Immobilien-Investition oder die Erlangung eines Non-Dom-Status. Dubai oder die Bahamas schwingen da obenauf, etwas näher liegen Malta oder Zypern. Oder Monaco, falls man bereit wäre, rund 70’000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche hinzublättern. Doch selbst wenn Waldmeyer sich in einer ganz anderen Vermögensklasse befinden würde: Nein, da wäre er dann doch zu knausrig.

Je nach persönlichen Präferenzen sind jedoch auch Costa Rica oder Montevideo prüfenswert, denn an vielen dieser Standorte wird nur territorial besteuert. Dieses Risiko der Besteuerung von nur örtlichem Einkommen wird indessen klein bleiben. Wäre Waldmeyer beispielsweise der Unternehmer P. aus L. würde er sich kaum als Physiotherapeut in Thailand oder als Schnorchellehrer auf den Philippinen betätigen wollen. Wenn also nichts „territorial“ verdient wird, gibt’s nichts zu versteuern – wie praktisch!

Bye, bye Switzerland für Waldmeyer? Ja, damit wäre zu rechnen. Waldmeyer würde der Schweiz allerdings nicht definitiv den Rücken kehren, sondern nur sein Steuerdomizil verlegen – ohne dort auch das ganze Jahr leben zu müssen. Ganz legal, wohlverstanden. Waldmeyer ist nicht unglücklich, nicht zu diesen Superbetuchten zu gehören, denn so bleibt es beim „What, if…?“. Aber wenn nun ein fauler Kompromiss mit einem Gegenvorschlag des Bundesrates aufs Tapet kommt, sieht die Sache anders aus. Waldmeyer schob das Buch 2.LMP vorsichtig zu Charlotte rüber. „Also Costa Rica würde mir auch noch gefallen. Schau doch mal rein!“

*Anmerkung der Redaktion: Mit einem Non-Dom-Status in Irland, Malta oder Zypern kann eine Tax-Residence erlangt werden, ohne überhaupt richtig dort zu leben – ganz legal, wohlverstanden…

Zum Glück besitzt Waldmeyer schon ein Buch, sonst würde er es sofort bestellen:

Roland V. Weber, 2.LMP – der zweite Lebensmittelpunkt, ca. 79.90, im Schweizer Buchhandel erhältlich. Jetzt zum Spezialpreis für True-Economics-Leser für 59.90 direkt bei redaktion@true-economics.ch. Hardcover, bebildert und mit vielen Charts und Statistiken. Und fast 100 sehr erhellenden Waldmeyer-Kommentaren. Don’t miss it.

Waldmeyer, das Ribeye und die französische Linke

Der Kauf eines Stück Ribeyes beim Metzger betrachtet Waldmeyer mitunter als eine klassische Management-Aufgabe. Es gilt nicht nur den Zuschnitt, die Herkunft und die Qualität zu beachten, sondern auch den finalen Entscheid, ob es wirklich ein Ribeye sein soll. Die jüngsten Pläne der neu formierten französischen Linken könnten dabei einen Einfluss haben.

Der Auftrag Charlottes an Max Waldmeyer war klar an diesem Samstag: Er möchte bei der Rückfahrt von der Tankstelle doch bitte beim Gschwend noch ein paar schöne Hohrücken oder Entrecôtes mitnehmen. Aber nur vom Gschwend.

Nur vom Gschwend!

Gschwend, das ist wichtig zu wissen, ist der angesagteste Metzger der Region. Wenn die Nachbarn Freddy und Bettina Honegger (Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, auch gegen 5G, was aber in diesem Zusammenhang nichts zur Sache hat) dann abends zum Grillen kommen – sie hatten sich erst gestern selbst eingeladen – und fragen, woher das feine Fleisch sei, muss es von Gschwend sein. Waldmeyer hatte schon früher spekuliert, ob er nicht trotzdem beim Coop oder, ganz klandestin, beim Denner reinschauen sollte, unten am Kreisel (Ersparnis: glatte 20%). Er liess die Idee aber wieder fallen, denn mit der süffisanten Bemerkung Freddys «ich hab deinen Wagen beim Kreisel gesehen» wollte er nicht konfrontiert werden.

