Waldmeyer und das Geheimnis der Seltenen Erden

Den Frieden in der Ukraine konnte Trump zwar nicht binnen 24 Stunden, wie versprochen, herstellen. Es mag nun etwas länger dauern, bis die Kuh vom Eis ist, und der Deal wird ausserdem ganz anders aussehen, als dies Europa geplant hatte. Vielleicht träumt Trump, in seiner kognitiven Wahrnehmung, bereits vom Friedensnobelpreis. Der Hintergrund des Deals, so wird immer klarer, ist allerdings kein militärischer, schon gar nicht ein humanistischer. Es ist ein ganz anderer, es ist ein simples Geschäftsmodell. Waldmeyer hinterleuchtet.

Wir ahnten es schon: Der Ukraine-Friedensdeal der USA ist de facto ein banaler Handelsdeal! Trump möchte sich wertvolle Rohstoffe und die Seltenen Erden der Ukraine krallen. Es geht indessen nur vordergründig um die Ukraine, es geht um Geschäfte mit Russland. Aber alles der Reihe nach.

Die ganze Welt hat ein Problem mit diesen begehrten Metallen und Seltenen Erden – weil sie eben selten sind. Aber sie sind matchentscheidend, um Hochtechnologie-Güter herzustellen. Es geht dabei nicht nur um Silizium oder Lithium, Halbmetalle und Metalle, zwar begehrt, aber nicht so selten. Seltene Erden kennen wir namentlich kaum, weil sie, nicht überraschend, so selten sind, sie heissen beispielsweise Erbium oder Yttrium, Cer oder Terbium.

Waldmeyer verbrachte letzten Sonntagmorgen zusammen mit seinem besten neuen Freund, der KI. Er machte sich, zusammen mit ChatGPT, schlau betreffend diese Seltenen Erden. Er schaute gleichzeitig aus seinem Bürofenster in Meisterschwanden und blickte auf die Wiesen, die sein bescheidenes Anwesen vom Hallwilersee trennen. Unter den satten, grünen Wiesen steckt auch Erde, aber wohl nicht seltene, denn sonst würde der Hablützel Ruedi hier mit Sicherheit graben und nicht die Kühe weiden lassen, überlegte Waldmeyer. Waldmeyer weiss, dass ein paar dieser raren Erden in Elektroautos verbaut werden. «Zum Glück haben wir nie so einen blöden Tesla gekauft, sonst wären wir auch von diesen Seltenen Erden abhängig!», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

«Du bist so oder so abhängig, lieber Max», erwiderte Charlotte, «in deinem iPhone steckt Europium, in den LED-Lampen Terbium, im Katalysator deines Autos (Anm. der Red.: Porsche Cayenne, schwarz, innen auch) wurde Cer verbaut und in der Überwachungskamera Lanthan!» Waldmeyer war erst verblüfft, dann aber beruhigt, als er entdeckte, dass Charlotte sich inzwischen auch bei Chat auf ihrem Tablet eingeloggt hatte.

Waldmeyer erkannte, dass Seltene Erden tatsächlich unverzichtbar sind für moderne Technologien – für viele Elektro- und Elektronikgeräte, über Fahrzeug- und Medizinaltechnik, Windräder, Glasfaserprodukte, bis hin zur Raumfahrt.

Die Krux liegt nun darin, dass fast die Hälfte des Weltvorkommens dieser kostbaren Metalle in China liegen. Und nicht genug, China möchte die absolute Kontrolle darüber erlangen. Die 2013 gestartete Belt and Road Initiative war natürlich kein humanitäres Projekt. Es ging einerseits darum, sich weltweit Abbaustätten zu sichern, andererseits auch, um die Transportwege, raffiniert getarnt als «neue Seidenstrasse», dafür zu gewährleisten. Nicht vergeblich investiert China in ganz Asien, Afrika und Südamerika in allerlei Projekte, handelt Knebelverträge aus und sichert sich so seine industrielle Beschaffung.

Die Seltenen Erden sind das neue Gold: Sie sind ungemein wertvoll und man kommt um sie einfach nicht mehr herum. Wer sie hat, ist in der Lage, technologisch anspruchsvolle Güter zu produzieren. Wer sie nicht hat, muss Käse oder Uhren oder Pillen herstellen und exportieren, wie die Schweiz. Und ist dann darauf angewiesen, die Seltenen Erden teuer irgendwo einzukaufen. Noch eleganter ist es, wenn man gleich die fertigen Produkte kauft, teuer allerdings, in denen diese ominösen Erden stecken – dann ist es vielleicht einerlei, wer sie wo reingetan hat.

Leider liegen die Seltenen Erden nur an wenigen Orten in Europa und in den USA. Schon interessanter ist da Kanada, dort gibt es attraktive Vorkommen. Kein Wunder also, würde die neue US-Administration Kanada gerne als 51. Staat aufnehmen. Man muss ja nur auf die Landkarte schauen, denn da stimmt etwas nicht. Alaska, ganz oben links auf dem Kontinent, ist durch dieses störende riesige Gebiet, angeschrieben mit «Kanada», von den anderen US-Staaten abgetrennt, zum Teil mit einer willkürlich gezogenen, ganz geraden Staatsgrenze.

    Dass unter der dicken grönländischen Eisdecke unter anderem Neodym, Praseodym oder Dysprosium liegen – wichtige Stoffe für die Herstellung von Hightech-Magneten und Elektroautos – ist ebenso interessant. Keine Überraschung also, ist Donald der Auserwählte scharf auf diese Super-Metalle und die ganze Insel (welche praktischerweise eh schon auf der amerikanischen Kontinentalplatte liegt).

In diesem Kontext begreifen wir nun auch diesen schelmischen Ukraine-Deal besser, welcher u.a. Sicherheit gegen die Abtretung von 50% der Vorkommen diverser Rohstoffe und Seltener Erden an die USA vorsieht: Wenn schon der Kanada-Deal und auch der Grönland-Deal nicht in trockenen Tüchern sind, macht es durchaus Sinn, es in der Ukraine zu versuchen. Da schlummern zum Beispiel bemerkenswerte Vorräte an Neodym, wie erwähnt ein unverzichtbarer Stoff für die Herstellung in der Elektronik.

Trump und seine Oligarchenfreunde sind dabei nicht nur die Details eines «Friedensdeals» oder die Hegemoniebestrebungen Russlands egal. Ihnen ist auch egal, mit einem Paria-Staat wieder zu kooperieren. Wenn die NATO zerfällt, ist das auch egal, die war immer defizitär in ihren Augen, und wenn der Westen zusehends auseinanderbricht, ist das ebenso einerlei.

Egal ist auch, wenn sich Russland, nach einem Friedensschluss mit der Ukraine, nicht so genau an einen Friedensplan halten wird. Gleichzeitig werden die Störmanöver in vielen ehemaligen und heute freien Ostblockländer vermutlich fortgesetzt: In Georgien beispielsweise. Oder in der Moldau, mit der Beeinflussung der freien Wahlen. In Rumänien versuchte man, einen russlandfreundlichen Oligarchen mittels Trolls, Fakenews und viel Geld als neuen Präsidenten zu installieren. In Bulgarien wird gedreckelt, auch in den serbischen Provinzen von Bosnien-Herzegowina. Serbien selbst erhält direkte Unterstützung, Marine Le Pen früher mit Sicherheit. Die AfD und die FPÖ unterhalten rege freundschaftliche Kontakte mit Russland, Ungarn und die Slowakei eh. Die hybride und verdeckte Kriegsführung Russlands gegenüber europäischen Staaten ist eine weitere Tatsache: Unterseekabel werden gekappt, Drohnen in den Westen geschickt, gar klandestine Anschläge verübt. Der neuen US-Führung ist das alles egal, denn das findet weit weg statt und ist ein europäisches Problem. China ist die neue Bedrohung, der Kontrollverlust im pazifischen Raum ein viel wichtigeres Thema. Über dem Scheiterhaufen der jüngsten Geschichte wird, was die Ukraine betrifft, einmal ein Schild prangen mit dem Wort „Friede?“, allerdings mit einem grossen Fragezeigen.

Aber zurück zum möglichen Rohstoff-Pakt mit der Ukraine: Das wäre tatsächlich ein super Deal. Die Europäer müssten sich verpflichten, den Frieden in der Ukraine zu garantieren, und die USA würden sich der kostspieligen Unterstützung der Ukraine entledigen – im Gegenzug ungestört in der Lage sein, diese feinen Mineralien ausbuddeln zu können. Ja, so sehen lukrative Deals aus: Die Kosten müssen outgesourct, die Gewinne selbst eingestrichen werden. Trump ist ja nicht blöd, er ist ein gewiefter Geschäftsmann.

Jetzt kommt allerdings das dicke Ende: Die Ukraine ist nämlich nur die Spitze des vorteilhaften Deals. In Wahrheit geht es um viel, viel mehr, nämlich um den künftigen Handel der USA mit Russland. Die USA werden davon ausgehen, dass mit einem Friedensplan in der Ukraine diese lästigen Sanktionen gegenüber Russland vom Tisch sind. Putin, Kriegsverbrecher und bedeutendster Angriffsaggressor seit Hitlers Überfall auf Polen 1939, wird rehabilitiert werden. Der Kremlherr wird wohl auch nicht verpflichtet werden, Reparationszahlungen an die Ukraine abzudrücken. Das Land wird selbstredend nur von den Europäern wieder aufgebaut werden. Auch die Schweiz wird ihren Beitrag leisten, so könnte sie beispielsweise ein ordentliches Bankensystem aufbauen, eine Schaukäserei erstellen oder aufzeigen, wie man kantonale, komplizierte Verfassungen realisiert. Sie könnte auch einen Vorschlag für ein verkehrsfreies Kiew ausarbeiten und ausgediente Verkehrsradars liefern.

Aber aus Sicht der USA ist ein Wiederaufbau des versehrten Landes gar nicht nötig. Das bringt nämlich überhaupt nichts für die geplanten Bergbau-Aktivitäten. Die feinen Mineralien liegen ja nicht in den Städten, die hatte der Herrgott glücklicherweise eher etwas ausserhalb angesiedelt. Und «ausserhalb» ist ziemlich gross, rund 15-mal grösser als Helvetien.

Waldmeyer hatte sich die Mühe genommen, sich etwas in den von den USA ausgearbeiteten Rohstoffvertrag einzulesen, der Selensky zur Unterschrift vorgelegt wurde. Grosszügigerweise stand da auch noch etwas von Aufbauhilfe – allerdings nur für die Abbaugebiete der Rohstoffe…

Waldmeyer wandte sich nun wieder Russland zu. Da stimmt etwas nicht mit dem Handelsvolumen zwischen den USA und Russland. 2011 betrug dieses noch 43 Milliarden USD pro Jahr, heute nur noch gut 4 Milliarden. Zum Vergleich: Mit der Schweiz liegt es heute bei 70 Milliarden.

Schuld an dem kümmerlichen Handelsaustausch mit Russland sind vor allem die Sanktionen. Das wird jetzt neu als eine Verschwendung betrachtet, denn die USA könnten ihre grossen schönen Fahrzeuge und die Steaks liefern, im Gegenzug könnte Russland Rohstoffe verschicken. Russland verfügt über die zweitgrössten Reserven der Welt an Seltenen Erden. Über grosse Mengen an Yttrium beispielsweise oder Lanthan, beides unverzichtbare Metalle für die Produktion von Bildschirmen oder Elektromotoren.

Elon Musk wird wohl auch scharf sein auf Dysprosium und Praseodym: zwei Seltene Erden, die sowohl in ukrainischen als auch in russischen Böden schlummern und die in der Raumfahrtindustrie gebraucht werden. Elon wäre entzückt, er könnte sie für seine Raketenspiele verwenden.

Insgesamt könnte sich ein Handelsvolumen USA/Russland von 100 bis 200 Milliarden ergeben. Aber kein Deal ohne Ukraine-Frieden, erst müssen die Russland-Sanktionen weg – und zwar subito.

Ja, wir sollten uns ein Beispiel an den USA nehmen. Die denken strategisch, die tun was. Sie sind einfach geschäftstüchtig, da sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Bundesrat Parmelin, unser Wirtschaftsminister, sollte das US-Konzept einmal genauer studieren. Wir könnten wieder unsere schönen Uhren nach Moskau liefern, im Gegenzug erhalten wir dann ebenso schönes, silbern-funkelndes Yttrium. Waldmeyer kratzt sich am Kopf: Sollten wir wirklich so dazulernen?

Waldmeyer und die Psyche der Deutschen

Der wirtschaftliche Niedergang unserer Nachbarn ist ärgerlich, weil das auch auf Helvetien abfärbt. Und es werden allerlei dumme antikapitalistische Ideen importiert. Italien und Frankreich scheinen heute kaum mehr regierbar zu sein, und Deutschland, der bei weitem wichtigste Handelspartner der Schweiz, kommt aus dem Schlamassel nicht heraus. Max Waldmeyer sieht dafür tiefere Gründe und lässt sich von Rebecca Carpenter interviewen.

 

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, du hast schon mal den etwas plakativen Begriff der «teutonischen Kernschmelze» geprägt. Wir wollen der Sache nochmals etwas auf den Grund gehen. Welches Psychogramm müsste denn ein Bürger haben, um ein optimales Wirtschaftssubjekt darzustellen? Oder: Eignet sich der Deutsche überhaupt, um eine Volkswirtschaft vorwärtszubringen? Und: Auf der Welt gibt es ganz unterschiedliche Charaktere der Völker. Was sind denn die ausschlaggebenden Ausprägungen für einen wirtschaftlichen Erfolg?

 

Max Waldmeyer: Ja, die Unterschiede sind nur schon im kleinen Europa mit Händen zu greifen. Wenn wir, leicht überzeichnet, sehen, wie z.B. die Italiener sind: nämlich Chaoten, aber oft mit viel Improvisationskunst. Die Franzosen sind zwar arrogant, aber das muss sich wirtschaftlich nicht per se negativ bemerkbar machen. Die Griechen, so wird kolportiert, halten es mit der Ehrlichkeit nicht immer genau, was sich zwangsläufig nachteilig auswirkt. Die Engländer haben gar nie richtig arbeiten müssen, die hatten ihre Kolonien, ein geniales System von Outsourcing wurde da entwickelt. Die Spanier haben die Siesta erfunden, was sich allerdings immer wieder hemmend im Arbeitsverhalten manifestiert. Die Portugiesen dagegen waren dem rauen Atlantik ausgesetzt, die durften also nicht mediterran sein, sie mussten immer etwas mehr arbeiten, hatten am Ende ihrer Kolonialzeit allerdings alles verloren. Die Amerikaner, Kanadier und die Australier waren alles rührige Einwanderer aus Europa, die meisten aus dem Vereinigten Königreich und aus Irland. Da waren jedoch auch ein paar deportierte Pferdediebe dabei – aber zur Verschiffung gelangte schon mal eine arbeitssame Auslese. Die Chinesen sind unglaublich leistungsfähig und geldgetrieben, das hilft bei der Entwicklung. Die Japaner andererseits waren einfach gezwungen, clever zu sein, verfügten sie doch über keine Rohstoffe, sie gehören heute zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen – wenn sie auch ausgesprochen humorlos sind.

