Waldmeyer und die verklärte Wahrnehmung von «Trömp»

Was sich unsere Politiker hinter die Ohren schreiben sollten: Diese neue US-Administration funktioniert anders, nämlich nicht der Logik und den Fakten folgend, sondern der Erratik. Aber unsere Volksvertreter verstehen das nicht. Dabei könnte es einen raffinierten Ausweg geben, überlegt Waldmeyer.

 

Lustig, wie unsere Regierungsleute in der Schweiz auf den Trump’schen Zollhammer reagiert hatten. Rechtsaussen-Politiker vermuteten erst mal einen «Rechnungsfehler» und ein «Missverständnis», das man den USA nun erklären müsste. Natürlich war es nicht so, sondern nur eine bewusste Provokation, um etwas herauszuholen – wobei es in der Regel gar nicht um Zollabbau ging, sondern a) um das «Zurückholen» der Industrieproduktion in die USA und b) tatsächlich auch darum, Einnahmen zu generieren. Zölle können tatsächlich viel Geld ins Land reinspülen, die Versuchung ist also gross, dieses Manna, so es denn vom Himmel fällt, zu nehmen, zu behalten oder gleich kunstvoll wieder einzusetzen. Das deckt sich mit dem weitverbreiteten Planungshorizont der Amerikaner, welcher ein Quartal selten übersteigt. Die Chinesen denken in hundert Jahren. Die Europäer, zumindest was die Politiker anbelangt, liegen irgendwo dazwischen, so in etwa bei dem Horizont einer Wahlperiode. Die Schweizer legen den Horizont situativ fest; er liegt meistens dort, wo er am wenigsten Probleme bereitet, sie schlängeln sich quasi zwischen den Widerwärtigkeiten der Welt hindurch.

Aber die Schweizer Politiker lagen, was Trump anbelangt, komplett falsch. Da wurde die exzellente Zusammenarbeit mit den USA aufgrund eines Besuches von Ueli Maurer in Washington glorifiziert, denn dieser durfte dem US-Präsidenten bereits 2019 die Hand schütteln. Trump und Maurer konnten sich damals zwar, sprachlich bedingt, kaum austauschen, aber es war, aus Schweizer Sicht, ein sehr erfolgreiches Ereignis. Auch unsere sympathische Magdalena Martullo-Blocher sah bis vor kurzem noch keinen Anlass zur Besorgnis in Sachen Zöllen: Trump habe die Schweiz sehr gern. So viel zur Naivität unserer sogenannten Classe politique und zur Wahrheit – welche sich leider so gestaltet, dass die neue US-Regierung auf wirklich niemanden Rücksicht nimmt und in Sachen Zöllen querbeet die ganze Welt in die Pfanne haut. Unser Winzer und Bundesrat Parmelin konnte sich zu einem „ungerechtfertigt“ durchringen und Karin Keller-Sutter war «enttäuscht» (sic)… Trump hat diese Statements sicher beeindruckt.

Dass die Schweiz erst kürzlich sämtliche Industriezölle abgeschafft hatte, kratzte die Trump-Administration überhaupt nicht – und verschonte die Eidgenossen nicht von einem sehr hohen «reziproken» Strafzoll. Kurzum: Unsere Politiker im Glashaus glauben immer noch an Facts and Figures, an die Logik und an die Wahrheit. So viel zu ihrer kognitiven Wahrnehmung.

Auslegeordnungen und tatsachenbasierte Erklärungen sind nutzlos. Donald Trump spielt ein Spiel, einen Poker, er amüsiert sich köstlich dabei – und alles ist erlaubt. Dieses Psychogramm, das hinter einer solchen Strategie steht, passt unseren aufrechten Beamten natürlich gar nicht.

Und immer wieder wird das so freundschaftliche Verhältnis mit den USA ins Feld geführt. Ueli der Maurer, um nochmals seinen berühmten Besuch im Oval Office zu erwähnen, durfte sich sogar in die Gästeliste eintragen. „Sänkiu, Mister Präsident!“

Nun, vielleicht merken inzwischen langsam auch alle Magdalenas unserer verklärten Trömp-Anhänger: „There is no free löntsch.“ Und solange die USA Europa als Quasikolonie betrachten, da verteidigungsmässig hoffnungslos ausgeliefert, wird sich das nicht ändern. Das gilt auch für die Schweiz. Ja, so kommen wir langsam bei den Fakten an – bei den real facts, nicht den „alternative facts“. Ob sich Christoph Blocher daran erinnert, dass er einst den Anschluss an die NAFTA vorschlug, zusammen mit Mexiko und Kanada – als Alternative zum EWR quasi? Zollmässig stehen diese beiden Länder gegenüber den USA heute, wie wir wissen, in deep shit.

Die USA haben eigentlich gar kein riesiges Handelsbilanzproblem. Die Gesamthandelsbilanz besteht bekanntlich aus der Warenbilanz und der Dienstleistungsbilanz – was Trump allerdings nicht interessiert. Die Dienstleistungsbilanz der USA kann sich nämlich sehen lassen, sie kompensiert zu einem guten Teil das Defizit der Warenhandelsbilanz. Der neue Pate im Oval Office interessiert sich allerdings nur für Warenströme. Ihn stört beispielsweise, dass die Italiener nicht in einem Dodge Ram durch Neapel zirkeln. Die Dienstleistungen beschäftigen ihn nicht – oder er möchte sie einfach nicht erwähnen, das mag zum Verhandlungsspiel gehören. Vielleicht liess sich klein Donald schon von Pippi Langstrumpf inspirieren: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Bei den Dienstleistungsexporten ist die USA, wie erwähnt, zumindest im Austausch mit industrialisierten Ländern, ganz gut: Während es bei den Waren für die USA im Verhältnis mit der Schweiz tatsächlich schlecht aussieht (51 Milliarden USD Importe stehen nur 15 Milliarden Exporten gegenüber, macht 43 Milliarden Warenhandelsdefizit), brilliert die USA geradezu bei den Dienstleistungen (Exporte in die Schweiz 54 Milliarden, Importe nur 31 Milliarden, also ein US-Überschuss von 23 Milliarden).

Die Schweiz erzielt also im Dienstleistungshandel mit den USA ein deutliches Defizit, die USA einen deutlichen Überschuss. Rechnet man die beiden Bilanzen zusammen (Waren und Dienstleistungen), sieht die Gesamthandelsbilanz nahezu ausgeglichen aus – vor allem, wenn man noch den zahlenverzerrenden Gold- und Edelsteinhandel rausrechnet. Aber wie schon festgestellt: Donald, der gewiefte Businessman, nimmt sich eben die Zahlen raus, die ihm passen.

Die überragenden Dienstleistungsexporte der USA in die Schweiz betreffen vor allem Software/IT-Produkte, Lizenzen und Finanzdienstleistungen. Microsoft, Apple Services, Google Cloud, Netflix oder Disney beispielsweise erzielen Milliardenumsätze. Dazu kommen Bildungsausgaben (so durch die Zahlungen internationaler Studenten) und der Tourismus und Geschäftsreisen. Der Konsum ausländischer Touristen in den USA wird nun mal als Dienstleistungsexport klassifiziert und hat einen positiven Einfluss auf die Bilanz der USA. Da zählen Waldmeyers Aufenthalte im Hotel in New York, die Badeferien in Miami Beach, die vorzeitig gebuchten Inlandflüge und das Steakrestaurant – alles zählt. Sogar die 21 USD für das ungeliebte ESTA-Formular, um überhaupt einreisen zu dürfen.

Nun zu Waldmeyers durchaus ernst gemeintem Vorschlag: Unsere möglichen Vergeltungsmassnahmen könnten Dienstleistungszölle vorsehen. Es wären dann auch „reziproke“ Zölle – frei nach Donald’s Prinzip: Wer mehr verkauft als kauft, muss blechen. Die Berechnungsmethode dieser neuen Dienstleistungszölle liegt auf der Hand: Wir werden den berühmten Milchmädchen-Schlüssel der Trump-Administration verwenden. Wir berechnen unser Dienstleistungsdefizit in Prozent des gesamten Dienstleistungsaustausches, dividieren durch zwei und erhalten eine beautiful tax. Sie wird sogar sehr fair und bescheiden ausfallen, es wurden 14% errechnet. Gleichzeitig wäre dieser Zoll, gefühlt, gar nicht so dramatisch. 14% auf dem Microsoft-Programm oder auf dem Netflixabo? Das würden wir locker wegstecken. Uns selbst würden wir uns damit nicht gross schaden – dies im Vergleich zu den Amerikanern, welche die 31% auf unserer Schoggi nur spüren sollen!

In Deutschland würde die gleiche Berechnungsmethode, also ebenso nach Trump’scher Manier, einen Zoll von nur 2% auf allen Dienstleistungsimporten aus den USA ergeben. Ein extrem tiefer Wert, verglichen mit der Schweiz. Tatsächlich stehen die bescheidenen Dienstleistungsimporte Germaniens von nur 67 Milliarden USD in keinem Verhältnis zur Schweiz (31 Milliarden). Waldmeyer vermutet, dass vielleicht die vielen türkischen Einwanderer in Deutschland nicht Netflix schauen oder es doch am niedrigen Digitalisierungsgrad des Landes liegt. Aber die Überlegung ist irrelevant, weil die EU, gemäss Trump-Prinzip ohnehin einen generellen Dienstleistungszoll von 8% erheben würde.

Unsere 14% dürfen nicht unterschätzt werden, denn sie werden auf einem erheblichen Volumen erhoben, tatsächlich würde dies der Eidgenossenschaft Milliarden in die Bundeskasse spülen. Ja, let’s make Switzerland rich!

Bei der Erhebung der Dienstleistungssteuer sollten die US-Touristen nicht vergessen gehen. Alle aus Amerika Einreisende, die in die Schweiz kommen, müssten mit Zöllen und Gebühren überzogen werden. Es beginnt künftig mit einem schweizerischen ESTA-Formular. Dieser elektronische Einreisezettel würde in der Schweiz allerdings 50 Stutz kosten. Ja, bei uns kostet alles ein bisschen mehr, das lässt sich jedoch immer mit der überragenden helvetischen Qualität erklären.

Als besondere Massnahme würde Waldmeyer gerne eine WAT einführen: Eine Weight Added Tax. Sie wird von besonders übergewichtigen US-Bürgern an der Grenze eingezogen, kommt allerdings erst ab 300 Pfund Trockenkörpergewicht zum Tragen (136 kg). Dann mit 100%, aber sie gilt nur für den ÖV. Da die Billetkontrolleure nicht umständliche Waagen mitschleppen können, muss das Augenmass herhalten und die Added Tax wird so eingezogen, dass einfach zwei Billette pro Person gelöst werden müssen. Allerdings dürfen dann im Tram, im Bus oder in der SBB, selbst aufs Schilthorn rauf, auch zwei Plätze pro Person belegt werden. Unsere einheimischen Mitfahrer würden dann den betroffenen Amerikanern anerkennend zunicken – im Wissen darum, dass sie unseren defizitären ÖV ordentlich mitfinanzieren. Ja, man kriegt bei uns also etwas fürs Geld und die Steuer bleibt damit sozialverträglich. Die WAT bietet übrigens einen weiteren Vorteil: Deren Einnahmen werden laufend steigen, denn die Amerikaner werden immer schwerer. Heute gelten bereits 74% der Amerikaner als übergewichtig, Tendenz steigend.

Das Übergewicht ist bei uns ebenso willkommen, wenn es auch das Portemonnaie betrifft. Denn je höher die Ausgaben der amerikanischen Touristen in der Schweiz, desto mehr Tourismus-Zoll müssen sie künftig abdrücken. Verschiedene Ansätze könnten angedacht werden, so eine Raclettesteuer (plus 31% pro Portion), selbstredend auch eine beautiful tax auf allen Hotelübernachtungen. Eine Sondertaste (goldenes „A“) bei den Geräten für die Kreditkartenabrechnungen könnten den Steuereinzug vereinfachen. Bei den Eintritten (Schaukäserei, Swiss Miniature, allenfalls auch bei Sprüngli am Paradeplatz etc.) könnte allenfalls eher die WAT zum Tragen kommen; sie ist verursachergerechter.

Da der Kaugummikauf und andere Ausgaben der Amis in der Schweiz nicht präzise erhoben werden können, werden wir darauf verzichten. Wichtig ist, dass in der Summe die 14% stimmen. Wir möchten ja nicht mogeln. Die Umsetzung mag etwas anspruchsvoll sein, wir müssten also ein bisschen innovativ sein, damit wir direkt und effizient abkassieren können. Zudem ist sich Waldmeyer bewusst, dass wir uns mit der EU und anderen Ländern in Europa abstimmen sollten. Es wäre schade, wenn die Amerikaner nur wegen dieser Dienstleistungszölle in irgendwelche andere Länder ausweichen würden. Mit Albanien, Nordmazedonien usw. müssten wir uns jedoch nicht absprechen, das Ausweichrisiko wäre vernachlässigbar.

Kurzum: Sollte Trump auf den willkürlich erhobenen Zollandrohungen auf Schweizer Waren beharren, sollten wir in der Schweiz, zusammen mit Resteuropa, reziproke Dienstleistungszölle erheben.

Aber wie gedenkt unser Bundesrat nun tatsächlich, die Kuh vom Eis zu bringen? Die Antwort liegt bereits in der Luft: Es wird ein gut-eidgenössisches Rückzugsgefecht geben, mit Ankündigungen, die möglichst nicht umgesetzt werden müssen. Gleichzeitig wird intern weiter von einem fiktiven Freihandelsabkommen fabuliert werden (welches, zum Leidwesen Waldmeyers, Agrargüter inkl. Tomahawk-Steak, ausschliesst). Und was machen wir Bürger und eine ganze Anzahl betroffener Schweizer Unternehmer mit den USA? Waldmeyer meint: „It‘s time to say Goodbye!“. Zumindest mental und vorübergehend, bis sich der Trump‘sche Nebel gelichtet hat.

Waldmeyer und der Rentenklau

Der Sonntagsmorgen-Tisch bei Waldmeyers in Meisterschwanden bietet die seltene Möglichkeit, Grundsätzliches zu besprechen. Diesen Sonntag war es ein besonders günstiger Moment, denn Charlotte hatte sich zum Tennis abgeseilt. Eine gute Gelegenheit also, um die Kinder ungestört zu kalibrieren. Waldmeyer hatte sich für heute das Thema «Rente» vorgenommen.

«Charlotte hat mir verraten, dass ihr beide damals für die 13. AHV gestimmt habt. Ihr seid eine Lichtgestalt in der Sozialwelt. Dafür möchte ich euch danken. Ihr seid nämlich ziemlich selbstlos, denn  i c h  werde die 13. einmal erhalten, ihr aber nicht. Die 13. kostet uns übrigens rund fünf Milliarden zusätzlich pro Jahr. Lara, weisst du, wie viele Nullen eine Milliarde hat?»

Lara tippte auf ihrem Handy rum und fand keine schlüssige Antwort. „Du bist entschuldigt, Lara, denn ein Grossteil der Stimmbürger weiss es auch nicht. Aber zum Vergleich: Es entspricht etwa der Summe, die uns jährlich die Landwirtschaft kostet oder die Armee. Jährlich. Hätten die Stimmbürger die Grössenverhältnisse gekannt, hätten sie vielleicht anders gestimmt. Aber Elisabeth wusste das mit den Nullen vielleicht auch nicht.“

„Elisabeth who?“, wollte Lara wissen.

«Elisabeth Baume-Schneider, die Bundesrätin. Die mit den Schwarznasenschafen.»

Noa blickte kurz von seinem Handy auf, noch etwas vom Restalkohol des Vorabends gekennzeichnet. Was sein Vater heute nun schon wieder vorhatte? Noa, nach ein paar Semestern Studium in Betriebswirtschaft, witterte eine Falle. Lara blieb – vorerst – noch indifferent.

