Waldmeyer, die Kampfjets und die Schwangerschaft

Bei Mäusen dauert die Schwangerschaft rund 22 Tage, bei Elefanten 22 Monate – sie stellen den Rekord auf. Aber verglichen mit der Reaktionszeit in unseren Bundesämtern ist das eine extrem kurze Zeitspanne. Für die Beschaffung von Kampfjets lassen wir uns auch mal 22 Jahre Zeit. Waldmeyer versucht, solche extremen Schwangerschaften einzuordnen.

2008 geschah es: Der Bundesrat erklärte, nach mehrjähriger reiflicher Überlegung, dass unsere Armee neue Flieger braucht. Die F-5 Tiger und die F/A-18 würden doch langsam in die Jahre kommen – zudem waren schon etliche runtergefallen. Tatsächlich sollte der Beschaffungsprozess dann, bis zur endgültigen Auslieferung im Jahr 2030, ganze 22 Jahre dauern. Inzwischen werden sich mindestens fünf, wenn nicht sechs Departementchefs die Klinke in die Hand gegeben haben. Die Walliser Rechtsanwältin Viola Amherd, während sechs Jahren im Amt, hatte einen besonders schweren Stand. Nicht, weil sie noch nie eine Armee von innen kennengelernt hatte und damit noch nie eine grosse Zerlegung unseres Sturmgewehrs in 90 Sekunden schaffen musste. Auch nicht, weil sie in Sachen Verteidigung oder Geopolitik ziemlich unbedarft war. Nein, diesbezüglich müsste man sie eher entschuldigen, denn erstens konnte sie ihr Departement nicht selbst auswählen und zweitens lässt sich das Leben im Wallis ja auch nicht mit dem Leben ausserhalb des Wallis vergleichen. Was während ihren sechs Jahren der Regentschaft ganz einfach gravierend war, war diese Menge an Management-Fehlern.

Doch zurück zu dieser 22-jährigen Geburt. Vorab stellte Waldmeyer fest, dass eine Auslieferung der schönen neuen Jets im Jahr 2030 ja gar nicht sicher ist. Vielleicht wird Donald the Chosen One im letzten Moment entscheiden, dass er die Flieger woanders dringender einsetzen möchte als im helvetischen Alpenraum. Ausserdem muss offenbar ein sogenannter «Fixpreis» erst mal nachfixiert werden. Was fixiert wurde, war der USD-Kurs für den Kauf, nämlich 0.95. Waldmeyer stellt fest: stolzer Vogel, stolzer Preis, stolzer Dollarkurs.

Leider ging dabei die Bestellung einer adäquaten Bewaffnung für den Flieger vergessen. Unser Kässeli reichte nur für die Bestückung mit einer einzigen AIM- Luft-Luft-Rakete pro Flugzeug (ja, eine = 1). Dänemark hat für den baugleichen Jet, welcher 2016 bestellt und 2023 ausgeliefert wurde, insgesamt 11 AIM-Raketen pro Flugzeug geordert. Für die Schweiz sind zudem nur Luft-Luft-Raketen vorgesehen, die „Multirole“-Fähigkeit des modernen Jets möchte man nicht nutzen. Also ist keine Bewaffnung mit Bomben, auch nicht mit Luft-Boden-Raketen, vorgesehen.

Wenn der Russe vom Vorarlberg aus mit den Panzern einfährt, müssten die schönen F-35 am Boden bleiben – sie könnten nicht eingesetzt werden. Dafür braucht es Luft-Boden-Raketen.  Hat der Feind dann einmal einen Brückenkopf in St. Margrethen, nur beispielsweise, errichtet, kann dieser auch nicht mit Präzisionsbomben angegriffen werden. In der Schweiz sind solche Handlungen mit „Angriffscharakter“ nicht vorgesehen. Unser Parlament müsste für die Beschaffung solcher Geräte erst mal abstimmen, dann müssten wird diese Spielzeuge bestellen, dann die Vögel damit bestücken, dann würde der Bundesrat den Einsatzbefehl geben – und dann wären die Russen aber schon lange wieder verschwunden, sie wären über die A1 bis nach Genf durchgefahren und wieder zurück. Die tapferen Dänen übrigens können ihre Flieger für Multirole-Einsätze nutzen – sie verfügen über diese coolen Gadgets.

Was der aufmerksame Leser inzwischen bestimmt schon weiss: Allerlei nötige Umrüstungen und Updates für die Vögel sind im Preis noch gar nicht eingerechnet! Und Waldmeyer fragt sich, warum die Dänen es schafften, diesen Flieger im Jahr 2016 zu bestellen und ab 2023, also nach sieben Jahren, zu erhalten. Bei der Schweiz dauern solche Prozesse doppelt so lange. Kein Wunder, erhält man da nicht mehr frische Ware. Es ist wohl so, wie wenn sich Waldmeyer mit Charlotte während einer Dekade über die Wahl eines neuen Audi A4 (schwarz) gestritten hätten, sie dieses Auto dann mit einer Lieferfrist von 10 Jahren bestellt und sich Charlotte dann wundern würde, dass sie eine Karre erhält ohne Digitalradio und ohne USB-Stecker, dafür mit einem CD-Wechsler.

Das F-35-Bestell-Debakel ist tatsächlich peinlich und grosso modo nur auf Management-Fehler zurückzuführen: Wir brauchen 22 Jahre für eine Beschaffung, erhalten veraltetes Material und fast nur „blutt“, ohne Bewaffnung. Und dann wundern wir uns, wenn sich das Projekt um Milliarden verteuert hat.

Aber eventuell kommt ohnehin alles anders, denn vielleicht ergreifen die grünen und linken Parteien in der Schweiz nochmals eine Initiative, weil sie das Geld lieber für Palästinenserhilfe ausgeben wollen und blasen die ganze F-35-Übung ab. Wie dem auch sei, 2030 bleibt zumindest ein vager Anhaltspunkt, wann die Flieger einsatzbereit sein könnten.

Waldmeyer fragte sich, warum die Schweiz es nicht schafft, einfach so mal ein paar Flugzeuge zu kaufen, wenn man sie braucht. Solche komplexen Entscheide dauern bei uns jedoch so lange wie bei einem Sechsjährigen, der eingeschult wird und bereits daran denken sollte, dass sein Lego-Flieger fertiggestellt ist, wenn er sein zweites Kind einschult. Die Cheops-Pyramide benötigte eine Bauzeit von nur 20 Jahren – um ein weiteres Bild zu bedienen.

Doch blenden wir nochmals zurück, um die ganze Blamage in allen Details geniessen zu können: Die erste Flieger-Wahl fiel, es war irgendwann kurz nach der Lehman-Brothers-Zeit, auf den schwedischen Gripen. Dem Schweizer Volk indessen, eine ganz spezielle Population, die nur aus ausgewiesenen Armeespezialisten besteht, war der Vogel nicht genehm und schoss ihn ab. Also zurück auf Feld eins. So sieht nun mal direkte Demokratie aus, und notfalls müsste ein Krieg dann eben warten.

Die nächste Warteschleife ging bis 2016, als das neue Projekt nun auf Air 2030 umgetauft wurde. Nun sollte es jedoch nicht nur um Flugzeuge gehen. Nein, wir wollten auch unsere kleine industrielle Selbstverwirklichung realisieren: Endmontage daheim, ein paar Schrauben in Schweizer Fabriken festziehen – das sichert dann „Hochtechnologie“ für unser Land. „Swiss Finish“ nennt sich das. Das verteuert zwar jedes Projekt, aber wird dann viel besser, und allerlei darbende Industriebetriebe kriegen Büez. Andere Länder nennen das «Protektionismus», bei uns läuft das bescheiden unter «Helvetisierung».

Ja, und so ziehen die Jahre ins Land. Das gleiche Prinzip gilt für viele andere Beschaffungsprojekte. Politische Kommissionen setzen sich zusammen, der Bundesrat darf mehrmals neue Pläne vorstellen und der Bürger wieder an die Urne. Zwischendurch ändern sich die äusseren Umstände und der Bedarf. Aber auch die Namen der Hersteller und die Farbe der Papierstapel. Aber dazu später.

2021 bestellte die Schweiz dann endlich die schon vor Jahren durch unsere Armeespezialisten und Parlamentsausschüsse konfigurierten F-35. Und die ersten Jets sollen, wenn der Wind günstig steht und der Alpsegen es erlaubt, am Ende dieses Jahrzehnts anrollen. Die einzige Frage, die dannzumal noch bliebe: Wer ist bis dahin noch im Amt, um die Zündungsschlüssel für die Vögel feierlich entgegenzunehmen? Vielleicht der Enkel von Bundesrat Samuel Schmid, der anno 2008 so voller Hoffnung die erste Beschaffungs-Sitzung leitete?

Waldmeyer kennt noch viele andere Beispiele von geplanter Schweizer Präzision und Verzögerung, welche in Sachen Armeebeschaffung echte Highlights darstellen. Sie gemahnen an spannende Netflix-Dramen aus der World of Defense. Wer allerdings dachte, das mit den Kampfflugzeugen sei schon der Gipfel, dem sei versichert: Es gibt noch viel mehr, was so alles in die Hose gehen kann. Waldmeyer nennt ein paar ausgewählte weitere Muster aus unserem helvetischen Absurdistan:

  • Das Flugabwehr-System Patriot gilt als ziemlich erprobte Anlage. Die Beschaffung solcher Verteidigungsanlagen erscheint mehr als dringlich, denn seit Jahren kann sich die Schweiz gar nicht gegen feindliche Raketen wehren, geschweige denn gegen diese heimtückischen Drohnen. Das in den 80er Jahren beschaffte Rapier-System diente im besten Fall für langsam und tief fliegende Eindringlinge. Es galt jedoch bald schon als hoffnungslos veraltet und wurde 2022 sogar ausser Dienst gestellt. Genauer: kurzerhand abgeschaltet. Seither verfügt die Schweiz über keine funktionierende Luftabwehr mehr. Die Schweizer Soldaten müssten wohl mit dem Sturmgewehr in die Luft schiessen – oder der Bundesrat müsste entscheiden, gelegentlich eine Starterlaubnis für eine alte F/A-18 zu erteilen. Allerdings wären feindliche Raketen schon längst eingeschlagen, bevor irgendwo ein Pilot aus seinem Picket-Schlummer geweckt worden wäre. Konkret: Eine Hyperschall-Rakete, von Kaliningrad abgefeuert, hätte in acht Minuten vielleicht bereits in Payerne eingeschlagen, vielleicht gerade in einen Hangar mit unseren veralteten Vögeln – und dies, bevor sich unser Pilot in sein Kombi gezwängt hätte und dann allerdings gemerkt hätte, dass er schlichtweg nichts gegen eine solche Rakete hätte ausrichten können.

2017 erfolgte eine längere Evaluationsphase für ein neues Flugabwehr-System. 2021 fand man dann heraus, mit Sukkurs unserer Walliserin, dass – Surprise! – das weltbeste Patriot-System das tatsächlich weltbeste ist und bestellte mal fünf Einzelstücke. Das Auslieferungsdatum wurde inzwischen noch etwas verschoben, Patriots scheinen eben andernorts noch dringender gebraucht zu werden. Und so soll es dann 2028 werden, bis die ersten WK-Soldaten daran üben dürfen. Militärhistorisch werden die 2020er Jahre wohl als willkommenes Nichtangriffs-Jahrzehnt in die Geschichte eingehen. Und, ach ja, die bestellte Munition würde gerade mal für einen Nachmittag reichen. Das ist eben so wie mit den Tintenstrahldruckern: Die werden immer mit halbleeren Patronen verkauft. Viola kannte dieses Prinzip natürlich nicht, denn sie musste wohl nie selbst etwas drucken, sie liess immer drucken in ihrem schönen Bundesamt.

  • Ein weiteres Beispiel ist die „Digitale Transformation“. Ein guter und dringend notwendiger Plan. Aber bitte Zeit einplanen bis 2050! Es erfolgten und erfolgen immer neue Pannen. So geht es unter anderem um Kommunikationssysteme, die sich weigern, miteinander zu sprechen und Server, die lieber Siesta halten. Das Projekt wurde – und ist immer noch – ein echtes Paradebeispiel für Hochtechnologie im Papiertempo. Inzwischen wurden schon Milliarden versenkt. Notfalls würden unsere Soldaten wohl einfach auf das persönliche Handy zurückgreifen, um im entscheidenden Moment so den Befehl abzuwarten, eine Nebelgranate zu werfen und sich aus dem Staub zu machen.
  • Ähnliches gilt es von der Beschaffung von Radaranlagen zu berichten: Seit Jahren angekündigt, unzählige Male verschoben. Geplant waren Radare, die laut Pflichtenheft bis zum Mond sehen können – wenn sie denn mal funktionieren. Bis jetzt zeichnen sie zuverlässig nur den Flug der eigenen Ausreden auf. Und es wird alles immer teurer.
  • Das schönste Beispiel wollte Waldmeyer für den Schluss aufsparen: Das Drohnen-Debakel. Jeder braucht Drohnen heute, logisch. Kleine, grosse, bewaffnete, unbewaffnete. Pazifistische Kreise im Parlament wollten eigentlich nur unbewaffnete Drohnen, und Waldmeyer kann sich nicht mehr erinnern, ob sie sich durchsetzen konnten. Schon 2014 entschied man sich für die sehr schönen grossen Geräte aus Israel und bestellte diese dann Jahre später auch mit viel Pathos. Allerdings sollte die Software erst einmal „helvetisiert“ werden. Die Elektronik sollte nämlich Gleitschirmflieger erkennen, die zufällig in die Flugbahn geraten könnten. Schweizer Drohnen werden also für den Frieden optimiert: Gefährliche Zivilisten wie Basejumper, Gleitschirmflieger oder Ballonfahrer müssen identifiziert werden, bevor sie in Konflikt mit der Drohne geraten. Inzwischen konnte die Software immer noch nicht fertig programmiert werden. Es ist nun auch erst 10 Jahre später. Der zuständige Beschaffungsleiter gab aber glücklicherweise schon Entwarnung: Jede Drohne bekommt beim Einsatzstart nun einen Begleit-Helikopter – zum Aufpassen. Das ist ja ganz lustig, wenn es nicht so ernst wäre.