Hohrücken, Entrecôte oder Ribeye?

Also Gschwend. Bei Gschwend sei das Fleisch «besser abgehangen», alles Bio, und überhaupt. Von all den kolportierten Alleinstellungsmerkmalen Gschwends ist nur eines sicher: Er ist teurer. Und sein Fleisch kommt nicht nur von glücklichen Schweizer Kühen, sondern zum grossen Teil auch aus dem Ausland.

«Ich werde mir dann besser mal das Ribeye ansehen», antwortete Waldmeyer auf Charlottes Einkaufsorder. Waldmeyer suggerierte so elegant, dass er sehr wohl zu unterscheiden weiss zwischen Hohrücken, Entrecôte und Ribeye. Der Unterschied könnte auch einem Jungmetzger beim Gschwend, z.B. dem netten Ahmed, die Schweissperlen auf die Stirn treiben. Tatsache ist jedoch, dass sich die feinen Differenzen der Rücken-Fleischstücke verwischen und, etwas grosszügig interpretiert, die Steaks sich alle hintereinander auf dem Rücken eines armen Rindleins platzieren.

Netto ist nicht brutto

Aber eigentlich hatte Waldmeyer an diesem Morgen etwas ganz anderes im Kopf: Die vereinte neue Linke in Frankreich möchte offenbar die Rente wieder subito auf 60 runtersetzen, die Preise für Nahrungsmittel und Energie kurzerhand einfrieren, die Löhne fest an die Inflation koppeln und den Minimallohn von 1‘400 auf 1‘600 Euro erhöhen. Unverändert bleiben sollen selbstredend die mantramässig vorgetragenen Forderungen nach einer weiteren Reduktion der Arbeitszeit (die 35-Stunden-Woche lastet bereits schwer auf der Psyche des Franzosen). Wie immer wurden die neuen Ideen ohne Finanzierungsvorschlag präsentiert. Aber die fortlaufende Deindustrialisierung Frankreichs konnte auch Emmanuel Macron I. inzwischen nicht aufhalten, sie geht einfach weiter, und Frankreich ist derweil zu einem ziemlich unattraktiven Produktionsstandort geworden. La Grande Nation ist damit sogar weiter gediehen als Deutschland – dort droht allerdings eher eine Verscholzung, dachte Waldmeyer, als er seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Gschwend navigierte.

Die Franzmänner denken nur netto

Es war Punkt 10:00 Uhr, also wechselte Waldmeyer von „It never rains in Southern California“ auf SRF1. Und da wieder die gleiche Meldung, das neue Parteiprogramm dieser weltfremden Franzmänner: 1’600 Euro – netto! Waldmeyer stand auf dem Parkplatz bei Gschwend und hörte sich in Ruhe nochmals die Nachrichten an. Wenn Honegger nun auch einen Einkaufsauftrag hätte, würde er Waldmeyers schweren SUV beim Vorbeifahren beim Gschwend entdecken. Tant mieux.

Also 1’600 Euro netto. Aber warum «netto»? Die denken heute also alle nur noch „netto“, die Franzmänner? Auch in Deutschland ist das jedoch gang und gäbe – zumindest bei den unteren Gehaltsstufen. In beiden Ländern werden die Steuern sicherheitshalber nämlich monatlich vom Lohn abgezogen.