Wir werden zu alt

Waldmeyer holte aus und erklärte die Finanzierungsprobleme unserer Sozialsysteme. So wird zum Beispiel die AHV langfristig nicht gesichert sein. In rund 15 Jahren werden auf jeden AHV-Bezüger nur noch zwei Beitragszahler kommen, wenn überhaupt. Ja, wir werden zu alt. Bei der Einführung der AHV betrug die Restlebenszeit noch ein paar wenige Jahre, heute hingegen haben die 65-Jährigen noch rund 20 Jahre vor sich. Und sie werden immer mehr. Im Strassenbild wird es bald nur noch Greise geben, vielleicht noch ein paar jüngere Mitbürger, mit anderer Hautfarbe und schäbig gekleidet, welche kaum ins Rentensystem einzahlen. Genau gleich wird es sich mit den privaten Pensionskassen verhalten: Immer weniger werden immer mehr unterhalten müssen – womit immer weniger Rente verbleibt. Eine Anpassung der Systeme ist kaum möglich, die verschiedenen Abstimmungen der Bürger zeigen es. Nun war auch Lara dabei, sie runzelte die Stirn.

Rentenalter 75?

Das Rentenalter wird folglich zwingend heraufgesetzt werden müssen. Auf 70 oder gar 75 Jahre? Oder noch höher? Oder die Renten müssen drastisch gekürzt werden. Oder die Beiträge massiv erhöht werden. Oder der Staat wird einschiessen müssen, aber dann muss er die Steuern erhöhen. So beispielsweise auch die MWST, damit gerade auch die Rentner schön mitzahlen. Alle diese Lösungen werden vom Souverän wohl erst abgelehnt werden, aber kurz, nur ganz kurz vor dem Kollaps der AHV, zum Beispiel, so Waldmeyer, wird dann zu einer Radikallösung gegriffen werden.

Endlich hatte Waldmeyer die Aufmerksamkeit von Noa und Lara. Lara runzelte erneut die Stirn: «Nein, nein, so weit wird es nicht kommen, die werden eine bessere Lösung finden», warf sie ein.

Waldmeyer baute nun seine geballte Sprachkraft auf: «Nun, mit «die» meinst du euch, ja?» entgegnete er und kam langsam in Fahrt.

Der offene Geheimplan der Linken und der Grünen

In der Folge erklärte Waldmeyer die Bestrebungen der Grünen und der SP: Sie steuern auf eine staatliche Einheitsrente hin. Das Ziel soll die Verstaatlichung der 2. Säule sein. So gab es bereits einen parlamentarischen Vorstoss in diese Richtung. Dieser kam nicht durch –zumindest vorerst nicht. Aber es wird weitere Vorstösse geben. Ein solches Unterfangen, nämlich die «Fusion» der staatlichen und privaten Rentensysteme, wäre zwar nicht leicht umzusetzen, denn das hätte Enteignungscharakter. Aber nichts ist unmöglich, wenn letztlich die Mehrheit der Bevölkerung dafür stimmen würde. Eine von den Gewerkschaften initiierte Initiative, mit Sukkurs der Grünen, der SP und der Juso, könnte zu einem Durchbruch führen.

«Dann würde ich auswandern. Ich würde vorher die Kohle beziehen und einfach abhauen», warf Noa ein.

Grosse Hindernisse beim Kapitalbezug

Das wäre tatsächlich eine Lösung: Die Kohle einfach beziehen. Allerdings geht das nicht so einfach, wenn das Auswanderungsland in der EU liegt oder ein EFTA-Staat ist. Dann kann man sein angespartes Rentenguthaben aus der Pensionskasse nicht einfach so als Kapitalbezug «beziehen» und auswandern: Nur der überobligatorische Teil der PK und die Säule 3a können bezogen werden. Und wenn der Auswanderungszeitpunkt nach dem Renteneintritt liegt, sind allfällige Entscheidungen eh zu spät: Die Wahl zwischen Rentenzahlung und Kapitalbezug muss vorher stattgefunden haben.

«Ihr müsstet aus Europa raus. Ausser ihr wollt nach Serbien. Oder nach Bosnien.»

«Ich geh dann eh nach Miami», verkündete Noa überzeugt, «oder nach Kalifornien und gründe eine Kryptowährung!» Waldmeyer weiss genau, wie er bei den Ideen seines Sohnes reagieren muss: «Gut so, mach das!»

Der zweite Geheimplan

Dieser ist eigentlich nicht geheim, wurde aber in der gleichen politischen Ecke fabriziert: Die steuerliche Bevorzugung des Kapitalbezuges der Pensionskasse soll fallen. Für grössere Summen käme dann als Alternative vermutlich nur noch die Rente in Frage. Damit wird allerdings das ganze System der Säulen 2 und 3 in Frage gestellt. Waldmeyer weiss, was schon heute zu tun ist. Erstens: keine freiwilligen Einzahlungen mehr in Rentensysteme. Zweitens: Take the money and run. Das heisst, wenn immer möglich jetzt schon Rentenkapitalien beziehen, zur Reduktion von Hypotheken oder im Rahmen einer Teilpensionierung. Das Vertrauen in Bundesbern ist dahin.

Die AHV sich als Kapital auszahlen lassen…?

Bei der AHV ist alles noch schwieriger. Kann die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital bezogen werden?

Ja, da gibt es ein paar Schlupflöcher! Wenn man dem Risiko entfliehen möchte, später einmal nur noch eine reduzierte Rente zu kriegen, obwohl man Jahre oder Jahrzehnte einbezahlt hat, weil diese staatliche Kasse pleite ist, könnte man proaktiv mit einem Kapitalbezug reagieren. Also nicht erst warten, bis man 65 wird (oder eben 70), sondern schon frühzeitig das Weite suchen. Take the money and run. Also sich die AHV frühzeitig auszahlen lassen, indem man sich ins Ausland absetzt. «Das geht aber nicht», warf nun Lara ein. Die Eltern von Fatima, ihrer Studienfreundin an der Uni (Basel, Ethnologie, schon länger), seien nun mit 55 wieder zurück nach Portugal gezogen. Die Hälfte der PK hätten sie zwar mitnehmen können und damit das Haus in Porto fertiggebaut, die AHV konnten sie aber nicht abheben, die bleibt nun in der Schweiz eingefroren und sie müssen 10 Jahre warten, bis sie monatlich als Pension überwiesen wird. Fatimas Mutter putze nun inzwischen in Haushalten von Expats, das bringe am meisten ein.

«Bosnien», warf Waldmeyer ein, «das wäre eine elegante Lösung». Fatimas Eltern hätten nach Bosnien auswandern sollen. Tatsächlich gibt es gewisse Länder, rund ein Dutzend, in die man die AHV-Kohle frühzeitig und komplett mitnehmen kann, mit einer richtigen «Auszahlung».

«Spinnst du Dad, wer geht denn schon in ein muslimisches Land und läuft dann mit einem Kopftuch rum!»

Notfalls nach Albanien

Waldmeyer klärte weiter auf. Man könnte auch in die Türkei auswandern (allerdings auch muslimisch). Oder nach Albanien (auch). Oder nach Japan. Wichtig ist, dass man sofort einen Ehepartner mit dieser Staatsbürgschaft findet, Staatsbürger des auserkorenen Landes wird und den Schweizer Pass zurückgibt. Dann kann man die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital beziehen. Einfacher noch geht es, wenn man, nur beispielsweise, bereits Albaner ist, keinen Schweizer Pass hat und in sein Heimatland zurückgeht. Ja, so kann man sich die AHV sichern, cash auszahlen lassen und nicht Gefahr laufen, dass diese später einmal bankrott ist, weil es in der Schweiz nur noch alte Leute gibt und niemand mehr einzahlt.

Der Worst Case: Die Einheitsrente

Wenn die Einheitsrente kommt, also die staatliche Rente aus der fusionierten AHV und PK, wird die komplette Umverteilung der Ersparnisse stattfinden. Ein Blick nach Deutschland zeigt, in welche Abgründe man da mit einer umfassenden Volksrente blicken kann: Die Beitragssätze werden dort demnächst auf 22% erhöht. Aber es wird nichts nützen, denn die Renten bleiben trotzdem tief, und das System wird unweigerlich kollabieren – zumal immer mehr tüchtige Beitragszahler abwandern. In die Schweiz z.B., dort sind sie als Beitragszahler in unsere Sozialsysteme hochwillkommen.

Aber zurück zur möglichen Auswanderung. Es könnte nämlich noch dicker kommen. Waldmeyer dozierte weiter am Frühstückstisch, dass bei einer dergestalt, nach sozialistischem Muster umgestalteten einheitlichen Volksrente ein Kapitalbezug natürlich nicht mehr möglich wäre. Auch hier macht es Deutschland übrigens vor, wie geschäftstüchtig ein Staat sein kann (zumindest beim Steuereintreiben): Wandert man aus, muss die Rente nicht etwa in der neuen Heimat versteuert werden, sondern tatsächlich immer in Deutschland. «Das ist Fiskalterrorismus», meinte Waldmeyer vielsagend.

Waldmeyer fasst zusammen

«Also, ihr müsst künftig einfach gut verdienen und möglichst alle Ersparnisse separat auf die hohe Kante legen. Ihr könnt euch nicht auf Renten verlassen, weder auf staatliche, die ihr in 40 oder mehr Jahren einmal (vielleicht) erhalten werdet – noch auf private, welche vielleicht einmal verallgemeinert werden oder nur mit horrenden Steuertarifen bezogen werden können. Also bitte alles schön selber auf die Seite legen. Aber schön, habt ihr für die 13. AHV gestimmt, die ihr jetzt mitfinanzieren dürft!»

Noa tippte derweil auf seinem Handy rum. «Du bist schon am Rechnen, Noa, gell!», triumphierte Waldmeyer. «Nein, ich schaue nach Flügen nach Kalifornien», grinste Noa zurück.

Waldmeyer und das Geheimnis der Suwalki-Lücke

Kaum jemand kennt die «Suwalki-Lücke». Und ob sich um diese tatsächlich Geheimnisse ranken, wird Waldmeyer nun aufdecken. Auf jeden Fall hat das Ganze nichts mit den Urlaubsplänen von Charlotte zu tun. Eher schon mit handfesten geopolitischen Analysen unseres Militärstrategen Max Waldmeyer.

Charlotte liebte diese «what if…?»-Fragen. Und sie wusste, dass Max auch zu den absurdesten Fragen immer eine prägnante Antwort aus dem Hut zaubern konnte. Aber manchmal sind die Vorstellungen doch sehr anspruchsvoll, sich in etwas hineinzuversetzen, das man gar nicht möchte.

So geschehen, gerade gestern, als Charlotte, angesichts des Schlamassels in der Ukraine, mit der Frage rausrückte: «Was würdest du tun, wenn du Putin wärst…?»

Waldmeyer antwortete wie aus der Pistole geschossen: «Ich würde nie Putin sein wollen. Oder Putin gewesen sein wollen. Putin ist ein No-Go. Ein schlauer Kerl, sehr gewieft, auch ein Bluffer. Aber ein Geo-Krimineller, machtbesessen, brutal und gemein. Ein Kriegsverbrecher. Er wickelt alle um den Finger, verdreht Tatsachen und Fakten, erfindet Narrative und absurde Geschichten. Schon die Merkel ist ihm früh auf den Leim gekrochen. Putin war früher bekanntlich ein hoher Geheimdienst-Agent, sogar in Deutschland stationiert. Schon damals hatte er vermutlich Dreck am Stecken.»

«Aber wenn du nun wirklich Putin wärst, wie würdest du heute gegenüber dem Westen reagieren, zumal es ja an der Ukrainefront nicht nach Plan läuft?»

Stimmt, mit Putins Westerweiterung läuft es nicht optimal. Putin hatte sich das anders vorgestellt als er dachte, zum Zeitpunkt der Invasion im Februar 2022. Diese abtrünnige Sowjetrepublik hätte gemäss seinem Plan schon nach ein paar Tagen kapitulieren sollen. Seine Jungs hatten in den Panzern sogar die Ausgangsuniform dabei, um sich dann in Kiew gleich für die grosse Parade in Schale zu werfen. Und jetzt wird der Kremlherr, und das auch nur im besten Fall, zu einem faulen Kompromiss Hand bieten müssen. So einen Deal kann man allerdings nur abschliessen, wenn man einen Plan B hat. In diesem Fall könnte dieser lauten: «Reculer pour mieux sauter!». Also einen Schritt zurücktreten – aber nur um Anlauf zu holen.

«An den anderen West-Fronten läuft es doch hervorragend für Putin!», stellte Waldmeyer fest und versuchte eine neue Fährte zu legen, damit Charlotte ihn nicht wieder mit der absurden Frage bedrängte, was wäre, wenn er, Max Waldmeyer aus Meisterschwanden, Wladimir Putin wäre.

Tatsächlich läuft es ganz gut in Sachen russischer Hegemonie: An allerlei Plätzen ist Russland sehr aktiv. Weniger im Nahen Osten, da hat er einen Schuh voll rausgezogen in Syrien. Aber Afrika läuft sehr gut. In Libyen hat er erfolgreich einen Anker geworfen und in der Saharazone, quer durch den Kontinent, hat er bald alle Staaten unter seiner Kontrolle – bzw. unter seinem Einfluss, da er diverse korrupte Miltärjuntas oder Rebellengruppen unterstützt, finanziell und militärisch. So werden westliche Staaten erfolgreich verdrängt. In Kuba, Venezuela und Nicaragua hat er auch einen guten Lauf.

Was die europäischen Staaten aber noch mehr ärgert, sind Putins Winkelzüge direkt vor ihrer Türe. Da läuft es sogar hervorragend. Sogar in gestandenen Ländern Europas hat er nun seine Botschafter installiert, so in Frankreich mit Le Pen, bei der AfD in Deutschland oder mit Roger Köppel bei der Weltwoche in der Schweiz. Ganz zu schweigen von Viktor Orban, seinem geheimen Statthalter in Ungarn. Neu in den Club aufgenommen wurde Freund Fico, Slowakei. Zum Teil gehen diese Botschafter heute als gestandene Putinversteher durch.

Insbesondere in den verlorenen Staaten der Ex-Sowjetunion geht er weniger subtil vor. Das Muster Putins ist dabei immer dasselbe, doch nun wird es langsam sichtbarer: erst mal drohen, dann unterminieren, dann zur Hilfe eilen. Und alles so steuern, dass es der tumbe Westen möglichst nicht merkt.

Putin war immer schon sehr grosszügig mit Hilfeleistungen an „unterdrückte“ russische Minderheiten in anderen Ländern. Das wird auch heute im Baltikum, in Bulgarien oder Rumänien so gehandhabt: Da werden politische Parteien und Bewegungen unterstützt, kremlfreundliche Politiker gefördert und mit Trolls und Fake News nachgeholfen.

So läuft beispielsweise die Unterstützung in Moldawien auf Hochtouren. Der Osten des Landes, Transnistrien, ist sogar seit geraumer Weile ein russisches Protektorat und hat sich der moldawischen Staatlichkeit entzogen. Nun werden gewisse Regionen im Süden bearbeitet, damit sich diese ebenso in eine Sezession stürzen und Russland zuwenden.

Georgiens Präsidentenwahl 2024 war getürkt. Stimmen wurden gekauft, viel Geld investiert und so ein kremlfreundlicher Oligarch an die Spitze gehievt.

Der Präsidentschaftskandidat in Rumänien, Georgescu, erhielt wesentliche Unterstützung aus Moskau, monatelang warben russische Nachrichtenagenturen für ihn, und bezahlte Beiträge in den Social Medias taten ihr Übriges; seinen Wahlkampf führte Georgescu, wohl ein Jünger aus Ceausescus Securitate, wer‘s glaubt, „ohne Geldeinsatz“.

Die Regierungen in Ungarn und Serbien betrachten den Kremlherrn gar als guten Freund. Russland dreckelt auch im Kosovo, was wohl als Schulterschluss Moskaus mit Serbien verstanden werden muss.