Das sagt man auch von den Deutschen.

Japaner sind nicht lustig. Deutsche aber auch nicht immer. Es fehlt oft an Humor. Im Süden Deutschlands ist noch etwas vorhanden, gegen Norden flacht es ab, insbesondere im deutschen Rustbelt (Anmerkung der Redaktion: im erweiterten Ruhrgebiet, in der Region mit Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln etc.). Im Norden dann blitzt so was wie ein bisschen englischer schwarzer Humor auf, die Hamburger z.B. weisen einen durchaus intelligenten Stil auf. Im Osten Deutschlands dann grassiert die absolute Humorlosigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Geschichte geschuldet ist, aber es ist so. Generell gilt: Deutsche sind anders. No grey area, only black and white. Da ist immer etwas Absolutes dabei, oft etwas Verstocktes. Das ist natürlich nicht sehr hilfreich für eine prosperierende Entwicklung einer offenen Volkswirtschaft.

Vielleicht liegt einfach alles im zufälligen Verlauf der Historie?

Manchmal lohnt sich tatsächlich ein Blick zurück in der Geschichte. Da gab es allerdings Hochkulturen, die sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Vor allem wirtschaftlich.

Von den Mayas und den Azteken sprechen wir heute überhaupt nicht mehr. Die hochentwickelten Perser, heute Iraner, steinigen ihre Frauen. Die Imperien der Griechen und der Römer sind versunken.

Aber es waren nicht nur Hochkulturen, die eine grosse wirtschaftliche Blüte erschufen. Frankreich beispielsweise war nie eine Hochkultur, auch wenn die Gallier ein Auslaufprodukt der Römer sind; sie kolonialisierten aber ziemlich erfolgreich die Welt und organisierten ihren Laden zuhause ganz leidlich. Die Briten ebenso, die haben es fast noch besser gemacht, sie profitieren noch heute von den Pfründen ihres Commonwealth, König Charles z.B. darf mit Vergnügen seine Untertanen in Australien besuchen.

Nun, jetzt bewegen wir uns langsam auf dünnem historisch-philosophischem Eis!

Auf jeden Fall: Die Deutschen waren nie Bürger einer Hochkultur. Aber da gab es bisweilen schon ein paar ganz erhellende Zeitabschnitte. Dieser Ludwig der II. zum Beispiel war ein lustiger Kerl. Oder was die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen hatten, war beachtlich – wenn auch aus der Not heraus und nur dank dem Marschallplan.

Es wird immer wieder die Theorie vertreten, dass ein Land möglichst wenig Rohstoffe haben sollte, um innovativ und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ja, ich sehe das, mit Einschränkungen, auch so. Die Schweiz beispielsweise hatte gar keine Wahl, sie musste sich mit Fleiss, Erfindergeist und Handel behelfen. Hätte sie es nicht getan, wäre sie heute immer noch ein bedauernswertes Volk aus Bauern und Söldnern. Das Land würde sich vielleicht, geografisch bedingt, als grosser Mittelempfänger in der EU wiederfinden. Die Deutschen übrigens hatten immer mehr Rohstoffe als wir, ein Grossteil der Bevölkerung wohnt ja heute noch auf einem riesigen Kohleberg, der fleissig abgebaut wird. Ein Teil des Landes arbeitet so noch im Primärsektor, auf der untersten Entwicklungsstufe der Makroökonomie. Und von den Russen bezogen sie während Jahren fast uneingeschränkt billiges Öl und Gas, als ob es ihnen gehören würde. Das ist der Fluch der Rohstoffe: Wenn die im Überfluss und günstig zu haben sind, tritt Lethargie ein. Man müsste den Ländern die Rohstoffe wegnehmen, dann würden sie sich vielleicht ordentlicher entwickeln. Vielleicht sollte man den Deutschen die Kohle wegnehmen.

 

Du sprichst den Fluch des Erdöls an: Gewisse Staaten auf der Welt sind damit stinkreich geworden, erlangten aber nie einen gesunden Status einer Volkswirtschaft.

So ist es: Nigeria oder Venezuela könnten auf der Entwicklungsstufe der Emirate stehen, hätten sie die Pfründen der Erdöleinnahmen etwas anständiger verteilt. Die Rohstoffe verhindern in der Regel immer echte Wertschöpfung. Hätte die Schweiz Erdöl gehabt, gäbe es vielleicht das Schweizer Taschenmesser gar nicht. Die Russen übrigens haben noch nie was Gescheites produziert, sie exportieren nur Erdöl, Erdgas, Waffen und Trolls. Nicht mal Wodka, darin sind die Schweden gut.

Jetzt schweifen wir aber etwas ab. Also zurück zu Deutschland und zur Psyche des Bürgers: Ist diese nun gut oder schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich denke, diese Analyse ist schon wichtig. Weniger die Frage, ob Humor mehr Wirtschaftsleistung produziert. Wir müssen indessen irgendwie begreifen, wie sich der Deutsche in der Welt und im Markt, im Wettbewerb bewegt. Dann verstehen wir die Resultate. Die Psyche der Unternehmer und der Arbeitnehmer spielt da schon eine Rolle. Es mag heute vielleicht zwei erfolgreiche Ausprägungen einer volkswirtschaftlichen Entwicklung geben, die auf der Psyche der Gesellschaft basiert: die offene, innovative Haltung – so in den USA, ausgeprägt beispielsweise in Kalifornien – und die disziplin- und geldgetriebene Psyche der asiatischen Länder. Deutschland hat nichts von beidem. Früher wurden diese Mankos durch eine arbeitssame Haltung kompensiert. Wie wir wissen, ist das vorbei, denn jeder bastelt heute nur noch an seiner Work-Life-Balance rum. Da kommt dann, makroökonomisch gesehen, nicht mehr viel raus.

 

Natürlich ist es offensichtlich, dass eine Volkswirtschaft leidet, wenn nur noch auf Zuruf gearbeitet wird. Nine-to-five sozusagen. Am Freitag to-twelve.

Für einen Teil der Industrie mögen nicht zu profund denkende Heerscharen von Arbeitenden vielleicht hilfreich sein. Das war aber eher früher ein günstiger Umstand, zu Beginn der Industrialisierung, da war etwas Kadavergehorsam ganz willkommen. Ein Gutteil der deutschen Bürger schätzt es auch heute noch, in einem grossen Räderwerk einer grossen Firma unterzugehen. Alles ist durchgetaktet, jeder weiss genau, was er zu tun hat, und Obrigkeitshörigkeit herrscht vor. Jeder führt aus. Die grossen Konzerne profitieren durchaus von dieser Denke, vor allem die Firmen, die weniger innovationslastig sind. Also die Mid-Tech-Industrie, die Chemie, die Pharmabranche. Da braucht es weniger kluge Nerds im Kapuzenpullover, die geniale Inputs einbringen.

Du willst doch nicht sagen, dass das Outfit der Arbeitnehmenden einen Einfluss auf die Volkswirtschaft hat?

Doch, indirekt schon! In den klassischen deutschen Konzernen springt das vorab männlich dominierte Management immer noch im Dreiteiler rum, mit Krawatte, mit akkurat gebundenem doppelten Windsor-Knoten. Also nichts von Rollkragenpullover und Sneakers. Das mögen Äusserlichkeiten sein, aber es sind eben die Insignien des Stillstandes. Da wird auf Distanz gemacht.

In Kalifornien begrüsst man sich mit «how you’re doing», das Gegenüber antwortet dann auch mit «how you’re doing». Vielleicht lässt man in den Korridoren der Firma auch nur ein «Hi» fallen. In Deutschland ist das anders: «Guten Tag, wie geht’s Ihnen». «Danke, gut, und Ihnen?» «Nichts zu beklagen, danke». Das wäre ungefähr die Minimalkonversation, welche indessen bereits ein paar wertvolle Sekunden Arbeitszeit verbraucht hat, nur Distanz zementiert und sicher keine Basis für ein innovatives Brainstorming ist. Und dann kommt noch etwas hinzu, z.B. in Kalifornien: Man würde dann auf dem Korridor, am Freitagmorgen, gleich noch etwas Positives mitteilen: «I‘ll try to finish the profile for this project M4 till tonight!” “Great.”

Und wie würde eine solche Konversation denn in Deutschland ablaufen?

Nun, zum Beispiel so: “Ich mach dann mittags mal Schluss, ich fahr noch südwärts». «Toll. Ich hol die Kleine von der Schule, dann geht’s ab in den Streichelzoo.»

Also: Es geht um die unterschiedliche Haltung, die Bereitschaft, eine Extra Mile zu leisten. Nicht alles ist perfekt in anderen Ländern, beileibe nicht, es gibt auch viel Misere. Aber die Deutschen sind definitiv in der Wohlstandfalle angekommen – obwohl der Wohlstand dort ja gar nicht flächendeckend verbreitet ist.

Hat das deutsche Modell also ausgedient?

Im Moment ja, ganz klar. Aber das urdeutsche Modell, so wie es nach dem Krieg bis anfangs der 70er Jahre bestanden hatte, hätte überhaupt nicht ausgedient. Es wurde jedoch komplett verwässert, denn der allmächtige Staat kam, der allen die Verantwortung klaute. Im Gegenzug hat er eine verblüffende Regeldichte erstellt.

Zum Glück hatte Deutschland die Chance, über eine sehr starke Grossindustrie zu verfügen. Diese Räderwerke konnten immer viel Umsatz abspulen. Sie wurden vom Staat die ganze Zeit stark unterstützt, politisch, mit wirtschaftlichen Hilfen, Steuererleichterungen etc. Währenddessen verbluteten allerdings die KMU. Das Resultat sieht man heute: Es gibt nach wie vor ein paar sehr erfolgreiche Grosskonzerne, auch im Dienstleistungsbereich, währenddessen die kleineren Firmen verkümmern. Ich glaube, wenn ich etwas nicht sein wollte, dann wäre es ein mittelständiger Unternehmer in Deutschland. Vielleicht wäre ich deshalb eher Chef eines Grosskonzerns – dann müsste ich mich allerdings mit den Gewerkschaften, einer verqueren Politik und Bürgern rumschlagen, die ganz anderes als Arbeiten im Kopf haben.

Mit dem Regierungswechsel soll nun ja alles anders werden.

Ich bin ebenso froh, nicht Teil dieser neuen Regierung zu sein. Denn die hat ein grosses Problem: Sie kann ja das Volk nicht auswechseln.

Nun, Du wirst kein mittelständisches Unternehmen führen müssen, auch keine Regierung. Zu solchen Strafen werden wir dich nicht verdonnern, Max! Herzlichen Dank für die erhellenden Einblicke in deine Analysen!

Waldmeyer und Trumps Attacke auf die Schweiz

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Attacke ist noch nicht da. Aber Waldmeyer ist überzeugt, dass diese zeitnah kommen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Schweiz hat ein grosses, latentes und noch wenig bewirtschaftetes Problem. Irgendjemand wird es Trump flüstern, und dann wird sich unsere Regierung warm anziehen müssen.

Trump wird sich zu Beginn seiner Regentschaft nun vieles vorknöpfen – schliesslich muss er doch einige Versprechen einlösen. Dass er – wie versprochen – gleich den Benzinpreis halbieren und die Lebensmittelpreise senken wird, ist natürlich eine alberne Vorstellung. Vorab wird er sich erst einmal an seinen Widersachern im Wahlkampf rächen. Und dann wird er zahlreiche Dekrete unterschreiben.

Waldmeyer weiss, dass das Dekrete-Unterschreiben eine Lieblingsbeschäftigung des «Chosen One», also des Auserwählten, ist. Der Präsident tut dies mit Inbrunst, am liebsten im Scheinwerferlicht und mit seinen berühmten grossen schwarzen Filzstiften. Die Unterschriften sind ebenso gross und weisen zugegebenermassen eine gewisse Grandezza auf. Was Trump unterschreibt, ist ihm im Detail nie so ganz klar. Aber er tut es. Waldmeyer erinnern diese Episoden an Nachrichten-Schauen aus vergangenen Zeiten, auch aus Entwicklungsländern: Dort sieht man jeweils, wie wichtige Staatsdiener regieren, sie laden ebenso wichtige Gäste ein, halten Hof oder steigen aus fetten schwarzen Limousinen aus. Alles wird von pathetischer und triumphaler Musik begleitet. Und ja: Sie unterschreiben dann diese wichtigen Dekrete.

So viel zur starken Aussenwirkung, optimales Regieren vorausgesetzt. Trump versteht es. Und immerhin tut er was – das muss Waldmeyer anerkennend würdigen.

Aber nun zu den wichtigen Regierungsgeschäften. Der neu-alte Präsident ist diesmal besser vorbereitet. Sein Plan steht. Es ist die «Agenda 47». Diese sieht vor, dass dem amerikanischen Volk künftig einiges an Last abgenommen wird. Denn der Chosen One wird viel mehr entscheiden können. Die Institutionen, Gesetze und Dekrete werden so zurechtgebogen, dass Donald Trump weitgehend frei walten und schalten kann.

Es gibt viel zu tun: Immigranten rauswerfen, Zölle erhöhen, Golf spielen, Ministerien abbauen, bei Putin den Gang einlegen, das Oval Office neu dekorieren und vieles mehr.

Seine Berater – und diesmal hat er sie bewusster ausgewählt – flüstern ihm laufend neue Sachen ein. Waldmeyer meint dabei nicht nur den Chef-Berater Elon Musk. Dieser konzentriert sich eher auf einen «Haircut» im Beamtendschungel, was, zumindest partiell, sich wohl tatsächlich wohltuend auf das horrende Budgetdefizit der grössten Volkswirtschaft der Welt auswirken wird. Musk allerdings, so ist Waldmeyer überzeugt, hat nur eine begrenzte Halbwertszeit, denn die beiden Alphatiere Trump und Musk werden sich in absehbarer Zeit bestimmt noch in die Haare geraten.

Waldmeyer meint, dass die anderen Berater ebenso wichtig sind. Zum Beispiel die von Trump ernannten Männer fürs Grobe, die sich um den Welthandel mit den USA kümmern müssen. Im Vordergrund steht China, denn da verzeichnen die USA ein Handelsdefizit von jährlich 280 Milliarden USD.