In der Schweiz denkt man brutto

In der Schweiz herrscht zum Glück noch sichtbar „brutto“. Ausser bei einem Reinigungsinstitut, dort erhält, beispielsweise Fatima Berisha, „netto“ ausbezahlt, und sie denkt auch nur in netto. Aber in der Regel kennen wir Eidgenossen die Differenz zwischen netto und brutto haargenau. Das ist auch gut so, weil edukativ. Denn so wissen wir jeden Monat, wieviel wir für die Sozialkosten abdrücken. Wir überlegen dabei auch, als aufgeklärte und verantwortungsbewusste Bürger, wieviel wir für die Steuern zurücklegen sollten.

Und notfalls können wir die Differenz zwischen brutto und netto an der Urne korrigieren.

Gschwend hat keinen Minimallohn

Schwierig wird es natürlich in Ländern, wo ein Grossteil der Staatsbürger nur den Minimallohn bezieht. Gschwend hat wohl kaum einen Minimallohn, überlegte Waldmeyer. Der Preis für ein gutes Ribeye in der Schweiz liegt bei fast 100 Franken pro Kilo, in Deutschland bei der Hälfte. Aber das Schweizer Fleisch ist bestimmt auch besser, also darf es mehr kosten. Wir haben ja auch andere Löhne. Die Preisdifferenz ergibt sich allerdings aus purem Protektionismus: Wir erheben schwindelerregende Zölle auf dem importierten Fleisch, um das (bessere und gesündere) Schweizer Fleisch zu schützen. Gschwend ist de facto also ein Subventionsempfänger. Und dies, obwohl sein Fleisch durchaus vergleichbar ist mit jenem in einer guten Metzgerei in Deutschland oder Frankreich, zuweilen kommt es sogar aus der gleichen Produktion. Das hatte Waldmeyer schon mehrmals auch Bettina Honegger zu erklären versucht. Sie meint dazu aber immer: „Ja, aber trotzdem…“. Und ja, im Ausland würden sie vermutlich viel mehr Antibiotika verwenden bei der Rinderaufzucht. Vielleicht sogar reinimpfen.

Doppelte Kalkulation in der Schweiz

Tatsache bleibt, dass bei Gschwend bei dieser doppelten Schweizer Kalkulation, befeuert durch die staatliche Protektionismus-Hilfe, am Schluss auch eine doppelte Marge verbleibt. Gschwend jedoch ist Unternehmer, überlegte Waldmeyer und konstruierte damit ein gewisses Verständnis für den rührigen Metzger.

Aber Waldmeyer grübelte weiter: Die 100 Stutz für das Kilo Ribeye müssen erst mal erarbeitet werden – und zwar netto. Bei Waldmeyers, gute Doppelverdiener und mit der Heiratsstrafe belegt, damit irgendwo in der obersten Steuerprogression angesiedelt, liegt die Brutto-Netto-Rechnung natürlich im Argen. Die Grenzbelastung, also die Belastung des „obersten“ zusätzlich verdienten Frankens, unter Einrechnung der Steuern und aller Sozialabgaben, inklusive der Pensionskasse, liegt bei annähernd 50%. Das heisst, zwischen brutto und netto sublimiert sich beim zusätzlich verdienten Franken die Hälfte. Und genau dort, nämlich mitten in diesen verlorenen 50%, bei diesem Entscheidungsfenster pro oder contra einem Ribeye, liegt das Problem. Mit anderen Worten: Das Ribeye kostet, hochgerechnet auf brutto, gefühlt 200 Franken.

Der Management-Entscheid an der Fleischtheke

Waldmeyer lief es kalt den Rücken hinunter, als er vor der Fleischtheke stand: Tatsächlich 100 Stutz für das Ribeye. Oder 200, ehrlich gerechnet. Nein, einmal ist Schluss. Waldmeyer musste nun einen Management-Entscheid fällen – und zwar verzögerungsfrei. Er machte sofort drei Optionen aus. Option eins: Ribeye-Portionen verkleinern, also magere «Lady’s Cuts». Option zwei: ein Downgrading (Huft?). Option drei: doch noch zum Denner rüber (Angus-Aktion, hatte er gestern in der Werbung gesehen)?