Wer meint, es ginge der russischen Nomenklatur nur um die Ukraine, muss mit Blindheit geschlagen sein. Der abgehalfterte russische Ex-Präsident Medwedew meinte schon mal, er wünschte sich „eine Sowjetunion von Wladiwostok bis Lissabon“. Das mag natürlich eine Provokation gewesen sein. Aber zumindest die Grenzen eines schönen Zarenreiches wünscht sich Russland schon zurück. Die Ex-Sowjetunion, wie sie bis 1989 bestand, sicher auch. Das Minimum sieht wohl so aus, dass man das Baltikum, die Ukraine, Moldawien, Bulgarien und Rumänien gerne zurück hätte. Die aktuelle Unterminierung in diesen Ländern erfolgt ja nicht zum Spass. Das kostet einiges an Anstrengung, und deshalb gibt es selbstredend einen klaren Plan dahinter.

«Was ist jetzt, Max, was wäre, wenn du Putin wärst, was wären deine nächsten Schritte?»

«Wenn ich Putin wäre, müsste ich sein Ego und seine strategischen Pläne übernehmen. Das möchte ich wirklich nicht, das wäre unappetitlich.»

Waldmeyer gab in der Folge trotzdem nach und legte vier konkrete Pläne offen. Alle vier würden zum Ziel haben, den Westen zu stören und zu verblüffen, die NATO weiter auseinanderzubringen, aber keinen direkten Gegenschlag der westlichen Allianz zu provozieren:

Der erste Schritt wäre einen Angriff auf die Schweiz, der zweite die Übernahme Moldawiens. Der dritte Schritt könnte die Besetzung von Spitzbergen sein. Und in einem vierten Schritt würde sich Wladimir Waldmeyer die Suwalki-Lücke vorknöpfen. Oder das Ganze in einer anderen Reihenfolge.

„Bitte alles der Reihe nach“, amüsierte sich Charlotte. „Das wird gar nicht so lustig werden, Schatz“, konterte Waldmeyer und holte aus.

 Das stärkste Mosaikstück im Plan und eine der vier Optionen wäre der Abwurf einer taktischen Atombombe. Das könnte vor allem notwendig werden, wenn die anderen drei Optionen – in den Augen Russlands – nichts taugten. Putin könnte als Ziel bewusst die Schweiz auswählen. Das Land ist fast das einzige in Europa, das weder in der NATO noch in der EU ist (mit dem EU-Beistandspakt). Eine Hyperschallrakete, aus Kaliningrad losgeschickt, würde in maximal zwölf Minuten in der Schweiz einschlagen. Sie könnte über dem Industriegebiet im Zürcher Oerlikon niedergehen, vermutlich in einer Samstagnacht, dann kommen nicht so viele Zivilisten zu Schaden. Eine taktische Atombombe muss also gar nicht so schlimm sein. Die sind sehr präzise und sie verseuchen das Gebiet kaum. Leider kann sie kaum abgewehrt werden. Erstens, weil die Nato dann schläft (und zudem kaum reagieren würde), zweitens, weil die Schweiz, trotz fünf Milliarden, die sie jährlich in die Armee buttert, über keine tauglichen Abwehrsysteme verfügt. Die sind erst für 2030 geplant. Und diese müssten dann zu alledem noch binnen Sekunden funktionieren.

Waldmeyer fragte sich, was anschliessend passieren würde, und er gab sich gleich selbst die Antwort: nichts. Der neue Verteidigungsminister würde sich noch in der Nacht die Handynummer des NATO-Oberbefehlshabers raussuchen lassen und ihn anrufen – er würde ihn aber wohl nicht am Sonntag, sondern erst am Montag erreichen: «Mark, kannst du uns helfen?» Aber Mark Rutte würde nicht helfen können, denn Art. 5 der NATO würde keinen Beistandsfall erkennen. Und ausserdem müsste er zuerst Präsident Trump fragen – zurzeit taktisch eher heikel, da noch ein paar wichtigere Fragen anstehen. Er würde die Deutschen und die Franzosen bitten, ein paar Ambulanzen loszuschicken und sich dann später im Hauptquartier erst mal gründlich beraten lassen. Dann vielleicht auch mit Präsident Trump. Der würde ihm antworten: “Holy shit, Putin is a son of a bitch. Sweden is part of NATO, yes? We have a problem.” Nachdem Rutte ihm dann die europäische Geografie in Erinnerung gerufen hat, würde Trump antworten: «Ok, I got it. But we have no deal with this Swaziland, or Switzerland. It’s none of our business.»

Mark Rutte würde dann immerhin eine Warnung nach Russland senden. Vielleicht würde sogar China ein bisschen protestieren – ein bisschen. In der UNO würde sich eine grosse Anzahl der Staaten hinter Russlands Interpretation stellen, dass die Schweiz mit der Blockierung von immer mehr Russenvermögen provoziert hätte. Schliesslich hat kein Staat der Welt im Verhältnis zu seiner Population mehr Milliarden blockiert als die Eidgenossenschaft. Russland würde zudem technische Erklärungen liefern und beweisen, dass eine taktische Atombombe keine Atombombe ist.

Charlotte war nicht so überzeugt, dass dieses Szenario wirklich realistisch ist. Also war sie gespannt auf das Thema Moldawien. Und das würde, laut Waldmeyers Vision, so ablaufen:

Moldawiens russische Minorität würde einen Hilfeschrei Richtung Kreml abschicken. Wonach ihre Rechte beschnitten seien, ihre Sprache keine Amtssprache sei etc. Russland würde von Transnistrien aus dann ein paar Armeepolizisten reinschicken. Die würden plötzlich auch den Fernsehsender und das Parlamentsgebäude besetzen. Die schwache moldawische Armee würde sofort die Waffen abgeben. Und dann? Dann passiert eben auch nichts. Moldawien ist nicht in der NATO, auch nicht in der EU. Zwar gilt Moldawien als EU-Beitrittskandidat – aber das ist etwa so viel wert wie Waldmeyers Mitgliedschaft im Rotary Club Meisterschwanden. In der UNO würde die Geschichte rumgereicht, dass Moldawien sich freiwillig und hilfesuchend Russland zugewandt hat. Innerhalb der NATO käme es zu einer Zerreissprobe: Tschechien, das Baltikum und Polen würden auf einen NATO-Truppenaufmarsch an der rumänischen Grenze insistieren und auf knüppelharte Sanktionen. Rumänien würde rumlavieren, Deutschland sich Bedenkzeit ausbedingen, der französische Präsident würde zum Telefon greifen und mit Putin sprechen wollen, und Trump weiss gar nicht, wo Moldawien liegt.

Waldmeyer schob sich selbst noch eine Frage nach: Was würde wohl die Schweiz machen? Nun, die Schweiz würde neutral bleiben und hoffen, dass sie bei den Sanktionen nicht mitmachen muss, die der Westen vielleicht doch noch verhängen würde. Bundesrat Parmelin würde anmerken, dass wir zwar ein Freihandelsabkommen mit Moldawien haben, dass das Handelsvolumen allerdings kaum messbar sei.

Und nun zu Spitzbergen – auch ein taktisch sehr kluger Schritt:

Spitzbergen ist ja so etwas wie eine Kolonie Norwegens. Es leben nur gut 2‘500 Leute dort, Ausser Eisbären, etwas Rohstoffe und viel Alkohol in den wenigen Bars gibt es nichts. Aber Spitzbergen kommt, rein geografisch, eine nicht uninteressante Rolle zu. Laut dem Pariser Vertrag von 1920 muss Spitzbergen entmilitarisiert bleiben, gewährt jedoch verschiedenen Staaten, auch Russland, ein Recht auf wirtschaftliche Aktivitäten, so für Bergbau, Fischerei und Handel. Russland könnte das ausweiten. Und sich dann beklagen, dass die russischen „Einwohner“ in Spitzbergen diskriminiert werden. Ein paar Forschungsschiffe könnten 250 russische „Polizisten“ auf das karge Eiland schicken, um die „Ordnung wieder herzustellen“. Mittels Salami-Taktik würde der Einfluss monatlich verstärkt, am Schluss weht die russische Flagge in Longyearbyen, der ziemlich verloren wirkenden „Hauptstadt“ der Insel.

Leider ist Spitzbergen, obwohl dem NATO-Mitglied Norwegens zuzurechnen, militärisch kein NATO-Staat. Was dann passieren würde? Wohl auch nichts. Die Einverleibung Spitzbergens würde den Artikel 5, den Beistandspakt der NATO, nicht aktivieren. Trump würde sich ärgern: „Why didn’t we buy this f… Spitzenbergen before?“, oder so.

 Charlotte wurde nun langsam ungeduldig: „Und was passiert jetzt mit diesem Suwalki-Ding?“

Waldmeyer war besonders stolz auf diese Vision. Nur schon, weil sie die naheliegendste, einfachste und raffinierteste Variante wäre, um viel Zwist zu säen und grosse Unruhe zu stiften. Die Suwalki-Lücke trennt (bzw. verbindet) das russische Kaliningrad an der Ostsee von Belarus, also Weissrussland – heute de facto ein Protektorat Russlands. Eine ganz schmale, nur gut 60 Kilometer lange Lücke der Grenze entlang zwischen Litauen und Polen. Heute führen bereits Aufmarschautobahnen von Belarus aus bis zu dieser Lücke. Die vordergründig sinnlos erstellten Strassen enden irgendwo im Wald, kurz vor den Grenzen Polens und Litauens.

Wäre Waldmeyer also Putin, würde er hier einfach mal durchfahren, also von Weissrussland aus haarscharf dem Grenzverlauf zwischen Litauen und Polen folgen, bis ins russische Kaliningrad. Mit modernen Radpanzern dauert das eine gute Stunde. Bis dann hat die NATO nicht reagiert. Litauen hätte bereits protestiert, der Kreml aber zur Antwort gegeben, dass man die litauische Grenze nicht verletzt hätte. Eine analoge Erklärung würde Polen erhalten.

So läge eine vordergründig unklare weitere Provokation auf dem Tisch. Putin würde diese Aktion anschliessend in eine zwingende Forderung nach einer lebenswichtigen Versorgungsachse umwandeln, die man nun so bestehen lassen müsse. Schliesslich hätte man ihm die Handelswege zu seinem geliebten Kaliningrad „abgeschnitten“. Die Nato wäre perplex und würde Russland sicher nicht angreifen. Nur wegen dieser blöden Lücke…? Im UNO-Sicherheitsrat würden die Parteien zu fairen Verhandlungen aufrufen. Mark Rutte würde rumrudern, dann aber einen kühlen Kopf bewahren und die Suwalki-Lücke einfach opfern. Ein Landstreifen, nur 50 Meter breit, um den Zugang zu Kaliningrad zu gewährleisten? Das wäre einen grossen Konflikt nicht wert. Was also passieren würde: wirklich nichts.

Die Suwalki-Lücke wird der nächste Hotspot in Osteuropa sein, ist Waldmeyer überzeugt. Ein solch taktischer Schritt Putins, ein „Mut zur Lücke“ eigentlich, bzw. zum Füllen der Lücke, würde am meisten Sinn machen. Der Suwalki-Begriff ist damit auch nicht mehr mit einem Geheimnis verbunden, denn zu offensichtlich könnte ein solcher Suwalki-Plan sein. Der Begriff ist nur (noch) zu wenig bekannt. So ein Handstreich wäre provokativ, brächte aber sofort viel strategischen Nutzen. Und er würde, mit hoher Wahrscheinlichkeit, keine Menschenleben kosten oder irgendwelche Zerstörungen zur Folge haben – und somit kaum eine geharnischte NATO-Reaktion nach sich ziehen. Über Suwalki werden wir demnächst noch des Öfteren sprechen, ist Waldmeyer überzeugt. «Ich sage nur:  S-u-w-a-l-k-i ! Man wird sich den Begriff merken müssen»!

Charlotte wirkte plötzlich interessiert, denn sie schaute sehr nachdenklich. „Meinst du wirklich, Max…?“

«Vielleicht sollten wir uns diesen Landstrich mal näher ansehen, Charlotte? Im Sommer scheint es dort ganz pittoresk zu sein.»

Charlotte antwortete nicht, sie blickte konzentriert auf ihr Tablet. Waldmeyer schaute über ihre Schulter, überhaupt nicht von Neugierde getrieben. Charlotte suchte offenbar gerade etwas bei booking.com. Und da gefror Waldmeyer das Blut in den Adern: Charlotte tippte soeben «Suwalki» ein.

Waldmeyer und die Waldmeyer-Partei

Waldmeyer sieht sich immer mehr der Situation ausgeliefert, dass er gegen etwas ist. Er distanziert sich von allerlei Dingen. Und Personen. Und Ideen. Sein Umfeld könnte ihm nun vorwerfen, dass er nur kritisiert und die positiven Punkte nicht herausschält. Waldmeyer sucht nach einem Ausweg.

Waldmeyer war eigentlich schon immer gegen Trump. Oder gegen «Trömp», helvetisch formuliert, insbesondere aus etwas bildungsferneren helvetischen und hoffnungslos rechtsgerichteten Kreisen. Aber, offen gestanden, war Waldmeyer auch gegen Kamala Harris. Er ist auch gegen Putin, partiell gegen die Chinesen, gegen die Hamas, gegen die Jusos, gegen die Zürcher Stadtregierung und gegen den Klimawandel. Auch Inflation findet er nicht lustig, das Älterwerden ebenso wenig. Und selbstredend ist er auch gegen Hepatitis und gegen Krebs, beispielsweise. Also gegen vieles. Aber alles der Reihe nach.

Waldmeyer betrachtet Trump als einen geopolitischen Analphabeten, einen narzisstischen Selbstdarsteller, als einen notorischen Schwindler, als einen rücksichtslosen, letztlich aber nur mittelmässig begabten Geschäftsmann und als gefährlich. Allerdings muss er eingestehen, dass er den Kerl früher ab und an auch ganz witzig und unterhaltsam fand. Früher. Aber jetzt hat er rote Linien überschritten und destabilisiert die ganze Welt.

Kamala hat keinen blassen Schimmer von Ökonomie und verhaspelte sich im Wahlkampf in Randthemen wie Genderanliegen und Abtreibung. So richtig für Kamala konnte man damit tatsächlich nicht sein, als Wahlalternative zu Trump taugte sie nur bedingt. Nun, too late to cry.

Waldmeyer ist, bzw. war, also gegen beide. Und darum froh, nicht Amerikaner zu sein und abstimmen zu müssen. Er ist auch froh, nicht im Rustbelt zu leben, alles andere als eine mangelhafte Schulbildung erhalten zu haben, sich nicht von Junkfood ernähren zu müssen, nicht, wie 70% der Amis, übergewichtig zu sein, Zugang (in seiner Welt) zu einer ordentlichen Gesundheitsversorgung zu erhalten und so vermutlich nicht frühzeitig sterben zu müssen. Kurzum: also doch besser in Meisterschwanden zu leben und sich nur über lokale Unbill zu ärgern.

Aber wofür und für wen könnte man denn sein, wäre man Amerikaner? Damned difficult.

Jochen Rubinstein, ein deutscher Jugendfreund Waldmeyers (Steuerberater in Hamburg, Kordhose, randlose Brille, Pferdelederschuhe, intellektueller Habitus) meinte einmal, Waldmeyer sei ein «Nihilist» – er sei einfach gegen alle und alles und stelle auch das letzte Alles noch in Frage. Aber das war zu kurz gegriffen. Denn Waldmeyer, erklärtermassen ein grosser Kritiker der deutschen Regierung, wäre beispielsweise durchaus für etwas: also etwa für eine neue zukunftsgerichtete und funktionierende Führung in Deutschland, für mehr Selbstbewusstsein und ein Wiedererstarken des ganzen Landes. Vielleicht sogar für ein neues Volk in diesem Landstrich. Waldmeyer ist also, so sein Verteidigungskonzept, mitunter durchaus für Fürs. Er wäre auch, angesichts der neuen geopolitischen Verwerfungen, für ein erwachendes neues Europa. Wäre.