Aber die Berater werden Trump noch weitere Dinge einflüstern: So die zu hohen Handelsdefizite mit weiteren Ländern. Dabei geht es, beispielsweise, nicht um die EU, welche Trump auch schon mal, es mag einiges früher gewesen sein, gelobt hatte («Brussels is a nice country»). Es geht um einzelne Länder. Man wird Trump also vorrechnen, dass allein Deutschland einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA von 63 Mia aufweist: Da werden zwar Waren im Wert von 158 Mia aus Deutschland eingeführt, aber viel weniger ausgeführt (95 Mia). Das ist ungerecht, in den Augen Trumps. Die Deutschen sollten also mehr US-Waren kaufen. Aber, um Gottes Willen, was denn? Ketchup, amerikanische Pickups, iPhones? Waldmeyer erinnert sich, dass er vor Jahren auch mal Wein aus dem Nappa Valley bezog. Seine alten 501-Jeans sind US-Style – aber sie kommen direkt aus Indien. Also, was, for God’s sake, sollten die Deutschen denn noch kaufen von den USA? Nun, vielleicht Dienstleistungen! Deutsche könnten mehr Urlaub machen in den USA, das trägt auch zur Verbesserung des Handelsbilanzdefizits bei. Aber eben nicht viel. Trump ist es zudem egal, wie im Detail das Handelsbilanzdefizit (aus US-Sicht) runtergebracht, bzw. der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber den USA verringert wird. 63 Milliarden sind eine Menge Geld. Das sind 750 USD pro Kopf der deutschen Bevölkerung, alle türkischen und syrischen Einwanderer eingerechnet.

Aber nun zum tatsächlichen Fiasko: Ein weiterer Einflüsterer wird Trump nämlich erklären, dass das grösste von allen Handelsdefiziten von der Schweiz ausgeht!

“Why do we have a problem with Sweden”, wird Trump antworten. Aber man wird ihm die Unterschiede zwischen Sweden, Swasiland und Switzerland anschliessend genau erklären. Und dann die Zahlen nennen. Da werden nämlich Waren im Wert von 48 Mia von der Schweiz importiert, das kleine Land kauft aber US-Waren nur im Wert von 14 Mia. Tatsächlich beträgt der Handelsbilanzüberschuss, inklusive Dienstleistungen, der Schweiz gegenüber den USA rund 35 Mia USD. Das ist halb so viel wie der Überschuss Deutschlands. Aber pro Kopf ist dieser Saldo gigantisch, es sind fast 4’000 USD. Die Einflüsterer werden ihrem Chef noch unter die Nase binden, dass die Vergleichssumme bei den Chinesen nur 230 USD beträgt. Helvetien verzeichnet damit einen Weltrekord. «Mister President, these cheese eaters produce a deficit per capita which is 17 times higher than the Chinese one. Switzerland is the problem, not China!”

Was nun folgen wird, ist vorgezeichnet: Trump wird auf den Zug aufspringen. «Why the f… do they export to us, but they do not import?”

Dann wird der Druck aufgebaut. Die Medien-Maschine wird angeworfen, Restriktionen für Aktivitäten von Schweizer Firmen in den USA angedroht. Aussenminister Cassis wird ins Weisse Hause beordert und abgekanzelt. Guy Parmelin, notabene der Wirtschaftsminister und damit verantwortlich für diese ungebührlichen Exporte, wird sich die amerikanischen Zeitungsberichte gelegentlich ins Französische übersetzen lassen. Bundespräsidentin Keller-Suter wird, notabene in gutem Oxford-English, was leider eben nicht gut ankommt in den USA, die Sache bei der neuen US-Botschafterin zu glätten versuchen. Vergeblich, natürlich wird sie dort auf Granit beissen. Der Bundesrat wird diverse Task Forces ins Leben rufen und einen runden Tisch einberufen. Die SVP wird sich empören und mit Wirtschaftssanktionen drohen. Ex-Bundesrat Blocher wird einen strengen Visumszwang für US-Bürger vorschlagen und US-Studenten auffordern, doch zuhause – und nicht in der Schweiz – zu studieren. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello wird den Bundesrat zur sofortigen De-Eskalation aufrufen, und die Jungen Grünen werden uns alle daran erinnern, dass wir ein Null-Wachstum anstreben und so auch weniger exportieren sollten.

Die Amerikaner werden alle unsere internen Vorschläge jedoch gar nicht wahrnehmen. Die Schweizer Banken mit Ausrichtung Private Banking für amerikanische Kunden werden gewaltig unter Druck kommen. Trump wird zusätzlich eine Spitze gegen die Schweiz abschiessen, dass sie zu wenig für die Verteidigung ihres Landes beiträgt, das 2%-Minimum des BIP wird nie und nimmer erreicht, obwohl das die Vorgabe für alle NATO-Länder ist. Also könnte die Schweiz doch etwas mehr Armeegüter aus den USA ordern? Die Schweiz ist nicht in der NATO, aber wie sollte Trump das wissen…? Die Swiss könnte auch mehr Flugzeuge von Boing kaufen. Die verlieren zwar zuweilen die Türen und können die Fahrwerke nicht ausfahren oder glänzen durch andere Unzuverlässigkeiten. Aber es muss ja nicht immer ein Airbus sein. Das wäre zumindest ein Anfang. Auf jeden Fall wird The Chosen One seine Forderung präsentieren, den Handelsbilanzüberschuss abzubauen. Und zwar subito.

Der Polit-Tsunami, der über Helvetien hereinbrechen wird, wird zahlreiche Wirtschaftszweige erfassen. «The pills are the problem, Mister President», wird man Trump dann noch stecken. Und tatsächlich: Die Schweiz exportiert pro Jahr für fast 30 Milliarden Pharmaprodukte in die USA. Trumps Gesundheitsminister, der mehr als umstrittene Robert F. Kennedy jr., wird seinem Chef vorschlagen, dass diese Cheese Eaters die Preise um 50% senken sollten – das käme nämlich auch dem verkorksten US-Gesundheitswesen zugute. Kurzum, der Tsunami wird nicht eingedämmt werden, obwohl die Schweiz noch länger davon träumen wird, das Problem aussitzen zu können.

Waldmeyer weiss, was in diesen Fällen zu tun ist: Da man auf den Bundesrat, das Parlament oder die Wirtschaft im Allgemeinen nicht zählen kann, muss man eben selbst entscheiden und in Eigenregie einen Beitrag leisten. Einen amerikanischen Pickup möchte Waldmeyer allerdings nicht kaufen – sein Nachbar Freddy Honegger würde zu viele Fragen stellen. Vielleicht sollte man einfach im Kleinen beginnen?

«Wieviel Ketchup haben wir noch im Kühlschrank, Charlotte», fragte Waldmeyer, «vielleicht sollten wir etwas aufstocken?»

«Wenn du das Handelsbilanzdefizit mit den USA ansprichst, lieber Max: Dann sollten wir im Herbst besser Urlaub in den USA machen und deine Wein-Reise in die Toscana streichen.  Das ist effizienter, damit bringen wir die Zahlen rascher runter!»

Waldmeyers Protest war vergeblich. Auch sein Vorschlag, alternativ zwei neue iPhones zu kaufen, zerpflückte Charlotte in Nu, da diese vorab in China gefertigt werden. «Es sind die Pillen, Max, wir müssen wohl dort ansetzen. Steck das doch mal dem Parmelin!»

Waldmeyer und das neue Wohnrecht

Die Bundesverfassung garantiert jedem Bürger eine adäquate Bleibe. Aber eine Verfassung muss sich immer weiterentwickeln und den neuen Ansprüchen gerecht werden. Waldmeyer weiss, wie die Wohnwelt in der Zukunft aussehen wird!

Den Ökonomieverweigerern sei Dank

Die Wohnmisere ist schon seit Jahren mit Händen zu greifen: Es gibt zu wenig Wohnraum, und er wird immer teurer. An sich ein normaler Vorgang, denn wenn es von einer Sache zu wenig gibt, wird sie immer teurer. SP- und Grünen-Politiker hätten das inzwischen schon selbst merken müssen, zum Beispiel, wenn sie im Sommer einen Campingplatz buchen. Da wird plötzlich alles teurer, wenn zu wenig auf dem Markt ist. Was die Protagonisten unserer politischen Gesellschaft auf ihrem Bildungsweg oder im realen Leben verpasst haben, holt sie dann plötzlich ein: Angebot und Nachfrage stimmen nicht mehr überein, und der Preis gleicht das aus. Das ist ein ganz banales ökonomisches Prinzip. Man kann dagegen sein – aber es nützt nichts, es ist ein Kampf gegen die Windmühlen.

Zu allem holt einen das volkswirtschaftliche Ungleichgewicht bereits auf der Fahrt in den Süden schon am Gotthard ein, wenn die Autokolonnen immer länger werden. Vielleicht reisen die Ökonomieverweigerer natürlich mit der Bahn, dann merken sie nicht, wie der zur Verfügung stehende Platz an Strassenfläche der Nachfrage nicht mehr gerecht wird. Aber eventuell hilft die überfüllte Bahn dann, als einfaches edukatives Mittel, zur Erklärung der Ökonomie?

Die grosse, dumme Bauverhinderung

Aber zurück zum Schweizer Wohnangebot. Waldmeyer stellte fest, dass das Bauen an sich immer teurer wird, nur schon aufgrund der Vorschriften. Es fehlt auch an Einzonungen. Zwar liegen ganze Industrie- und Gewerbeflächen brach, und es gibt ein Überangebot an alten Büroflächen. Umnutzungen benötigen indessen, gefühlt, mindestens eine Generation bis sie greifen. Komplizierte und langwierige Baubewilligungen tun dann noch das Ihre für jahrelange Verzögerungen. Und unsere direkte Demokratie, an sich eine nette Errungenschaft, ermöglicht auch die unmöglichsten Einsprachen – zumal das Einspracherecht seit einiger Zeit auch noch allerlei Vereinen und Organisationen zur Verfügung steht.

Gleichzeitig wächst unsere Bevölkerung, und der Anspruch an grössere Wohnflächen steigt. In der Summe stimmen Angebot und Nachfrage nicht mehr überein. Es wird auch in Jahren noch nicht übereinstimmen, denn so schnell wie die Nachfrage steigt, kann gar nicht gebaut werden. Ein Jammer. Aber der Preis gleicht glücklicherweise aus, die verfügbare Menge wird einfach teurer. Erste Lektion in der Wirtschaftslehre.

Besser in den Jura?

Wieder einmal wagte Waldmeyer einen vorsichtigen Blick in die Zukunft. Auch künftig wird es jungen Leuten schlichtweg verwehrt sein, Wohneigentum zu erwerben. Auch 10-jähriges Sparen hilft da nicht weiter. Die Banker werden nur ein müdes Lächeln übrig haben für die jungen Paare, die sich mit 200’000 Franken angespartem Eigenkapital ein Haus leisten wollen. «Da müssen Sie wohl in den Jura ziehen», könnte auch in Jahren noch eine ihrer Antworten lauten.

Wie die Politik das in der Zukunft also zu gestalten gedenkt? Mit vereinfachten Baubewilligungen, vernünftigeren Bauvorschriften, gescheiten Einzonungen? Nun, es werden leider wohl andere, politischere Lösungen angestrebt werden.

Waldmeyers Blick in die Zukunft

Waldmeyer liess seinen Zeitstrahl in die Zukunft gleiten und blickte von dort zurück: Den Beginn machten die grossen Städte im Land. Ab 2025 plafonierten sie nämlich die Mieten, bauten viele Sozialwohnungen und verhinderten erfolgreich das private Bauen. Zürich bewirkte einen Dammbruch, schon 2024, als die Regierung dort bestimmte, dass nun auch Bessersituierte eine vom Staat mitfinanzierte Bleibe beziehen dürfen. Offenbar liessen sich die vielen staatseigenen vergünstigten Sozialwohnungen nicht mehr mit mittellosen Bürgern füllen. Auch gab es, beispielsweise auch in Zürich, zu wenig Stadträte der SP und der Grünen, die in einer stadteigenen Wohnung leben durften (bereits über die Hälfte belegte bereits 2024 eine solche schöne subventionierte Bleibe).

Das neue Wohnmodell basierte offenbar auf der klugen Erkenntnis, dass es eigentlich gar keine Bedürftigen mehr gibt. De facto beginnt die neue Nahrungskette ab Stufe gehobener Mittelstand. Darunter gibt es nur Asylanten und Randständige, welche ihr Schicksal selbst gewählt haben.

Der Durchbruch: die AirWohn&Wohn App

Waldmeyers Blick in die Zukunft sah nun so aus: Den Menschen, die künftig kaum mehr bedürftig sein werden, wird es immer noch an Wohnraum fehlen – und dafür war nun der Staat zuständig.

Inzwischen, so die Vision Waldmeyers, wurden auf privater Basis konsequenterweise kaum mehr neue Bauten erstellt, da sich die meisten Investoren zurückgezogen hatten. Das war indessen egal, denn der Staat betrieb nun neu eine AirWohn&Wohn App, welche alle Single-Bürger und kleinere Familien zu sinnvollen Clustern zusammenführt, die sich eine Wohnung teilen können.

Waldmeyer blickte von seiner Terrassenliege in Meisterschwanden auf den See runter. Ja, er selber durfte ganz angenehm wohnen. Frau Rodrigues hantierte mit dem Staubsauger lautstark im Wohnzimmer; Waldmeyer liess sich indessen nicht stören, da er wusste, dass es der neue Dyson war. Charlotte neben ihm studierte Reiseländer, in die sie nie fahren würden. Das Wohnproblem betraf also nicht ihn. Umso interessanter ist es, über Probleme der anderen nachzudenken. Die Wohnzukunft wird folglich so aussehen, so malte sich das Waldmeyer weiter aus, dass endlich keine Wohnungsnot mehr herrschen sollte, und alle werden glückliche Wohnungspartner gefunden haben.

Die neue Chefin des Departementes des Innern, Fatima Ramadani, löst das Problem

Unsere Wohnbauministerin, Elisabeth Baume-Schneider, hatte sich nach acht ereignislosen Jahren wieder in den Jura verkrochen und ihre Nachfolgerin, die nonbinäre Fatima Ramadani, hatte die Zügel fest in die Hand genommen. Ihr Cousin hatte in ihrem Auftrag diese geniale AirWohn&Wohn-App mit einem Stab Kosovofreunden aus dem Homeoffice entwickelt. Die clevere App wird sogar eine soziale Garantie abgeben, dass die Wohngemeinschaft funktioniert, sie ist KI-gesteuert und kann selbst die schwierigsten Psychogramme der Mieter zusammenführen. Sicherheitshalber werden ethnische Cluster gebildet, was auf der Hand liegt, denn Menschen mit einem serbischen Hintergrund, beispielsweise, kann man nicht mit Albanern kombinieren – das gibt nur Zoff. Schweizer mit Schweizer geht. Eritreer mit Äthiopier geht aber nicht. Die App ist so intelligent, dass sie auch kluge gastronomische Zusammensetzungen vorschlägt. So dürfen Muslime mit Juden problemlos unter einem Dach leben, da sie beide kein Schweinefleisch essen. In diesem Fall sieht die Wohneinheit jedoch zwei Kühlschränke vor, beschriftet mit «halal» und «koscher». Ja, die KI denkt an alles!