Und noch was: Der Bundesrat überlegt nun, die ganze Beschaffung abzubrechen. Leider wurden schon 300 Millionen ausgegeben. Ein weiterer Schuss in den Ofen also. Martin Pfister, der Neue, sollte vielleicht mal überlegen, ob er nicht ein paar Drohnen bei den Ukrainern bestellt. Sofort, ab Stange, und günstig.

Waldmeyer versuchte zu analysieren, warum sich in der Schweiz diese langen Schwangerschaftszeiten und sogar Fehlgeburten ergeben. Er sortierte fünf Hauptgründe aus:

Die hohe Hürde, so erstens, liegt bei unserer direkten Demokratie und den politischen Stolpersteinen. Die heutige Ausprägung unseres Systems gemahnt an eine grosse Firma mit einer zu grossen Mitbestimmung durch die Mitarbeiter. Das kann nicht gut gehen. Zu wenig schnell, zu wenig professionell, zu kompliziert.

Der zweite Grund liegt in der falschen Vorstellung, dass es überall einen „Swiss Finish“ braucht. Oder zumindest eine Endmontage in der Schweiz, die dann als Swiss Finish verkauft werden kann. Der Traum von unserer technischen Überlegenheit und Präzision kann so zum Albtraum werden. Dahinter versteckt sich natürlich auch Industriepolitik.

Der dritte Grund liegt in unserer ebenso falschen Vorstellung, dass die Schweiz komplett anders ist als der Rest der Welt. Deshalb brauchen wir diese Helvetisierung, die Anpassung an unsere ganz besonderen Verhältnisse. Das erklärt auch, warum ein Polizeifahrzeug bei uns doppelt so viel kostet wie in unseren Nachbarländern. Nie und nimmer würden wir ab Stange kaufen. Auch hier versteckt sich dahinter natürlich eine fehl geleitete protektionistische Industriepolitik. Dass dies zu ausufernden Mehrkosten führt, liegt auf der Hand.

Der vierte Grund liegt im Unvermögen, Bedrohungslagen effektiv zu erkennen – und laufend anzupassen. Wir verwenden auch falsche Zeithorizonte. So soll die F-35 bis 2060 im Einsatz bleiben. Diese Betriebszeit von 30 Jahren beisst sich natürlich mit unseren acht Legislaturperioden, die während dieser langen Zeit ins Land ziehen. «Defense» verändert sich heute dagegen rasend schnell. In der Ukraine werden alle drei Monate neue Drohnen-Generationen entwickelt. Mit solchen Geschwindigkeiten kommen wir leider nicht klar.

Damit landen wir – fünftens – beim Personalproblem: Wenn wir nicht bereit sind, Profis anstatt Politiker an die richtigen Schaltstellen zu setzen, werden wir die Kurve wohl kaum kriegen.

Der «Schweizer Weg» ist sehr demokratisch und sehr gründlich, aber eben auch sehr langsam und sehr, sehr teuer.

Die Schweiz mag zurzeit keine Angriffe befürchten müssen. Der Russe steht noch nicht im Vorarlberg. Auch hat er noch keinen unmittelbaren Cyberangriff geplant. Die kriegerische direkte Bedrohung hält sich also in Grenzen. Die grösste Bedrohung für die Landesverteidigung ist jedoch ihre eigene Bürokratie und das Missmanagement. Am Ende dieses Jahrzehnts wird die Schweiz – vielleicht – über eine einigermassen funktionierende Abwehr verfügen. Derweil trifft sich Ueli der Maurer mit seinen Jasskollegen in Hinwil und debattiert über die weltbeste Armee. Und Viola Amherd flaniert, als Hauptverantwortliche der letzten Verfehlungen und falschen Entscheide, vielleicht gerade in Brig im tiefen Wallis durch die Einkaufsstrassen. Es ist gerade Ausverkauf. Sie unterhält sich in einer Geheimsprache (Walliserdialekt) mit den Leuten auf der Strasse und überlegt sich, wann und wo sie heute das erste Glas Fendant geniessen soll. Ja, schöne, heile Welt. Aber nicht nur in Hinwil oder im Wallis, auch generell in Helvetien. Oder heisst das Land jetzt doch Absurdistan?

Waldmeyer und der neue Shah

Waldmeyer fragte sich, wie es nun weitergehen sollte im Iran. Das unsägliche Mullah-Regime ist noch nicht vertrieben, und eine alternative Regierung wird sich demnächst nicht konstituieren. Die USA hatten in der Regel allerdings nie einen Plan B, wenn sie in einem Land militärisch zuschlugen. Das war in Libyen so, in Afghanistan oder im Irak. Aber vielleicht hat Präsident Trump einen intuitiven Plan, im Sinne eines Deals?

Vordergründig wollten die USA bei ihren geopolitischen Scharmützeln in der Regel immer die Demokratie verbreiten. Hintergründig ging es natürlich um Kontrolle, um Seilschaften, um Rohstoffe. Donald dem Chosen One ist die Demokratie ziemlich schnurz – ob zuhause oder «abroad». Es geht ihm nur um seine Deals und um sein persönliches Ego. Wenn es nicht funktioniert oder zu lange dauert, verliert er das Interesse daran. So mit seiner Idee, den Gazastreifen in ein glamouröses Resort zu verwandeln, oder lukrative Deals mit Putin abzuschliessen, weshalb es in Ordnung wäre, dafür die Ukraine zu opfern. Nun, da die Israeli den ersten Dirty Job im Iran erledigt und die USA vermutlich einen Grossteil der Nuklearproduktion zugebombt haben, die Mullahs aber immer noch nicht klein beigeben, wird die Erkenntnis reifen, dass man doch noch etwas nachhelfen müsste. Also doch Regimewechsel. Das ist in der Causa Iran schwierig, denn ein Wechsel setzt ja voraus, dass schon ein neues Regime in den Startlöchern sein sollte – was offensichtlich nicht der Fall ist. Trump erinnerte sich aber plötzlich an den Shah – den einstigen König und Kaiser Irans, des früheren Persiens.

Ja, das waren noch Zeiten, als der Shah dieses flamboyante Leben führte in dem Land! Trump findet auch seinen Sohn, den ungekrönten Kronprinzen Reza, obwohl heute ohne Staat und im Exil, echt cool. Er ist Milliardär. Mit ihm kann man sicher Deals machen. Überhaupt, die ganze Pahlavi-Familie kann sich sehen lassen, ihr Vermögen wird auch heute noch auf rund 20 Milliarden USD geschätzt. Bis zu ihrem Sturz 1979 lebte die Shah-Familie im Iran wie ein orientalisch-westlicher Hochadel, mit einem Hang zur extravaganten Selbstdarstellung, prunkvollen Festen und westlicher Dekadenz – einfach in einem persischen Gewand. Es war eine Mischung aus Versailles, Las Vegas und Beverly Hills. Der damalige Shah selbst – Mohammad Reza Pahlavi – sah sich als „Licht der Arier“ und „König der Könige“. Ein Höhepunkt seiner Regentschaft war seine selbst inszenierte Krönung zum Kaiser. Der strenge Autokrat war militärisch geprägt, aber auch besessen von Imagepflege, Moderne und Statussymbolen, besass eine der teuersten Autosammlungen der Welt und flanierte gerne auch mal mit Jackie Kennedy in Saint-Tropez rum oder empfing Elizabeth Taylor. Farah Diba – die Kaiserin – stand dem in Sachen Grandezza in keiner Weise nach. Sie war westlich gebildet, hatte in Paris Architektur studiert, hofierte Designer wie Christian Dior, gründete Kunstmuseen und brachte moderne Kunst (u.a. Picasso oder Warhol) nach Teheran. Der Hofstaat dort bestand aus über 3’000 Personen. Der gesamte Machtapparat war geprägt von Vetternwirtschaft, Korruption und goldener Selbstbedienung.

Die Feste der Pahlavis waren legendär. 1971, zum 2500-Jahre-Fest des Persisches Kaisertums, wurden für den dreitätigen Pomp in der Wüste Monarchen, Präsidenten, Diktatoren und First Ladies geladen, das Menü von Maxim’s eingeflogen, aus Goldgeschirr gegessen und in edlen klimatisierten Zelten übernachtet. Leider verendeten 50’000 importierte Vögel, weil das ganze Terrain vorher insektizidverseucht wurde. Der Spass kostete 100 Millionen USD – damals eine Unsumme. Und dies in einem Land mit massiver Armut. Aber das alles hatte Stil – was eben auch Präsident Trump nicht verborgen blieb.

Ach ja, Waldmeyer entdeckte auch die ausgesuchten Orte, die die Pahlavis gerne besuchten: Genf und Zürich zum Einkaufen, St. Moritz zum Skifahren, Südfrankreich und Marbella zum Jetsetten. Selbstredend stieg man nicht nur in den feinen Hotels ab, sondern unterhielt nicht ganz unbescheidene Villen an vielen dieser Orte. Kurzum, die Shah-Familie lebte ein hyperglamouröses, westlich geprägtes Leben auf ihrem persischen Thron, mit Hang zu Gigantismus und äusserem Glanz. Das Regime wurde zum Inbegriff einer dekadenten Oberschicht, die sich vom Volk nicht nur entfernt, sondern vollständig entkoppelt hatte – ein idealer Nährboden für die islamische Revolution von 1979.

Der Sturz erfolgte jäh, und der Shah flüchtete, mit Tränen in den Augen, in seiner fetten kaiserlichen Boeing. Über allerlei Umwege zog es die royale Familie letztlich ins Exil in die USA. Dort konnte sie weiter ein Luxusleben führen, auch wenn sie in Sachen Glamour ein paar Abstriche machen musste.

Nicht vergessen blieb, dass der Shah, zuvor 1953, mithilfe der CIA und des MI6 im Iran wieder installiert wurde, nachdem die Herrscherfamilie im Zweiten Weltkrieg abgesägt wurde: Leider hatte sie sich damals mit den Nazis solidarisiert, worauf 1941 die Briten und die Russen im Iran einschritten, die Monarchie kaltstellten und eine pseudo-demokratische Regierung installierten. Aber die neue Truppe war etwas übereifrig, und als die westlichen Erdölfirmen verstaatlicht wurden, wurde es eben Zeit, 1953, den Shah zu rehabilitieren.

Nun wird sich die Geschichte also wiederholen, prognostiziert Waldmeyer: Nach fast 50 Jahren im Exil könnten die Pahlavis wieder zurück an die Macht kommen, wieder von Gnaden des Westens. Trump möchte den Regimechange, und wenn sich The Chosen One etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt er selten nach.

Die Pahlavis leben heute im Exil in Washington D.C. Mama Pahlavi lebt in den USA und in Paris, etwas betagt, aber sie lässt es sich gutgehen. Die drei Töchter des Kronprinzen Reza Pahlavi sind alle gut geraten und gebildet. Konkurrenz in Sachen Shah-Nachfolgerechten hat der Reza keine, denn seine Geschwister sind oder waren entweder Schwestern (hatten also das falsche Geschlecht), erlagen ihrer Drogensucht oder nahmen sich durch Suizid aus dem Rennen (so sein Bruder).

Waldmeyers Prognose: Die bald ausgeräucherten Mullahs werden sich verstecken, das Volk jedoch auferstehen. Und der Westen? Der wird, unter der Regie Trumps, an einem Nachfolgemodell für das iranische Regime basteln – obwohl die Bilanz vergangener «Befreiungsaktionen» eher an eine unvollendete IKEA-Anleitung erinnert. Wie schon bemerkt, fehlte immer ein Plan B bei diesen von aussen initiierten Umstürzen. Doch diesmal, vermutet Waldmeyer, ist alles anders, denn Trump hat einen Plan, und der wird klar «Reza Pahlavi» heissen. Der designierte Comeback-Shah wäre eine sehr genehme Besetzung, das Familienvermögen stimmt und der Lebenslauf sieht wie aus einem Netflix-Casting aus: «Ein toller Typ, grossartige Gene, man kann mit ihm Deals machen – ganz anders als mit den Ayatollahs», wird Trump wohl bald schon verlauten lassen.

Dieser letzte und nun disponierbare Shah hat Jahrgang 1960. Mit ihm könnten die USA (oder besser: Trump mit seiner Familie) tatsächlich lukrative Geschäfte abschliessen. Wahrscheinlich hat Trump, im Oval Office sitzend, totally bored, bereits einen beautiful Trump Tower auf einer dieser uninteressanten geopolitischen Notizen hingekritzelt, die ungelesen auf seinem Schreibtisch lagen. Einen besonders schönen, hohen und prunkvollen Tower, der in Teheran zu stehen kommen könnte. Die Lizenzen für die Erdöl- und Erdgasproduktionen könnten an die USA gehen, in seinem Kabinett sitzen ja bereits Exponenten dieser Branchen. Mobilfunk-, Banken-, Kreditkarten- und Autoimport-Lizenzen könnten vermutlich auch alle an die USA gehen – im besten Fall an Trumps Söhne, denn die werden schon wissen, wer operativ zum Zug kommen sollte. Und eine noch zu definierende Ecke im Iran könnte für die Palästinenser freigemacht werden. Wenn die nämlich endlich ein Stück Land erhielten, wäre der Gazastreifen frei. Genau jetzt könnte sich also ein Slot ergeben, auch dieses Problemchen im gleichen Aufwisch zu lösen.  Die ganz leidlich florierende iranische Drohnenproduktion sollte an Freund Putin gehen, er scheint noch etwas Bedarf zu haben. Und was Trump auch noch entdeckte: Iran verfügt über eine unentdeckte, brachliegende, riesige Riviera am Persischen Golf! Natürlich könnte die sehr schön entwickelt werden. Zusätzlich könnten auch beautiful Golfplätze im grünen Hochland errichtet werden. Ja, das Land verfügt über riesige beautiful opportunities!