Als Waldmeyer seine Einkäufe in der Küche ablieferte, versuchte er Charlotte seine Brutto-Netto-Theorie zu erklären. «Weisst du, das Ribeye war brutto bei 200 Stutz, aber die Bratwürste sind doch auch ok, nicht?». Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer und überall ist China drin

Seit Jahren dominiert China die Massenproduktion von technologisch relevanten Gütern. Der Westen versucht dies auszubremsen, zumal gleichzeitig Spionageverdacht besteht. Waldmeyer überlegt: Vielleicht wird auch er ausspioniert?

Die USA wollen eindämmen

Insbesondere die USA versuchen die Importflut aus China einzudämmen und die Produktion wichtiger Industrien zurückzuholen. Es gelingt ihnen aber nicht, einen vergleichbaren Aufbau an breiter technologischer Entwicklung hinzukriegen. Es geht um die Chip-Produktion, um intelligente Industriegüter, Elektroautos, Batterien, Solarpanels und vieles mehr. Aber letztlich auch um digitalbasierte Konsumgüter.

Rund 40 neue Fahrzeughersteller zählt China inzwischen. Das Land gibt sich «technologieoffen» – das heisst, dass verschiedene Antriebsarten forciert werden. Dabei verfügt China heute insbesondere bei den elektrischen Fahrzeugen über einen respektablen Vorsprung. Die USA belegen nun Elektrofahrzeuge aus China mit einem Strafzoll von sage und schreibe 100 Prozent. Der Vorwurf des „Dumpings“ wird erhoben, dieser gilt indessen als umstritten. Vielleicht ist China einfach besser?

Auch gegen TikTok versuchen die Staaten vorzugehen, ebenso gegen Onlineanbieter, welche immer erfolgreicher werden.

Auch die EU blockt ab

Unsere EU-Kinderärztin, Frau von der Leyen, implementiert für China ebenso Strafzölle, da China Europa mit «Dumpingpreisen schade». Bei den Elektrofahrzeugen hat die EU bereits nachgezogen und rund 30% Strafzoll verfügt – alles nur zum Schutz der heimischen Industrie. Dieser Industrie wurde schon vor einigen Jahren, von deutschen Staatsgnaden und zwangsweise, eine Technologiewende verabreicht: nur noch elektrisch war angesagt. Kein Wunder, hat die deutsche Industrie so die konventionelle Technologieentwicklung verpasst. Kommt hinzu, dass Elektroautos nun mal keine Seele mehr haben: Die unterscheidenden emotionalen Merkmale von Motor und Getriebe entfallen. Elektrofahrzeuge haben nur noch eine neutrale, mehr oder weniger gemeinsame DNA, weshalb man künftig irgendeine Karre kaufen könnte. Ein wichtiger Teil der Marke ist weg. Ja, so schafft man sich schleichend ab. Kein Wunder, sind nun in der Not protektionistische Lösungen angesagt.

Soll Waldmeyer einen chinesischen BYD kaufen?

Waldmeyer schaute sich die chinesischen Autoprospekte an, so von BYD, der zurzeit wohl erfolgreichsten chinesischen Automarke. Die Emil Frey-Gruppe hat sich bereits den Import für die Schweiz gesichert. BYD ist die Abkürzung für «Build Your Dream». Schon in den 60er Jahren hatte Emil Frey die Nase vorn, als es um den Import von Toyota ging. Damals hatten noch alle die Nase gerümpft. Einen Japaner fahren…? Nur wenige Jahre zuvor schlichen sich Waldmeyers Eltern noch verstohlen in die Migros – das war, zu jener Zeit, ebenso wenig opportun, wie eine «Reisschüssel» zu fahren. Und jetzt also die chinesischen Autos? Das passt gar nicht ins Bild des SVP-Parteigängers Walter Frey, wehrt sich die SVP doch gegen alles «Ausländische». Aber Walter Frey hat recht: Die Chinesen werden den Markt eh erobern, also sollte man lieber dabei sein. If you can’t beat them, join them.