Bleibt Waldmeyer in Meisterschwanden?

Wenn’s nicht klappt mit dem Zusammenwohnen hat jeder Mieter maximal 12-mal pro Jahr Anrecht auf einen Wohnungswechsel. Umziehen wird eh einfach sein, denn sämtliche Möbel und das Kleininventar werden von der staatlichen Plattform zur Verfügung gestellt. So entfällt der lästige und wenig klimafreundliche Umzug. Vereinzelte Stimmen werden zu Beginn monieren, dass dieses neue Wohnmodell post-marxistische Züge trägt oder eine moderne Kibbuz-Interpretation sei. Aber weit gefehlt, denn es basiert auf Einsicht und Freiwilligkeit. Den meisten Bürgern wird es gefallen.

Max Waldmeyer freut sich auf die künftigen cleveren Lösungen im Wohnungsbau. Er selbst zieht es vor, in seiner Villa in Meisterschwanden zu bleiben und von dort aus die neue, lustige Wohnwelt zu beobachten. «Ich glaube, wir bleiben in Meisterschwanden. Ich begreife die Leute nicht, die nicht in ein Eigenheim ziehen wollen», meinte er zu Charlotte.

Charlotte antwortet in der Regel nicht, wenn Max wenig Sozialverträgliches zum Besten gibt. Heute aber schon: „Du kannst ja hier bleiben, Max, ich buche für mich jetzt mal was auf dieser neuen App!“

Waldmeyer und warum Trump beabsichtigt «to buy Switzerland»

Waldmeyer hatte sich schon daran gewöhnt, dass Präsident Trump provokative Äusserungen zum Besten gibt. Seine Ideen sind manchmal auch ganz lustig – oder zumindest kreativ. Aber oft auch ziemlich ernst gemeint. Und diese Ideen könnten erst der Anfang sein. Waldmeyer schaut voraus.

Waldmeyer erinnert sich: Während Trumps erster Regentschaft ärgerte sich dieser über die teuren Unterstützungsgelder, welche Puerto Rico verschlang. Puerto Rico ist, wie wir wissen, de facto eine Kolonie der USA. Der Begriff «Kolonie» wird heute selbstredend nicht mehr verwendet, aber er definiert den Status der Insel, leicht östlich von Haiti und der Dominikanischen Republik gelegen, treffend. Das Eiland von ungefähr doppelter Grösse Graubündens und mit der Einwohnerzahl Berlins etwa wurde 2017 vom Hurrikan Maria heimgesucht und war anschliessend ziemlich versehrt und technisch bankrott. Schon früher stand es jedoch mit den Finanzen um den mit den USA halbwegs verbundenen Kleinstaat nicht zum Besten. Puerto Rico ist ein «non-incorporated territory» – und damit eben kein Bundesstaat, nur eine karibische, mehr oder weniger kaputte Aussenstation. Kein Wunder, fragte Trump 2017 deshalb seine Mitarbeiter, ob man dieses defizitäre und beschädigte Asset nicht «verkaufen» könnte. Schon 2012 hatten sich die Puerto-Ricaner bei einer Abstimmung für die Aufnahme eines vollwertigen 51. Bundesstaates ausgesprochen – was Donald Trump indessen überhaupt nicht kratzte. Donald «The Chosen One» betrachtet Länder nämlich so, wie er früher eine Immobilie oder Bauland betrachtet hatte, also als ein Aktivposten in der Bilanz eines Konglomerates.

Deshalb war Trumps Anschlussfrage, damals, auch stimmig, ob man denn nicht Grönland kaufen könnte. Und jetzt wieder. Diesmal mit der Nachricht, Grönland müsse zur USA kommen, weil dies im nationalen Interesse sei. Es geht vor allem um Handelsrouten und die Rohstoffe, da liesse sich doch etwas mehr machen aus dieser vernachlässigten Insel, ist Trump überzeugt. Dass nun auch Panama auf der Shoppingliste steht (oder zumindest das Gebiet rund um den Panama-Kanal) ist deshalb nur schlüssig. Schliesslich gilt es, diese wichtigen Handelswege besser abzusichern. Auch die Einladung an Kanada, der 51. Staat der USA zu werden, ist somit konsequent.

Das alles mag, zumindest vordergründig, ganz amüsant sein. Aber Waldmeyer findet das auch äusserst bedenklich, vor allem, dass Trump auch “militärische Aktionen nicht ausschliessen“ würde, um seine Ziele zu erreichen. In diesem Sinne, und nun die erschreckende Erkenntnis, nähert sich die Politsprache der USA derer Chinas an, welche Taiwan «zurückmöchte». Auch der Hintergrund und die Begründungen für alle diese Vorhaben weisen ähnliche Muster auf, weil Fakten verdreht oder legitime Ansprüche suggeriert werden. Pro memoria: Taiwan hatte vor dem Zweiten Weltkrieg gar nicht zu China gehört, sondern war Teil (oder eben auch eine «Kolonie») Japans. Aber das spielt keine Rolle. Wir müssen nun von den neuen Leadern der Welt lernen, dass Ansprüche immer berechtigter werden, je länger man sie äussert.

Auch Russlands Anspruch auf die Ukraine gründet faktisch auf keiner Legitimität. Trotzdem findet dieser Hegemonismus grossen Zuspruch, weltweit. Auch ein immer breiterer Teil der Bevölkerung und viele politische Parteien in Europa finden das durchaus in Ordnung.

Es kristallisiert sich also eine neue Politsprache raus. Hemmungen werden abgebaut, man darf fordern – und die Durchsetzung der Forderung scheint dann immer mehr zum Courant normal zu werden. Auch wenn der venezolanische Präsident eine Einverleibung seines Nachbarstaates Guyana fordert, lächelt die Welt nur etwas und nimmt es einfach zur Kenntnis.

Imperialismus ist also wieder salonfähig.

Es scheint, als ob man nun neu ziemlich offensichtlich in die Politik anderer Staaten eingreifen darf: Russland kauft Wählerstimmen in Georgien und Moldawien, das gleiche Land greift auch direkt in die Präsidentschaftswahlen Rumäniens ein. Elon Musk, globaler Adlat Trumps, nimmt offen Partei für die AfD in Deutschland, bewundert Orban, ermuntert die FPÖ oder möchte Grossbritannien von der Tyrannei seiner Regierung «befreien».

Ob wir da wohl vor einer Zäsur in der Geopolitik stehen? Waldmeyer stand vor seinem Kamin in Meisterschwanden, das Feuer loderte lustig, er schlürfte an einem Cognac und platzierte seine kosmopolitischen Überlegungen. Charlotte schaute immer tiefer in ihr dickes Buch rein («Slow Cooking in Peru»). Waldmeyer holte etwas aus und stellte sich vor, was die nächsten globalen Schritte sein könnten. Erstens wird die Regierung Trump von ihren Forderungen nicht abrücken (so beispielsweise in Sachen Grönland). Zweitens wird sich China ermuntert fühlen, Taiwan zu annektieren. Drittens wird Russland seine Fühler weiter ausstrecken (so z.B. nach Spitzbergen, mithin eine Kolonie Norwegens, aber von grossem Interesse für Russland). Und dann kommt der vierte Schritt: Trump wird vorschlagen, dass die Schweiz der 54. US-Staat werden soll.

„Wo würdest du lieber wohnen, Charlotte: in einer neuen umgebauten Schweiz nach Plänen der Jungen Grünen und der Jusos oder im 54. US-Staat?“ Charlotte antwortete nicht und Waldmeyer fuhr mit seinen Ausführungen fort: Der Anschluss der Schweiz an die USA entbehrt tatsächlich nicht einer gewissen Logik. Das für die Grösse der Schweiz gigantische Handelsbilanzdefizit der USA mit dem kleinen Land könnte so elegant getilgt werden, denn die Handelsströme wären dann nur noch US-interne Bewegungen. Die Schweiz gehört nicht zur EU, ja, sie hat nicht einmal einen gescheiten Vertrag mit diesem Club. Der Schweizer Franken stellt ein Risiko dar, denn in Krisenzeiten explodiert diese Währung jeweils, und das Land gelangt mit ihren Exporten in die Bredouille. Die Übernahme des USD würde also Sinn machen – eine globale Währung zu haben wäre wesentlich gescheiter als sich dem lahmen Euro zuzuwenden oder den viel zu volatilen CHF zu behalten. Die UBS wird ihren Hauptsitz eh nach New York verlegen. Da sie dann keine Konkurrenz mehr zu den amerikanischen Banken darstellt, kann sie ungestörter ihren Geschäften nachgehen. Und die wichtigen Aussenstationen der amerikanischen Techfirmen (wie Zürich für Google) gehörten dann direkt zur USA.

Es mag auch ein paar wenige Nachteile für die Schweiz geben. So müsste die Eidgenossenschaft die Stationierung von ein paar Langstrecken-Raketen im Jura dulden. Vielleicht würden sich auch unsere gastronomischen Gepflogenheiten leicht ändern. Andererseits würden vermutlich die Strassen in den Städten wieder renaturiert – also wieder natürliche Strassen werden, mit vier und nicht zwei Spuren, und diese wären wieder mit einem normalen Tempo befahrbar. Absurden Weltverbesserungs-Initiativen aus der grünen und linken Ecke würde der Stecker gezogen. Und so weiter. Die ungebührliche Immigration aus uns fremden Ländern würde vermutlich eingedämmt, und ein paar nette Ami-Familien würden in unsere Städte ziehen – in denen plötzlich wieder gebaut werden darf.

Alles also gar nicht so schlimm? Wenn Waldmeyer die momentane Zäsur in der Geopolitik betrachtet und die kleine Schweiz sich in Reduit-Gedanken suhlt und sich so ins Abseits manövriert, wäre doch ein Befreiungsschlag eine elegante Lösung. Besonders angesichts der aktuellen politischen Entwicklung Helvetiens und des von vielen Kreisen beabsichtigten «Umbaus der Gesellschaft» könnte der Anschluss der Schweiz an die USA tatsächlich eine valable Option darstellen, meint Max Waldmeyer.

«Warum eigentlich genau der 54. Staat…?», fragte Charlotte ihren Max und unterbrach seine nach wie vor stehend vorgebrachte Vision vor dem Kamin, immer noch mit einem Glas Cognac in der Hand. «Und du müsstest dann Bourbon trinken, den Cognac kannst du gleich vergessen.»

Waldmeyer antwortete verzögerungsfrei: «Der 51. Staat wird Kanada sein, Nummer 52 Panama. Beim Verkauf von Puerto Rico wird keine Nummer frei, weil es ja nie ein US-Staat war. Somit wird die 53 für Grönland reserviert sein. Folglich, der Logik entsprechend: Switzerland will be the 54nd U.S. state. Und: Die Amis kennen ein paar ausgezeichnete Bourbons, da mache ich mir keine Sorgen.»

Waldmeyer und das bizarre Trump Kabinett

Trump stellt nur loyale Personen ein. Alternativ Geldgeber. Oder gute Kommunikatoren, welche seine Ideen verkaufen können. Trump stellt sich als künftige Regierungsform vermutlich so etwas wie ein westliches Kalifat vor. Nicht umsonst hatte er seinen Wählern im Abstimmungskampf versprochen, dass sie nur noch einmal, ein letztes Mal also, zu wählen hätten. Waldmeyer durchleuchtet nun das neue Kabinett.

2025 tritt ein erfahrener Mann die Präsidentschaft des wichtigsten Landes der Welt an. Seit den 80er Jahren hat er schon rund 4000 Prozesse geführt, er hat sechs Bankrotte seiner Spielkasinos und Firmen hinter sich, und er ist ein verurteilter Straftäter. Als gewiefter Geschäftsmann war er bekannt dafür, dass er Schulden nur ungerne zurückzahlt. 70 verschiedene Banken mussten ihre Forderungen schon abschreiben. Viele weitere private und firmenbedingte Prozesse stehen noch an. Immerhin kann er auf die Erfahrung einer Präsidentschaft zurückblicken, während der er die Staatsschulden um gigantische Summen aufgebläht hatte: nämlich um fast acht Billionen USD – mehr als je ein anderer Präsident.

Und nun also nochmals Trump. Der Mann ist jedoch entscheidungsfreudig. Und selbst wenn er nicht alles versteht, so könnte er doch zumindest ein gutes, professionelles Kabinett um sich herumscharen.

16 Kabinettsmitglieder gilt es zu bestimmen, plus weitere Schlüsselpositionen. Die Ernennungen müssen sitzen, denn anschliessend muss ja gar nicht mehr gewählt werden. So sieht es Trumps Geheimplan «Project 47» vor, der allerdings gar nie geheim war. Der Plan sieht vor, die Kompetenzen neu zu bündeln – nicht überraschend beim Präsidenten. Die Ernennungen machen in diesem Lichte durchaus Sinn, weil so der «Auserwählte» (Eigenwerbung Trump, «the chosen one») definitiv übernehmen kann. Der Erfinder der «alternative facts» soll es richten.

Die Kabinetts-Liste und die Kommentare Waldmeyers dazu sind leider bereits sehr lange. Und die Auflistung befand sich bei Redaktionsschluss noch in Dauerbearbeitung. Bestimmt werden noch ein paar zusätzliche seltsame Ernennungen nachgereicht. Waldmeyer analysiert die Personalien des bisher definierten bizarren Kabinetts:

So stellte Waldmeyer fest, dass auch erfolgreiche Hedgefund-Manager und Investoren der Wall Street Schlüsselpositionen im neuen Kabinett ergattern können. Scott Bessent hatte 1992, so wie George Soros, ein Vermögen mit der Wette gegen das britische Pfund verdient. Heute ist er im Hauptberuf Milliardär. Aber er war auch ein hervorragender Fundraiser für Trump, er brachte Dutzende von Millionen für den Wahlkampf zusammen. Nun die Belohnung: Scott wird Finanzminister, eine durchaus prestigeträchtige Arbeitsstelle.

Dem neuen Präsidenten war es wichtig, die Gewerkschaften ruhigzustellen. Und weil die Arbeiter im Rustbelt Trump an der Wahlurne entscheidend geholfen hatten, gehört es sich schliesslich, die versprochene Halbierung der Lebensmittelpreise und die drastische Senkung des Benzinpreises wahr werden zu lassen. If you can’t beat them, join them. Also musste ein Vertreter der Phalanx der Arbeiter auch in die Regierung – so lassen sich Veränderungen eleganter realisieren. Trump hatte aber noch eine zusätzliche Verpflichtung: Er musste sich bei allen Latinos bedanken, die ihm auf den Leim gekrochen sind. Also galt es, eine Person zu finden, die beides verkörpert: nämlich gewerkschaftsfreundlich ist und aus der Latinoecke kommt. Raffiniert wäre natürlich, wenn diese Person zusätzlich eine Frau wäre. Trumps HR-Gehilfen wurden fündig und präsentierten die Kunstfigur Lori: arbeiterfreundlich, Latina, trumpergeben. Lori Chavez-DeRemer wird nun, zumindest auf unbestimmte Zeit, Arbeitsministerin werden.