Allerdings müsste die Immobilienfrage noch gelöst werden. Waldmeyer fragte sich nämlich, wo denn die Shahfamilie künftig standesgemäss residieren könnte. Aber seine Recherchen gaben gleich Entwarnung: Es gibt noch immer rund zehn Paläste im Iran, die wieder «renaturiert» werden könnten; es sind heute Regierungsgebäude und Museen – das liesse sich bestimmt einrichten.

Bei seinen historischen Analysen stellte Waldmeyer weiter fest: Persien war einst eine beachtliche Hochkultur, in den Jahren weit vor Christus, als das Abendbrot der Schweizer noch aus einer Milchsuppe bestand, die sie in ihren kalten und dreckigen Hütten schlürften. Zu jener Zeit bauten die Perser, lange vor den Römern, bereits Bodenheizungen mit Heissluft in ihre Paläste ein. Es kann recht kühl werden im Winter in Teheran, zeigte Waldmeyers Handy an. Die Perser damals waren auch weit fortgeschritten in den Disziplinen Astronomie und Mathematik. Auch in der Medizin, sie führten anspruchsvolle Gehirnoperationen durch. Sie taten eben das, was man in Hochkulturen so tat. Aber bis vor kurzem steinigten ihre Nachfolger, die Ayatollahs, die Frauen, führten das Land mit allen komischen Ausprägungen eines Gottesstaates und bastelten an einer Atombombe. Ja, so ändern sich die Prioritäten.

Doch jetzt wird das Rad der Zeit zurückgedreht. Trump stellte sich für den neuen Iran eine konstitutionelle Monarchie vor. Der Shah sollte, nach einer kurzen Übergangszeit und der Verteilung der Wirtschaftspfründe im Land, ruhig etwas in den Hintergrund treten. Dann wird er nämlich auch wirtschaftlich freier sein. König Charles macht das ja auch, der geht allerlei interessanten Geschäften nach. Er darf das – und gleichzeitig König spielen, das geht hervorragend. Gegen aussen wird Demokratie vorgegaukelt, mit einer klug eingesetzten Regierung. Trump nahm sich vor, Netanyahu zu fragen, wen man als Prime Minister einsetzen könnte – da wird sich sicher jemand finden lassen aus dieser riesigen iranischen Diaspora. Weltweit rund sechs Millionen Iraner im Ausland warten nur darauf, wieder über ein weltliches und ökonomisch fortschrittliches Heimatland zu verfügen, allenfalls auch zurückzukommen und sich wirtschaftlich und politisch zu engagieren. Kurzum: Da wird die Post wieder abgehen in dem Land!

Das Fazit scheint offensichtlich zu sein: Der Westen hat eine gewisse Tradition darin, in Iran Regime zu ersetzen: 1941 wurden die Nazisympathisanten entfernt, 1953 die Ölverstaatlichung rückgängig gemacht und der Shah erhielt seine Rolle zurück, jetzt könnte ein weiteres Comeback des Shahs folgen. Waldmeyer weiss: Reza ist bereit, Trump sowieso, und der Westen liebt es, wenn Ordnung und Öl wieder „geordnet“ zusammenfinden. Ob das iranische Volk das auch so sieht?

Egal – Hauptsache, die PR stimmt und der Thron ist poliert. Wird diesmal alles besser? Wer weiss. Aber wenigstens sieht der neue Monarch auf Instagram besser aus als die grimmigen Ayatollahs. «Reza, taufe doch dein schönes Land wieder in Persien um, Persien war einmal ein beautiful country!», wird Trump seinem neuen Buddy stecken.

Waldmeyer fragte sich, was er nun mit all den Ideen, Informationen und Prognosen anfangen sollte. Er befürchtete schon, dass ihm Charlotte wieder vorhalten würde, «unnützes Wissen zu akkumulieren». Doch nein, Waldmeyer kann das sehr wohl rechtfertigen: Er beobachtet, ist Voyeur und kritisiert. Er wird mitverfolgen, wie im Iran die Mullahs über kurz oder lang doch noch vertrieben werden und es zu einem Regimewechsel kommt. Vielleicht wird das Land dann in einer ersten Phase noch etwas kaputter dastehen. Waldmeyer wird beobachten, wie später in einem neuen, auferstandenen Persien wieder die Kronleuchter aufgehängt werden – bevor die Leute allerdings ihre verlotterten und von Raketen in Leidenschaft gezogenen Dächer reparieren können.

Waldmeyer überlegte, wann er Charlotte eine Reise ins neue schöne Persien vorschlagen sollte. Nicht für einen Urlaub, sondern einfach für eine Studienreise. Und er fragte sich auch, ob er nicht Bundesrat Parmelin anrufen sollte. Ob dieser sich nun nicht für ein Freihandelsabkommen bereithalten sollte? Noch ist das neue Persien ein makroökonomischer Zwerg, sein BIP, trotz fast 100 Millionen Einwohnern, beträgt gerade mal 400 Milliarden USD – nur gut das Doppelte des Kantons Zürich, und pro Kopf erzielt das lädierte Land eine Wirtschaftsleistung auf der Höhe des mausarmen Moldawiens. Aber man sollte früh dabei sein. Wenn die Trump Towers einmal stehen, könnte es zu spät sein.

 

Waldmeyer und die neue deutsche Regierung

Oder: Warum der Merz ein totes Pferd reitet – und: Ist Deutschland eventuell ein Übernahmekandidat?

Wer dachte, dass die neue deutsche Regierung nach Jahren des Ampel-Chaos nun endlich durchstarten würde, sieht sich bitter getäuscht. Statt Aufbruch herrscht wieder Vermerkelung. Es ist wie bei einem Haus, das man nur notdürftig abgestützt hat: Die Fassade bleibt, aber innen regiert der Schimmel. Waldmeyer analysiert – auch warum Neu-Kanzler Merz nun eine Marienkäfer-Krawatte trägt.

 Waldmeyer schaut liebend gerne in die deutsche Politik rein. Er sieht sich sozusagen als Voyeur. Aber er tut dies auch mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein, denn was in unserem Nachbarland passiert, hat direkten Einfluss auf die Schweiz: sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. Vor allem, weil wir in der Regel viele Fehler kopieren – die zeigen sich bei uns dann einfach ein paar Jahre später.

Aber nun zu Merz und der neuen Regierung: Was auf dem Papier nach «Change» aussieht, entpuppt sich in der Realität als Mülldeponie der alten Fehler. Friedrich Merz, der grosse Oppositionsredner und angekündigte Liberalisierer, reitet ein totes Pferd. Nur merkt er es nicht. Die neue Regierung, ein Monster aus politischem Klein-Klein, wird getragen von einer Koalition, zu derer Zusammenstellung mehr als Stirnrunzeln aufkommt. Die SPD mit 16% Wähleranteil gibt den Takt vor, während die Union devot nickt. Und das Volk? Schaut zu. Oder wandert ab.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Epoche Merkel ist nie zu Ende gegangen. Sie wurde lediglich in schlechterer Rhetorik, schwächerer Vision und grosser Kompromissbereitschaft neu aufgelegt. Die Politik des Aussitzens wurde durch die Kunst der Ankündigung ersetzt. Wenig wird entschieden, alles wird verwaltet. Der Kompass fehlt, dafür gibt es ein 400-seitiges Koalitionspapier, das jede Verantwortung in Ausschüsse und Arbeitsgruppen delegiert. Und währenddessen bröckelt das Land. Waldmeyer versuchte sich etwas einzulesen in diesem Regierungspamphlet und stellte fest: Es ist etwa so spannend wie das Studium eines Telefonbuches. Und es strotzt von Konjunktiven: Man „kann“, „könnte“ usw. Soweit die gemeinsam gesetzten Ziele – oder eben Nicht-Ziele.

Der neue Säckelmeister aus der Soziologen-Gruft heisst Lars Klingbeil. Wenn man einen Finanzminister sucht, könnte man vielleicht etwas ökonomisches Grundwissen und Grundverständnis erwarten. Deutschland jedoch hat den Lars gekriegt: Historiker, Soziologe, immerhin einst Schulsprecher. In seiner neuen Funktion als oberster Geldverwalter wird er sich nun mit Geldmengen, Kryptos und dem globalen Finanzmarkt herumschlagen müssen. Good Luck, lieber Lars! So visionär besetzt die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt also ihre Schlüsselpositionen in der Regierung.

Waldmeyer bezeichnet die neue deutsche Regierung als Marienkäfer-Koalition: rot mit schwarzen Punkten. Diese Koalition ist das Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn man politische Gruppierungen nur noch nach Posten und Quoten zusammenstellt und auf Gedeih und Verderben möglichst rasch eine Koalition hinkriegen möchte. Fachkompetenz? Zweitrangig. Ministerien wurden zu einem Gutteil wie Gummibärchen im Kindergarten verteilt. Hauptsache Ostquote, Hauptsache Parität. Friedrich Merz musste zusehen, wie ihm zu grossen Teilen ein fremdes Kabinett vor die Tür gesetzt wurde: Das House of Lars. Und jetzt soll der Friedrich trotzdem liefern. Viel Spass.

Ein Schlüsselelement der künftigen Politik scheint das «Sondervermögen» zu sein, ein Euphemismus des Jahrzehnts. Was früher Schulden hiess, nennt man heute «Sondervermögen». Ein intellektueller Taschenspielertrick. Oder, um es beim Namen zu nennen: Bilanzfälschung. Vermögen ist normalerweise etwas, das man besitzt, es handelt sich um „Assets“. Deutschland jedoch nennt Schuldenbescheide jetzt «Aktiva». Das 500-Milliarden-Sondervermögen soll eine Investitionsoffensive werden, so für Infrastruktur, Klima, Digitalisierung, Kindergärten, Jugendzentren etc. Dieses Vermögen verbraucht man jedoch einfach, es gehörte streng genommen also in die Erfolgsrechnung eines Staates, mit Aufwandpositionen. Ein an der Börse kotiertes Unternehmen würde man bei einer solchen Bilanzfälschung mit einem Kurssturz bestrafen.

Und bei all diesen Ausgabentricks denkt man nur am Rande ans Sparen! Auch an Steuerentlastungen denkt man kaum, diese wurden verschoben, denn offenbar wollte man den europäischen Podestplatz in Sachen höchsten Steuern (für Personen wie für Firmen) nicht gefährden.

Aber vielleicht konnte Fritze Merz noch gar nicht richtig loslegen? Er hat nämlich noch gar kein vollständiges Kanzleramt zusammen. Unter seinem Vorgänger Scholz wuchs es bis am Schluss auf 852 Köpfe an. Man stelle sich einen Konzernstab dieser Grösse vor! Wir sind gespannt, was sich Merz hier noch einfallen lässt.

Friedrich Merz ist kein Sympathieträger. Muss er auch nicht sein. Er liess sich zwar schon einmal vor seinem Privatflieger ablichten, als Inkarnation des «Mittelstandes». Das kam nicht so gut an. Aber nun diese Schmach, dass er, für die Führung des Landes, nicht mal seine Mannschaft auswählen darf. Natürlich ist das systemimmanent, offenbar entspricht dies der deutschen Interpretation von Demokratie. Nun sitzt er einem Kabinett vor, das so viele SPD-Genossen wie CDU-Leute zählt. Es würde also durchaus Sinn machen, wenn er wenigstens seinen direkten Stab, das Kanzleramt, verscholzen würde: mit der Benchmark von 852 Angestellten.

Die neue Wirtschaftspolitik bleibt so, mit dem neuen Personal, weiter ein kompliziertes Geflecht zum betreuten Ausgeben. Die Regierung setzt auf Wachstum durch Konsum. Und wie schon erwähnt: «Sparen» ist dabei ein Unwort. Blöd nur, dass die Leute zurzeit nicht etwas mehr ausgeben wollen. Zu hoch die Steuern, zu tief das Vertrauen. Unternehmen wandern ab, Junge auch. Deutschland bildet hervorragend aus, aber nicht für den Eigenbedarf. Die Schweiz dankt, jeder abwandernde Mediziner ist ein Gewinn für unsere Spitäler, und jeder Programmierer zusätzlich senkt unsere Wartezeiten in den helvetischen Portalen.

Es kommt ein weiteres Hindernis hinzu: Auch ohne Regierungsbeteiligung sind die Grünen nicht totzukriegen. Baerbock, Habeck & Co. melden sich mit Wärme, Weltethos und Wokeness zur Stelle, und Blockieren liegt in ihrer DNA. Manchmal blockieren sie sich sogar selbst. Die Klimapolitik ist nach wie vor Religion, das ökonomische Denken ein Abfallprodukt bürgerlicher Engstirnigkeit. Und wenn der Strompreis steigt, erklärt man das zur «notwendigen Transformationsschwelle».

Das System Merkel wird also «reloaded». Eine Politik, die sich nicht entscheiden kann, ist keine Politik. Es ist Verwaltung mit Presseabteilung. Die Probleme liegen auf dem Tisch: Rente, Energie, Migration, Infrastruktur, Bildung, Verteidigung, Bürokratie. Und was tut die neue Regierung? Sie setzt Ausschüsse ein, erstellt Eckpunktepapiere, veranstaltet Gipfel, jagt die AfD. Wenn Management durch Meetings ersetzt wird, kann man auch gleich einen Ethikrat regieren lassen. Publikumsfreundlich werden Ankündigungen präsentiert – zur Übertünchung der Misere. Oder es wird mal ein Dutzend abgewiesener Asylanten abgeschoben, wortreich und mit viel Presseunterstützung. In ganz Germanien lümmeln jedoch noch Hunderttausende von Ausreisepflichtigen rum. Sie werden, und dies formell, „geduldet“. Ankündigungspolitik, immerhin, muss man der neuen Koalition nicht lehren.