Man kann die Importe nicht aufhalten

Tatsache ist: Wir werden die Importe nicht aufhalten können. China ist in vielen Belangen einfach wettbewerbsfähiger. Ein Blick in freie Märkte (so z.B. in die Golfstaaten) spricht Bände: Das Strassenbild dort ist heute nicht wiederzuerkennen. Eine Unzahl an neuen, unbekannten Gefährten säumt die Strasse, mit gutem Design, oft elektrisch betrieben. Sie stammen alle aus China. Und sie sind unglaublich günstig, weshalb sie erst recht gekauft werden.

Protektionismus ist die schlimmste Reaktion auf eine erfolgreiche Konkurrenz. Die Geschichte zeigt, dass man damit in der Regel technologisch nur noch stärker zurückgeworfen wird. Es sei an die Episode erinnert, als am Ende des 19. Jahrhunderts Grossbritannien die erfolgreichen deutschen Produkte abzustrafen versuchte, indem sie per Gesetz mit einem Label «Made in Germany» versehen werden mussten. Leider erwies sich diese Strafbezeichnung als ein hervorragendes Marketinginstrument, denn alsbald begriffen die Briten, dass die solchermassen bezeichneten Produkte einfach besser waren – und kauften „Made in Germany“ umso mehr.

Und überall ist China drin

«Die Chinesen sind eh schon hier», meinte Charlotte zu Waldmeyer. «Dein Handy wurde in China produziert, die Musikanlage auch, die Überwachungskameras ebenso. Auch der Toaster, der Föhn, der Kühlschrank. Und wohl die Hälfte deines Porsches.»

Stimmt. Auf dem Foodcenter in Waldmeyers Küche steht zwar «Bosch», auf dem Backofen «Siemens». Deutsche Wertarbeit? Ein Blick auf die Rückseite der Geräte deckt sofort die Wahrheit auf: In der Regel kommen diese Geräte aus China.

Damit kann sich Waldmeyer allenfalls abfinden. Was ihn indessen immer wieder beunruhigt, ist der Verdacht, dass China mittels dieser Technologien Spionage betreibt. Deshalb verbieten die USA und andere westliche Länder beispielsweise Huawei, ein Leader in der Kommunikationstechnologie.

Wird Waldmeyer ausspioniert?

Waldmeyer lag im Bett und gönnte sich etwas anspruchsvolle Literatur vor dem Einschlafen. So studierte er nochmals diese BYD-Prospekte. Wie wird das wohl mit diesen Autos sein? Wird der grosse gelbe Mann, Xi Jinping, künftig wissen, wann und wie schnell Waldmeyer seinen BYD in Meisterschwanden in den Coop runterfährt? Beunruhigend. Er legte den Prospekt auf die Seite und versuchte, einzuschlafen.

Plötzlich tönte ein Signal aus der Küche. Waldmeyer erhob sich von seinem Lager und stand vor dem Bosch-Kühlschrank. Dieser begann plötzlich zu sprechen, auf Englisch, aber mit einem unverkennbaren chinesischen Akzent: «Waldmeyel, tomollow you have to buy milk!» Waldmeyer erschrak. Also hatte Charlotte doch recht: Sie sind schon hier!!! Waldmeyer zog kurzerhand den Stecker dieses Spionagegerätes und schlief alsbald den Schlaf des Gerechten.

Dass sich am nächsten Morgen Charlotte beklagte, dass der Kühlschrank mitsamt dem Gefrierteil in einer Pfütze stand, war nachvollziehbar. «Ich kann dir alles erklären, Charlotte», gestand Waldmeyer, «aber das Gerät hat in der Nacht plötzlich mit mir gesprochen!»

Charlotte antwortete, nun doch etwas besorgt: «Klar, Max, und mich hat gestern Nacht der Papst angerufen».

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