Auch Afroamerikaner sollten integriert werden. Schön wäre es, einen professionellen Footballspieler zu finden, dazu noch superloyal. Und eben schwarz. Trumps HR-Team fand auch hier den richtigen Kandidaten: Scott Turner. Er ist leidlich schwarz, sieht ganz gut aus und hatte schon mal einen Job unter Trump im Weissen Haus. Da soll noch einer sagen, Minoritäten hätten keine Chance! Scott erhält den Posten als Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung.

Wenn man Politstrategin ist und eine Denkfabrik leitet, die wie Trump denkt, kann das sehr hilfreich sein. Und so geschah es auch: Brooke Rollins bekommt den Job als Landwirtschaftsministerin. Sie hatte mit Landwirtschaft bisher selbstredend nichts am Hut. Aber sie scheint loyal zu sein.

Auch jüdische Wähler und die israelische Diaspora muss man auf seiner Seite haben. Also fahndete man nach einem geeigneten CV. Der Kandidat sollte auch ein bisschen vermögend sein, wenn möglich ein erfolgreicher Banker. Und im besten Fall noch ein zu belohnender Gönner Trumps im Wahlkampf. Man stiess deshalb auf Howard Lutnick. Howard darf nun Handelsminister spielen: Eine ganz interessante Stelle, denn da ist künftig Verhandlungspoker angesagt.

Um den Handelskrieg mit China noch etwas anzuheizen, brauchte es indessen noch eine zusätzliche Personalie: jemand, der sich in Sachen Zöllen bereits die Sporen abverdient hatte während Trumps erster Regentschaft. Deshalb wird Jamieson Greer Handelsbeauftragter.

Kinderreiche Familien sind immer beliebte Vorzeigemuster – in den Augen des neuen US-Präsidenten erst recht. Wenn ein Kandidat noch zusätzlich konservativer, erfolgreicher Fernsehmoderator ist (und neun Kinder hat), könnte er sich auch als Verkehrsminister eignen. Und so kam Sean Duffy zu seinem neuen Job wie die Jungfrau zum Kind.

So sollte sich auch ein bekannter Fernseharzt als Regierungsmitglied eignen. Wenn er zusätzlich noch die Bevölkerung der Einwanderer abholen kann (er hat türkische Wurzeln), kann das nur von Vorteil sein. Dass er medizinische Produkte ohne Nutzen anpreist, spielt keine Rolle – das passt ganz gut ins Bild der «alternative facts». Mehmet Oz wird künftig die staatlichen Gesundheitsversicherungen leiten. Warum er sich das antut, bleibt schleierhaft. Aber irgendein positiver Nutzen (im Vergleich zu denen seiner Scharlatan-Produkte) wird sich mit Bestimmtheit noch ergeben.

Die Förderung der fossilen Energie ist ein Lieblingsprojekt Trumps. Damit hatte er auf einen Schlag eine grosse Bevölkerungsgruppe und gleich mehrere Gliedstaaten auf seiner Seite. Wenn ein Protagonist dieser Förderer gleichzeitig noch ein grosser Wahlkampfspender ist, muss er auch belohnt werden: Der ziemlich vermögende Doug Burgum darf künftig das Amt des Innenministers bekleiden, kann ungehindert Fracking fördern und den Benzinpreis runterbringen.

Ein Fox-Moderator, der gleichzeitig noch Kriegsveteran ist, könnte sich doch als Verteidigungsminister des stärksten Landes der Welt qualifizieren – so die messerscharfe Analyse Trumps. Da spielt es auch keine Rolle, wenn jegliche politische Erfahrung fehlt. Pete Hegseth wurde nun zum Verteidigungsminister ernannt. Leider hat Pete keine Führungserfahrung. In seinem Job warten allerdings fast drei Millionen Angestellte darauf, geführt zu werden. Wenn das nur gut geht.

Auch ein ehemaliger kampferprobter Offizier der Green Berets kann sich gut machen in einem Kabinett. Er ist, wie Trump, der Meinung, dass man den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden beenden kann. Das Geheimnis diesbezüglich harrt noch seiner Lüftung. Auf jeden Fall wird Officer Mike Waltz jetzt Sicherheitsberater – ebenfalls eine absolute Schlüsselstellung in der Regierung.

Dass ein 80-jähriger Ex-General und Kriegsveteran nun als Sondergesandte für den Ukrainekonflikt benannt wurde, passt gut in die ganze Ernennungsliste. Ob es Keith Kellogg tatsächlich richten wird?

Der reichste Mann der Welt, erfolgreicher Unternehmer, Selbstdarsteller und Provokateur könnte der Mann fürs Grobe sein. Ausserdem muss man die Leute belohnen, die einen im Wahlkampf an vorderster Front mit Millionenbeträgen (total genau 270 Millionen USD) und offenbar gelungenen Auftritten unterstützt haben. Elon Musk soll deshalb die neue Effizienzbehörde leiten. An sich eine gute Sache, diesen ausufernden Beamtenapparat auszumisten. Aber der Interessenkonflikt ist zu offensichtlich: Musk möchte verhindern, dass seine in China zusammengezimmerten Teslas mit hohen Zöllen belegt werden, ausserdem möchte er die Amerikaner möglichst mit NASA-Geldern mit seinen Raketen der SpaceX auf den Mars schicken. Musk zur Seite wird der schwerreiche Unternehmer Ramaswani gestellt, welcher wohl ein bisschen Abwechslung sucht. Dass letzterer aus der indischen Abteilung kommt, kann der Sache nur förderlich sein, denn auch diese Bevölkerungsgruppe gilt es in irgendeiner Form in einer Regierung abzubilden.

Robert F. Kennedy jr. war ein Störfaktor ohnegleichen im Wahlkampf. Dass er sich bei seinem Rückzug für Trump aussprach, war natürlich das Resultat eines Deals. Nun soll der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker Gesundheitsminister werden – eine der wohl umstrittensten Ernennungen in diesem doch eher bizarren Kabinett.

Bei der Ernennung in das Amt des Justizministers wollte Trump keine Risiken eingehen – zu gross sind seine eigenen Erfahrungen mit den Rechtsbehörden. Also musste eine langjährige Unterstützerin her, voll ergeben, die ihn auch früher schon aus den Medien rausgehauen hatte. Und deshalb wird Pam Bondi jetzt Justizministerin.

Der kurz zuvor ernannte Matt Gaetz musste frühzeitig das Handtuch werfen, die Vorwürfe in Sachen Sex-Trafficking, Sex mit Minderjährigen und Drogenkonsum wogen zu schwer. Vorgänge zwar, die Trump nicht von einer Nomination abschreckten, zu bekannt sind ihm all diese Themen. Aber es war aussichtslos. Also zog er die Ersatzlösung Bondi Pam aus dem Hut – und dies binnen Stunden.

Ergebene Leute sind einfach Gold wert. Wenn sie mit ihren, wenn auch extremen Ansichten, zusätzlich eine grosse Wählergruppe zufriedenstellen können, ist das sehr hilfreich. Tulsa Gebbard ist so eine Figur, eine Putin-Verehrerin und Ukraine-Gegnerin. Sie wird nun Koordinatorin der 17 Geheimdienste. Für Trump kann das ganz praktisch sein: Er ist ja nicht so dumm und wird sich mit 17 einzelnen Behörden, die alle etwas Ähnliches tun, herumschlagen.

Kash Patel gilt als völlig kompetenzlos, als Brandstifter und grosser Anhänger der Verschwörungstheorie des „Deep States“. Warum gerade er nun künftig das FBI mit seinen 35‘000 Mitarbeitern leiten soll, entzieht sich jeglicher Logik. Aber Kash ist ein glühender Trump-Anhänger, er vertreibt sogar Kinderbücher mit Trump-Themen.

Der Posten des Aussenministers ist ein Schlüsselposten. Hier musste ein besonders treuer Trump-Förderer her. Marco Rubin eignete sich dafür hervorragend, denn er ist ein Gegner der Ukrainehilfe und befriedigt zusätzlich die Wahlansprüche der Latinos. Merke: Für den Posten braucht es keine geopolitische Erfahrung, sondern vorab loyale Unterstützung für den Chef.

Die Scharfmacherin und bedingungslose Trump-Unterstützerin Kristi Noem hatte sich vor allem einen Namen mit ihren Abschiebprogrammen für Immigranten gemacht. Nun wird Kristi Ministerin für Heimatschutz.

Loyalität ist wirklich die wichtigste Eigenschaft, die Donald The Chosen einfordert. Wenn man zusätzlich und vorbehaltlos die Theorie der «gestohlenen Wahl 2020» vertritt, eignet man sich in besonderem Masse für höhere Weihen. Elise Stefaniak wird deshalb mit dem Rang einer UN-Botschafterin belohnt.

Die treue Miss Moneypenny   Susie Wieles hatte Trump schon früher gedient. Sie hielt ihm immer den Rücken frei und führte seine Vorzimmer mit eiserner Hand. Qualifikation genug, um als «Ice Maiden» jetzt Stabchefin zu werden.

Da passt ihr Stellvertreter gut dazu, der ultrarechte Scharfmacher Stephan Miller.

Wer CIA-Chef werden möchte, muss es ganz dick hinter den Ohren haben. Also mit allen Wassern gewaschen und nun, im Sinne des neuen Chefs, auch ziemlich konservativ sein. Der umstrittene John Radcliff soll es künftig richten.

Wenn man schon mal das Attribut «Grenz-Zar» erworben hat und sich vehement öffentlich für die Abschiebung “aller illegalen Einwanderer» stark gemacht hat, darf man Grenzschutzbeauftragter werden. Wie die 11 Millionen Illegale, die in der Regel ja nicht rumhocken, sondern irgendwo arbeiten, ersetzt werden sollen, steht in den Sternen. Aber Tom Hogan hat schon mal eine Ansage gemacht.

Dass die (in der Tat zum Teil absurden und weltfremden) Umweltbestimmungen runtergefahren werden müssen, war ein erklärtes Ziel des neuen Präsidenten. Dafür braucht es nun einen weiteren Mann fürs Grobe: Lee Zeldin soll Chef der Umweltbehörde werden, ein Mann also, der sich schon 2020 im angestrebten Amtsenthebungsverfahren als unerschütterlicher Verteidiger Trumps profiliert hatte.

Wenn man ein wichtiger Immobilieninvestor ist, über gute Geschäftsbeziehungen mit dem Nahen Osten verfügt und erst noch jüdischen Glaubens ist, kann man Nahost-Sondergesandte werden. So erging es Steven Witkoff, mithin Trumps Golf-Buddy. Warum er gleich auch noch Massad Boulos, den Schwiegervater seiner Tochter Tiffany zum Berater für den Nahen Osten ernannte, ist ein Rätsel. Er sei auf jeden Fall ein guter „Deal Maker“. Ob es vielleicht um eigene Deals dieser beiden Protagonisten gehen wird? Und, ach ja, die Familie Boulos führt eine grosse Restaurantkette im Libanon. Da müssen doch künftig tatsächlich noch gute Deals anstehen.

Donald der Auserwählte hievt also auch gerne Familienmitglieder in wichtige Positionen. Besonders amüsant sind dabei die Ernennungen der Botschafter. Waldmeyer nennt hier ein Beispiel unter vielen: Charles Kushner, der Vater von Trumps Schwiegersohn, wurde schon am Ende der ersten Regentschaft Trumps von diesem begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen. Jetzt wird er Botschafter in Frankreich. Er sei ein „hervorragender Geschäftsmann“ meinte Trump.

Gerade erfuhren wir, dass der verurteilte Peter Navarro nach seiner Entlassung nun wieder in Trumps Kabinett als Handels-Scharfmacher zurückkommen darf. Mark Burnett (Produzent von Trumps früherer Show „The Apprentice“) erhält einen Schlüsselposten: Er wird Botschafter in Grossbritannien. Und Jared Isaac, Astronaut, soll – mithilfe Musks, notabene – die Amerikaner auf den Mars bringen, deshalb ist er nun der neue NASA-Chef.

Auch Donald Trump jr. darf bei den vielen Ernennungen Wünsche anbringen. So wollte er sich seiner Ex-Verlobten Kimberly, eine ehemalige Fox-Moderatorin, entledigen, da ein Wechsel zu einem jüngeren Model, der hübschen Bettina, anstand. Also sollte die Ex am besten ins Exil. Papa Trump konnte es richten: Kimberly wurde kurzerhand zur Botschafterin in Griechenland ernannt.

Und so weiter. Wir warten noch auf weitere Ernennung und auf die vielen neuen Botschafter, alles verdiente Buddies, die Trump in alle Welt entsenden wird. Wir warten auch noch auf die genau Rolle für Barron, Trumps 18-jährigen Sohn. Er soll sich um die „social media activities“ für junge Trumpanhänger kümmern. Wir sind gespannt.

Bei aller Kritik muss Waldmeyer indessen eingestehen: Regierungsmitglieder verfügen auch in super-demokratischen Staaten bisweilen über keine Kompetenz. Es sei an das erste Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen von Kanzler Scholz erinnert. Oder in der Schweiz an die Schwarznasen-Züchterin und Sozialhelferin Baume-Schneider, die, erst glücklose Justizministerin, anschliessend Innenministerin wurde. Nun, man kann sich ja entwickeln in einem Amt.

Allerdings: Die Leute um Trump sind schon entwickelt – mit den ihnen besonderen Ausprägungen eben. Sie sind nur entweder befangen oder weird. Nicht alle sind unbedarft, im Gegenteil, da sind ein paar brillante Köpfe dabei. Europa wird sich nun wohl warm anziehen müssen. «Amerika First» wird nicht ohne Folgen bleiben.

«Warum gibt es eigentlich kein «Europe First», bemerkte Waldmeyer gegenüber Charlotte am Tisch und blickte über die leere Flasche Terre Brune hinweg.

«Europa gibt es eben in dem Sinne gar nicht, Schatz», entgegnete Charlotte abgeklärt.

«Und was ist mit Switzerland First?», meinte Waldmeyer resigniert.

«Das gibt es sehr wohl. Wir fördern unsere Landwirtschaft und akzeptieren dabei die doppelten Lebensmittelpreise, verglichen mit dem Ausland. Gewisse Parteien möchten die Einwanderung stoppen, obwohl diese Leute künftig unsere AHV bezahlen werden. Wir leisten uns eine teure Armee, mit der wir uns jedoch allein nicht verteidigen könnten. Aber es ist unsere Wahl. Andere Parteien wollen lieber Staus und sind gegen Autobahnen, weil so das Weltklima gerettet wird. Du siehst, wir haben unseren eigenen Plan für unsere kleine Welt.»

Waldmeyer verschwand wortlos im Keller. Er kehrte, nach einiger Reflektion, mit einer weiteren Flasche Terre Brune zurück. Beim Entkorken überlegte er: Die Amis, die tun zumindest was. Auch wenn was Falsches rauskommen mag.