Aus Schweizer Sicht könnte diese Regierung jedoch ein Glücksfall sein. Deutschland schwächelt, wir profitieren. Das Humankapital flieht über den Rhein, das Kapital gleich mit. Wir bekommen die Arbeitskräfte, die Motivation, die Kreativität. Deutschland bekommt zurück: Bürokratie, Schulden und eine Klimapolitik, die die Industrie grillt.

Und Merz? Der reitet weiter das tote Pferd. In der Hoffnung, dass es irgendwann aufsteht. Vielleicht hat er ja recht. Vielleicht ist Deutschland das erste Land der Welt, das durch einen Koalitionsvertrag in den Aufschwung stolpert. Man darf ja träumen. Derweil hat sich der frischgebackene Kanzler auf dem heissen Stuhl bei Zoll-Zampano Trump ganz leidlich geschlagen – allerdings musste er auch kaum etwas sagen, denn Donald the Chosen one lieferte ein flottes Selbstgespräch. Die wichtigen Themen (wie das Zoll-Drama) mussten dergestalt gar nicht erst angesprochen werden, und das innenpolitische Resultat für Deutschland war so einfach gar keines.

Wäre Deutschland ein Unternehmen, so stünde es auf dem Zettel von aktivistischen Investoren. Deutschland, der Übernahmekandidat? Wenn der Shareholder Value schrumpft, die Schulden wachsen und das Management sich öffentlich streitet, wäre das die logische Folge. Kein CEO dieser Welt könnte so arbeiten. Aber in Deutschland nennt man das Demokratie.

Waldmeyer und der Pakt mit der Ukraine

Die Schweiz, dieses hübsche kleine Land, hat ein Problem: Deren Bewohner meinen, dass es verteidigungsfähig sei. Ist es aber nicht. Verwundert betrachten die Eidgenossen die Welt, die sich rundum verändert. Die Bedrohungslagen sind plötzlich nicht mehr die gleichen und es rumpelt gewaltig in der Geopolitik. Waldmeyer blickt nun über den Tellerrand hinweg und zerschlägt den gordischen Knoten.

Selenski, von Beruf Schauspieler und Präsident, ist ein schlauer Kerl: Neuerdings suggerierte er die Möglichkeit, dass nach einem Waffenstillstand in der Ukraine der Westen über eine zusätzliche neue, schöne starke Armee verfügen könnte. Diese erprobten Truppen könnten künftig nicht nur als Bollwerk gegen Russland funktionieren, sondern zugunsten des Westens auch eine ganz neue Rolle für die umfassende Sicherung der Ostflanke spielen. Vielleicht sogar noch weiter in den Osten rein. Damit soll sich eine weitere Aufrüstung der Ukraine durch den Westen heute auch lohnen, insinuiert der rührige Ukraine-Chef, denn das wäre alles andere als umsonst.

Tatsächlich könnte das Sinn machen, überlegte Waldmeyer.

Weiter analysierte Waldmeyer, mental gestählt durch eine Schweizer Rekrutenschule und weitere militärische Ausbildungen: Erstens stellt die ukrainische Armee mit 200’000 bis 300’000 aktiven Soldaten zurzeit die grösste Truppe in Europa dar (nebst Russland natürlich, sofern wir dieses Land immer noch zu Europa zählen möchten). Frankreich und England verfügen je über ein stehendes Heer von knapp weiteren 200’000 Aktivsoldaten. Die Türkei (ein partiell abtrünniger Partner), Griechenland und Polen stellen weitere robuste Truppen. Von den anderen Ländern sprechen wir lieber nicht. Vor allem nicht von Deutschland – deren Armee stellt so etwas wie das Gegenteil einer Abschreckung dar, denn ihre besten Waffen blieben bis jetzt in den Kisten (so die Taurus Raketen), anstatt sie den Ukrainern zu liefern. Ausserdem fehlt es an Soldaten, Ausrüstung, Ausbildung und Willen für einen Wiederaufbau der Armee. Dieser Pistorius ist ja wirklich nicht zu beneiden, die Rolle des deutschen Verteidigungsministers ist wohl eine der undankbarsten der modernen Geschichte: Er kriegt zu wenig Geld, hat zu wenig Soldaten, fast nur schlechtes Gerät und eine Truppe, die überhaupt nicht motiviert ist. Und ihm waren über Jahre die Hände gebunden, sein verscholzter Chef liess ihn gar nicht walten und der neue ist noch in der Probezeit.

Aber zurück zur Ukraine: Das Land verfügt heute über zum Teil hochmodernes militärisches Spielzeug, aus bekanntem Grund gut trainierte Soldaten und über einen ausgeklügelten «Intelligence Service». Eine Integration in die NATO könnte fast über Nacht erfolgen, das Land arbeitet ja schon eng mit dem Club zusammen. Eine NATO-Aufnahme müsste deshalb formell gar nie stattfinden, denn diese ist operationell schon lange erfolgt. Mit einem Verzicht auf einen offiziellen Beitritt lässt sich zudem allerlei politisches Ungemach verhindern. Es würde, bei einem Waffenstillstand dann, ausreichen, ein paar rumänische und griechische Friedenstruppen in der verbliebenen und versehrten Ukraine zu platzieren (wohl verstanden, nationale Friedenstruppen und nicht solche der NATO). Vielleicht kommen auch Inder oder die Chinesen? Soweit Waldmeyers Analyse zur derzeitigen Lage in Europa.

Es wird vielleicht noch eine Weile dauern, dann wird etwas später US-Präsident Vance (welcher inzwischen Präsident Trump ablösen durfte, der, beispielsweise, an einer Überdosis Cheeseburger verstarb) erkennen, dass er mit der Ukraine praktisch einen neuen Partner an Bord haben wird, welcher ihm bei allerlei Aufgaben zur Hand gehen könnte. Verschiedene Übungen im Osten könnten da noch anstehen, so im Irak, in Syrien, Afghanistan, Libanon etc. Weitere Einsätze könnten im Schwarzen Meer bevorstehen, auch in der Südchinesischen See und im Pazifik. Taiwan oder Nordkorea sind weitere Hotspots, wo beobachtet und notfalls gestört und/oder eingegriffen werden könnte. Herrscht erst einmal Ruhe in der Ukraine, könnten die arbeitslos gewordenen Heerscharen an Soldaten dergestalt neue interessante Aufgaben übernehmen.

«Und warum sollte das die Schweiz interessieren?», antwortete Charlotte auf Waldmeyers Visionen hin, die er gestenreich vor dem Kamin ausbreitete.

Waldmeyer hatte eine rasche Erklärung dafür: «Die Ukraine ist unser neuer Verteidigungspartner – sie wissen es nur noch nicht!»

Waldmeyer äusserte seine Vision jedoch nicht unbedacht und spontan. Er tat es ohne jegliche Theatralik und in Ruhe, zwischen zwei Schlucke Cognac.

Waldmeyer ist nämlich der Meinung, dass ein NATO-Beitritt der Schweiz zwar logisch und sinnvoll wäre, politisch aber nicht umsetzbar. Die Schweizer Ausgangslage in Sachen Verteidigung ist eigentlich brisant: Wir würden uns nie und nimmer verteidigen können. Die alten Flieger taugen nichts, die neuen kommen nicht. Über ein modernes Flugabwehrsystem verfügen wir nicht, Drohnen können wir auch nicht abwehren, die eigenen sind seit Jahren nicht einsatzbereit, weil sie einem „Swiss Finish“ unterliegen, und gegen Cyberangriffe sind wir nur beschränkt geschützt. Uns fehlt es auch an einem Intelligence Power, um zu erkennen, wo im Krisenfall was kriegstechnisch in Echtzeit laufen würde. Wir würden, militärisch gesehen, blind dahocken und auf den alten Panzern warten, bis etwas passiert. Und da gibt es noch ein anderes Problem: In der Schweiz tummeln sich Hunderte von russischen und chinesischen Spionen wie in einem Freizeitpark für Agenten – im vollen Wissen unseres Geheimdienstes. Verdeckte militärische Strategien und Geheimnisse gibt allerdings gar keine bei uns, alles ist publik und wird direktdemokratisch öffentlich debattiert. Wir geben zwar zu Abschreckungszwecken jährlich sechs Milliarden für die Armee aus, aber diese Armee schreckt leider nicht ab. Deren Führung hatte bis vor Kurzem eine Juristin aus dem Wallis inne, jetzt kommt ein netter Herr aus der Innerschweiz.

Unsere vermeintliche Waffe ist offenbar die Neutralität. Und Im Notfall ziehen wir uns zurück ins Reduit. Es gibt kein einziges nennenswertes Land im westlichen Europa, welches weder in der NATO ist noch dem EU-Verteidigungspakt angehört. Wir gehören uns allein. Wir kokettieren etwas mit der NATO, besprechen uns zuweilen und schwafeln mit Frankreich und Deutschland über einen Verteidigungsschirm, dem European Skyshield, den es gar noch nicht gibt und dem wir auch nicht richtig betreten, aber dann eventuell doch beitreten – oder auch austreten – könnten, wenn’s brenzlig wird.

Verteidigungspakte sind im Übrigen etwas sehr Normales. Erst kürzlich haben Deutschland und Grossbritannien einen solchen abgeschlossen, auch Russland mit Nordkorea (ein guter Deal, Nordkorea verfügt über mehr als eine Million Soldaten).

Was die Schweiz betrifft: NATO jetzt also nein. Aber wenn’s um die Wurst ginge, würden die uns vielleicht schon helfen. Dann würde Martin Pfister, unser neue Verteidigungschef, furchtlos zum Telefonhörer greifen und den NATO-Oberbefehlshaber Mark Rutte anrufen: «Mark, wir haben ein Problem. Kannst du uns bitte helfen…?» Aber Rutte hätte inzwischen, in einer solchen Situation, anderes zu tun, denn ganz Europa stünde vermutlich in Deep Shit und müsste seine Verteidigungsbereitschaft erhöhen – er hätte schlichtweg keine Zeit für Martin.

Und dann würde es vielleicht passieren: Der Gegner würde als erstes mittels geeigneter Waffen und viel Elektronik unsere zivile Infrastruktur ausschalten. Es würde sehr dunkel und sehr kalt werden in der Schweiz. Dieser Gegner würde natürlich bewusst zuerst die Schweiz attackieren, denn das würde keinen NATO-Bündnisfall auslösen, deren Flieger würden erst mal am Boden und die Truppen in den Kasernen bleiben. Auch unsere eigenen alten Flieger würden am Boden bleiben, denn aufgrund der ausgefallenen Energieversorgung würden alle Kommunikationsmittel so gut wie tot sein. Vielleicht hätte Martin den Kollegen Mark mit viel Glück noch über ein Satellitentelefon erreicht, das ihm ein beherzter Adjutant gereicht hätte.

Aber zurück zur Lösung für unsere Verteidigungsfähigkeit: Wenn wir einen Pakt mit der neuen Ukraine abschliessen würden, hätten wir einen valablen Partner an der Hand. Der Deal würde natürlich so aussehen, dass er nur im Verteidigungsfall gilt und unsere Neutralität nicht tangiert. Da die Ukraine auf absehbare Zeit, auch nach einem Friedensschluss, nicht in der NATO sein wird, könnte so ein Abkommen eine elegante Lösung darstellen!

«Und warum sollten die Ukrainer das tun…?», wollte Charlotte wissen.

«Sie würden jährlich einen Batzen dafür kriegen. Den brauchen sie dringend. Sie müssen gar nichts tun dafür. Nur im Notfall, welcher dann eben gar nie eintreten wird, weil der Gegner weiss, dass die Schweiz zusätzlich von einer Viertelmillion hochgerüsteter und knüppelharter Ukrainer verteidigt würde. Eine Win-Win-Situation, ohne dass irgendjemand handeln würde.  Wir müssen nur das Papierli unterschreiben.»

Waldmeyer war zufrieden mit seiner Vision. Er schenkte sich etwas Cognac nach, stocherte im Cheminée rum und überlegte, wie er seinen raffinierten Plan nun unter die Leute bringen könnte. «Steck es doch erst mal True Economics, Max!», schlug Charlotte vor, «die nehmen solche abwegigen Ideen immer gerne auf!»

Waldmeyer und der Vulkanausbruch

Oder: Ist die nächste grosse Krise der Ausbruch des Vesuvs…?

Es mag etwas voreilig sein, aber wir können heute schon behaupten: Wir konnten, zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg, alle Krisen einigermassen gut bewältigen. Ob die Finanzkrise 2007/2008, später Corona, oder – bis jetzt – die «Trump-Krise». Allerdings zum Teil zu derart hohen volkswirtschaftlichen Kosten, dass wir dafür beten müssen, dass vergleichbare Ereignisse nicht gleich wieder eintreten mögen. Waldmeyer betet nicht, aber er analysiert und bereitet sich vor.

„Vergiss Capri, Schatz, das ist mir zu brenzlig“, meinte Max Waldmeyer zu Charlotte, als sie Google Maps wieder mal nach lohnenswerten Reisezielen durchforsteten. Charlotte verzog die Mundwinkel. Sie erinnerte sich dabei, wie sie damals, vor rund 30 Jahren, mit Antonio im alten Fiat Panda der Amalfiküste entlangzuckelten und nach Capri übersetzten. Sie teilte ihre Erinnerung jetzt aber nicht.

Waldmeyer überlegte, ob er künftig das Risiko von Vulkanausbrüchen in seine Ferienplanung einbeziehen sollte. Der Vesuv bei Neapel, der Ätna oder der Stromboli im Raum Sizilien, der Fuji in Japan, der Gunung Agung auf Bali, der Toba oder der Tambora in Indonesien usw.: Es gibt nun mal Gegenden mit erhöhten Risiken. Heikel wird die Kombination eines erhöhten Risikos mit einer ebenso hohen Auswirkung.

Waldmeyer ist sich bewusst, dass es auch eine Vielzahl von anderen Katastrophen geben könnte, mit ganz unterschiedlichen Eintretenswahrscheinlichkeit und, je nachdem, grossen regionalen oder globalen Auswirkungen. Eine grosse Atomkatastrophe, ein Cyberkrieg, nochmals eine böse Pandemie – das sind alles Krisen, die ein Desaster darstellen können. Oder man stelle sich vor, dass der irre Pate im Oval Office den US-Dollar kollabieren lässt und die gesamte Weltwirtschaft den Bach runtergeht. Aber auch der Ausbruch des Vesuvs könnte unser Leben schlagartig verändern.