Aber zurück zu den Gegen: Natürlich ist Waldmeyer gegen gewisse Entwicklungen. So eben gegen die Hegemonieabsichten Chinas, Russlands und der USA. Aber auch, weil das geografisch so nahe liegt, gegen die Rückschritte in unserem nördlichen Nachbarland – weshalb auch immer dieser Disput mit Rubinstein auftritt. Ganz einfach, weil es ihn, Waldmeyer, über kurz oder lang auch selbst betreffen würde. Deutschland liegt verdammt nah. Von Meisterschwanden aus sind es, Luftlinie, nur gut 30 Kilometer. Schon seit geraumer Zeit mahnt er deshalb die «teutonische Kernschmelze» an.

Auch Frankreich bereitet Waldmeyer Sorgen: Die Staatsverschuldung des Landes läuft aus dem Ruder, die Leute streiken lieber, als dass sie arbeiten, und so weiter. Ist Waldmeyer also für oder gegen Frankreich? Wenn er an die frischen Austern denkt im Languedoc, ist er sicher für Frankreich. Auch für die Weine aus dem Bordeaux. Ja, man muss die Fürs halt herausschälen.

Die weltfremde Zürcher Regierung bietet Waldmeyer auch immer eine wunderbare Projektionsfläche. Auch die Jusos. Die Fürs, über alles, bleiben da halt in der Minderheit.

Waldmeyers Nachbar Freddy Honegger (mit seiner Bettina) ist auch gegen vieles: gegen 5G, gegen das Impfen, gegen Soros und gegen Bill Gates. Dafür für allerlei lustige Verschwörungstheorien. Honeggers haben also ein ganz anderes Setup. Es lässt sich nicht vergleichen mit Waldmeyers Problem, denn Waldmeyer, so seine Empfindung, widmet sich mehr dem Big Picture, er überwacht eher die wichtigen Sachen in der Welt und beurteilt sie, wenn auch mit seiner ihm eigenen subjektiven Objektivität.

Waldmeyer ist, wie bereits erwähnt, auch gegen Putin. Wie fast alle normal denkenden Menschen. Ausser zum Beispiel Roger Köppel von der Weltwoche.

Waldmeyer ist ebenso gegen den Schulabgänger aus Gümligen und Köniz, also den etwas adipösen Kim in Nordkorea mit der lustigen Frisur und den zu weit geschnittenen Hosen. Waldmeyer ist ebenso gegen die Ayatollahs im Iran. Und so weiter. Da kann man fast nur dagegen sein. Auch gegen Meister Xi in China, trotz seines maskenhaften Lächelns und dem verkrampften Versuch, sich als Gutmensch darzustellen. In der Gegenposition verorten muss Waldmeyer leider auch die ehemalige Kinderärztin von der Leyen – dies aufgrund ihrer dünnen Kompetenz, ihres Machttriebes und der Wahl falscher Prioritäten. Im Gegenlager befindet sich selbstredend auch der ungarische Spaltpilz Orban. Ah, und Lukaschenko noch, der Chef des letzten kommunistischen Staates in Europa. Im Prinzip auch gegen Maduro, den ehemaligen Busfahrer (aktuell Präsident und Diktator in Venezuela) – wenn auch letzterer für uns in Europa einer gewissen Relevanz entbehrt.

Waldmeyer war doch etwas verzweifelt mit seiner Auslegeordnung. Es gibt offenbar nur viele «Gegen», Brandherde und Probleme. Wie sollte man dergestalt, angesichts dieser schwierigen Ausgangslage, denn gegen diese Gegen sein? Dass Lara, seine Tochter, im x-ten Semester Ethnologie studiert, ist auch kein Highlight, da ist er ebenso klar dagegen, darf es aber leider so nicht formulieren.

Also versuchte sich Waldmeyer doch noch auf ein paar Fürs zu konzentrieren. Er wäre z.B. klar für den Ausbau der Autobahnen (es kann ja nicht sein, dass wir bei einer Vervielfachung des Verkehrs auf den gleichen Routen steckenbleiben). Er wäre auch für ein schlaues Abkommen mit der EU – aber zu seinen Bedingungen. Beim Klimawandel ist er sich nicht ganz sicher, denn die Erwärmung, so sie auch in der Schweiz stattfinden würde, müsste ja nicht nur unangenehm sein. Im Süden Englands wird jetzt bereits Schaumwein produziert, man muss also auch das Positive sehen.

Charlotte hatte plötzlich Erbarmen mit Waldmeyers lauten Gedanken, die er – wieder einmal – beim Dinner ausbreitete. Sie gönnte ihm ein weiteres Glas Terre Brune und meinte: «Du musst nun definitiv in die Politik einsteigen, Max. So geht es nicht weiter. «Change», weisst du. Andere nehmen sich vor, Kriege binnen 24 Stunden zu beenden. Da wirst du ja auch noch etwas hinkriegen.»

«Und wo beginne ich in dieser ganzen Scheisse, kannst du mir das sagen?»

«Nun, du gründest erst mal eine neue Partei. Vielleicht die Waldmeyer-Partei? Zumindest hast du schon ein erstes Mitglied.»

Waldmeyer und das Geheimnis der Seltenen Erden

Den Frieden in der Ukraine konnte Trump zwar nicht binnen 24 Stunden, wie versprochen, herstellen. Es mag nun etwas länger dauern, bis die Kuh vom Eis ist, und der Deal wird ausserdem ganz anders aussehen, als dies Europa geplant hatte. Vielleicht träumt Trump, in seiner kognitiven Wahrnehmung, bereits vom Friedensnobelpreis. Der Hintergrund des Deals, so wird immer klarer, ist allerdings kein militärischer, schon gar nicht ein humanistischer. Es ist ein ganz anderer, es ist ein simples Geschäftsmodell. Waldmeyer hinterleuchtet.

Wir ahnten es schon: Der Ukraine-Friedensdeal der USA ist de facto ein banaler Handelsdeal! Trump möchte sich wertvolle Rohstoffe und die Seltenen Erden der Ukraine krallen. Es geht indessen nur vordergründig um die Ukraine, es geht um Geschäfte mit Russland. Aber alles der Reihe nach.

Die ganze Welt hat ein Problem mit diesen begehrten Metallen und Seltenen Erden – weil sie eben selten sind. Aber sie sind matchentscheidend, um Hochtechnologie-Güter herzustellen. Es geht dabei nicht nur um Silizium oder Lithium, Halbmetalle und Metalle, zwar begehrt, aber nicht so selten. Seltene Erden kennen wir namentlich kaum, weil sie, nicht überraschend, so selten sind, sie heissen beispielsweise Erbium oder Yttrium, Cer oder Terbium.

Waldmeyer verbrachte letzten Sonntagmorgen zusammen mit seinem besten neuen Freund, der KI. Er machte sich, zusammen mit ChatGPT, schlau betreffend diese Seltenen Erden. Er schaute gleichzeitig aus seinem Bürofenster in Meisterschwanden und blickte auf die Wiesen, die sein bescheidenes Anwesen vom Hallwilersee trennen. Unter den satten, grünen Wiesen steckt auch Erde, aber wohl nicht seltene, denn sonst würde der Hablützel Ruedi hier mit Sicherheit graben und nicht die Kühe weiden lassen, überlegte Waldmeyer. Waldmeyer weiss, dass ein paar dieser raren Erden in Elektroautos verbaut werden. «Zum Glück haben wir nie so einen blöden Tesla gekauft, sonst wären wir auch von diesen Seltenen Erden abhängig!», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

«Du bist so oder so abhängig, lieber Max», erwiderte Charlotte, «in deinem iPhone steckt Europium, in den LED-Lampen Terbium, im Katalysator deines Autos (Anm. der Red.: Porsche Cayenne, schwarz, innen auch) wurde Cer verbaut und in der Überwachungskamera Lanthan!» Waldmeyer war erst verblüfft, dann aber beruhigt, als er entdeckte, dass Charlotte sich inzwischen auch bei Chat auf ihrem Tablet eingeloggt hatte.

Waldmeyer erkannte, dass Seltene Erden tatsächlich unverzichtbar sind für moderne Technologien – für viele Elektro- und Elektronikgeräte, über Fahrzeug- und Medizinaltechnik, Windräder, Glasfaserprodukte, bis hin zur Raumfahrt.

Die Krux liegt nun darin, dass fast die Hälfte des Weltvorkommens dieser kostbaren Metalle in China liegen. Und nicht genug, China möchte die absolute Kontrolle darüber erlangen. Die 2013 gestartete Belt and Road Initiative war natürlich kein humanitäres Projekt. Es ging einerseits darum, sich weltweit Abbaustätten zu sichern, andererseits auch, um die Transportwege, raffiniert getarnt als «neue Seidenstrasse», dafür zu gewährleisten. Nicht vergeblich investiert China in ganz Asien, Afrika und Südamerika in allerlei Projekte, handelt Knebelverträge aus und sichert sich so seine industrielle Beschaffung.

Die Seltenen Erden sind das neue Gold: Sie sind ungemein wertvoll und man kommt um sie einfach nicht mehr herum. Wer sie hat, ist in der Lage, technologisch anspruchsvolle Güter zu produzieren. Wer sie nicht hat, muss Käse oder Uhren oder Pillen herstellen und exportieren, wie die Schweiz. Und ist dann darauf angewiesen, die Seltenen Erden teuer irgendwo einzukaufen. Noch eleganter ist es, wenn man gleich die fertigen Produkte kauft, teuer allerdings, in denen diese ominösen Erden stecken – dann ist es vielleicht einerlei, wer sie wo reingetan hat.

Leider liegen die Seltenen Erden nur an wenigen Orten in Europa und in den USA. Schon interessanter ist da Kanada, dort gibt es attraktive Vorkommen. Kein Wunder also, würde die neue US-Administration Kanada gerne als 51. Staat aufnehmen. Man muss ja nur auf die Landkarte schauen, denn da stimmt etwas nicht. Alaska, ganz oben links auf dem Kontinent, ist durch dieses störende riesige Gebiet, angeschrieben mit «Kanada», von den anderen US-Staaten abgetrennt, zum Teil mit einer willkürlich gezogenen, ganz geraden Staatsgrenze.

    Dass unter der dicken grönländischen Eisdecke unter anderem Neodym, Praseodym oder Dysprosium liegen – wichtige Stoffe für die Herstellung von Hightech-Magneten und Elektroautos – ist ebenso interessant. Keine Überraschung also, ist Donald der Auserwählte scharf auf diese Super-Metalle und die ganze Insel (welche praktischerweise eh schon auf der amerikanischen Kontinentalplatte liegt).

In diesem Kontext begreifen wir nun auch diesen schelmischen Ukraine-Deal besser, welcher u.a. Sicherheit gegen die Abtretung von 50% der Vorkommen diverser Rohstoffe und Seltener Erden an die USA vorsieht: Wenn schon der Kanada-Deal und auch der Grönland-Deal nicht in trockenen Tüchern sind, macht es durchaus Sinn, es in der Ukraine zu versuchen. Da schlummern zum Beispiel bemerkenswerte Vorräte an Neodym, wie erwähnt ein unverzichtbarer Stoff für die Herstellung in der Elektronik.

Trump und seine Oligarchenfreunde sind dabei nicht nur die Details eines «Friedensdeals» oder die Hegemoniebestrebungen Russlands egal. Ihnen ist auch egal, mit einem Paria-Staat wieder zu kooperieren. Wenn die NATO zerfällt, ist das auch egal, die war immer defizitär in ihren Augen, und wenn der Westen zusehends auseinanderbricht, ist das ebenso einerlei.

Egal ist auch, wenn sich Russland, nach einem Friedensschluss mit der Ukraine, nicht so genau an einen Friedensplan halten wird. Gleichzeitig werden die Störmanöver in vielen ehemaligen und heute freien Ostblockländer vermutlich fortgesetzt: In Georgien beispielsweise. Oder in der Moldau, mit der Beeinflussung der freien Wahlen. In Rumänien versuchte man, einen russlandfreundlichen Oligarchen mittels Trolls, Fakenews und viel Geld als neuen Präsidenten zu installieren. In Bulgarien wird gedreckelt, auch in den serbischen Provinzen von Bosnien-Herzegowina. Serbien selbst erhält direkte Unterstützung, Marine Le Pen früher mit Sicherheit. Die AfD und die FPÖ unterhalten rege freundschaftliche Kontakte mit Russland, Ungarn und die Slowakei eh. Die hybride und verdeckte Kriegsführung Russlands gegenüber europäischen Staaten ist eine weitere Tatsache: Unterseekabel werden gekappt, Drohnen in den Westen geschickt, gar klandestine Anschläge verübt. Der neuen US-Führung ist das alles egal, denn das findet weit weg statt und ist ein europäisches Problem. China ist die neue Bedrohung, der Kontrollverlust im pazifischen Raum ein viel wichtigeres Thema. Über dem Scheiterhaufen der jüngsten Geschichte wird, was die Ukraine betrifft, einmal ein Schild prangen mit dem Wort „Friede?“, allerdings mit einem grossen Fragezeigen.

Aber zurück zum möglichen Rohstoff-Pakt mit der Ukraine: Das wäre tatsächlich ein super Deal. Die Europäer müssten sich verpflichten, den Frieden in der Ukraine zu garantieren, und die USA würden sich der kostspieligen Unterstützung der Ukraine entledigen – im Gegenzug ungestört in der Lage sein, diese feinen Mineralien ausbuddeln zu können. Ja, so sehen lukrative Deals aus: Die Kosten müssen outgesourct, die Gewinne selbst eingestrichen werden. Trump ist ja nicht blöd, er ist ein gewiefter Geschäftsmann.

Jetzt kommt allerdings das dicke Ende: Die Ukraine ist nämlich nur die Spitze des vorteilhaften Deals. In Wahrheit geht es um viel, viel mehr, nämlich um den künftigen Handel der USA mit Russland. Die USA werden davon ausgehen, dass mit einem Friedensplan in der Ukraine diese lästigen Sanktionen gegenüber Russland vom Tisch sind. Putin, Kriegsverbrecher und bedeutendster Angriffsaggressor seit Hitlers Überfall auf Polen 1939, wird rehabilitiert werden. Der Kremlherr wird wohl auch nicht verpflichtet werden, Reparationszahlungen an die Ukraine abzudrücken. Das Land wird selbstredend nur von den Europäern wieder aufgebaut werden. Auch die Schweiz wird ihren Beitrag leisten, so könnte sie beispielsweise ein ordentliches Bankensystem aufbauen, eine Schaukäserei erstellen oder aufzeigen, wie man kantonale, komplizierte Verfassungen realisiert. Sie könnte auch einen Vorschlag für ein verkehrsfreies Kiew ausarbeiten und ausgediente Verkehrsradars liefern.

Aber aus Sicht der USA ist ein Wiederaufbau des versehrten Landes gar nicht nötig. Das bringt nämlich überhaupt nichts für die geplanten Bergbau-Aktivitäten. Die feinen Mineralien liegen ja nicht in den Städten, die hatte der Herrgott glücklicherweise eher etwas ausserhalb angesiedelt. Und «ausserhalb» ist ziemlich gross, rund 15-mal grösser als Helvetien.

Waldmeyer hatte sich die Mühe genommen, sich etwas in den von den USA ausgearbeiteten Rohstoffvertrag einzulesen, der Selensky zur Unterschrift vorgelegt wurde. Grosszügigerweise stand da auch noch etwas von Aufbauhilfe – allerdings nur für die Abbaugebiete der Rohstoffe…

Waldmeyer wandte sich nun wieder Russland zu. Da stimmt etwas nicht mit dem Handelsvolumen zwischen den USA und Russland. 2011 betrug dieses noch 43 Milliarden USD pro Jahr, heute nur noch gut 4 Milliarden. Zum Vergleich: Mit der Schweiz liegt es heute bei 70 Milliarden.