Waldmeyer, die Ukraine, die Russen und der Wodka

Bereits sollen rund 140’000 Russen im Krieg in der Ukraine gestorben sein. Und rund 70’000 Ukrainer. Das unbalancierte Verhältnis der Kriegstoten ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Angreifer immer mehr verliert als ein Verteidiger, das lehrt die Militär-Historie. Aber Waldmeyer verblüffte etwas ganz anderes, was den Ukraine-Krieg in ein neues Licht rückte: Der Einfluss des Alkohols.

Der Cognac vor dem Kaminfeuer schmeckte Waldmeyer heute nicht so recht. Vielleicht hätte er lieber ein Glas Wodka nehmen sollen, angesichts seiner Gedanken an die Ukraine. Die Amerikaner würden Eiswürfel in den Cognac werfen, überlegte Waldmeyer, und es schüttelte ihn bei diesem Gedanken. Charlotte schwenkte ein Glas Baileys; Waldmeyer liess ihr das durchgehen, obwohl er in einem Baileys eher so etwas wie ein Dessert sah.

Aber eigentlich dachte Waldmeyer an Wodka. Der würde aber nicht als Drink vor dem Kaminfeuer passen, und wir Westler trinken Wodka ohnehin selten pur – bei uns ist Wodka eher ein willkommenes Mischgetränk.


Wo ist Waldmeyer auf dem Bild?

Unter den ersten 10 Einsendern wird ein gescheites Buch verlost (2.LMP, der zweite Lebensmittelpunkt, der neue Schweizer Bestseller von Roland V. Weber)!



Es ging jedoch gar nicht um Cognac oder Wodka. Waldmeyer stellte einfach nur fest, dass die Russen und die Ukrainer offenbar an den Frontabschnitten fleissig dem Alkohol zusprechen. Meistens dem Wodka. Waldmeyer ging es allerdings gar nicht um diese Sauferei in den Gräben und den Unterständen. Was sollten sie denn sonst tun, die Soldaten, bei dieser blöden Warterei, zudem in der Kälte, im Regen, oft im Dunkeln und im Schlamm. Ein Desaster vor Ort. Waldmeyer konstatierte nun kein medizinisches Problem an diesen Kriegsschauplätzen, sondern ein generelles.

«Die Russen sterben vor allem an Wodka», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber. Charlotte zuckte nur mit den Achseln.

Zuvor hatte er die Zahlen der Gefallenen an der Ukrainefront studiert. Ein Gemetzel. Die Frontabschnitte erinnern zum Teil an den Ersten Weltkrieg – nur kommen heute die Drohnen dazu. Aber man stirbt noch immer in den Frontgräben. Rund 140’000 Russen sind seit dem 24. Februar 2022 in der Ukraine gefallen. Das bedauerte auch Christoph Blocher, das mit dem «Tod der unschuldigen jungen Russen». Dass er dabei die unschuldigen jungen Ukrainer vergass, ist wohl seiner speziellen kognitiven Wahrnehmung geschuldet.

Auch rund 70’000 Ukrainer mussten nämlich ihr Leben lassen. Die Ukrainer sind etwas tapferer. Ihnen droht der Verlust ihres Vaterlandes, deshalb sind sie motivierter. Die Russen werden aus Sibirien abkommandiert und in den Fleischwolf geschickt. Sie sind de facto aber oft nur Söldner, sie sind nicht aus Überzeugung hier, sondern weil Frontsoldat ein gut bezahlter Job ist. Besser als sich zu Hause bei einem Hungerlohn in Wladiwostok oder Murmansk abzuschuften.

«Die Russen sterben doppelt so rasch wie die Ukrainer», meldete Waldmeyer nun zu Charlotte rüber. Charlotte zuckte mit den Mundwinkeln und versuchte, sich auf ihren Baileys zu konzentrieren.

Waldmeyer stellte weiter fest: Also nehmen die jungen russischen Männer ein hohes Risiko in Kauf, im Sarg nach Murmansk zurückgeschickt zu werden. Zumal sie das Risiko gar nicht kennen, sie kriegen ja nur beschränkt und in zensierter Form die wenigen internationalen Nachrichten auf ihr Handy. Vielleicht können sie ihr Handy auch nicht immer gleich aufladen, vielleicht läuft gerade Krieg, und in den Gräben gibt es ja keine Steckdosen.

Waldmeyer wollte es nun genauer wissen und analysierte die wahren Todeswahrscheinlichkeiten der Russen. Und, Heureka, es sind gar nicht Armeerisiken: Die Russen sterben nämlich sehr oft bei Verkehrsunfällen: rund dreimal mehr als in Deutschland oder der Schweiz. Russen lieben auch den Suizid: Die Rate liegt auch hier um ein Mehrfaches höher als bei uns. 300’000 männliche Tote jährlich verzeichnet das grosse Land als Folge des Tabakkonsums – eine unglaubliche Zahl. Manchmal erfrieren sie auch, die Russen, aber dabei besteht wohl ein Kausalzusammenhang mit dem Alkohol: Wenn man betrunken aus der Bar torkelt in Nowosibirsk, auf dem blanken Eis ausrutscht und seinen Kopf aufschlägt und stirbt, ist man bestenfalls tot. Vielleicht erfriert man aber im Suff und in der Dunkelheit. Es ist dann ein Unfalltot oder ein Erfrierungstod.

Die Russen nehmen das mit dem Tod und überhaupt mit dem Wert eines Menschen nicht so genau. Historisch gesehen war ein russisches Leben eh nie viel wert. Das war zur Zarenzeit so, später unter Stalin, dann hinter dem Eisernen Vorhang, heute eben an der Front in der Ukraine. Da gelten höhere Ziele.

Aber nun zurück zum Alkohol und den Russen: Tatsächlich sterben in Russland jährlich rund 500’000 bis 700’000 Menschen an Alkoholmissbrauch. Es sind meistens Männer. Russische Frauen saufen weniger. Die werden eher exportiert, in den Westen – zumindest die schönen schlanken, mit Beinen bis unter die Achseln, oft auch mit nachgeholfenem Look, das heisst mit viel Silikon im Busen und den Lippen, neuerdings auch im Po, zur Form-Optimierung. Frauen werden in Russland im Schnitt 78 Jahre alt, Männer nur 67. Natürlich lebt man in den chicen Quartieren in St. Petersburg und in Moskau länger, dort gibt es eine top Gesundheitsversorgung. Sofern man genügend Geld hat, lebt man ohnehin länger, das ist an anderen Orten auch so. Aber wenn man ein begrenztes Budget hat und viel säuft, wird es brenzlig.

Das mit der unterschiedlichen Lebenserwartung der Männer und Frauen hat also kaum etwas mit dem Ukrainekrieg zu tun. Und das mit der beschränkten Lebenserwartung der Männer wohl nur am Rande mit diesem Krieg. Der russische Mann stirbt, statistisch gesehen, in der Regel, weil er raucht und/oder säuft. Konkret: Die Kriegstoten an der Ukrainefront sind fast vernachlässigbar, angesichts der gigantischen Zahl an Tabakleichen oder Alkoholtoten.

Waldmeyer möchte nicht falsch verstanden werden: Er möchte das Kriegsdrama nicht verzwergen. Aber die Zahlen sind nun mal so. Putin wird diese auch kennen. Deshalb sind für ihn die Ukraineverluste, im Verhältnis zu anderen Todesrisiken seiner Untertanen, eine Quantité négligable – was das ganze Drama nur noch dramatischer macht.

Bei den Ukrainern sieht es etwas anders aus, aber relativ gesehen, unter dem Wodka-Aspekt, doch auch ähnlich: Da sterben nun im Krieg über 30’000 Soldaten und Zivilisten jährlich, aber rund doppelt so viele jedes Jahr an Alkoholmissbrauch. Die Ukrainer saufen auch Wodka, und dies nicht zu knapp. Immerhin ein bisschen weniger als die Russen. Sie leben zudem einen Wimpernschlag gesünder, ihr BMI ist auch etwas tiefer als der der Russen. Gastronomisch ist das nicht zu begründen, denn beide Staaten befinden sich in kulinarischen Wüsten. Es hat wohl eher mit der Menge der Nahrungsaufnahme zu tun.

«Die Russen sterben vor allem an Wodka», meldete Waldmeyer nochmals Richtung Charlotte rüber. „Vielleicht wirst du einmal an Cognac sterben, Max“, erwiderte Charlotte.

Waldmeyer gönnte sich gleich einen Refill. Es war ein Hennessy, kein überragender Cognac, aber ein sehr korrekter. Die Nordkoreaner werden wohl kaum Cognac trinken, auch keinen Wodka, vor allem jetzt nicht an der Ukrainefront, überlegte Waldmeyer. Die sind dünn, fast ausgemergelt, da es in ihrem Land ja nicht genügend zu essen gibt. Die nordkoreanischen Soldaten sind aber mental gut kalibriert und trainiert. Sie saufen überhaupt nicht, Alkohol ist nämlich nur für die Nomenklatur im Land erschwinglich. Nordkoreaner erscheinen, im Vergleich zu den Russen an der Front, also als sehr gesunde Menschen – zumindest BMI-mässig und was ihre Trinkgewohnheiten anbelangt.

Nordkoreaner, und Waldmeyer meinte dabei diejenigen, die nicht an der Front sind, leben trotzdem nicht sehr lange, offenbar setzt die Misswirtschaft in Pjöngjang den Menschen doch zu. Männer werden in Nordkorea rund 71 Jahre alt – was ein ganz guter Wert ist im Vergleich zu Russland, aber immer noch ein sehr schlechter Wert global, nämlich deutlich unter dem Weltdurchschnitt. Und wenn nun noch junge Koreaner an der Ukrainefront verheizt werden, wird das die Statistik der Lebenserwartung kaum verbessern – aber wohl auch kaum signifikant verschlechtern, so viele Soldaten hat der ehemalige Schulabgänger aus Gümligen und Kerzers (Kim Jong-un, der ziemlich adipöse Diktator Nordkoreas) noch gar nicht an die Front geschickt.

Dann ist der Ukrainekrieg, opfermässig, vielleicht nur so etwas wie ein «Storm in the Waterglass»…? Nein, beileibe nicht. Waldmeyer versuchte nur, das Todesdrama in Osteuropa zu relativieren. Er wird sich dabei allerdings keine neuen Freunde schaffen.

«Die Ukrainesache ist ein Drama», meinte Max Waldmeyer zu Charlotte, und er schenkte sich nochmals etwas Hennessy nach.

«Vielleicht ist es doch schöner, an Alkohol zu sterben, als an Krieg, Max – meinst du nicht…?», erwiderte Charlotte.

Waldmeyer und die fatale Ära der Mutti Merkel

In der Regel läuft es nicht schlecht in einer Regierung, wenn nicht entschieden wird. Denn damit wird nicht falsch entschieden. Oder zu langsam. Oder zu schnell, weil man beispielsweise in einer Krise überfordert ist. Angela Merkel war immer ganz besonnen, entschied sie doch oft nichts. Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit bringt allerdings Fatales zutage. Die 16 Jahre Regierungszeit Merkels waren wohl der Beginn des Niedergangs einer erfolgreichen Industrienation, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg rasch aufrappeln konnte. Waldmeyer entzaubert in einem Interview mit Rebecca Carpenter das Merkel-Märchen.

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, soeben ist die Autobiografie von Angela Merkel erschienen. Offenbar wollte Frau Merkel die Deutungshoheit über ihre Amtszeit zurückgewinnen.

 Max Waldmeyer: Ja. Leider steht nichts drin. Sie hätte die Seiten auch leer lassen können.

 Denkst du nicht, dass es doch bewundernswert ist, wie sich die Bundeskanzlerin 16 Jahre lang an der Spitze halten konnte?

 Bewundernswert? Absolut! Man muss das erst mal schaffen, 16 Jahre lang nahezu nichts zu entscheiden und trotzdem als «ruhiger Fels in der Brandung» durchzugehen. Nun, die 16 Jahre Merkel dienten eigentlich nur der Machterhaltung. Ideen der SPD in der damaligen Koalition mit der Union wurden einfach in die CDU-Agenda integriert und der SPD so den Wind aus den Segeln genommen. Mit der Folge einer ungemeinen Staatsaufblähung und einer Verschiebung des ganzen Staatswesens nach links. Im Buch sucht man übrigens vergeblich nach irgendeinem Eingeständnis von Fehlern. Ihre Regentschaft war aber tatsächlich, in der Retrospektive nun, ein Misserfolg.

Dass nicht alles rund lief, wissen wir ja. Zumindest war ihre Haltung damals in Sachen Flüchtlingspolitik doch sehr mutig.

 Natürlich. Etwa so mutig wie ein Fallschirmspringer ohne Schirm. Sie hatte 2015 unreflektiert einfach darauf gehofft, dass alles gut geht. Und siehe da, Surprise: Es ging überhaupt nicht gut. Nur würde Mutti diese Panne nie eingestehen. Obwohl leider nur die kulturfernen, falschen Leute kamen. Die Episode «Wir schaffen das» war eine schlagende Fehlbeurteilung in Sachen Immigration.

Wie erklärst du dir, dass Angela Merkel nicht einen Blick auf andere Länder geworfen hatte, die Immigration erfolgreich managen?

Ja, Angela war wohl einfach in ihrem eigenen Tunnelblick gefangen. Die Stärke Deutschlands in der EU hätte es erlaubt, die Immigration anders zu steuern. Wie Australien, Kanada oder Neuseeland beispielsweise. Die machen das ja ganz raffiniert, die schauen einfach, was sie brauchen im nächsten Jahr. 1’000 Zahnärzte? Bitte hier lang! 2’500 Klempner? Bitte Eingang links. In ganz Europa läuft es anders, man lässt immer noch einen Tsunami an Wirtschaftsflüchtlingen rein. Und wenn sie mal hier sind und man anschliessend, nach geraumer Zeit, merkt, dass sie nicht hier sein dürfen, werden sie nicht zurückgeschickt. Man parkt sie dann irgendwo und die Integration wird zur optionalen Kür.

Aber zurück zu Merkel, zu diesem fatalen Fehlentscheid im Jahr 2015. Die Angst um die schrumpfende Bevölkerung mag ein Grund gewesen sein, so zu entscheiden. Deutschland ist ja ein Auswanderungsland. Da gibt es viele eigene Wirtschaftsflüchtlinge – nur in die andere Richtung. Sie flüchten aus Germanien raus. Ein weiteres Problem, neben diesem demografischen, ist der Fachkräftemangel. Aber die Vorstellung, dass dieses Problem mit ungebildeten Algeriern oder Syriern gelöst werden könnte, die sich hier dann sofort heimisch fühlen, war und ist ziemlich weltfremd. Jetzt dämmert es den Politikern langsam im Land, dass so ein Menschenimport nicht funktioniert. Allerdings hat die AfD das Thema bereits seit geraumer Zeit besetzt und freut sich, dass sich sonst kaum jemand darum kümmert.