Waldmeyer ist nicht paranoid. Aber er würde sich doch als etwas «teil-paranoid» bezeichnen. Für den Moment, für dieses Wochenende zumindest, nahm er sich vor, sich erst mal nur auf die Vulkane zu konzentrieren.

Ein Warnschuss erfolgte im Jahr 2010

Waldmeyer erinnert sich an den Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island. Der Himmel ganzer Erdteile war über Tage und Wochen in Vulkanstaub gehüllt, der Flugverkehr über weite Teile lahmgelegt, das Klima beeinträchtigt, lokal ebenso die Gesundheit der Bevölkerung. Es war ein kurzes, glücklicherweise nur vorübergehendes Ereignis.

Im Jahr 1815 war es anders. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien hatte schwerwiegende globale Auswirkungen: Amerika und Europa mussten in der Folge nämlich ein „Jahr ohne Sommer“ verzeichnen. Ein grosser Teil der Menschheit litt an Kälteeinbrüchen, Missernten, Überschwemmungen. In der Schweiz brach eine Hungersnot aus. Der russische Zar Alexander I. erbarmte sich und lieferte Getreide und Geld an die Ostschweiz. Ob Präsident Putin uns heute auch helfen würde? Aus Deutschland wanderten damals, aufgrund der grossen Not, viele Menschen in den Süden Russlands oder in die USA aus. Und in den USA selbst gab es eine Wanderbewegung vom Osten in den Westen. Das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Ja.

Alle hundert Jahre ein grosser Ausbruch

Die Wahrscheinlichkeit lehrt uns, dass etwa einmal pro hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch globale Auswirkungen haben könnte. Wir kennen alle die Geschichte vom Aussterben der Dinosaurier. Die Wissenschaft rätselt bis heute, ob es ein grosser Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag war, der eine reduzierte Sonneneinstrahlung zur Folge hatte und einen dramatischen Klima- und Vegetationswandel auslöste.

Als der Vesuv 79 n. Chr. ausbrach, verschwand Pompeji unter einer 12 Meter hohen Lava- und Ascheschicht. Noch heute gilt der Vesuv als einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Geologen bezeichnen ihn als Zeitbombe.

Der Ausbruch des Vesuvs könnte verheerende Auswirkungen haben

Die Wahrscheinlichkeit für einen richtig grossen Ausbruch des Vesuvs wird auf 1% geschätzt, dies für den Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Also ein einigermassen überblickbares Szenario. Dennoch: Waldmeyer stellte sich vor, dass er mit verbundenen Augen eine wenig befahrene Strasse überqueren sollte. Die Wahrscheinlichkeit, überfahren zu werden, liegt bei nur 1%. Er würde an der Strasse stehen und er hätte die Wahl, entweder mehrere Stunden zu warten, bis ihm jemand die Augenbinde abnimmt, oder das geringe Risiko einzugehen, die Überquerung zu wagen. Nun, Waldmeyer würde jetzt noch am Strassenrand stehen und warten. Merke: Auch ein geringes Risiko gilt als zu fatal, wenn es eintritt.

Leider müssten wir uns vom schönen Capri verabschieden

Waldmeyer am Strassenrand hätte zumindest die Wahl, er kann den Eintritt eines Risikos beeinflussen. Er könnte an einem geselligen Abend auch das Risiko eines Hangovers beeinflussen. Könnte.

Bei einem grossen Vulkanausbruch ist das leider anders. Er findet statt oder nicht. Gewissheit herrscht nur darüber, dass ein solcher verheerend wäre. Wir würden uns dann nicht nur über eine vorübergehende Beeinträchtigung des Flugverkehrs unterhalten.

Nun also zum Vesuv: Neapel zählt über eine Million Einwohner, der betroffene Grossraum (leider inklusive der schönen Insel Capri) sogar über drei Millionen. Hunderttausende von Todesopfern wären zu beklagen. Die Szenarien sind bekannt, gemacht wird wenig. Analog zu unserer Pandemie-Vorbereitung (Stichwort Masken, Krisenpläne etc.). Es gibt zwar seit langem Umsiedlungspläne in der Region, selbst mit Prämien. Praktiziert wird indessen das Gegenteil, in den besonders betroffenen „roten Zonen“ wird nämlich kräftig gebaut. Die heutigen Evakuierungspläne für einen Ausbruch gehen von einer Vorlaufzeit von 14 Tagen aus. Buona Fortuna! Die Evakuierung der Region würde wohl zu einem mehr als italienischen Chaos ausarten, zumal die Fluchtmöglichkeiten beschränkt sind. Elend und Plünderungen wären vorprogrammiert, die Armee müsste eingreifen. Abgesehen von den drastischen ökonomischen Auswirkungen in der ganzen Region wäre der direkte Einfluss auch überregional und würde mit Bestimmtheit ebenso die Schweiz betreffen. Strom- und Kommunikationsverbindungen könnten gekappt werden, halb Europa wäre von Hospitalisierungen betroffen. Apocalypse now?

Auch globale Auswirkungen

Ein grosser Vulkanausbruch würde nicht nur einen Aschenregen über die Alpen niedergehen und die Airlines grounden lassen. Der „Flügelschlag des Schmetterlings“ würde Kollateralschäden produzieren, an die wir im ersten Moment kaum denken: Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Tsunamis. Die Klimaveränderung könnte auch längerfristig anhalten. Lieferketten würden unterbrochen, Versorgungsengpässe wären vorprogrammiert, globale ökonomische Auswirkungen wahrscheinlich. Über Washington würde zwar kein Ascheregen niedergehen, aber auch dort wäre die Stratosphäre mit Asche-Mikropartikeln kontaminiert und würde die Sonneneinstrahlung und das Klima beeinflussen. Donald Trump würde im Rosengarten die neuen Zölle mit der Maske vor dem Gesicht verkünden.

Und das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Die Frage müssen wir leider nochmals mit Ja beantworten. Das einzig Positive an dem Szenario: Es ist in der Tat wenig wahrscheinlich. Aber würde es eintreten, würden wir uns Trumps Zölle herbeiwünschen oder andere, einigermassen überblickbare Unbill.

Wieso unterhalten wir uns so lange über den Vesuv…?

Lohnt es sich überhaupt, sich mit wenig wahrscheinlichen Krisen auseinanderzusetzen? Die Krux liegt darin, dass sich ein ganzer Reigen an vielen weiteren Krisen präsentieren könnte: Strommangellagen, Cyberattacken, Atom-Terrorismus, neue Pandemien, Russlands Überfall aufs Baltikum etc. Der Bundesrat hatte schon 1999 und nochmals 2015 definiert, welche Krisenereignisse die wahrscheinlichsten sind. Der Russe, der den Rhein überschreitet, war damals nicht mehr auf der Liste. Die Pandemie indessen schon, sogar auf Platz 2. Und trotzdem waren wir nur knapp vorbereitet. Wir sind also bereit, den Russen zu empfangen, weil wir nicht glauben, dass dieses Ereignis eintreten würde, nicht aber eine Pandemie. Den Vesuv hatte der Bundesrat entweder vergessen auf die Liste zu setzen – oder vielleicht wäre er nur auf eine verlängerte Liste geraten (zusammen mit dem Meteoriteneinschlag)?

 

Vergessen wir die Campi Flegrei nicht!

Gleich neben Neapel, in Konkurrenz zum Vesuv, brodelt die Erde bereits: Aus den Phlegräischen Feldern traten gerade vor ein paar Tagen wieder Schwefeldämpfe auf und die Erde bebte – immerhin mit Stärke 4.4 auf der Richterskala. Die Chose könnte jederzeit hochgehen, ein riesiges Magmafeld unter der dünnen Erdkruste wartet nur darauf, explodieren zu dürfen. Die Italiener vor Ort kümmerts wenig – es war schon immer so. Sie lassen sich davon nicht stören, dass hier ein Gebiet mit einer Ausdehnung von fast 150 Quadratkilometern gefährlich vor sich hingrummelt. 1538 waren diese gigantischen Magmakammern zum letzten Mal explodiert. Die Campi Flegrei gelten als das gefährlichste Vulkangebiet der Welt. Die Ausbruchwahrscheinlichkeit ist jedoch relativ gering. Angesichts dieser relativ beruhigenden Information nahm sich Waldmeyer vor, sich erst mal auf die Causa Vesuv zu konzentrieren.

Breaking News: Der Vesuv meldet sich zurück – ganz Neapel hat jetzt Meerblick!

Waldmeyer stellte sich vor, wie denn so ein Szenario eines Ausbruches konkret aussehen würde. So in der Stadt Neapel, in einer Winternacht, um 23:03 beispielsweise:  Nach jahrhundertelanger Ruhe würde sich der Vesuv mit einer Geste von überwältigender Grandezza zurückmelden. Im Gegensatz zu damals, in Pompeji, würde es indessen nicht nur eine friedliche kleine Stadt treffen. Die gesamte Region Kampanien würde innerhalb von Minuten in ein Instagram-unfreundliches Szenario verwandelt. Der Flughafen Neapel würde zur Lavasauna, während sich Touristen aus aller Welt über Google Maps wundern, warum die Strassenkarte im Satellitenmodus plötzlich rot glüht.

Tatsächlich könnte Neapel, aufgrund einer gewaltigen Explosion seines Hausberges, nun auch in seinen nördlichen und östlichen Wohngegenden mit einem Schlag plötzlich über Meersicht verfügen – allerdings dann ohne Fenster. Die wenigen Informationen, die vor Ort erhältlich sein würden, wären, abgesehen von lokalen Hilferufen, ein paar bruchstückhafte Versprechungen der italienischen Regierung, alles „zügig wieder aufzubauen»; sie würde auf die Wiederaufbauhilfe in den Abruzzen verweisen, nach dem grossen Erdbeben 2009 (Anm. der Redaktion: Die Wiederaufbauhilfe kam allerdings bis heute kaum an).

Im direkten Umkreis des Vesuvs bliebe kein Stein auf dem anderen, im weiteren Umkreis von rund 20 Kilometer Radius bräche die gesamte Infrastruktur zusammen. Vielleicht wäre die Flucht allenfalls noch mit einem Mountainbike möglich, überlegte Waldmeyer, über die Felder und Äcker, bewaffnet mit einer Flasche San Pellegrino und mit einem nassen Schal um den Kopf gewickelt. Auf jeden Fall müssten besiedelte Gebiete und Strassen gemieden werden. Letztere wären hoffnungslos verstopft, der Asphalt könnte schmelzen und Feuerstürme die Gebäude heimsuchen. So oder so müsste der Start der Radtour etwas weiter weg vom Eruptionsort stattfinden, so ausserhalb eines Radius’ von mindestens fünf Kilometern, denn ansonsten würden bis zu 700 Grad heisse Luftströmungen ein Fortkommen doch erheblich erschweren. Es gälte auch, möglichst rasch das Weite zu suchen, denn selbst innerhalb eines Radius von 10-20 Kilometern würde sehr bald Asche niedergehen, bis zu einem halben Meter, was auch die gröbsten Reifenprofile eines Mountainbikes überfordern würden. Wichtig ist auch, sich weit vom Meer weg zu begeben, denn es müsste mit einem Tsunami gerechnet werden.

Noch Monate und Jahre nach der Eruption wären die verheerenden Schäden in der weiteren Region zu sehen: die komplette Zerstörung des Verkehrs-, Energie- und Wasserversorgungsnetzes, die totale Vernichtung der Basis für den Wein-, Oliven- und Obstanbau. Ganz Kampanien würde wirtschaftlich kollabieren und die angrenzenden Regionen wären heillos überfordert mit Hilfeleistungen. Ganz zu schweigen vom Tourismus in ganz Süditalien, welcher einen Totalschaden erleiden würde. Keine schönen Aussichten, meinte Waldmeyer und überlegte sich, ob das der Staat Italien überleben würde. Der Bel Paese liegt bekanntlich, wirtschaftliche betrachtet, seit längerem auf der Intensivstation und wird laufend am offenen Herzen operiert.

Waldmeyers Vorbereitung

Waldmeyer überlegte sich, was er denn selbst tun müsste, um sich auf die Vesuvkrise adäquat vorzubereiten. Man stelle sich vor, dieser bricht tatsächlich aus. Nehmen wir an, es wäre das volle Programm angesagt – wie oben angedacht. Also eine Eruption wie vor nahezu 2‘000 Jahren.  Die Verwüstung rund um Neapel würde Waldmeyer in Meisterschwanden nur in Fragmenten mitbekommen, denn alle Kommunikationsmittel der betroffenen Region würden versagen. Aber Cornelia Boesch würde die Satellitenaufnahmen in der Schweizer Tageschau präsentieren, sie würde ein schwarzes Kleid tragen und einen Bundesrat via Satellitentelefon aus seinem Weinberg in Bursins in der Waadt interviewen.

Der Ausbruch würde zum unvorteilhaftesten Zeitpunkt erfolgen, nämlich nachts, am 28. Dezember. Alle Entscheidungsträger würden in den Ferien hocken. Wenn sich der Aschenregen auf die Pisten in Zermatt niederlegt, würde es jedoch auch dem Letzten klarwerden, was jetzt käme: Ein Zusammenbruch des Elektrizitätsnetzes, denn die Solaranlagen würden kein einziges Watt mehr produzieren, die Windräder nicht mehr drehen usw. Der Bahnbetrieb von Zermatt nach Täsch würde eingestellt, und auch Martin Schlegel, der Nationalbankpräsident, würde im dunklen Zermatt blockiert sein und könnte sich nicht in sein Büro nach Zürich absetzen, um von dort aus die Zinsen zu senken oder der Bevölkerung gut zuzureden.