Schuld an dem kümmerlichen Handelsaustausch mit Russland sind vor allem die Sanktionen. Das wird jetzt neu als eine Verschwendung betrachtet, denn die USA könnten ihre grossen schönen Fahrzeuge und die Steaks liefern, im Gegenzug könnte Russland Rohstoffe verschicken. Russland verfügt über die zweitgrössten Reserven der Welt an Seltenen Erden. Über grosse Mengen an Yttrium beispielsweise oder Lanthan, beides unverzichtbare Metalle für die Produktion von Bildschirmen oder Elektromotoren.

Elon Musk wird wohl auch scharf sein auf Dysprosium und Praseodym: zwei Seltene Erden, die sowohl in ukrainischen als auch in russischen Böden schlummern und die in der Raumfahrtindustrie gebraucht werden. Elon wäre entzückt, er könnte sie für seine Raketenspiele verwenden.

Insgesamt könnte sich ein Handelsvolumen USA/Russland von 100 bis 200 Milliarden ergeben. Aber kein Deal ohne Ukraine-Frieden, erst müssen die Russland-Sanktionen weg – und zwar subito.

Ja, wir sollten uns ein Beispiel an den USA nehmen. Die denken strategisch, die tun was. Sie sind einfach geschäftstüchtig, da sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Bundesrat Parmelin, unser Wirtschaftsminister, sollte das US-Konzept einmal genauer studieren. Wir könnten wieder unsere schönen Uhren nach Moskau liefern, im Gegenzug erhalten wir dann ebenso schönes, silbern-funkelndes Yttrium. Waldmeyer kratzt sich am Kopf: Sollten wir wirklich so dazulernen?

Waldmeyer und die Psyche der Deutschen

Der wirtschaftliche Niedergang unserer Nachbarn ist ärgerlich, weil das auch auf Helvetien abfärbt. Und es werden allerlei dumme antikapitalistische Ideen importiert. Italien und Frankreich scheinen heute kaum mehr regierbar zu sein, und Deutschland, der bei weitem wichtigste Handelspartner der Schweiz, kommt aus dem Schlamassel nicht heraus. Max Waldmeyer sieht dafür tiefere Gründe und lässt sich von Rebecca Carpenter interviewen.

 

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, du hast schon mal den etwas plakativen Begriff der «teutonischen Kernschmelze» geprägt. Wir wollen der Sache nochmals etwas auf den Grund gehen. Welches Psychogramm müsste denn ein Bürger haben, um ein optimales Wirtschaftssubjekt darzustellen? Oder: Eignet sich der Deutsche überhaupt, um eine Volkswirtschaft vorwärtszubringen? Und: Auf der Welt gibt es ganz unterschiedliche Charaktere der Völker. Was sind denn die ausschlaggebenden Ausprägungen für einen wirtschaftlichen Erfolg?

 

Max Waldmeyer: Ja, die Unterschiede sind nur schon im kleinen Europa mit Händen zu greifen. Wenn wir, leicht überzeichnet, sehen, wie z.B. die Italiener sind: nämlich Chaoten, aber oft mit viel Improvisationskunst. Die Franzosen sind zwar arrogant, aber das muss sich wirtschaftlich nicht per se negativ bemerkbar machen. Die Griechen, so wird kolportiert, halten es mit der Ehrlichkeit nicht immer genau, was sich zwangsläufig nachteilig auswirkt. Die Engländer haben gar nie richtig arbeiten müssen, die hatten ihre Kolonien, ein geniales System von Outsourcing wurde da entwickelt. Die Spanier haben die Siesta erfunden, was sich allerdings immer wieder hemmend im Arbeitsverhalten manifestiert. Die Portugiesen dagegen waren dem rauen Atlantik ausgesetzt, die durften also nicht mediterran sein, sie mussten immer etwas mehr arbeiten, hatten am Ende ihrer Kolonialzeit allerdings alles verloren. Die Amerikaner, Kanadier und die Australier waren alles rührige Einwanderer aus Europa, die meisten aus dem Vereinigten Königreich und aus Irland. Da waren jedoch auch ein paar deportierte Pferdediebe dabei – aber zur Verschiffung gelangte schon mal eine arbeitssame Auslese. Die Chinesen sind unglaublich leistungsfähig und geldgetrieben, das hilft bei der Entwicklung. Die Japaner andererseits waren einfach gezwungen, clever zu sein, verfügten sie doch über keine Rohstoffe, sie gehören heute zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen – wenn sie auch ausgesprochen humorlos sind.

Das sagt man auch von den Deutschen.

Japaner sind nicht lustig. Deutsche aber auch nicht immer. Es fehlt oft an Humor. Im Süden Deutschlands ist noch etwas vorhanden, gegen Norden flacht es ab, insbesondere im deutschen Rustbelt (Anmerkung der Redaktion: im erweiterten Ruhrgebiet, in der Region mit Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln etc.). Im Norden dann blitzt so was wie ein bisschen englischer schwarzer Humor auf, die Hamburger z.B. weisen einen durchaus intelligenten Stil auf. Im Osten Deutschlands dann grassiert die absolute Humorlosigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Geschichte geschuldet ist, aber es ist so. Generell gilt: Deutsche sind anders. No grey area, only black and white. Da ist immer etwas Absolutes dabei, oft etwas Verstocktes. Das ist natürlich nicht sehr hilfreich für eine prosperierende Entwicklung einer offenen Volkswirtschaft.

Vielleicht liegt einfach alles im zufälligen Verlauf der Historie?

Manchmal lohnt sich tatsächlich ein Blick zurück in der Geschichte. Da gab es allerdings Hochkulturen, die sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Vor allem wirtschaftlich.

Von den Mayas und den Azteken sprechen wir heute überhaupt nicht mehr. Die hochentwickelten Perser, heute Iraner, steinigen ihre Frauen. Die Imperien der Griechen und der Römer sind versunken.

Aber es waren nicht nur Hochkulturen, die eine grosse wirtschaftliche Blüte erschufen. Frankreich beispielsweise war nie eine Hochkultur, auch wenn die Gallier ein Auslaufprodukt der Römer sind; sie kolonialisierten aber ziemlich erfolgreich die Welt und organisierten ihren Laden zuhause ganz leidlich. Die Briten ebenso, die haben es fast noch besser gemacht, sie profitieren noch heute von den Pfründen ihres Commonwealth, König Charles z.B. darf mit Vergnügen seine Untertanen in Australien besuchen.

Nun, jetzt bewegen wir uns langsam auf dünnem historisch-philosophischem Eis!

Auf jeden Fall: Die Deutschen waren nie Bürger einer Hochkultur. Aber da gab es bisweilen schon ein paar ganz erhellende Zeitabschnitte. Dieser Ludwig der II. zum Beispiel war ein lustiger Kerl. Oder was die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen hatten, war beachtlich – wenn auch aus der Not heraus und nur dank dem Marschallplan.

Es wird immer wieder die Theorie vertreten, dass ein Land möglichst wenig Rohstoffe haben sollte, um innovativ und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ja, ich sehe das, mit Einschränkungen, auch so. Die Schweiz beispielsweise hatte gar keine Wahl, sie musste sich mit Fleiss, Erfindergeist und Handel behelfen. Hätte sie es nicht getan, wäre sie heute immer noch ein bedauernswertes Volk aus Bauern und Söldnern. Das Land würde sich vielleicht, geografisch bedingt, als grosser Mittelempfänger in der EU wiederfinden. Die Deutschen übrigens hatten immer mehr Rohstoffe als wir, ein Grossteil der Bevölkerung wohnt ja heute noch auf einem riesigen Kohleberg, der fleissig abgebaut wird. Ein Teil des Landes arbeitet so noch im Primärsektor, auf der untersten Entwicklungsstufe der Makroökonomie. Und von den Russen bezogen sie während Jahren fast uneingeschränkt billiges Öl und Gas, als ob es ihnen gehören würde. Das ist der Fluch der Rohstoffe: Wenn die im Überfluss und günstig zu haben sind, tritt Lethargie ein. Man müsste den Ländern die Rohstoffe wegnehmen, dann würden sie sich vielleicht ordentlicher entwickeln. Vielleicht sollte man den Deutschen die Kohle wegnehmen.

 

Du sprichst den Fluch des Erdöls an: Gewisse Staaten auf der Welt sind damit stinkreich geworden, erlangten aber nie einen gesunden Status einer Volkswirtschaft.

So ist es: Nigeria oder Venezuela könnten auf der Entwicklungsstufe der Emirate stehen, hätten sie die Pfründen der Erdöleinnahmen etwas anständiger verteilt. Die Rohstoffe verhindern in der Regel immer echte Wertschöpfung. Hätte die Schweiz Erdöl gehabt, gäbe es vielleicht das Schweizer Taschenmesser gar nicht. Die Russen übrigens haben noch nie was Gescheites produziert, sie exportieren nur Erdöl, Erdgas, Waffen und Trolls. Nicht mal Wodka, darin sind die Schweden gut.

Jetzt schweifen wir aber etwas ab. Also zurück zu Deutschland und zur Psyche des Bürgers: Ist diese nun gut oder schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich denke, diese Analyse ist schon wichtig. Weniger die Frage, ob Humor mehr Wirtschaftsleistung produziert. Wir müssen indessen irgendwie begreifen, wie sich der Deutsche in der Welt und im Markt, im Wettbewerb bewegt. Dann verstehen wir die Resultate. Die Psyche der Unternehmer und der Arbeitnehmer spielt da schon eine Rolle. Es mag heute vielleicht zwei erfolgreiche Ausprägungen einer volkswirtschaftlichen Entwicklung geben, die auf der Psyche der Gesellschaft basiert: die offene, innovative Haltung – so in den USA, ausgeprägt beispielsweise in Kalifornien – und die disziplin- und geldgetriebene Psyche der asiatischen Länder. Deutschland hat nichts von beidem. Früher wurden diese Mankos durch eine arbeitssame Haltung kompensiert. Wie wir wissen, ist das vorbei, denn jeder bastelt heute nur noch an seiner Work-Life-Balance rum. Da kommt dann, makroökonomisch gesehen, nicht mehr viel raus.

 

Natürlich ist es offensichtlich, dass eine Volkswirtschaft leidet, wenn nur noch auf Zuruf gearbeitet wird. Nine-to-five sozusagen. Am Freitag to-twelve.

Für einen Teil der Industrie mögen nicht zu profund denkende Heerscharen von Arbeitenden vielleicht hilfreich sein. Das war aber eher früher ein günstiger Umstand, zu Beginn der Industrialisierung, da war etwas Kadavergehorsam ganz willkommen. Ein Gutteil der deutschen Bürger schätzt es auch heute noch, in einem grossen Räderwerk einer grossen Firma unterzugehen. Alles ist durchgetaktet, jeder weiss genau, was er zu tun hat, und Obrigkeitshörigkeit herrscht vor. Jeder führt aus. Die grossen Konzerne profitieren durchaus von dieser Denke, vor allem die Firmen, die weniger innovationslastig sind. Also die Mid-Tech-Industrie, die Chemie, die Pharmabranche. Da braucht es weniger kluge Nerds im Kapuzenpullover, die geniale Inputs einbringen.

Du willst doch nicht sagen, dass das Outfit der Arbeitnehmenden einen Einfluss auf die Volkswirtschaft hat?

Doch, indirekt schon! In den klassischen deutschen Konzernen springt das vorab männlich dominierte Management immer noch im Dreiteiler rum, mit Krawatte, mit akkurat gebundenem doppelten Windsor-Knoten. Also nichts von Rollkragenpullover und Sneakers. Das mögen Äusserlichkeiten sein, aber es sind eben die Insignien des Stillstandes. Da wird auf Distanz gemacht.

In Kalifornien begrüsst man sich mit «how you’re doing», das Gegenüber antwortet dann auch mit «how you’re doing». Vielleicht lässt man in den Korridoren der Firma auch nur ein «Hi» fallen. In Deutschland ist das anders: «Guten Tag, wie geht’s Ihnen». «Danke, gut, und Ihnen?» «Nichts zu beklagen, danke». Das wäre ungefähr die Minimalkonversation, welche indessen bereits ein paar wertvolle Sekunden Arbeitszeit verbraucht hat, nur Distanz zementiert und sicher keine Basis für ein innovatives Brainstorming ist. Und dann kommt noch etwas hinzu, z.B. in Kalifornien: Man würde dann auf dem Korridor, am Freitagmorgen, gleich noch etwas Positives mitteilen: «I‘ll try to finish the profile for this project M4 till tonight!” “Great.”

Und wie würde eine solche Konversation denn in Deutschland ablaufen?

Nun, zum Beispiel so: “Ich mach dann mittags mal Schluss, ich fahr noch südwärts». «Toll. Ich hol die Kleine von der Schule, dann geht’s ab in den Streichelzoo.»

Also: Es geht um die unterschiedliche Haltung, die Bereitschaft, eine Extra Mile zu leisten. Nicht alles ist perfekt in anderen Ländern, beileibe nicht, es gibt auch viel Misere. Aber die Deutschen sind definitiv in der Wohlstandfalle angekommen – obwohl der Wohlstand dort ja gar nicht flächendeckend verbreitet ist.

Hat das deutsche Modell also ausgedient?

Im Moment ja, ganz klar. Aber das urdeutsche Modell, so wie es nach dem Krieg bis anfangs der 70er Jahre bestanden hatte, hätte überhaupt nicht ausgedient. Es wurde jedoch komplett verwässert, denn der allmächtige Staat kam, der allen die Verantwortung klaute. Im Gegenzug hat er eine verblüffende Regeldichte erstellt.

Zum Glück hatte Deutschland die Chance, über eine sehr starke Grossindustrie zu verfügen. Diese Räderwerke konnten immer viel Umsatz abspulen. Sie wurden vom Staat die ganze Zeit stark unterstützt, politisch, mit wirtschaftlichen Hilfen, Steuererleichterungen etc. Währenddessen verbluteten allerdings die KMU. Das Resultat sieht man heute: Es gibt nach wie vor ein paar sehr erfolgreiche Grosskonzerne, auch im Dienstleistungsbereich, währenddessen die kleineren Firmen verkümmern. Ich glaube, wenn ich etwas nicht sein wollte, dann wäre es ein mittelständiger Unternehmer in Deutschland. Vielleicht wäre ich deshalb eher Chef eines Grosskonzerns – dann müsste ich mich allerdings mit den Gewerkschaften, einer verqueren Politik und Bürgern rumschlagen, die ganz anderes als Arbeiten im Kopf haben.

Mit dem Regierungswechsel soll nun ja alles anders werden.

Ich bin ebenso froh, nicht Teil dieser neuen Regierung zu sein. Denn die hat ein grosses Problem: Sie kann ja das Volk nicht auswechseln.

Nun, Du wirst kein mittelständisches Unternehmen führen müssen, auch keine Regierung. Zu solchen Strafen werden wir dich nicht verdonnern, Max! Herzlichen Dank für die erhellenden Einblicke in deine Analysen!

Waldmeyer und Trumps Attacke auf die Schweiz

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Attacke ist noch nicht da. Aber Waldmeyer ist überzeugt, dass diese zeitnah kommen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Schweiz hat ein grosses, latentes und noch wenig bewirtschaftetes Problem. Irgendjemand wird es Trump flüstern, und dann wird sich unsere Regierung warm anziehen müssen.

Trump wird sich zu Beginn seiner Regentschaft nun vieles vorknöpfen – schliesslich muss er doch einige Versprechen einlösen. Dass er – wie versprochen – gleich den Benzinpreis halbieren und die Lebensmittelpreise senken wird, ist natürlich eine alberne Vorstellung. Vorab wird er sich erst einmal an seinen Widersachern im Wahlkampf rächen. Und dann wird er zahlreiche Dekrete unterschreiben.