Fehler Nummer eins war also das falsche Immigrationshandling.

 Die Ära Merkel produzierte indessen noch weitere Kapitalfehler: einen Doppelfehler eigentlich, in Sachen Energie. Um das Verschulden Angelas richtig zu werten, müssen wir etwas zurückblenden in die DDR, bis 1988/1989. Die junge und kluge Angela war damals 35 Jahre alt, eine gestandene Quantenphysikerin. Die DDR kollabierte zu jener Zeit aufgrund ihres ökonomischen Zusammenbruchs – nicht nur, weil das Volk genug von der Mauer hatte. Russland befand sich just damals in einer grossen Wirtschaftskrise und hatte es satt, der DDR zu einem Drittel des Marktpreises Öl und Gas zu liefern. Leider hatte sich der gute Honecker in Sachen Energielieferung aber zu 100% auf Russland verlassen und das Land so komplett abhängig gemacht. Die drastische Erhöhung der sowjetischen Energiepreise brach der DDR endgültig das Genick. Angela wusste vielleicht nicht alles zu jener Zeit, vielleicht interessierte sie sich tatsächlich nur für diese Quantenphysik. In der Freizeit ging sie zu politischen Veranstaltungen oder ins FKK-Freibad. Aber spätestens ein paar Jahre darauf kam die ganze Chose an die Oberfläche, und auch klein Angela musste von diesem Energiedebakel und den Hintergründen der damit bankrotten DDR gehört haben.

Das allein darf ihr aber noch nicht als Fehler angekreidet werden, nicht?

 Nein, natürlich nicht. Aber nur wenige Jahre später wiederholte Angela Merkel den genau gleichen Fehler, den ihr altes Heimatland begangen hatte: Nun weit oben in der Politik und an allen Schaltstellen, förderte sie die komplette Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, puschte die Nordstream 1 und 2 und hofierte Putin. Sie sprach ja russisch, das erleichterte den Zugang zum neuen Zaren im Kreml erheblich. Was in der Folge passierte, wissen wir: Zum zweiten Mal lief Deutschland ins Messer, sehenden Auges. Merkel trägt insofern eine Hauptschuld, als sie es – aus eigener Erfahrung – hätte besser wissen können. Sie war offenbar einfach nicht lernfähig.

Du sprichst aber von einem Doppelfehler, in Sachen Energie.

 Richtig, parallel, während der letzten Sequenz Merkels, wurde die Kernkraft aus dem Land verbannt. Fukushima war ein Schock, klar, und eine Auslegeordnung war angebracht. Aber die Physikerin Angela liess sich von der Politik leiten, lavierte rum und gab nach. Anstatt, ihrer Ausbildung entsprechend, eine objektive Analyse vorzunehmen, zog sie gleich den Stecker beim ersten Kernkraftwerk. Gleichzeitig setzte sie auf erneuerbare Energien. Und hier kommt eben Angelas weiteres unverzeihliches negatives Vermächtnis: Als Physikerin hätte sie doch wissen sollen, dass Deutschland flach ist wie ein Pfannkuchen.

Was heisst das…????

 Wenn man ein flaches Land regiert, hat man eben Schwierigkeiten, Energie zu speichern. Die Sonne scheint in der Nacht bekanntlich nicht, der Wind weht auch nicht immer. Wenn beides zusammen eintritt, gibt’s keinen Strom. Also sollte man die Überschüsse vorher speichern. Geht aber nicht mit Batterien. Vor allem nicht über einen ganzen Winter. In der Schweiz haben wir deshalb die Pumpspeicherkraftwerke erfunden, in den Bergen. Dort bunkern wir die Energie. Wir kaufen beispielsweise den überzähligen Mittagsstrom aus den Solarkraftwerken Deutschlands ein, zum Teil zu Negativpreisen und pumpen mit genau diesem Strom unser Wasser in die schönen Bergseen rauf. In der Nacht lassen wir das Wasser runter durch die Generatoren rauschen und verkaufen den Strom, wenn es optimal läuft, wieder den Deutschen. Möglichst sauteuer. Also: Mit einem so ziemlich flachen Land geht das nicht, dass hätte Mutti doch wissen müssen. Der Verzicht auf die Kernenergie war damit der zweite Teil des Doppelfehlers.

Nun hat man in Deutschland die schmutzigen Kohlekraftwerke wieder angeworfen und persifliert die sogenannte «Energiewende». Heute stammt über 70 Prozent der Energie aus fossilen Quellen – ein Rekordwert in Europa! Die „Energiewende“ wird damit auf eine herrliche Weise verhöhnt. Das wird sich übrigens nicht wesentlich ändern, denn Deutschland, da bin ich mir ganz sicher, wird ein flaches Land bleiben.

Ich zähle also rund vier Kapitalfehler der Ära Merkel auf: Erstens ihre verbissene Machterhaltung über die 16 Jahre hinweg, welche, aufgrund der vielen sozialpolitischen Kompromisse, die sie eingegangen ist, zu einem überteuerten Staatsapparat geführt haben. Zweitens die falsche Immigrationspolitik, drittens die Russengeschichte mit der Energie, viertens das erste Steckerziehen bei der Kernkraft. Da kommt ja einiges zusammen.

 Ja, eine Neubewertung liegt auf der Hand. Auch wenn wir ihr zugutehalten müssen, dass sie bemerkenswerterweise sehr bescheiden geblieben ist. Sie hat sich keiner, zumindest materiell, Korruption ausgesetzt. Ich glaube, sie wohnt noch heute im dritten Stock eines einfachen Mietshauses und kocht ihre Kartoffelsuppe. Offenbar guckt sie auch gerne die neue Krimi-Staffel „Miss Merkel“.

Sie hat ihren alten weissen VW Golf übrigens verkauft – nicht, weil es eine Dreckschleuder ist, sondern weil jetzt unten an der Strasse immer eine fette schwarze Limousine wartet. Zwei staatliche Chauffeure teilen sich den Job rund um die Uhr. Wenn sie also zu einer wichtigen, vermutlich lokalen Eröffnung fährt, ist immer jemand da.

Da kann sie aber nichts dafür!

 Nun, vielleicht schon: Sie hätte nämlich schon früher diese üppigen Pfründe beschneiden können, mit denen staatliche Angestellte, auch nach ihrem Ausscheiden, bedacht werden.

Aber wir sollten besser noch über weitere, wichtigere Kollateralschäden sprechen, die Merkel verursacht hat. Zum Beispiel den Brexit.

Also das können wir Angela Merkel nun wirklich nicht auch noch anlasten!

 Doch, doch, leider schon: Es war letztlich die ungebührliche Immigrationspolitik, welche Deutschland in die ganze EU hineintrug. Diese brachte das Fass in Grossbritannien zum Überlaufen. Die Brexit-Befürworter sahen damals die Notwendigkeit eines Ausscheidens aus der EU gerade aufgrund der unkontrollierten Zuwanderung nach Europa, wie sie die Bundesrepublik vorlebte. Da wollten die Briten einfach nicht mehr mitmachen. Es waren die wenigen Prozentpunkte, die den Ausschlag gaben für den mehr oder weniger überraschenden und knappen Ausgang der Volkswahl um den Brexit. Hätte Angela in der Flüchtlingsfrage anders gehandelt, hätten die populistischen Stimmen in Grossbritannien nicht zusätzliche Nahrung erhalten. Ich bestehe also darauf: Leider hat Mutti auch den Brexit auf dem Gewissen und damit eine fatale Schwächung der EU.

Ok, ich notiere: Eine mehr als durchzogene Bilanz.

 Ja, aber Mutti war kein schlechter Mensch. Sie war einfach machtbesessen und lag rückblickend mehrheitlich falsch. Wir müssen also, leider, dieses positiv verbrämte Bild einer guten Staatsführerin korrigieren. Sie trägt eine fatale Mitschuld an dieser teutonischen Kernschmelze heute. Sie hatte sie eingeleitet.

Diesen prägnanten Begriff haben wir schon einmal gehört, Max Waldmeyer. Ich danke für das erhellende Interview!

Nichts zu danken! Wie war doch schon wieder dein Name?
Auf jeden Fall ist es immer wieder eine Freude, das Merkel-Märchen zu entzaubern.

Waldmeyer und der Stahlkocher

Der Staat nimmt, der Staat gibt. Und wenn ein Problem auftaucht, muss es der Staat lösen. Diese Anspruchshaltung ist natürlich nicht neu, sie akzentuiert sich nur. Kein Wunder, machen Staaten immer mehr Schulden, während der Bürger mit immer weniger Eigenverantwortung leben darf. Zurzeit treibt die Hilfe nach dem Staat besondere Blüten: Der Staat soll nun bitte auch sicherstellen, dass wir unseren eigenen Schweizer Stahl produzieren dürfen!

Mittels Notrecht soll unsere Stahlproduktion der Swiss Steel im beschaulichen Gerlafingen gerettet werden, fordern verzweifelte Gewerkschafter, wohl in einem Anflug von geoökonomischem Weitblick. Die Wirtschaftskommission des Ständerates unterstützte das strategisch wertvolle Vorhaben vorbehaltslos, auch der Nationalrat, einem plötzlichen Helfersyndrom erlegen, sieht Handlungsbedarf. Selbst bürgerliche Politiker stehen hinter dem Ansinnen, hier werden die Argumente der «Kreislaufwirtschaft» bemüht, denn in den mit Sicherheit besonders sauberen Schweizer Stahlwerken soll Altstahl weiter zu neuem Stahl verarbeitet werden. Waldmeyer stellt sich die Frage: Ob der Bürger denn tatsächlich nicht weiss, dass eine solche Verarbeitung auch problemlos irgendwo im nahen Ausland in einem Dutzend bestehender Werke erfolgen kann?

Industriepolitik der Industriestaaten ist nichts Neues. Entweder wird gefördert, verhindert, verstaatlicht oder toleriert. Industriepolitik ist allerdings nur dort berechtigt, wo es um Sicherheit oder Systemrelevanz geht.

Der Schutz der schweizerischen Zuckerrübenproduktion zum Beispiel hat deshalb nur mit Nostalgie oder Stimmenfang in der Landwirtschaft zu tun. Der Staat unterstützt in diesem Fall den Absatz sogar werbetechnisch («Schweizer Zucker!»). Das machte er bis vor kurzem auch beim Fleisch («Schweizer Fleisch, alles andere ist Beilage!») Das waren bisher ganz lustige Interpretationen von Industriepolitik, so, wie sie die Schweiz eben versteht. Echte Industriepolitik betrieb sie bisher fast nie – ausser bei der Stromproduktion, der Wasserversorgung usw., also bei wichtigen staatlichen Dienstleistungen, die sich für ein modernes Land auch gehören. Dass die meisten Kantonalbanken staatliche Institute sind, ist allerdings bereits grenzwertig, und dass die Eidgenossenschaft eine Postbank betreibt und diese miserabel führt, ist gerade ein Beispiel, warum der Staat von solchen Vorhaben einfach die Finger lassen sollte.

Einmal wäre es vielleicht wichtig gewesen, dass man die Produktion unter staatlicher Kontrolle gehalten hätte: Es ging 2022 um den Erhalt der RUAG Munitionsproduktion. Anstatt an die Italiener zu verkaufen, hätte man die Manufaktur tatsächlich behalten können. Die Argumente «Systemrelevanz» und «Erhalt politischer Kontrolle» wären zu vertreten gewesen. Aber der Staat wollte nicht mehr, ausserdem waren die möglichen Auswirkungen des Ukrainekrieges in den Köpfen der Staatsführer noch nicht richtig angekommen. Also verhökerte man das Fabrikli.

Im nahen Ausland wird da ganz anders Industriepolitik betrieben. Bei Renault in Frankreich sitzt der Staat mit im Cockpit, er hockt auch in zahlreichen Redaktionsstuben diverser Medien, in Deutschland pfuscht das Bundesland Niedersachsen bei VW rein. Die italienische Fluggesellschaft wurde schon mehrfach durch den italienischen Staat gerettet und de facto übernommen. Und überall wird Hightech mit viel Geld angelockt. Die Schweiz war da bisher vernünftiger: Die Swiss beispielsweise überliessen wir grosszügigerweise den Deutschen. Und sie fliegt tatsächlich immer noch.

Kürzlich forderte die SP kurzerhand den Kauf von Sandoz (Marktwert: schlappe 15 Mia). Als ob gerade der Staat denn so einen Konzern besser führen und die Medikamentensicherheit nicht alternativ sichergestellt werden könnte – beispielsweise durch Pflichtlager etc. Das Ansinnen geriet denn auch, angesichts der Absurdität, schnell in Vergessenheit.

Und nun soll also die Schweizer Stahlproduktion gerettet werden. Zerfallende Strukturen sollen dem Untergang entzogen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Markt etwas braucht oder nicht. Swiss Steel muss nach eigenen Aussagen die Produktion einfach der Nachfrage anpassen. Hilft der Staat, in welcher Weise auch immer, die Arbeitsplätze zu erhalten, wird sich derselbe Staat damit von der Arbeit befreite Mitarbeiter in Gerlafingen leisten; sie haben dann nichts zu tun und warten auf einen Auftrag, um alsbald die Stahlkocher anzuwerfen. Sie spielen vielleicht Karten oder tauschen auf ihren Handys interessante TikTok Bilder aus, sie schleppen sich von Pause zu Pause und gehen dann um 16:30 erschöpft nach Hause. Vielleicht sind sie aber am Morgen gar nicht ins Werk eingerückt, denn neu könnten die Stahlarbeiter auch im Homeoffice bleiben. Piquet-Dienst, nennt sich das dann. Und anstatt zuhause online einen Umschulungskurs zu machen, Chinesisch zu lernen oder mit einem Physikstudium zu beginnen, lümmeln sie rum und ärgern ihre Ehefrauen.

Am Stammtisch, nach dem Beruf gefragt, geben sie bereitwillig Auskunft: «I bin Piquet, weisch.» Oder lapidar: «Homeoffice, weisch.»

So neu ist die Situation solch staatlicher Hilfe allerdings nicht. Die Landwirtschaft beispielsweise wird in der Schweiz jährlich mit Subventionen und anderen Beihilfen in der Höhe von rund fünf Milliarden bedacht. Jeder Schweizer Haushalt zahlt also durchschnittlich fast einen Tausender ein – die einen nichts, die andern sehr viel mehr. Zusätzlich bezahlen wir noch drauf, weil die landwirtschaftlichen Produkte in der Schweiz fast das Doppelte als im Ausland kosten, denn unser Land hat sich ja wunderbar abgeschottet, mit rekordhohen Zöllen, sodass unsere Bauern die Preise ebenso wunderbar hochhalten können. Das kostet im Schnitt etwa nochmals drei Tausender für jeden Haushalt zusätzlich pro Jahr. Also viertausend Stutz pro Haushalt jährlich für die Landwirtschaft. Den Mitarbeiter aus Gerlafingen trifft es damit besonders hart, denn in seinem Warenkorb befinden sich im Verhältnis zu seinen Gesamtausgaben viele Lebensmittel – nicht, weil er besonders viele Kalorien braucht am heissen Stahlkocher, sondern weil er einfach nicht so viel verdient. Einen Multimillionär trifft es dabei weniger hart, kann er doch auch nur dreimal essen pro Tag und dies mit Ausgaben, die er gar nicht spürt. Die Schweizer Landwirtschaftspolitik ist also etwas sehr Unsoziales. Waldmeyer nahm sich vor, dies einmal den Gewerkschaftsführer:innnen mitzuteilen – sollte er, aus irgendwelchem Grund auch immer, einmal eine solche Person antreffen.