Die Bundesräte wären eh nicht zu erreichen. Einzig Guy Parmelin, welcher den ganzen Tag versucht hatte, seine Rebstöcke von diesem toxischen Fallout zu befreien. Die kurzfristigen Auswirkungen in der Schweiz (Verdunkelung, etwas Asche, regionale Zusammenbrüche der Energieversorgung und Kommunikationskanäle, Zusammenbruch in den Spitälern, aufgrund der Aufnahme der vielen Verletzten aus Italien) wären überblickbar. Fataler wären die mittel- und langfristigen Auswirkungen: Kaputte Aprikosenernte, lokal verseuchtes Trinkwasser usw. Waldmeyer überlegte gleich, wie er seine Solaranlage auf dem Dach seiner Villa in Meisterschwanden reinigen würde. Ja, das wäre wohl eine Sofortmassnahme, denn Energie ist das A und O. Aber seine Nahrungsmittelvorräte würden wohl nicht reichen, abgesehen vom Weinkeller.

Auf die Frage von Cornelia Boesch an den desperate Bundesrat im Weinberg, wie es ihm denn jetzt persönlich gehe, würde Parmelin nur lakonisch antworten: «Diese Jahrgang wird eine Catastrophe werden.» Parmelin wüsste aber auch gleich die Bevölkerung zu beruhigen: Man prüfe den Import von FFP3-Masken.

Das neue Jahr ohne Sommer

Die Auswirkungen eines Vesuvausbruchs wären nicht nur für die ganze Grossregion Neapels und Italien im Allgemeinen dramatisch. An den europäischen Flughäfen und in den Parlamenten würde erst mal Panik ausbrechen, es käme zu Hamsterkäufen in den Supermärkten. In der Schweiz wäre, einmal mehr, das Toilettenpapier noch gleichentags ausverkauft. In Deutschland würde eine Sondersitzung des Bundestages einberufen, um die CO2-Misere zu besprechen. Klimagegner würden auftrumpfen, dass mit dem voraussichtlichen Temperatursturz das Problem mit der Klimaerwärmung gelöst sei. In Frankreich würden die Winzer mehr Fördermittel für den Weinanbau verlangen, um die italienischen Ernteausfälle zu kompensieren. Sie würden aber noch nicht ahnen, dass ihre eigene Ernte ziemlich kümmerlich ausfallen würde – kein Wunder, in einem Jahr ohne Sommer.

In den USA würde kaum schwarze Asche niedergehen, aber insbesondere Nordamerika würde ebenso unter einem Temperaturrückgang von mindestens einem Grad Celsius leiden; die Sonne würde auch in den USA weniger scheinen und aufgrund der reduzierten Photosynthese würden auch hier die Ernten zurückgehen. Es käme zu einem starken Preisanstieg der Nahrungsmittel, zu Lieferengpässen und generell zu grossen Schwierigkeiten in den Lieferketten, denn der Flugverkehr wäre über Wochen lahmgelegt. «Thank you Brussels» würde Donald Trump auf True Social nach Europa tweeten. Auf Telegram würde die Verschwörungstheorie auftauchen, dass Bill Gates den Vesuv ferngesteuert hat, und auf Fox News würde die Naturkatastrophe als ein linkes Projekt des woken Europas dargestellt.

In China würde es im Norden des Landes zu Dürren kommen, im Süden zu Überschwemmungen. Aber China würde die Gunst der Stunde erkennen, um sich in ein gutes Licht zu setzen und würde Soforthilfe leisten. So würde Xi Jinping eine ganze Drohnen-Armada losschicken und Pasta-Pakete über Italien abwerfen. Gleichzeitig würde er Giorgia Meloni vorschlagen, die Belt and Road Initiative wieder aufzunehmen mit einer direkten neuen sino-italo Seidenstrasse von Peking nach Neapel.

Globale Erkenntnisse

Nicht nur die Auswirkungen wären global, sondern auch die Erkenntnisse. Wissenschaftler würden sich rechtfertigen, dass der Ausbruch «statistisch möglich gewesen sei», allerdings «gesellschaftlich unangemessen». Das würde nicht viel weiterhelfen, aber zu der globalen Erkenntnis führen, dass sich die Natur eben nicht an ein Protokoll hält. Bei Ausgrabungen im Jahr 2075 würde man vielleicht ein verkohltes Handy finden, darauf, auf dem Screen eingebrannt, die letzte Nachricht seines unglücklichen Besitzers: «OMG, Vesuv just erupted! ☹»

Man hätte nichts gegen diesen Ausbruch unternehmen können – die Weltgemeinschaft wäre sich wohl einig. Es gibt nun mal globale Imponderabilien. Aber sich ein bisschen auf Katastrophen vorbereiten könnte man schon.

Vorbereitung: also doch…?

«Asche zu Asche, Staub zu Staub», murmelte Waldmeyer von seinem Longchair aus und studierte weiter die Passatwinde und die Auswirkungen der Aschepartikel auf die Stratosphäre. Charlotte antwortete nicht.

Lokal könnte man sich sehr wohl auf ein solch unappetitliches Ereignis vorbereiten. In Neapel beispielsweise, denn man könnte die Krisenpläne auf Vordermann bringen, man könnte Bauverbote für die brenzligen Zonen durchsetzen – und vieles mehr. Überregional oder sogar global wird die Sache heikel: Wir können uns kaum auf einen Sommer ohne Sonne vorbereiten. Waldmeyer würde sich vielleicht noch etwas mehr Proviant zulegen, vielleicht ein paar Goldvreneli verstecken und das Verteidigungsdispositiv in Meisterschwanden überprüfen, um sich gegen Plünderungen zu wappnen. Und bei der Wahl der Urlaubsorte wird er künftig ein bisschen vorsichtiger sein. Man kann ja ausweichen: Den Teller Spaghetti alle Vongole muss man nicht zwingend in Neapel geniessen. Como würde es vielleicht auch tun. Er würde seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) vollgetankt vor dem Ristorante stehen lassen, um jederzeit die Flucht zurück über den Gotthard antreten zu können.

 «Wir können ja von Glück reden, ist der Porsche schwarz, Charlotte – wegen der Asche», meldete Waldmeyer. Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer und warum Trump scheitern wird

Nun scheint es auch Hardcore-Fans von Trump langsam wie Schuppen von den Augen zu fallen: Da ist ein Hasardeur, ein Gambler am Drücker, der die ganze Welt in wirtschaftliche Geiselhaft nimmt. Er vollführt einen gefährlichen Drahtseilakt, erratisch, keiner Logik und keinen Regeln gehorchend. Oder gibt es einen Masterplan dahinter?

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Waldmeyer glaubt nicht an einen Masterplan. Donald the chosen one mag mit einer guten Portion Frechheit und Raffinesse gesegnet zu sein, aber er scheint ein multiples Problem zu haben: mit seinem überbordenden Narzissmus, seiner mangelnden ökonomischen Kompetenz und seinem Fehler, sich auf einen wahnwitzigen Kreis aus wenigen, meist gut begüterten und befangenen Beratern zu verlassen. Das kann nicht gut gehen. Zumindest eines erkennt Waldmeyer: Da gibt es zwar einen langfristigen Plan seiner Getreuen, so betreffend Zerschlagung der überbordenden Bürokratie, der Eindämmung der Immigration usw. Und es gibt einen gefährlichen Politplan (Agenda 47, bzw. Project 2025), welcher eine Art neue autokratische Regierungsform in den USA vorsieht – gesteuert vorab von der Wirtschaft, bzw. ihren grossen Tech-Protagonisten. Der Begriff Oligarchie darf hier durchaus fallen, auch der Vergleich mit Putins Reich, zumindest in der ersten Phase nach dem Jahr 2000. Auch ein Mafia-Vergleich würde Waldmeyer erlauben: Trump der Pate, der gibt und nimmt. Er erpresst, adelt und zockt ab.

Nein, Trump selbst hat keinen Masterplan. Sein Plan ist vorab, keinen zu haben. Er betreibt einfach erratisches Mikro-Management mit dem Ziel, möglichst viel Verwirrung zu stiften und sein eigenes Macht-Ego pflegen zu können.

Auch betreffend Zollkrieg gibt es keinen austarierten langfristigen Masterplan. Da hat sich der grosse Zampano mit den orange-blondierten Haaren wohl einfach verrannt. Er konnte sich zwar in der Situation suhlen, dass alle Staaten der Welt bei ihm nun zu Kreuze kriechen (O-Ton Trump: «They all kiss my ass»). Das hat ihn wirklich gefreut, es muss ja auch Spass machen, so Hof zu halten. Vor allem, weil sein Ego so unendlich tief mit Narzissmus getränkt ist.

Was inzwischen klar wurde: Es geht gar nicht um Zölle, es geht um Handelsdefizite. Die Berechnung der Strafzölle beruhte bekanntlich nur auf der Milchmädchenrechnung, das Handelsdefizit in Prozent der Importe zu berechnen und durch zwei zu dividieren: Und fertig ist die Strafsteuer. Easy. Als begnadeter Marketingmensch verwendet Trump dazu den Begriff «reziproke» Zölle.

Leider kommen den Amerikanern bei vielen ihrer Pläne immer wieder ihre mangelnden Geografie-Kenntnisse in die Quere. Präsident Trump verortete Spanien kürzlich als Brics-Staat. Auch ist es fraglich, ob er Swaziland, Switzerland und Sweden tatsächlich sauber auseinanderhalten kann. Diese schlagenden Wissenslücken bringen allerdings auch immer wieder allerlei amüsante Resultate zutage, so gerade bei diesem Zoll-Schwank: Die Heard und McDonald Inseln in der Arktis, von keiner Menschenseele bewohnt, kriegten auch den Zollhammer zu spüren. Der nachgeschobene Grund, dass man offenbar lückenlos Schlupflöcher stopfen wollte, ist nicht glaubwürdig: Syrien z.B. wurde nämlich «vergessen» – oder wohl nicht aufgeführt, weil es dort zurzeit überhaupt keinen Handel gibt. Wie beim Vatikan. Oder bei den Pinguinen in der Antarktis, wie oben erwähnt. Russland, Weissrussland, Nordkorea, Iran, Kuba usw. gingen interessanterweise in der Liste ebenfalls «vergessen» – letztlich ein Club von Unstaaten, untereinander jedoch ganz gut vernetzt. Die letztere Entscheidung war weniger den mangelnden Geografie-Kenntnissen geschuldet, denn Trump wollte wohl vor allem erst den geplanten Rohstoff-Deal mit Russland in trockenen Tüchern sehen.

Andererseits kamen Länder wie Lesotho mit einem 50%-Zoll auf die Liste. Diese Abgabe wurde mit dem üblichen Berechnungsmodus errechnet. Lesotho ist insofern ein lustiges Beispiel, als es die absurde Strategie Trumps sehr plakativ offenlegt. Denn Lesotho, dieses mausarme Land im Süden Afrikas, hat schlichtweg kein Geld, um irgendwelche US-Waren zu importieren, der Grossteil der Bevölkerung wird sich nicht einmal eine Flasche Heinz-Ketchup leisten können. Aber sie schaffen es, etwas zu exportieren, nämlich billige Textilien, insbesondere günstig hergestellte Denim-Stoffe. Die Strafzölle haben dann wohl zum Effekt, so die Pläne der Zoll-Intelligenzia in Washington, dass die USA diese wertvolle Denim-Produktion in die USA zurückholen möchten!? Wahrscheinlich sollten wieder grossräumig Baumwollfelder angelegt werden, und neue günstige, handverlesene Immigranten würden die Baumwolle pflücken – so, wie vor 200 Jahren die Sklaven in den Südstaaten, die singend und glücklich ihr Tagewerk verrichteten. Anschliessend, so vermutlich die Vorstellung Trumps, wird die Baumwolle von ebenso glücklichen neuen Immigranten in vielen Teilen der USA zu beautiful Denim verarbeitet, welcher dann in beautiful, echten US-produzierten Jeans endet. Ja, so sieht Re-Industrialisierung aus. Peter Navarro, der Handelsberater Trumps und Spin Doctor dieser verqueren Zollpolitik, fabuliert dabei alternativ immer wieder von Robotern, um die mangelnden Fachkräfte zu kompensieren. Was Lesotho betrifft: Das Land wird aufgrund dieser neuen Zölle vielleicht zugrunde gehen. Oder bestenfalls in die Arme Chinas getrieben. Allerdings wird dies nicht im selben Quartal stattfinden, sondern etwas später – was eben die mangelnde Weitsicht der neuen US-Regierung nicht offenbart.

Sri Lanka, Laos oder Kambodscha befinden sich in der gleichen Liga: Da gibt es kein Handelsdefizit auszugleichen, das kriegen diese Länder nie hin. Und die USA selbst auch nicht, weil sie die Billigprodukte dieser Länder unmöglich selbst herstellen können. Oder sucht die USA vielleicht wieder den Anschluss an die Low-Tech-Industrie, an den Primärsektor?

Vergleichbar, nur anders gelagert, verhält es sich mit der Schweiz: Es ist schlichtweg eine Illusion, dass unsere Rolexuhren später einmal in feinen, beautiful factories in den USA produziert werden. Rolex made in USA? Das wird nicht funktionieren, deshalb gibt es hier nichts zum «Zurückholen». Auch nicht bei unserer weltbesten Schoggi («made in USA»?). Die präzisen Emmentaler-Löcher würden sie in einer eigenen Käseproduktion auch nicht hinkriegen. Auch die Ansiedlung einer hochkarätigen Maschinenindustrie nicht, denn die USA kennen ja nicht einmal eine Berufslehre, welche einfache Mechaniker oder Werkzeugmacher hervorbringen könnte. Wenn Novartis künftig ein paar Pillen mehr in den USA herstellen möchte, low-tech-mässig fast, dann mag das noch halbwegs funktionieren und einen Gewinn für die USA darstellen. Solche Produktions- und allenfalls Verpackungszentren lassen sich tatsächlich in ein bis zwei Jahren hochziehen. Anspruchsvollere Produktionen jedoch erfordern einen sehr langfristigen Horizont. Echte Hightech-Industrien lassen sich gar nur in Dezennien aufbauen. Aber sollten die dafür notwendigen Investitionen aus dem Ausland tatsächlich kommen, bräuchte es vorab erst einmal eine Vertrauensbasis und eine Planungssicherheit – welche seit Trumps Antritt nachhaltig beschädigt worden ist.