Waldmeyer weiss, dass das Dekrete-Unterschreiben eine Lieblingsbeschäftigung des «Chosen One», also des Auserwählten, ist. Der Präsident tut dies mit Inbrunst, am liebsten im Scheinwerferlicht und mit seinen berühmten grossen schwarzen Filzstiften. Die Unterschriften sind ebenso gross und weisen zugegebenermassen eine gewisse Grandezza auf. Was Trump unterschreibt, ist ihm im Detail nie so ganz klar. Aber er tut es. Waldmeyer erinnern diese Episoden an Nachrichten-Schauen aus vergangenen Zeiten, auch aus Entwicklungsländern: Dort sieht man jeweils, wie wichtige Staatsdiener regieren, sie laden ebenso wichtige Gäste ein, halten Hof oder steigen aus fetten schwarzen Limousinen aus. Alles wird von pathetischer und triumphaler Musik begleitet. Und ja: Sie unterschreiben dann diese wichtigen Dekrete.

So viel zur starken Aussenwirkung, optimales Regieren vorausgesetzt. Trump versteht es. Und immerhin tut er was – das muss Waldmeyer anerkennend würdigen.

Aber nun zu den wichtigen Regierungsgeschäften. Der neu-alte Präsident ist diesmal besser vorbereitet. Sein Plan steht. Es ist die «Agenda 47». Diese sieht vor, dass dem amerikanischen Volk künftig einiges an Last abgenommen wird. Denn der Chosen One wird viel mehr entscheiden können. Die Institutionen, Gesetze und Dekrete werden so zurechtgebogen, dass Donald Trump weitgehend frei walten und schalten kann.

Es gibt viel zu tun: Immigranten rauswerfen, Zölle erhöhen, Golf spielen, Ministerien abbauen, bei Putin den Gang einlegen, das Oval Office neu dekorieren und vieles mehr.

Seine Berater – und diesmal hat er sie bewusster ausgewählt – flüstern ihm laufend neue Sachen ein. Waldmeyer meint dabei nicht nur den Chef-Berater Elon Musk. Dieser konzentriert sich eher auf einen «Haircut» im Beamtendschungel, was, zumindest partiell, sich wohl tatsächlich wohltuend auf das horrende Budgetdefizit der grössten Volkswirtschaft der Welt auswirken wird. Musk allerdings, so ist Waldmeyer überzeugt, hat nur eine begrenzte Halbwertszeit, denn die beiden Alphatiere Trump und Musk werden sich in absehbarer Zeit bestimmt noch in die Haare geraten.

Waldmeyer meint, dass die anderen Berater ebenso wichtig sind. Zum Beispiel die von Trump ernannten Männer fürs Grobe, die sich um den Welthandel mit den USA kümmern müssen. Im Vordergrund steht China, denn da verzeichnen die USA ein Handelsdefizit von jährlich 280 Milliarden USD.

Aber die Berater werden Trump noch weitere Dinge einflüstern: So die zu hohen Handelsdefizite mit weiteren Ländern. Dabei geht es, beispielsweise, nicht um die EU, welche Trump auch schon mal, es mag einiges früher gewesen sein, gelobt hatte («Brussels is a nice country»). Es geht um einzelne Länder. Man wird Trump also vorrechnen, dass allein Deutschland einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA von 63 Mia aufweist: Da werden zwar Waren im Wert von 158 Mia aus Deutschland eingeführt, aber viel weniger ausgeführt (95 Mia). Das ist ungerecht, in den Augen Trumps. Die Deutschen sollten also mehr US-Waren kaufen. Aber, um Gottes Willen, was denn? Ketchup, amerikanische Pickups, iPhones? Waldmeyer erinnert sich, dass er vor Jahren auch mal Wein aus dem Nappa Valley bezog. Seine alten 501-Jeans sind US-Style – aber sie kommen direkt aus Indien. Also, was, for God’s sake, sollten die Deutschen denn noch kaufen von den USA? Nun, vielleicht Dienstleistungen! Deutsche könnten mehr Urlaub machen in den USA, das trägt auch zur Verbesserung des Handelsbilanzdefizits bei. Aber eben nicht viel. Trump ist es zudem egal, wie im Detail das Handelsbilanzdefizit (aus US-Sicht) runtergebracht, bzw. der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber den USA verringert wird. 63 Milliarden sind eine Menge Geld. Das sind 750 USD pro Kopf der deutschen Bevölkerung, alle türkischen und syrischen Einwanderer eingerechnet.

Aber nun zum tatsächlichen Fiasko: Ein weiterer Einflüsterer wird Trump nämlich erklären, dass das grösste von allen Handelsdefiziten von der Schweiz ausgeht!

“Why do we have a problem with Sweden”, wird Trump antworten. Aber man wird ihm die Unterschiede zwischen Sweden, Swasiland und Switzerland anschliessend genau erklären. Und dann die Zahlen nennen. Da werden nämlich Waren im Wert von 48 Mia von der Schweiz importiert, das kleine Land kauft aber US-Waren nur im Wert von 14 Mia. Tatsächlich beträgt der Handelsbilanzüberschuss, inklusive Dienstleistungen, der Schweiz gegenüber den USA rund 35 Mia USD. Das ist halb so viel wie der Überschuss Deutschlands. Aber pro Kopf ist dieser Saldo gigantisch, es sind fast 4’000 USD. Die Einflüsterer werden ihrem Chef noch unter die Nase binden, dass die Vergleichssumme bei den Chinesen nur 230 USD beträgt. Helvetien verzeichnet damit einen Weltrekord. «Mister President, these cheese eaters produce a deficit per capita which is 17 times higher than the Chinese one. Switzerland is the problem, not China!”

Was nun folgen wird, ist vorgezeichnet: Trump wird auf den Zug aufspringen. «Why the f… do they export to us, but they do not import?”

Dann wird der Druck aufgebaut. Die Medien-Maschine wird angeworfen, Restriktionen für Aktivitäten von Schweizer Firmen in den USA angedroht. Aussenminister Cassis wird ins Weisse Hause beordert und abgekanzelt. Guy Parmelin, notabene der Wirtschaftsminister und damit verantwortlich für diese ungebührlichen Exporte, wird sich die amerikanischen Zeitungsberichte gelegentlich ins Französische übersetzen lassen. Bundespräsidentin Keller-Suter wird, notabene in gutem Oxford-English, was leider eben nicht gut ankommt in den USA, die Sache bei der neuen US-Botschafterin zu glätten versuchen. Vergeblich, natürlich wird sie dort auf Granit beissen. Der Bundesrat wird diverse Task Forces ins Leben rufen und einen runden Tisch einberufen. Die SVP wird sich empören und mit Wirtschaftssanktionen drohen. Ex-Bundesrat Blocher wird einen strengen Visumszwang für US-Bürger vorschlagen und US-Studenten auffordern, doch zuhause – und nicht in der Schweiz – zu studieren. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello wird den Bundesrat zur sofortigen De-Eskalation aufrufen, und die Jungen Grünen werden uns alle daran erinnern, dass wir ein Null-Wachstum anstreben und so auch weniger exportieren sollten.

Die Amerikaner werden alle unsere internen Vorschläge jedoch gar nicht wahrnehmen. Die Schweizer Banken mit Ausrichtung Private Banking für amerikanische Kunden werden gewaltig unter Druck kommen. Trump wird zusätzlich eine Spitze gegen die Schweiz abschiessen, dass sie zu wenig für die Verteidigung ihres Landes beiträgt, das 2%-Minimum des BIP wird nie und nimmer erreicht, obwohl das die Vorgabe für alle NATO-Länder ist. Also könnte die Schweiz doch etwas mehr Armeegüter aus den USA ordern? Die Schweiz ist nicht in der NATO, aber wie sollte Trump das wissen…? Die Swiss könnte auch mehr Flugzeuge von Boing kaufen. Die verlieren zwar zuweilen die Türen und können die Fahrwerke nicht ausfahren oder glänzen durch andere Unzuverlässigkeiten. Aber es muss ja nicht immer ein Airbus sein. Das wäre zumindest ein Anfang. Auf jeden Fall wird The Chosen One seine Forderung präsentieren, den Handelsbilanzüberschuss abzubauen. Und zwar subito.

Der Polit-Tsunami, der über Helvetien hereinbrechen wird, wird zahlreiche Wirtschaftszweige erfassen. «The pills are the problem, Mister President», wird man Trump dann noch stecken. Und tatsächlich: Die Schweiz exportiert pro Jahr für fast 30 Milliarden Pharmaprodukte in die USA. Trumps Gesundheitsminister, der mehr als umstrittene Robert F. Kennedy jr., wird seinem Chef vorschlagen, dass diese Cheese Eaters die Preise um 50% senken sollten – das käme nämlich auch dem verkorksten US-Gesundheitswesen zugute. Kurzum, der Tsunami wird nicht eingedämmt werden, obwohl die Schweiz noch länger davon träumen wird, das Problem aussitzen zu können.

Waldmeyer weiss, was in diesen Fällen zu tun ist: Da man auf den Bundesrat, das Parlament oder die Wirtschaft im Allgemeinen nicht zählen kann, muss man eben selbst entscheiden und in Eigenregie einen Beitrag leisten. Einen amerikanischen Pickup möchte Waldmeyer allerdings nicht kaufen – sein Nachbar Freddy Honegger würde zu viele Fragen stellen. Vielleicht sollte man einfach im Kleinen beginnen?

«Wieviel Ketchup haben wir noch im Kühlschrank, Charlotte», fragte Waldmeyer, «vielleicht sollten wir etwas aufstocken?»

«Wenn du das Handelsbilanzdefizit mit den USA ansprichst, lieber Max: Dann sollten wir im Herbst besser Urlaub in den USA machen und deine Wein-Reise in die Toscana streichen.  Das ist effizienter, damit bringen wir die Zahlen rascher runter!»

Waldmeyers Protest war vergeblich. Auch sein Vorschlag, alternativ zwei neue iPhones zu kaufen, zerpflückte Charlotte in Nu, da diese vorab in China gefertigt werden. «Es sind die Pillen, Max, wir müssen wohl dort ansetzen. Steck das doch mal dem Parmelin!»

Waldmeyer und das neue Wohnrecht

Die Bundesverfassung garantiert jedem Bürger eine adäquate Bleibe. Aber eine Verfassung muss sich immer weiterentwickeln und den neuen Ansprüchen gerecht werden. Waldmeyer weiss, wie die Wohnwelt in der Zukunft aussehen wird!

Den Ökonomieverweigerern sei Dank

Die Wohnmisere ist schon seit Jahren mit Händen zu greifen: Es gibt zu wenig Wohnraum, und er wird immer teurer. An sich ein normaler Vorgang, denn wenn es von einer Sache zu wenig gibt, wird sie immer teurer. SP- und Grünen-Politiker hätten das inzwischen schon selbst merken müssen, zum Beispiel, wenn sie im Sommer einen Campingplatz buchen. Da wird plötzlich alles teurer, wenn zu wenig auf dem Markt ist. Was die Protagonisten unserer politischen Gesellschaft auf ihrem Bildungsweg oder im realen Leben verpasst haben, holt sie dann plötzlich ein: Angebot und Nachfrage stimmen nicht mehr überein, und der Preis gleicht das aus. Das ist ein ganz banales ökonomisches Prinzip. Man kann dagegen sein – aber es nützt nichts, es ist ein Kampf gegen die Windmühlen.

Zu allem holt einen das volkswirtschaftliche Ungleichgewicht bereits auf der Fahrt in den Süden schon am Gotthard ein, wenn die Autokolonnen immer länger werden. Vielleicht reisen die Ökonomieverweigerer natürlich mit der Bahn, dann merken sie nicht, wie der zur Verfügung stehende Platz an Strassenfläche der Nachfrage nicht mehr gerecht wird. Aber eventuell hilft die überfüllte Bahn dann, als einfaches edukatives Mittel, zur Erklärung der Ökonomie?

Die grosse, dumme Bauverhinderung

Aber zurück zum Schweizer Wohnangebot. Waldmeyer stellte fest, dass das Bauen an sich immer teurer wird, nur schon aufgrund der Vorschriften. Es fehlt auch an Einzonungen. Zwar liegen ganze Industrie- und Gewerbeflächen brach, und es gibt ein Überangebot an alten Büroflächen. Umnutzungen benötigen indessen, gefühlt, mindestens eine Generation bis sie greifen. Komplizierte und langwierige Baubewilligungen tun dann noch das Ihre für jahrelange Verzögerungen. Und unsere direkte Demokratie, an sich eine nette Errungenschaft, ermöglicht auch die unmöglichsten Einsprachen – zumal das Einspracherecht seit einiger Zeit auch noch allerlei Vereinen und Organisationen zur Verfügung steht.

Gleichzeitig wächst unsere Bevölkerung, und der Anspruch an grössere Wohnflächen steigt. In der Summe stimmen Angebot und Nachfrage nicht mehr überein. Es wird auch in Jahren noch nicht übereinstimmen, denn so schnell wie die Nachfrage steigt, kann gar nicht gebaut werden. Ein Jammer. Aber der Preis gleicht glücklicherweise aus, die verfügbare Menge wird einfach teurer. Erste Lektion in der Wirtschaftslehre.

Besser in den Jura?

Wieder einmal wagte Waldmeyer einen vorsichtigen Blick in die Zukunft. Auch künftig wird es jungen Leuten schlichtweg verwehrt sein, Wohneigentum zu erwerben. Auch 10-jähriges Sparen hilft da nicht weiter. Die Banker werden nur ein müdes Lächeln übrig haben für die jungen Paare, die sich mit 200’000 Franken angespartem Eigenkapital ein Haus leisten wollen. «Da müssen Sie wohl in den Jura ziehen», könnte auch in Jahren noch eine ihrer Antworten lauten.

Wie die Politik das in der Zukunft also zu gestalten gedenkt? Mit vereinfachten Baubewilligungen, vernünftigeren Bauvorschriften, gescheiten Einzonungen? Nun, es werden leider wohl andere, politischere Lösungen angestrebt werden.

Waldmeyers Blick in die Zukunft

Waldmeyer liess seinen Zeitstrahl in die Zukunft gleiten und blickte von dort zurück: Den Beginn machten die grossen Städte im Land. Ab 2025 plafonierten sie nämlich die Mieten, bauten viele Sozialwohnungen und verhinderten erfolgreich das private Bauen. Zürich bewirkte einen Dammbruch, schon 2024, als die Regierung dort bestimmte, dass nun auch Bessersituierte eine vom Staat mitfinanzierte Bleibe beziehen dürfen. Offenbar liessen sich die vielen staatseigenen vergünstigten Sozialwohnungen nicht mehr mit mittellosen Bürgern füllen. Auch gab es, beispielsweise auch in Zürich, zu wenig Stadträte der SP und der Grünen, die in einer stadteigenen Wohnung leben durften (über die Hälfte belegte bereits 2024 eine solche schöne subventionierte Bleibe).

Das neue Wohnmodell basierte offenbar auf der klugen Erkenntnis, dass es eigentlich gar keine Bedürftigen mehr gibt. De facto beginnt die neue Nahrungskette ab Stufe gehobener Mittelstand. Darunter gibt es nur Asylanten und Randständige, welche ihr Schicksal selbst gewählt haben.

Der Durchbruch: die AirWohn&Wohn App

Waldmeyers Blick in die Zukunft sah nun so aus: Den Menschen, die künftig kaum mehr bedürftig sein werden, wird es immer noch an Wohnraum fehlen – und dafür war nun der Staat zuständig.

Inzwischen, so die Vision Waldmeyers, wurden auf privater Basis konsequenterweise kaum mehr neue Bauten erstellt, da sich die meisten Investoren zurückgezogen hatten. Das war indessen egal, denn der Staat betrieb nun neu eine AirWohn&Wohn App, welche alle Single-Bürger und kleinere Familien zu sinnvollen Clustern zusammenführt, die sich eine Wohnung teilen können.