In Sachen Landwirtschaft könnte es, mit den nötigen Sanierungsmassnahmen, auch günstiger gehen: Wir würden einfach etwas mehr importieren, könnten uns etwas weniger umweltversauende Landwirtschaft leisten und ein Teil der Bauern (welche sich zum Beispiel nicht eignen für eine Umschulung zu KI-Spezialisten) könnte Facharbeiter spielen, auf dem Bau oder so – die können nämlich in der Regel alles, diese Bauern, die sind ganz handy. In der Folge hätte a) der Staat (und damit der Steuerzahler) Geld gespart, b) der Bürger müsste weniger Geld für Nahrungsmittel ausgeben, könnte sich also anderes leisten und die Wirtschaft so ankurbeln, c) hätten wir etwas gegen den Facharbeitermangel getan und d) erst noch die eidgenössische Umwelt geschont, weil wir das Problem der Überdüngungen und der Methanproduktionen der Fleischwirtschaft kurzerhand outgesourcet hätten (nach Brasilien beispielsweise).

Aber zurück zu den Stahlkochern: Ein Grund für die Probleme des Schweizer Produktionsstandortes sind auch die Handelshemmnisse beim Export. Hier wäre tatsächlich positive Industriepolitik angesagt, Freihandelsabkommen und gescheite Verträge mit der EU unter anderem.

Aber letztlich verkommt es zu einem Witz, wenn wir im teuersten Land der Welt krampfhaft versuchen, im Primärsektor Strukturen aufrechtzuerhalten. Solche Industrien gehören nämlich in Schwellenländer, bestenfalls noch in wenig entwickelte Industrieländer (nach Serbien, beispielsweise). Stahl produzieren in der Schweiz…? Waldmeyer versuchte, sich dieses Ansinnen auf der Zunge zergehen zu lassen. Selbst wenn es Spezialstähle wären, besonders gute, schöne und exzellente Stahlprodukte, gar mit einem feinen Schweizerkreuz drauf: Die Bewahrung solcher Low-Tech Produktionen in unserem Land grenzt an ausgeprägte Sinnlosigkeit, man könnte ebenso gut eine Kaviar-Zucht aufziehen oder eine Mangofarm betreiben.

Ja, warum sieht der Staat bei diesen Dingen nicht einfach das Big Picture? «Der Bürger ist das Problem», warf Charlotte ein, «der macht auf «Switzerland first», ungeachtet der Kosten.» Charlotte hatte natürlich recht. Und eigentlich müsste man demokratischen Entscheiden immer recht geben. Aber was tun, wenn diese falsch gefällt werden…?

Nun, das mit der Landwirtschaft, das sah Waldmeyer ein, ist ein Sonderfall. Es ist ja auch nicht «Industriepolitik», sondern einfach eine Subventionierung eines offenbar «untouchable» Systems. Das mit der geplanten Unterstützung eines Stahlwerkes allerdings wäre ein ordnungspolitischer Sündenfall höchster Güte. Stahl kann auf der ganzen Welt eingekauft werden, die Idee gewisser Parlamentarier, in Sachen Stahl autonom zu werden, ist ein Ausdruck besonderer Weltfremde. Für einmal dürfen wir hier nicht einmal dem Bundesrat die Schuld geben, was Waldmeyer etwas bedauerte, sondern den Parlamentariern, notabene vom Bürger gewählte Abgesandte. «Der Bürger ist das Problem, Charlotte», fasste Waldmeyer zusammen. «Ich sags ja», seufzte Charlotte. Für einmal waren sich Max und Charlotte einig – was Waldmeyer doch etwas schade fand.

Waldmeyer und das Geheimnis der grossen Yachten

Max Waldmeyer blickte von seiner Terrasse in Meisterschwanden auf den Hallwilersee hinunter. Auf dem spiegelglatten Wasser lagen kaum Schiffe. Nur ein paar Böötli. Donald Trump würde hier auch keine Yacht besitzen, überlegte Waldmeyer.

 

Und Waldmeyer googelte: Die maximal erlaubte Yachtlänge auf dem Hallwilersee beträgt nur 7.5 Meter. 7.5 Meter! «Ich sehe keine einzige richtige Yacht auf dem See», meldete er zu Charlotte rüber. Charlotte antwortete nicht.

7.5 Meter sind genug!

Siebeneinhalb Meter. Also ein Grund mehr, keine solche Nussschale zu besitzen, überlegte Waldmeyer weiter. Wenn schon, dann eine richtige Yacht. Yachten, grosse Autos oder schöne Villen machen allerdings nur Sinn, wenn man sich damit von seinen Nachbarn abheben kann. Auf dem Hallwilersee geht das eben nicht, keine Chance. Mit 7.5 Metern wäre man bestenfalls unter seinesgleichen.

Wem gehört die grösste Yacht der Welt?

Glück ist bekanntlich relativ: Man sollte deshalb in eine möglichst arme Gegend ziehen, dort aber in der schönsten Villa wohnen. Den Ferrari sollte man im tiefen Jura bewegen – und nicht am Strip in Las Vegas. Und die Yacht eben nur dort ankern, wo andere über lediglich bescheidene Boote verfügen. Was zählt, ist der relative Unterschied, überlegte Waldmeyer und versuchte so, eine Neuinterpretation der Relativitätstheorie zu begründen. Ja, es war noch nie schön, sich am untersten Ende der Nahrungskette wiederzufinden. Aber: warum nur diese umständlichen Superyachten? Oder gar die Megayachten (für Insider: Superyachten mutieren zu Magayachten, wenn sie länger als 200 Fuss sind)?

Die grösste Yacht der Welt gehört Scheich Zayed, dem Präsidenten der VAE. Sie ist 180 Meter lang und verfügt über einen Ballsaal mit über 500 Quadratmetern. Und ein Raketenabwehrsystem. Würde die Yacht jetzt hier auf dem Hallwilersee vorbeituckern, würde sie einen Tsunami auslösen, analysierte Waldmeyer. Abgesehen davon wäre der riesige Kahn auf dem Landweg erst mal gar nicht transportfähig, er müsste in der Werft in Meisterschwanden, die es gar nicht gibt, gebaut und vom Stapel gelassen werden.

«Dieser Emir würde sich wohl nie für den Hallwilersee interessieren», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber. Charlotte antwortete immer noch nicht.

Das bestgehütete Geheimnis der Weltmeere

Dieses Geheimnis der grossen Yachten scheint offenbar das bestgehütete Geheimnis der Weltmeere zu sein. Warum tun sich die Besitzer dieser aufwendigen Schiffe das nur an…?

Waldmeyer suchte nach einer Erklärung: Mit einer teuren Rolex oder einem Lamborghini kann man ein Statement gegen aussen abgeben und so vorführen, dass man vermögend ist. Oder man lacht sich eine teure und repräsentative Villa an, die dann womöglich noch in einer Illustrierten mit einer Homestory gepostet wird. Möchte man indessen so richtig markieren und darstellen, dass man sich in der obersten Liga befindet, so wird die Luft dünn. Da braucht es dann schon einen Privatjet – mit dem Nachteil allerdings, dass man den fast nie vorführen kann. Die intrinsischen Gewinne in Sachen Image sublimieren sich dann quasi in der Luft. Die fette Yacht indessen ist das ultimative Statement. Denn die kann man zeigen, an allen wichtigen Hotspots auf der Erde. Falls man nicht von immer willkommenen Paparazzi abgelichtet wird, würde man notfalls an der Uferpromenade in Cannes oder St. Tropez ankern und an Deck (dieses gegen die Promenade gewandt) ostentativ ein Glas Dom Pérignon schlürfen, um wenigstens so gesehen zu werden.

Wieviel Yacht gibt es für eine Million?

Doch nebst all diesen Vorteilen, also der schönen Aussenwirkung und den flamboyanten Signalen, die vom Besitz einer ordentlichen Yacht ausgehen, dürfen die Nachteile nicht unerwähnt bleiben. Da geht es um die Kosten. Und die sind erheblich. Früher galt – unter Kennern – die Faustregel, dass für den Kaufpreis einer Yacht pro Meter Schiffslänge eine Million zu veranschlagen ist. Aber das war einmal. Bei Megayachten muss heute gleich mit bis zu fünf Millionen gerechnet werden. Allerdings besteht ja gerade darin die Verstärkung der Aussenwirkung: Nur mit einem wirklich sehr fetten pekuniären Polster kann man sich das leisten. Das weiss jeder – deshalb die Erhöhung des Signals gegen aussen.

Aber noch etwas erkannte Waldmeyer: Sorgen müssen auch die horrenden Unterhaltskosten bereiten. Denn diese liegen pro Jahr, so eine weitere Faustregel, bei rund 10% des Kaufpreises. Crew, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen etc. stellen schnell mal den Kaufpreis eines kleinen Privatjets dar. Und das jedes Jahr. Ein weiterer Grund also, warum Privatjets heute kein wirkliches Statement mehr sind. Yachten sind einfach das ultimative Aushängeschild von Luxus, es ist die perfekteste aller Visitenkarten der Arriviertheit. Über Yachten spricht man. Pro forma versuchen Superreiche, die Besitzstruktur einer Yacht zu verschleiern, indessen nur in der Hoffnung, dass der Besitzer entdeckt und in den Medien breitgeschlagen wird. Selbst Schlösser in Frankreich oder Schottland verblassen dagegen, diese werden dann nur noch als Insignien des Mittelstandes wahrgenommen.

Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber den grossen Yachten stellte sich Waldmeyer vor, wie es denn so wäre, auf einer coolen Yacht. (Anmerkung der Redaktion: siehe Zeichnung oben, mit Waldmeyer, hinten an der Bar.)

Die verschwundene Yacht von Bill Gates

Nur: Wie kann mal letztlich so töricht sein und sich eine Superyacht leisten, obwohl man selten darauf hockt (weil es dort unendlich langweilig ist) und diese nur Geld verschlingt? Wirklich nur wegen des Statements? Die Geheimnisse um die Yachten häufen sich.

Bill Gates hatte sich, wohl in einem Moment der mentalen Schwäche (als er vergessen hatte, dass er doch immer bescheiden auftreten wollte) eine besonders hübsche Yacht für 650 Millionen bestellt, die «Aqua», 112 Meter lang. Offenbar wollte er die 127-Meter-Megayacht von Jeff Bezos nicht übertreffen, es musste ein anderer Antrieb gewesen sein. A propos Antrieb: Die «Aqua» verfügt über einen Wasserstoff-Antrieb, es ist die erste grosse Yacht mit Hydropower. Allerdings scheint es sich Bill nun doch noch anders überlegt zu haben, und er nimmt sein Schiff gar nicht erst in Betrieb. Es steht zum Verkauf. Niemand weiss, wo das gute Teil versteckt wird und zu welchem Preis es verkauft werden soll. Eine Ausnahme. Aber ein Geheimnis mehr.

Zuckerberg begnügt sich übrigens mit seiner 118 Meter kurzen «Launchpad» (300 Millionen). Aber man sieht ihn selten auf seinem schnittigen Superboot, es liegt wohl an seiner Arbeitsbelastung, denn es gibt noch einiges zu tun im Hause Meta.

Ein Must: die coolen Apps für die Yachtsuche

Waldmeyer blickte kurz in seine zwei Lieblingsapps rein: MarineTraffic und myShipTracking. Grosse Yachten müssen mit einem Transponder versehen sehen, deshalb lassen sie sich kaum verstecken. Ihre Standorte erscheinen dann – weltweit – auf diesen Apps.

Ein paar Russen, denen aus bekanntem Grund die Konfiszierung der Yachten drohte, liessen die Transponder natürlich abschalten und konnten so ihre Kähne verstecken. Allerdings ohne dann den Mehrwert der Aussenwirkung zu geniessen – weil eben versteckt. Womit das Betreiben einer Yacht, mit seinen wichtigen intrinsischen Werten (in diesen bedauerlichen Sonderfällen) in Frage gestellt wird.

Sitzt Abramowitsch jetzt in Montenegro oder Bodrum?

Mit der Frage «Warum besitzt wohl Trump keine Yacht mehr?» versuchte Waldmeyer auf seiner Terrasse über dem See, Charlotte nun endgültig auf eine Diskussionsebene zu hissen. «Der ist doch pleite!», antwortete Charlotte knapp.

«Abramowitsch hockt jetzt in Montenegro», meldete Waldmeyer weiter zu Charlotte rüber und blickte von seinen Apps auf.

«Schatz, das ist nur seine Mega-Yacht, die «Eclips», 850 Millionen Euro. Abramowitsch hat diese Woche einen Gerichtstermin in der Schweiz». Endlich war Charlotte dabei. «Zudem besitzt dieser windige Russe drei weitere grosse Yachten, vergiss zum Beispiel die «Solaris» nicht, 600 Millionen! Die liegt zurzeit in Bodrum. Abramowitsch weiss schon, warum.» Und sie fuhr fort: «Die «Tango» von Veckselberg liegt übrigens auf Mallorca, immer noch beschlagnahmt, Veckselberg ist heute aber bei Sulzer in Winterthur, auf Einladung des VRs.»

Waldmeyer war perplex. «Seit wann interessierst du dich für Yachten, Charlotte?»

«Das ist heute doch Common Knowledge, Max. Ich schau halt manchmal bei Marine Traffic rein! VesselFinder ist auch ganz interessant»

Die Auflösung des Geheimnisses

Waldmeyer ging nun ein Licht auf. Wenn Charlotte, welche sich in der Regel vorab für Tennis interessiert, weiss, wo die grossen Yachten liegen und wem sie gehören, dann ist dieses Yacht-Wissen eigentlich zum Allgemeingut geworden. Allerdings: Vielleicht ist gerade dies das Geheimnis der grossen Yachten? Es gibt nämlich gar keines! Und damit ist das wahre Ziel der Yachtbesitzer erreicht: Sie tun zwar geheimnisvoll, möchten aber immer erreichen, dass man weiss, wem ihre Schlachtschiffe gehören und wo sie gerade rumschippern oder vor Anker liegen. Und vor allem: was sie gekostet haben.

«Nöd gschenkt», meinte Waldmeyer und beendete die lebhafte Diskussion.

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