Oder sollte Nestlé nun seine Nespresso-Kapseln in den USA produzieren – zumindest die 25% der Weltproduktion, die sie in Nordamerika absetzt, so um die 2.5 Milliarden Stück? Nun, Nestlé würde einen Teufel tun. Denn morgen könnten in den USA hohe Zölle auf den Kaffee- und Aluimporten aus irgendwelchen Ländern anfallen.

Liechtenstein steckt in einer ähnlichen Situation, dem Land wurde gar ein Zoll von 37% angedroht. Der Ministaat hat das Problem, dass seine Hilti-Maschinen einfach zu gut sind und es im Gegenzug nicht noch mehr Ketchup oder Bourbon konsumieren kann. Aber auch Hilti wird sich dreimal überlegen, grosse Produktionseinheiten jetzt in die USA auszulagern.

Findige Köpfe in der Schweiz überlegten schon, ob man nun Orangen aus Florida, Pinienkerne und andere Produkte, die unserer heiligen Landwirtschaft nichts anhaben könnten, vermehrt zollfrei in die Schweiz lassen sollte, um damit die Gunst des Zoll-Paten zu erlangen. In der Tat betragen die Schweizer Zölle auf US-Agrarwaren zum Teil über 100%. Aber selbst wenn Helvetien hier ein bisschen nachgeben würde (Waldmeyer dachte schon mit Freude an nur noch halb so teure Tomahawk-Steaks), so würde dies das Handelsdefizit nicht nachhaltig verändern. Tatsächlich sind es u.a. Güter wie Edelsteine oder Gold, deren Handel oft über die Schweiz abgewickelt wird, welche die Handelsbilanz der USA erheblich belasten. Natürlich könnte dieser Handel spielend auch über andere Länder abgewickelt werden, die Wertschöpfung in der Schweiz ist dabei eh nicht hoch. Oder sollte der irre Zoll-Zampano vielleicht auch diese Produkte künftig in den USA herstellen? Also wieder Gold schürfen, wie früher im Wilden Westen? Eventuell könnte er in Mar-a-Lago damit beginnen und den schönen Golfplatz umpflügen (zwecks Edelsteinabbaus)?

Dieses politische Muskelspiel der USA, aufgebaut auf falsch interpretierter makroökonomischer Logik, wird nicht aufgehen. Denn, wie wir gesehen haben: Nur in der Not würden ausländische Unternehmen ihre Produktionen in die USA verlagern, und nur mit Mühe könnten US-Firmen damit Erfolg haben, die alte Industrie «zurückzuholen».

Vordergründig brüstet sich der Dealmaker im Weissen Haus nun damit, dass er mit seinen Zollspielen den Dollar bereits etwas geschwächt hat. Ja, er hätte gerne einen leichteren Dollar, denn dann können die beautiful US products besser exportiert werden. Offenbar vergisst er aber, dass damit die Importe teurer werden, was die Inflation anheizt. Wenn er das Handelsbilanzdefizit, über alle Länder gerechnet, verbessern kann, stärkt das wiederum den Dollar – was bekanntlich nicht gut ist für den Export. Der Zielkonflikt des grossen Ökonomen im Oval Office ist mit Händen zu greifen und er wird ihn nicht lösen können. Wenn er zusätzlich seine brandgefährliche Idee realisieren würde, den Staaten, welche US-Staatsanleihen halten, eine «Gebühr» zu verlangen, würde das den Wert der Anleihen schmälern, die Renditen erhöhen und damit auch die Staatsausgaben aufgrund erhöhter Zinszahlungen. Er könnte zwar very high fees einstreichen und America ganz kurzfristig rich machen, aber es würde den Dollar schwächen.

Trump vollzieht also einen ökonomischen Drahtseilakt, und wie so oft verlässt er sich mehr auf seine spontane Intuition als auf erhärtete Fakten der Wirtschaftswissenschaften. Die unumstösslichen Fakten sind: Die Zölle werden die Inflation in den USA hochtreiben, eine Rezession steht vor der Tür, im besten Fall eine Stagflation. In diesen schwierigen Momenten kommt (in freien demokratischen Staaten) jeweils die Notenbank auf den Plan. Sie muss die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu killen. Aber Trump wird das vermutlich zu übersteuern wissen. Vielleicht sollte er sich die Sünden von Erdogan in der Türkei einmal ansehen, was man mit derlei nonchalanter Vernachlässigung der goldenen Wirtschaftsregeln provozieren kann: eine gefährliche galoppierende Inflation, garniert mit einem Wirtschaftseinbruch und einem Vertrauensverlust der Märkte. Es könnte ein langer Marsch in den Niedergang werden, mit vielen Verlierern. Wenn nicht die USA, so könnten allerdings Trump und seine Dynastie dabei durchaus gewinnen, da sie die präsidialen Ökonomie-Spielchen zu antizipieren wissen – und sie könnten dabei einmal mehr mit einem blauen Auge davonkommen. Auch seine Tech-Oligarchen könnten dabei profitieren. Der Rest der Welt würde indessen verlieren. Vielleicht würde in der Folge eine neue Regierung kommen, vielleicht eine besonnenere, welche wieder auf den echten Regeln der Demokratie aufbaut, eine regelbasierte Weltordnung achtet und gleichzeitig den Staat vernünftig lenken kann. Vielleicht werden die Republikaner wieder am Drücker sein, vielleicht die Demokraten. Sofern sich das geeignete Personal denn aus einem der Lager finden lässt. Trumps Aufstieg war ja letztlich dem Umstand zu verdanken, dass man aus dem Fundus von 340 Millionen Amerikanern tatsächlich keine anderen tauglichen Leader gefunden hatte. Ein Jammer.

Waldmeyer und die verklärte Wahrnehmung von «Trömp»

Was sich unsere Politiker hinter die Ohren schreiben sollten: Diese neue US-Administration funktioniert anders, nämlich nicht der Logik und den Fakten folgend, sondern der Erratik. Aber unsere Volksvertreter verstehen das nicht. Dabei könnte es einen raffinierten Ausweg geben, überlegt Waldmeyer.

 

Lustig, wie unsere Regierungsleute in der Schweiz auf den Trump’schen Zollhammer reagiert hatten. Rechtsaussen-Politiker vermuteten erst mal einen «Rechnungsfehler» und ein «Missverständnis», das man den USA nun erklären müsste. Natürlich war es nicht so, sondern nur eine bewusste Provokation, um etwas herauszuholen – wobei es in der Regel gar nicht um Zollabbau ging, sondern a) um das «Zurückholen» der Industrieproduktion in die USA und b) tatsächlich auch darum, Einnahmen zu generieren. Zölle können tatsächlich viel Geld ins Land reinspülen, die Versuchung ist also gross, dieses Manna, so es denn vom Himmel fällt, zu nehmen, zu behalten oder gleich kunstvoll wieder einzusetzen. Das deckt sich mit dem weitverbreiteten Planungshorizont der Amerikaner, welcher ein Quartal selten übersteigt. Die Chinesen denken in hundert Jahren. Die Europäer, zumindest was die Politiker anbelangt, liegen irgendwo dazwischen, so in etwa bei dem Horizont einer Wahlperiode. Die Schweizer legen den Horizont situativ fest; er liegt meistens dort, wo er am wenigsten Probleme bereitet, sie schlängeln sich quasi zwischen den Widerwärtigkeiten der Welt hindurch.

Aber die Schweizer Politiker lagen, was Trump anbelangt, komplett falsch. Da wurde die exzellente Zusammenarbeit mit den USA aufgrund eines Besuches von Ueli Maurer in Washington glorifiziert, denn dieser durfte dem US-Präsidenten bereits 2019 die Hand schütteln. Trump und Maurer konnten sich damals zwar, sprachlich bedingt, kaum austauschen, aber es war, aus Schweizer Sicht, ein sehr erfolgreiches Ereignis. Auch unsere sympathische Magdalena Martullo-Blocher sah bis vor kurzem noch keinen Anlass zur Besorgnis in Sachen Zöllen: Trump habe die Schweiz sehr gern. So viel zur Naivität unserer sogenannten Classe politique und zur Wahrheit – welche sich leider so gestaltet, dass die neue US-Regierung auf wirklich niemanden Rücksicht nimmt und in Sachen Zöllen querbeet die ganze Welt in die Pfanne haut. Unser Winzer und Bundesrat Parmelin konnte sich zu einem „ungerechtfertigt“ durchringen und Karin Keller-Sutter war «enttäuscht» (sic)… Trump hat diese Statements sicher beeindruckt.

Dass die Schweiz erst kürzlich sämtliche Industriezölle abgeschafft hatte, kratzte die Trump-Administration überhaupt nicht – und verschonte die Eidgenossen nicht von einem sehr hohen «reziproken» Strafzoll. Kurzum: Unsere Politiker im Glashaus glauben immer noch an Facts and Figures, an die Logik und an die Wahrheit. So viel zu ihrer kognitiven Wahrnehmung.

Auslegeordnungen und tatsachenbasierte Erklärungen sind nutzlos. Donald Trump spielt ein Spiel, einen Poker, er amüsiert sich köstlich dabei – und alles ist erlaubt. Dieses Psychogramm, das hinter einer solchen Strategie steht, passt unseren aufrechten Beamten natürlich gar nicht.

Und immer wieder wird das so freundschaftliche Verhältnis mit den USA ins Feld geführt. Ueli der Maurer, um nochmals seinen berühmten Besuch im Oval Office zu erwähnen, durfte sich sogar in die Gästeliste eintragen. „Sänkiu, Mister Präsident!“

Nun, vielleicht merken inzwischen langsam auch alle Magdalenas unserer verklärten Trömp-Anhänger: „There is no free löntsch.“ Und solange die USA Europa als Quasikolonie betrachten, da verteidigungsmässig hoffnungslos ausgeliefert, wird sich das nicht ändern. Das gilt auch für die Schweiz. Ja, so kommen wir langsam bei den Fakten an – bei den real facts, nicht den „alternative facts“. Ob sich Christoph Blocher daran erinnert, dass er einst den Anschluss an die NAFTA vorschlug, zusammen mit Mexiko und Kanada – als Alternative zum EWR quasi? Zollmässig stehen diese beiden Länder gegenüber den USA heute, wie wir wissen, in deep shit.

Die USA haben eigentlich gar kein riesiges Handelsbilanzproblem. Die Gesamthandelsbilanz besteht bekanntlich aus der Warenbilanz und der Dienstleistungsbilanz – was Trump allerdings nicht interessiert. Die Dienstleistungsbilanz der USA kann sich nämlich sehen lassen, sie kompensiert zu einem guten Teil das Defizit der Warenhandelsbilanz. Der neue Pate im Oval Office interessiert sich allerdings nur für Warenströme. Ihn stört beispielsweise, dass die Italiener nicht in einem Dodge Ram durch Neapel zirkeln. Die Dienstleistungen beschäftigen ihn nicht – oder er möchte sie einfach nicht erwähnen, das mag zum Verhandlungsspiel gehören. Vielleicht liess sich klein Donald schon von Pippi Langstrumpf inspirieren: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Bei den Dienstleistungsexporten ist die USA, wie erwähnt, zumindest im Austausch mit industrialisierten Ländern, ganz gut: Während es bei den Waren für die USA im Verhältnis mit der Schweiz tatsächlich schlecht aussieht (51 Milliarden USD Importe stehen nur 15 Milliarden Exporten gegenüber, macht 43 Milliarden Warenhandelsdefizit), brilliert die USA geradezu bei den Dienstleistungen (Exporte in die Schweiz 54 Milliarden, Importe nur 31 Milliarden, also ein US-Überschuss von 23 Milliarden).

Die Schweiz erzielt also im Dienstleistungshandel mit den USA ein deutliches Defizit, die USA einen deutlichen Überschuss. Rechnet man die beiden Bilanzen zusammen (Waren und Dienstleistungen), sieht die Gesamthandelsbilanz nahezu ausgeglichen aus – vor allem, wenn man noch den zahlenverzerrenden Gold- und Edelsteinhandel rausrechnet. Aber wie schon festgestellt: Donald, der gewiefte Businessman, nimmt sich eben die Zahlen raus, die ihm passen.

Die überragenden Dienstleistungsexporte der USA in die Schweiz betreffen vor allem Software/IT-Produkte, Lizenzen und Finanzdienstleistungen. Microsoft, Apple Services, Google Cloud, Netflix oder Disney beispielsweise erzielen Milliardenumsätze. Dazu kommen Bildungsausgaben (so durch die Zahlungen internationaler Studenten) und der Tourismus und Geschäftsreisen. Der Konsum ausländischer Touristen in den USA wird nun mal als Dienstleistungsexport klassifiziert und hat einen positiven Einfluss auf die Bilanz der USA. Da zählen Waldmeyers Aufenthalte im Hotel in New York, die Badeferien in Miami Beach, die vorzeitig gebuchten Inlandflüge und das Steakrestaurant – alles zählt. Sogar die 21 USD für das ungeliebte ESTA-Formular, um überhaupt einreisen zu dürfen.

Nun zu Waldmeyers durchaus ernst gemeintem Vorschlag: Unsere möglichen Vergeltungsmassnahmen könnten Dienstleistungszölle vorsehen. Es wären dann auch „reziproke“ Zölle – frei nach Donald’s Prinzip: Wer mehr verkauft als kauft, muss blechen. Die Berechnungsmethode dieser neuen Dienstleistungszölle liegt auf der Hand: Wir werden den berühmten Milchmädchen-Schlüssel der Trump-Administration verwenden. Wir berechnen unser Dienstleistungsdefizit in Prozent des gesamten Dienstleistungsaustausches, dividieren durch zwei und erhalten eine beautiful tax. Sie wird sogar sehr fair und bescheiden ausfallen, es wurden 14% errechnet. Gleichzeitig wäre dieser Zoll, gefühlt, gar nicht so dramatisch. 14% auf dem Microsoft-Programm oder auf dem Netflixabo? Das würden wir locker wegstecken. Uns selbst würden wir uns damit nicht gross schaden – dies im Vergleich zu den Amerikanern, welche die 31% auf unserer Schoggi nur spüren sollen!