Waldmeyer blickte von seiner Terrassenliege in Meisterschwanden auf den See runter. Ja, er selber durfte ganz angenehm wohnen. Frau Rodrigues hantierte mit dem Staubsauger lautstark im Wohnzimmer; Waldmeyer liess sich indessen nicht stören, da er wusste, dass es der neue Dyson war. Charlotte neben ihm studierte Reiseländer, in die sie nie fahren würden. Das Wohnproblem betraf also nicht ihn. Umso interessanter ist es, über Probleme der anderen nachzudenken. Die Wohnzukunft wird folglich so aussehen, so malte sich das Waldmeyer weiter aus, dass endlich keine Wohnungsnot mehr herrschen sollte, und alle werden glückliche Wohnungspartner gefunden haben.

Die neue Chefin des Departementes des Innern, Fatima Ramadani, löst das Problem

Unsere Wohnbauministerin, Elisabeth Baume-Schneider, hatte sich nach acht ereignislosen Jahren wieder in den Jura verkrochen und ihre Nachfolgerin, die nonbinäre Fatima Ramadani, hatte die Zügel fest in die Hand genommen. Ihr Cousin hatte in ihrem Auftrag diese geniale AirWohn&Wohn-App mit einem Stab Kosovofreunden aus dem Homeoffice entwickelt. Die clevere App wird sogar eine soziale Garantie abgeben, dass die Wohngemeinschaft funktioniert, sie ist KI-gesteuert und kann selbst die schwierigsten Psychogramme der Mieter zusammenführen. Sicherheitshalber werden ethnische Cluster gebildet, was auf der Hand liegt, denn Menschen mit einem serbischen Hintergrund, beispielsweise, kann man nicht mit Albanern kombinieren – das gibt nur Zoff. Schweizer mit Schweizer geht. Eritreer mit Äthiopier geht aber nicht. Die App ist so intelligent, dass sie auch kluge gastronomische Zusammensetzungen vorschlägt. So dürfen Muslime mit Juden problemlos unter einem Dach leben, da sie beide kein Schweinefleisch essen. In diesem Fall sieht die Wohneinheit jedoch zwei Kühlschränke vor, beschriftet mit «halal» und «koscher». Ja, die KI denkt an alles!

Bleibt Waldmeyer in Meisterschwanden?

Wenn’s nicht klappt mit dem Zusammenwohnen hat jeder Mieter maximal 12-mal pro Jahr Anrecht auf einen Wohnungswechsel. Umziehen wird eh einfach sein, denn sämtliche Möbel und das Kleininventar werden von der staatlichen Plattform zur Verfügung gestellt. So entfällt der lästige und wenig klimafreundliche Umzug. Vereinzelte Stimmen werden zu Beginn monieren, dass dieses neue Wohnmodell post-marxistische Züge trägt oder eine moderne Kibbuz-Interpretation sei. Aber weit gefehlt, denn es basiert auf Einsicht und Freiwilligkeit. Den meisten Bürgern wird es gefallen.

Max Waldmeyer freut sich auf die künftigen cleveren Lösungen im Wohnungsbau. Er selbst zieht es vor, in seiner Villa in Meisterschwanden zu bleiben und von dort aus die neue, lustige Wohnwelt zu beobachten. «Ich glaube, wir bleiben in Meisterschwanden. Ich begreife die Leute nicht, die nicht in ein Eigenheim ziehen wollen», meinte er zu Charlotte.

Charlotte antwortet in der Regel nicht, wenn Max wenig Sozialverträgliches zum Besten gibt. Heute aber schon: „Du kannst ja hier bleiben, Max, ich buche für mich jetzt mal was auf dieser neuen App!“

Waldmeyer und warum Trump beabsichtigt «to buy Switzerland»

Waldmeyer hatte sich schon daran gewöhnt, dass Präsident Trump provokative Äusserungen zum Besten gibt. Seine Ideen sind manchmal auch ganz lustig – oder zumindest kreativ. Aber oft auch ziemlich ernst gemeint. Und diese Ideen könnten erst der Anfang sein. Waldmeyer schaut voraus.

Waldmeyer erinnert sich: Während Trumps erster Regentschaft ärgerte sich dieser über die teuren Unterstützungsgelder, welche Puerto Rico verschlang. Puerto Rico ist, wie wir wissen, de facto eine Kolonie der USA. Der Begriff «Kolonie» wird heute selbstredend nicht mehr verwendet, aber er definiert den Status der Insel, leicht östlich von Haiti und der Dominikanischen Republik gelegen, treffend. Das Eiland von ungefähr doppelter Grösse Graubündens und mit der Einwohnerzahl Berlins etwa wurde 2017 vom Hurrikan Maria heimgesucht und war anschliessend ziemlich versehrt und technisch bankrott. Schon früher stand es jedoch mit den Finanzen um den mit den USA halbwegs verbundenen Kleinstaat nicht zum Besten. Puerto Rico ist ein «non-incorporated territory» – und damit eben kein Bundesstaat, nur eine karibische, mehr oder weniger kaputte Aussenstation. Kein Wunder, fragte Trump 2017 deshalb seine Mitarbeiter, ob man dieses defizitäre und beschädigte Asset nicht «verkaufen» könnte. Schon 2012 hatten sich die Puerto-Ricaner bei einer Abstimmung für die Aufnahme eines vollwertigen 51. Bundesstaates ausgesprochen – was Donald Trump indessen überhaupt nicht kratzte. Donald «The Chosen One» betrachtet Länder nämlich so, wie er früher eine Immobilie oder Bauland betrachtet hatte, also als ein Aktivposten in der Bilanz eines Konglomerates.

Deshalb war Trumps Anschlussfrage, damals, auch stimmig, ob man denn nicht Grönland kaufen könnte. Und jetzt wieder. Diesmal mit der Nachricht, Grönland müsse zur USA kommen, weil dies im nationalen Interesse sei. Es geht vor allem um Handelsrouten und die Rohstoffe, da liesse sich doch etwas mehr machen aus dieser vernachlässigten Insel, ist Trump überzeugt. Dass nun auch Panama auf der Shoppingliste steht (oder zumindest das Gebiet rund um den Panama-Kanal) ist deshalb nur schlüssig. Schliesslich gilt es, diese wichtigen Handelswege besser abzusichern. Auch die Einladung an Kanada, der 51. Staat der USA zu werden, ist somit konsequent.

Das alles mag, zumindest vordergründig, ganz amüsant sein. Aber Waldmeyer findet das auch äusserst bedenklich, vor allem, dass Trump auch “militärische Aktionen nicht ausschliessen“ würde, um seine Ziele zu erreichen. In diesem Sinne, und nun die erschreckende Erkenntnis, nähert sich die Politsprache der USA derer Chinas an, welche Taiwan «zurückmöchte». Auch der Hintergrund und die Begründungen für alle diese Vorhaben weisen ähnliche Muster auf, weil Fakten verdreht oder legitime Ansprüche suggeriert werden. Pro memoria: Taiwan hatte vor dem Zweiten Weltkrieg gar nicht zu China gehört, sondern war Teil (oder eben auch eine «Kolonie») Japans. Aber das spielt keine Rolle. Wir müssen nun von den neuen Leadern der Welt lernen, dass Ansprüche immer berechtigter werden, je länger man sie äussert.

Auch Russlands Anspruch auf die Ukraine gründet faktisch auf keiner Legitimität. Trotzdem findet dieser Hegemonismus grossen Zuspruch, weltweit. Auch ein immer breiterer Teil der Bevölkerung und viele politische Parteien in Europa finden das durchaus in Ordnung.

Es kristallisiert sich also eine neue Politsprache raus. Hemmungen werden abgebaut, man darf fordern – und die Durchsetzung der Forderung scheint dann immer mehr zum Courant normal zu werden. Auch wenn der venezolanische Präsident eine Einverleibung seines Nachbarstaates Guyana fordert, lächelt die Welt nur etwas und nimmt es einfach zur Kenntnis.

Imperialismus ist also wieder salonfähig.

Es scheint, als ob man nun neu ziemlich offensichtlich in die Politik anderer Staaten eingreifen darf: Russland kauft Wählerstimmen in Georgien und Moldawien, das gleiche Land greift auch direkt in die Präsidentschaftswahlen Rumäniens ein. Elon Musk, globaler Adlat Trumps, nimmt offen Partei für die AfD in Deutschland, bewundert Orban, ermuntert die FPÖ oder möchte Grossbritannien von der Tyrannei seiner Regierung «befreien».

Ob wir da wohl vor einer Zäsur in der Geopolitik stehen? Waldmeyer stand vor seinem Kamin in Meisterschwanden, das Feuer loderte lustig, er schlürfte an einem Cognac und platzierte seine kosmopolitischen Überlegungen. Charlotte schaute immer tiefer in ihr dickes Buch rein («Slow Cooking in Peru»). Waldmeyer holte etwas aus und stellte sich vor, was die nächsten globalen Schritte sein könnten. Erstens wird die Regierung Trump von ihren Forderungen nicht abrücken (so beispielsweise in Sachen Grönland). Zweitens wird sich China ermuntert fühlen, Taiwan zu annektieren. Drittens wird Russland seine Fühler weiter ausstrecken (so z.B. nach Spitzbergen, mithin eine Kolonie Norwegens, aber von grossem Interesse für Russland). Und dann kommt der vierte Schritt: Trump wird vorschlagen, dass die Schweiz der 54. US-Staat werden soll.

„Wo würdest du lieber wohnen, Charlotte: in einer neuen umgebauten Schweiz nach Plänen der Jungen Grünen und der Jusos oder im 54. US-Staat?“ Charlotte antwortete nicht und Waldmeyer fuhr mit seinen Ausführungen fort: Der Anschluss der Schweiz an die USA entbehrt tatsächlich nicht einer gewissen Logik. Das für die Grösse der Schweiz gigantische Handelsbilanzdefizit der USA mit dem kleinen Land könnte so elegant getilgt werden, denn die Handelsströme wären dann nur noch US-interne Bewegungen. Die Schweiz gehört nicht zur EU, ja, sie hat nicht einmal einen gescheiten Vertrag mit diesem Club. Der Schweizer Franken stellt ein Risiko dar, denn in Krisenzeiten explodiert diese Währung jeweils, und das Land gelangt mit ihren Exporten in die Bredouille. Die Übernahme des USD würde also Sinn machen – eine globale Währung zu haben wäre wesentlich gescheiter als sich dem lahmen Euro zuzuwenden oder den viel zu volatilen CHF zu behalten. Die UBS wird ihren Hauptsitz eh nach New York verlegen. Da sie dann keine Konkurrenz mehr zu den amerikanischen Banken darstellt, kann sie ungestörter ihren Geschäften nachgehen. Und die wichtigen Aussenstationen der amerikanischen Techfirmen (wie Zürich für Google) gehörten dann direkt zur USA.

Es mag auch ein paar wenige Nachteile für die Schweiz geben. So müsste die Eidgenossenschaft die Stationierung von ein paar Langstrecken-Raketen im Jura dulden. Vielleicht würden sich auch unsere gastronomischen Gepflogenheiten leicht ändern. Andererseits würden vermutlich die Strassen in den Städten wieder renaturiert – also wieder natürliche Strassen werden, mit vier und nicht zwei Spuren, und diese wären wieder mit einem normalen Tempo befahrbar. Absurden Weltverbesserungs-Initiativen aus der grünen und linken Ecke würde der Stecker gezogen. Und so weiter. Die ungebührliche Immigration aus uns fremden Ländern würde vermutlich eingedämmt, und ein paar nette Ami-Familien würden in unsere Städte ziehen – in denen plötzlich wieder gebaut werden darf.

Alles also gar nicht so schlimm? Wenn Waldmeyer die momentane Zäsur in der Geopolitik betrachtet und die kleine Schweiz sich in Reduit-Gedanken suhlt und sich so ins Abseits manövriert, wäre doch ein Befreiungsschlag eine elegante Lösung. Besonders angesichts der aktuellen politischen Entwicklung Helvetiens und des von vielen Kreisen beabsichtigten «Umbaus der Gesellschaft» könnte der Anschluss der Schweiz an die USA tatsächlich eine valable Option darstellen, meint Max Waldmeyer.

«Warum eigentlich genau der 54. Staat…?», fragte Charlotte ihren Max und unterbrach seine nach wie vor stehend vorgebrachte Vision vor dem Kamin, immer noch mit einem Glas Cognac in der Hand. «Und du müsstest dann Bourbon trinken, den Cognac kannst du gleich vergessen.»

Waldmeyer antwortete verzögerungsfrei: «Der 51. Staat wird Kanada sein, Nummer 52 Panama. Beim Verkauf von Puerto Rico wird keine Nummer frei, weil es ja nie ein US-Staat war. Somit wird die 53 für Grönland reserviert sein. Folglich, der Logik entsprechend: Switzerland will be the 54nd U.S. state. Und: Die Amis kennen ein paar ausgezeichnete Bourbons, da mache ich mir keine Sorgen.»

Waldmeyer und das bizarre Trump Kabinett

Trump stellt nur loyale Personen ein. Alternativ Geldgeber. Oder gute Kommunikatoren, welche seine Ideen verkaufen können. Trump stellt sich als künftige Regierungsform vermutlich so etwas wie ein westliches Kalifat vor. Nicht umsonst hatte er seinen Wählern im Abstimmungskampf versprochen, dass sie nur noch einmal, ein letztes Mal also, zu wählen hätten. Waldmeyer durchleuchtet nun das neue Kabinett.

2025 tritt ein erfahrener Mann die Präsidentschaft des wichtigsten Landes der Welt an. Seit den 80er Jahren hat er schon rund 4000 Prozesse geführt, er hat sechs Bankrotte seiner Spielkasinos und Firmen hinter sich, und er ist ein verurteilter Straftäter. Als gewiefter Geschäftsmann war er bekannt dafür, dass er Schulden nur ungerne zurückzahlt. 70 verschiedene Banken mussten ihre Forderungen schon abschreiben. Viele weitere private und firmenbedingte Prozesse stehen noch an. Immerhin kann er auf die Erfahrung einer Präsidentschaft zurückblicken, während der er die Staatsschulden um gigantische Summen aufgebläht hatte: nämlich um fast acht Billionen USD – mehr als je ein anderer Präsident.

Und nun also nochmals Trump. Der Mann ist jedoch entscheidungsfreudig. Und selbst wenn er nicht alles versteht, so könnte er doch zumindest ein gutes, professionelles Kabinett um sich herumscharen.

16 Kabinettsmitglieder gilt es zu bestimmen, plus weitere Schlüsselpositionen. Die Ernennungen müssen sitzen, denn anschliessend muss ja gar nicht mehr gewählt werden. So sieht es Trumps Geheimplan «Project 47» vor, der allerdings gar nie geheim war. Der Plan sieht vor, die Kompetenzen neu zu bündeln – nicht überraschend beim Präsidenten. Die Ernennungen machen in diesem Lichte durchaus Sinn, weil so der «Auserwählte» (Eigenwerbung Trump, «the chosen one») definitiv übernehmen kann. Der Erfinder der «alternative facts» soll es richten.

Die Kabinetts-Liste und die Kommentare Waldmeyers dazu sind leider bereits sehr lange. Und die Auflistung befand sich bei Redaktionsschluss noch in Dauerbearbeitung. Bestimmt werden noch ein paar zusätzliche seltsame Ernennungen nachgereicht. Waldmeyer analysiert die Personalien des bisher definierten bizarren Kabinetts:

So stellte Waldmeyer fest, dass auch erfolgreiche Hedgefund-Manager und Investoren der Wall Street Schlüsselpositionen im neuen Kabinett ergattern können. Scott Bessent hatte 1992, so wie George Soros, ein Vermögen mit der Wette gegen das britische Pfund verdient. Heute ist er im Hauptberuf Milliardär. Aber er war auch ein hervorragender Fundraiser für Trump, er brachte Dutzende von Millionen für den Wahlkampf zusammen. Nun die Belohnung: Scott wird Finanzminister, eine durchaus prestigeträchtige Arbeitsstelle.

Dem neuen Präsidenten war es wichtig, die Gewerkschaften ruhigzustellen. Und weil die Arbeiter im Rustbelt Trump an der Wahlurne entscheidend geholfen hatten, gehört es sich schliesslich, die versprochene Halbierung der Lebensmittelpreise und die drastische Senkung des Benzinpreises wahr werden zu lassen. If you can’t beat them, join them. Also musste ein Vertreter der Phalanx der Arbeiter auch in die Regierung – so lassen sich Veränderungen eleganter realisieren. Trump hatte aber noch eine zusätzliche Verpflichtung: Er musste sich bei allen Latinos bedanken, die ihm auf den Leim gekrochen sind. Also galt es, eine Person zu finden, die beides verkörpert: nämlich gewerkschaftsfreundlich ist und aus der Latinoecke kommt. Raffiniert wäre natürlich, wenn diese Person zusätzlich eine Frau wäre. Trumps HR-Gehilfen wurden fündig und präsentierten die Kunstfigur Lori: arbeiterfreundlich, Latina, trumpergeben. Lori Chavez-DeRemer wird nun, zumindest auf unbestimmte Zeit, Arbeitsministerin werden.

Auch Afroamerikaner sollten integriert werden. Schön wäre es, einen professionellen Footballspieler zu finden, dazu noch superloyal. Und eben schwarz. Trumps HR-Team fand auch hier den richtigen Kandidaten: Scott Turner. Er ist leidlich schwarz, sieht ganz gut aus und hatte schon mal einen Job unter Trump im Weissen Haus. Da soll noch einer sagen, Minoritäten hätten keine Chance! Scott erhält den Posten als Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung.

Wenn man Politstrategin ist und eine Denkfabrik leitet, die wie Trump denkt, kann das sehr hilfreich sein. Und so geschah es auch: Brooke Rollins bekommt den Job als Landwirtschaftsministerin. Sie hatte mit Landwirtschaft bisher selbstredend nichts am Hut. Aber sie scheint loyal zu sein.

Auch jüdische Wähler und die israelische Diaspora muss man auf seiner Seite haben. Also fahndete man nach einem geeigneten CV. Der Kandidat sollte auch ein bisschen vermögend sein, wenn möglich ein erfolgreicher Banker. Und im besten Fall noch ein zu belohnender Gönner Trumps im Wahlkampf. Man stiess deshalb auf Howard Lutnick. Howard darf nun Handelsminister spielen: Eine ganz interessante Stelle, denn da ist künftig Verhandlungspoker angesagt.

Um den Handelskrieg mit China noch etwas anzuheizen, brauchte es indessen noch eine zusätzliche Personalie: jemand, der sich in Sachen Zöllen bereits die Sporen abverdient hatte während Trumps erster Regentschaft. Deshalb wird Jamieson Greer Handelsbeauftragter.

Kinderreiche Familien sind immer beliebte Vorzeigemuster – in den Augen des neuen US-Präsidenten erst recht. Wenn ein Kandidat noch zusätzlich konservativer, erfolgreicher Fernsehmoderator ist (und neun Kinder hat), könnte er sich auch als Verkehrsminister eignen. Und so kam Sean Duffy zu seinem neuen Job wie die Jungfrau zum Kind.

So sollte sich auch ein bekannter Fernseharzt als Regierungsmitglied eignen. Wenn er zusätzlich noch die Bevölkerung der Einwanderer abholen kann (er hat türkische Wurzeln), kann das nur von Vorteil sein. Dass er medizinische Produkte ohne Nutzen anpreist, spielt keine Rolle – das passt ganz gut ins Bild der «alternative facts». Mehmet Oz wird künftig die staatlichen Gesundheitsversicherungen leiten. Warum er sich das antut, bleibt schleierhaft. Aber irgendein positiver Nutzen (im Vergleich zu denen seiner Scharlatan-Produkte) wird sich mit Bestimmtheit noch ergeben.

Die Förderung der fossilen Energie ist ein Lieblingsprojekt Trumps. Damit hatte er auf einen Schlag eine grosse Bevölkerungsgruppe und gleich mehrere Gliedstaaten auf seiner Seite. Wenn ein Protagonist dieser Förderer gleichzeitig noch ein grosser Wahlkampfspender ist, muss er auch belohnt werden: Der ziemlich vermögende Doug Burgum darf künftig das Amt des Innenministers bekleiden, kann ungehindert Fracking fördern und den Benzinpreis runterbringen.

Ein Fox-Moderator, der gleichzeitig noch Kriegsveteran ist, könnte sich doch als Verteidigungsminister des stärksten Landes der Welt qualifizieren – so die messerscharfe Analyse Trumps. Da spielt es auch keine Rolle, wenn jegliche politische Erfahrung fehlt. Pete Hegseth wurde nun zum Verteidigungsminister ernannt. Leider hat Pete keine Führungserfahrung. In seinem Job warten allerdings fast drei Millionen Angestellte darauf, geführt zu werden. Wenn das nur gut geht.

Auch ein ehemaliger kampferprobter Offizier der Green Berets kann sich gut machen in einem Kabinett. Er ist, wie Trump, der Meinung, dass man den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden beenden kann. Das Geheimnis diesbezüglich harrt noch seiner Lüftung. Auf jeden Fall wird Officer Mike Waltz jetzt Sicherheitsberater – ebenfalls eine absolute Schlüsselstellung in der Regierung.

Dass ein 80-jähriger Ex-General und Kriegsveteran nun als Sondergesandte für den Ukrainekonflikt benannt wurde, passt gut in die ganze Ernennungsliste. Ob es Keith Kellogg tatsächlich richten wird?

Der reichste Mann der Welt, erfolgreicher Unternehmer, Selbstdarsteller und Provokateur könnte der Mann fürs Grobe sein. Ausserdem muss man die Leute belohnen, die einen im Wahlkampf an vorderster Front mit Millionenbeträgen (total genau 270 Millionen USD) und offenbar gelungenen Auftritten unterstützt haben. Elon Musk soll deshalb die neue Effizienzbehörde leiten. An sich eine gute Sache, diesen ausufernden Beamtenapparat auszumisten. Aber der Interessenkonflikt ist zu offensichtlich: Musk möchte verhindern, dass seine in China zusammengezimmerten Teslas mit hohen Zöllen belegt werden, ausserdem möchte er die Amerikaner möglichst mit NASA-Geldern mit seinen Raketen der SpaceX auf den Mars schicken. Musk zur Seite wird der schwerreiche Unternehmer Ramaswani gestellt, welcher wohl ein bisschen Abwechslung sucht. Dass letzterer aus der indischen Abteilung kommt, kann der Sache nur förderlich sein, denn auch diese Bevölkerungsgruppe gilt es in irgendeiner Form in einer Regierung abzubilden.

Robert F. Kennedy jr. war ein Störfaktor ohnegleichen im Wahlkampf. Dass er sich bei seinem Rückzug für Trump aussprach, war natürlich das Resultat eines Deals. Nun soll der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker Gesundheitsminister werden – eine der wohl umstrittensten Ernennungen in diesem doch eher bizarren Kabinett.

Bei der Ernennung in das Amt des Justizministers wollte Trump keine Risiken eingehen – zu gross sind seine eigenen Erfahrungen mit den Rechtsbehörden. Also musste eine langjährige Unterstützerin her, voll ergeben, die ihn auch früher schon aus den Medien rausgehauen hatte. Und deshalb wird Pam Bondi jetzt Justizministerin.

Der kurz zuvor ernannte Matt Gaetz musste frühzeitig das Handtuch werfen, die Vorwürfe in Sachen Sex-Trafficking, Sex mit Minderjährigen und Drogenkonsum wogen zu schwer. Vorgänge zwar, die Trump nicht von einer Nomination abschreckten, zu bekannt sind ihm all diese Themen. Aber es war aussichtslos. Also zog er die Ersatzlösung Bondi Pam aus dem Hut – und dies binnen Stunden.

Ergebene Leute sind einfach Gold wert. Wenn sie mit ihren, wenn auch extremen Ansichten, zusätzlich eine grosse Wählergruppe zufriedenstellen können, ist das sehr hilfreich. Tulsa Gebbard ist so eine Figur, eine Putin-Verehrerin und Ukraine-Gegnerin. Sie wird nun Koordinatorin der 17 Geheimdienste. Für Trump kann das ganz praktisch sein: Er ist ja nicht so dumm und wird sich mit 17 einzelnen Behörden, die alle etwas Ähnliches tun, herumschlagen.

Kash Patel gilt als völlig kompetenzlos, als Brandstifter und grosser Anhänger der Verschwörungstheorie des „Deep States“. Warum gerade er nun künftig das FBI mit seinen 35‘000 Mitarbeitern leiten soll, entzieht sich jeglicher Logik. Aber Kash ist ein glühender Trump-Anhänger, er vertreibt sogar Kinderbücher mit Trump-Themen.

Der Posten des Aussenministers ist ein Schlüsselposten. Hier musste ein besonders treuer Trump-Förderer her. Marco Rubin eignete sich dafür hervorragend, denn er ist ein Gegner der Ukrainehilfe und befriedigt zusätzlich die Wahlansprüche der Latinos. Merke: Für den Posten braucht es keine geopolitische Erfahrung, sondern vorab loyale Unterstützung für den Chef.

Die Scharfmacherin und bedingungslose Trump-Unterstützerin Kristi Noem hatte sich vor allem einen Namen mit ihren Abschiebprogrammen für Immigranten gemacht. Nun wird Kristi Ministerin für Heimatschutz.

Loyalität ist wirklich die wichtigste Eigenschaft, die Donald The Chosen einfordert. Wenn man zusätzlich und vorbehaltlos die Theorie der «gestohlenen Wahl 2020» vertritt, eignet man sich in besonderem Masse für höhere Weihen. Elise Stefaniak wird deshalb mit dem Rang einer UN-Botschafterin belohnt.

Die treue Miss Moneypenny   Susie Wieles hatte Trump schon früher gedient. Sie hielt ihm immer den Rücken frei und führte seine Vorzimmer mit eiserner Hand. Qualifikation genug, um als «Ice Maiden» jetzt Stabchefin zu werden.

Da passt ihr Stellvertreter gut dazu, der ultrarechte Scharfmacher Stephan Miller.

Wer CIA-Chef werden möchte, muss es ganz dick hinter den Ohren haben. Also mit allen Wassern gewaschen und nun, im Sinne des neuen Chefs, auch ziemlich konservativ sein. Der umstrittene John Radcliff soll es künftig richten.

Wenn man schon mal das Attribut «Grenz-Zar» erworben hat und sich vehement öffentlich für die Abschiebung “aller illegalen Einwanderer» stark gemacht hat, darf man Grenzschutzbeauftragter werden. Wie die 11 Millionen Illegale, die in der Regel ja nicht rumhocken, sondern irgendwo arbeiten, ersetzt werden sollen, steht in den Sternen. Aber Tom Hogan hat schon mal eine Ansage gemacht.

Dass die (in der Tat zum Teil absurden und weltfremden) Umweltbestimmungen runtergefahren werden müssen, war ein erklärtes Ziel des neuen Präsidenten. Dafür braucht es nun einen weiteren Mann fürs Grobe: Lee Zeldin soll Chef der Umweltbehörde werden, ein Mann also, der sich schon 2020 im angestrebten Amtsenthebungsverfahren als unerschütterlicher Verteidiger Trumps profiliert hatte.

Wenn man ein wichtiger Immobilieninvestor ist, über gute Geschäftsbeziehungen mit dem Nahen Osten verfügt und erst noch jüdischen Glaubens ist, kann man Nahost-Sondergesandte werden. So erging es Steven Witkoff, mithin Trumps Golf-Buddy. Warum er gleich auch noch Massad Boulos, den Schwiegervater seiner Tochter Tiffany zum Berater für den Nahen Osten ernannte, ist ein Rätsel. Er sei auf jeden Fall ein guter „Deal Maker“. Ob es vielleicht um eigene Deals dieser beiden Protagonisten gehen wird? Und, ach ja, die Familie Boulos führt eine grosse Restaurantkette im Libanon. Da müssen doch künftig tatsächlich noch gute Deals anstehen.

Donald der Auserwählte hievt also auch gerne Familienmitglieder in wichtige Positionen. Besonders amüsant sind dabei die Ernennungen der Botschafter. Waldmeyer nennt hier ein Beispiel unter vielen: Charles Kushner, der Vater von Trumps Schwiegersohn, wurde schon am Ende der ersten Regentschaft Trumps von diesem begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen. Jetzt wird er Botschafter in Frankreich. Er sei ein „hervorragender Geschäftsmann“ meinte Trump.

Gerade erfuhren wir, dass der verurteilte Peter Navarro nach seiner Entlassung nun wieder in Trumps Kabinett als Handels-Scharfmacher zurückkommen darf. Mark Burnett (Produzent von Trumps früherer Show „The Apprentice“) erhält einen Schlüsselposten: Er wird Botschafter in Grossbritannien. Und Jared Isaac, Astronaut, soll – mithilfe Musks, notabene – die Amerikaner auf den Mars bringen, deshalb ist er nun der neue NASA-Chef.

Auch Donald Trump jr. darf bei den vielen Ernennungen Wünsche anbringen. So wollte er sich seiner Ex-Verlobten Kimberly, eine ehemalige Fox-Moderatorin, entledigen, da ein Wechsel zu einem jüngeren Model, der hübschen Bettina, anstand. Also sollte die Ex am besten ins Exil. Papa Trump konnte es richten: Kimberly wurde kurzerhand zur Botschafterin in Griechenland ernannt.

Und so weiter. Wir warten noch auf weitere Ernennung und auf die vielen neuen Botschafter, alles verdiente Buddies, die Trump in alle Welt entsenden wird. Wir warten auch noch auf die genaue Rolle für Barron, Trumps 18-jährigen Sohn. Er soll sich um die „social media activities“ für junge Trumpanhänger kümmern. Wir sind gespannt.

Bei aller Kritik muss Waldmeyer indessen eingestehen: Regierungsmitglieder verfügen auch in super-demokratischen Staaten bisweilen über keine Kompetenz. Es sei an das erste Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen von Kanzler Scholz erinnert. Oder in der Schweiz an die Schwarznasen-Züchterin und Sozialhelferin Baume-Schneider, die, erst glücklose Justizministerin, anschliessend Innenministerin wurde. Nun, man kann sich ja entwickeln in einem Amt.

Allerdings: Die Leute um Trump sind schon entwickelt – mit den ihnen besonderen Ausprägungen eben. Sie sind nur entweder befangen oder weird. Nicht alle sind unbedarft, im Gegenteil, da sind ein paar brillante Köpfe dabei. Europa wird sich nun wohl warm anziehen müssen. «Amerika First» wird nicht ohne Folgen bleiben.

«Warum gibt es eigentlich kein «Europe First», bemerkte Waldmeyer gegenüber Charlotte am Tisch und blickte über die leere Flasche Terre Brune hinweg.

«Europa gibt es eben in dem Sinne gar nicht, Schatz», entgegnete Charlotte abgeklärt.

«Und was ist mit Switzerland First?», meinte Waldmeyer resigniert.

«Das gibt es sehr wohl. Wir fördern unsere Landwirtschaft und akzeptieren dabei die doppelten Lebensmittelpreise, verglichen mit dem Ausland. Gewisse Parteien möchten die Einwanderung stoppen, obwohl diese Leute künftig unsere AHV bezahlen werden. Wir leisten uns eine teure Armee, mit der wir uns jedoch allein nicht verteidigen könnten. Aber es ist unsere Wahl. Andere Parteien wollen lieber Staus und sind gegen Autobahnen, weil so das Weltklima gerettet wird. Du siehst, wir haben unseren eigenen Plan für unsere kleine Welt.»

Waldmeyer verschwand wortlos im Keller. Er kehrte, nach einiger Reflektion, mit einer weiteren Flasche Terre Brune zurück. Beim Entkorken überlegte er: Die Amis, die tun zumindest was. Auch wenn was Falsches rauskommen mag.

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