In Deutschland würde die gleiche Berechnungsmethode, also ebenso nach Trump’scher Manier, einen Zoll von nur 2% auf allen Dienstleistungsimporten aus den USA ergeben. Ein extrem tiefer Wert, verglichen mit der Schweiz. Tatsächlich stehen die bescheidenen Dienstleistungsimporte Germaniens von nur 67 Milliarden USD in keinem Verhältnis zur Schweiz (31 Milliarden). Waldmeyer vermutet, dass vielleicht die vielen türkischen Einwanderer in Deutschland nicht Netflix schauen oder es doch am niedrigen Digitalisierungsgrad des Landes liegt. Aber die Überlegung ist irrelevant, weil die EU, gemäss Trump-Prinzip ohnehin einen generellen Dienstleistungszoll von 8% erheben würde.

Unsere 14% dürfen nicht unterschätzt werden, denn sie werden auf einem erheblichen Volumen erhoben, tatsächlich würde dies der Eidgenossenschaft Milliarden in die Bundeskasse spülen. Ja, let’s make Switzerland rich!

Bei der Erhebung der Dienstleistungssteuer sollten die US-Touristen nicht vergessen gehen. Alle aus Amerika Einreisende, die in die Schweiz kommen, müssten mit Zöllen und Gebühren überzogen werden. Es beginnt künftig mit einem schweizerischen ESTA-Formular. Dieser elektronische Einreisezettel würde in der Schweiz allerdings 50 Stutz kosten. Ja, bei uns kostet alles ein bisschen mehr, das lässt sich jedoch immer mit der überragenden helvetischen Qualität erklären.

Als besondere Massnahme würde Waldmeyer gerne eine WAT einführen: Eine Weight Added Tax. Sie wird von besonders übergewichtigen US-Bürgern an der Grenze eingezogen, kommt allerdings erst ab 300 Pfund Trockenkörpergewicht zum Tragen (136 kg). Dann mit 100%, aber sie gilt nur für den ÖV. Da die Billetkontrolleure nicht umständliche Waagen mitschleppen können, muss das Augenmass herhalten und die Added Tax wird so eingezogen, dass einfach zwei Billette pro Person gelöst werden müssen. Allerdings dürfen dann im Tram, im Bus oder in der SBB, selbst aufs Schilthorn rauf, auch zwei Plätze pro Person belegt werden. Unsere einheimischen Mitfahrer würden dann den betroffenen Amerikanern anerkennend zunicken – im Wissen darum, dass sie unseren defizitären ÖV ordentlich mitfinanzieren. Ja, man kriegt bei uns also etwas fürs Geld und die Steuer bleibt damit sozialverträglich. Die WAT bietet übrigens einen weiteren Vorteil: Deren Einnahmen werden laufend steigen, denn die Amerikaner werden immer schwerer. Heute gelten bereits 74% der Amerikaner als übergewichtig, Tendenz steigend.

Das Übergewicht ist bei uns ebenso willkommen, wenn es auch das Portemonnaie betrifft. Denn je höher die Ausgaben der amerikanischen Touristen in der Schweiz, desto mehr Tourismus-Zoll müssen sie künftig abdrücken. Verschiedene Ansätze könnten angedacht werden, so eine Raclettesteuer (plus 31% pro Portion), selbstredend auch eine beautiful tax auf allen Hotelübernachtungen. Eine Sondertaste (goldenes „A“) bei den Geräten für die Kreditkartenabrechnungen könnten den Steuereinzug vereinfachen. Bei den Eintritten (Schaukäserei, Swiss Miniature, allenfalls auch bei Sprüngli am Paradeplatz etc.) könnte allenfalls eher die WAT zum Tragen kommen; sie ist verursachergerechter.

Da der Kaugummikauf und andere Ausgaben der Amis in der Schweiz nicht präzise erhoben werden können, werden wir darauf verzichten. Wichtig ist, dass in der Summe die 14% stimmen. Wir möchten ja nicht mogeln. Die Umsetzung mag etwas anspruchsvoll sein, wir müssten also ein bisschen innovativ sein, damit wir direkt und effizient abkassieren können. Zudem ist sich Waldmeyer bewusst, dass wir uns mit der EU und anderen Ländern in Europa abstimmen sollten. Es wäre schade, wenn die Amerikaner nur wegen dieser Dienstleistungszölle in irgendwelche andere Länder ausweichen würden. Mit Albanien, Nordmazedonien usw. müssten wir uns jedoch nicht absprechen, das Ausweichrisiko wäre vernachlässigbar.

Kurzum: Sollte Trump auf den willkürlich erhobenen Zollandrohungen auf Schweizer Waren beharren, sollten wir in der Schweiz, zusammen mit Resteuropa, reziproke Dienstleistungszölle erheben.

Aber wie gedenkt unser Bundesrat nun tatsächlich, die Kuh vom Eis zu bringen? Die Antwort liegt bereits in der Luft: Es wird ein gut-eidgenössisches Rückzugsgefecht geben, mit Ankündigungen, die möglichst nicht umgesetzt werden müssen. Gleichzeitig wird intern weiter von einem fiktiven Freihandelsabkommen fabuliert werden (welches, zum Leidwesen Waldmeyers, Agrargüter inkl. Tomahawk-Steak, ausschliesst). Und was machen wir Bürger und eine ganze Anzahl betroffener Schweizer Unternehmer mit den USA? Waldmeyer meint: „It‘s time to say Goodbye!“. Zumindest mental und vorübergehend, bis sich der Trump‘sche Nebel gelichtet hat.

Waldmeyer und der Rentenklau

Der Sonntagsmorgen-Tisch bei Waldmeyers in Meisterschwanden bietet die seltene Möglichkeit, Grundsätzliches zu besprechen. Diesen Sonntag war es ein besonders günstiger Moment, denn Charlotte hatte sich zum Tennis abgeseilt. Eine gute Gelegenheit also, um die Kinder ungestört zu kalibrieren. Waldmeyer hatte sich für heute das Thema «Rente» vorgenommen.

«Charlotte hat mir verraten, dass ihr beide damals für die 13. AHV gestimmt habt. Ihr seid eine Lichtgestalt in der Sozialwelt. Dafür möchte ich euch danken. Ihr seid nämlich ziemlich selbstlos, denn  i c h  werde die 13. einmal erhalten, ihr aber nicht. Die 13. kostet uns übrigens rund fünf Milliarden zusätzlich pro Jahr. Lara, weisst du, wie viele Nullen eine Milliarde hat?»

Lara tippte auf ihrem Handy rum und fand keine schlüssige Antwort. „Du bist entschuldigt, Lara, denn ein Grossteil der Stimmbürger weiss es auch nicht. Aber zum Vergleich: Es entspricht etwa der Summe, die uns jährlich die Landwirtschaft kostet oder die Armee. Jährlich. Hätten die Stimmbürger die Grössenverhältnisse gekannt, hätten sie vielleicht anders gestimmt. Aber Elisabeth wusste das mit den Nullen vielleicht auch nicht.“

„Elisabeth who?“, wollte Lara wissen.

«Elisabeth Baume-Schneider, die Bundesrätin. Die mit den Schwarznasenschafen.»

Noa blickte kurz von seinem Handy auf, noch etwas vom Restalkohol des Vorabends gekennzeichnet. Was sein Vater heute nun schon wieder vorhatte? Noa, nach ein paar Semestern Studium in Betriebswirtschaft, witterte eine Falle. Lara blieb – vorerst – noch indifferent.

Wir werden zu alt

Waldmeyer holte aus und erklärte die Finanzierungsprobleme unserer Sozialsysteme. So wird zum Beispiel die AHV langfristig nicht gesichert sein. In rund 15 Jahren werden auf jeden AHV-Bezüger nur noch zwei Beitragszahler kommen, wenn überhaupt. Ja, wir werden zu alt. Bei der Einführung der AHV betrug die Restlebenszeit noch ein paar wenige Jahre, heute hingegen haben die 65-Jährigen noch rund 20 Jahre vor sich. Und sie werden immer mehr. Im Strassenbild wird es bald nur noch Greise geben, vielleicht noch ein paar jüngere Mitbürger, mit anderer Hautfarbe und schäbig gekleidet, welche kaum ins Rentensystem einzahlen. Genau gleich wird es sich mit den privaten Pensionskassen verhalten: Immer weniger werden immer mehr unterhalten müssen – womit immer weniger Rente verbleibt. Eine Anpassung der Systeme ist kaum möglich, die verschiedenen Abstimmungen der Bürger zeigen es. Nun war auch Lara dabei, sie runzelte die Stirn.

Rentenalter 75?

Das Rentenalter wird folglich zwingend heraufgesetzt werden müssen. Auf 70 oder gar 75 Jahre? Oder noch höher? Oder die Renten müssen drastisch gekürzt werden. Oder die Beiträge massiv erhöht werden. Oder der Staat wird einschiessen müssen, aber dann muss er die Steuern erhöhen. So beispielsweise auch die MWST, damit gerade auch die Rentner schön mitzahlen. Alle diese Lösungen werden vom Souverän wohl erst abgelehnt werden, aber kurz, nur ganz kurz vor dem Kollaps der AHV, zum Beispiel, so Waldmeyer, wird dann zu einer Radikallösung gegriffen werden.

Endlich hatte Waldmeyer die Aufmerksamkeit von Noa und Lara. Lara runzelte erneut die Stirn: «Nein, nein, so weit wird es nicht kommen, die werden eine bessere Lösung finden», warf sie ein.

Waldmeyer baute nun seine geballte Sprachkraft auf: «Nun, mit «die» meinst du euch, ja?» entgegnete er und kam langsam in Fahrt.

Der offene Geheimplan der Linken und der Grünen

In der Folge erklärte Waldmeyer die Bestrebungen der Grünen und der SP: Sie steuern auf eine staatliche Einheitsrente hin. Das Ziel soll die Verstaatlichung der 2. Säule sein. So gab es bereits einen parlamentarischen Vorstoss in diese Richtung. Dieser kam nicht durch –zumindest vorerst nicht. Aber es wird weitere Vorstösse geben. Ein solches Unterfangen, nämlich die «Fusion» der staatlichen und privaten Rentensysteme, wäre zwar nicht leicht umzusetzen, denn das hätte Enteignungscharakter. Aber nichts ist unmöglich, wenn letztlich die Mehrheit der Bevölkerung dafür stimmen würde. Eine von den Gewerkschaften initiierte Initiative, mit Sukkurs der Grünen, der SP und der Juso, könnte zu einem Durchbruch führen.

«Dann würde ich auswandern. Ich würde vorher die Kohle beziehen und einfach abhauen», warf Noa ein.

Grosse Hindernisse beim Kapitalbezug

Das wäre tatsächlich eine Lösung: Die Kohle einfach beziehen. Allerdings geht das nicht so einfach, wenn das Auswanderungsland in der EU liegt oder ein EFTA-Staat ist. Dann kann man sein angespartes Rentenguthaben aus der Pensionskasse nicht einfach so als Kapitalbezug «beziehen» und auswandern: Nur der überobligatorische Teil der PK und die Säule 3a können bezogen werden. Und wenn der Auswanderungszeitpunkt nach dem Renteneintritt liegt, sind allfällige Entscheidungen eh zu spät: Die Wahl zwischen Rentenzahlung und Kapitalbezug muss vorher stattgefunden haben.

«Ihr müsstet aus Europa raus. Ausser ihr wollt nach Serbien. Oder nach Bosnien.»

«Ich geh dann eh nach Miami», verkündete Noa überzeugt, «oder nach Kalifornien und gründe eine Kryptowährung!» Waldmeyer weiss genau, wie er bei den Ideen seines Sohnes reagieren muss: «Gut so, mach das!»

Der zweite Geheimplan

Dieser ist eigentlich nicht geheim, wurde aber in der gleichen politischen Ecke fabriziert: Die steuerliche Bevorzugung des Kapitalbezuges der Pensionskasse soll fallen. Für grössere Summen käme dann als Alternative vermutlich nur noch die Rente in Frage. Damit wird allerdings das ganze System der Säulen 2 und 3 in Frage gestellt. Waldmeyer weiss, was schon heute zu tun ist. Erstens: keine freiwilligen Einzahlungen mehr in Rentensysteme. Zweitens: Take the money and run. Das heisst, wenn immer möglich jetzt schon Rentenkapitalien beziehen, zur Reduktion von Hypotheken oder im Rahmen einer Teilpensionierung. Das Vertrauen in Bundesbern ist dahin.

Die AHV sich als Kapital auszahlen lassen…?

Bei der AHV ist alles noch schwieriger. Kann die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital bezogen werden?

Ja, da gibt es ein paar Schlupflöcher! Wenn man dem Risiko entfliehen möchte, später einmal nur noch eine reduzierte Rente zu kriegen, obwohl man Jahre oder Jahrzehnte einbezahlt hat, weil diese staatliche Kasse pleite ist, könnte man proaktiv mit einem Kapitalbezug reagieren. Also nicht erst warten, bis man 65 wird (oder eben 70), sondern schon frühzeitig das Weite suchen. Take the money and run. Also sich die AHV frühzeitig auszahlen lassen, indem man sich ins Ausland absetzt. «Das geht aber nicht», warf nun Lara ein. Die Eltern von Fatima, ihrer Studienfreundin an der Uni (Basel, Ethnologie, schon länger), seien nun mit 55 wieder zurück nach Portugal gezogen. Die Hälfte der PK hätten sie zwar mitnehmen können und damit das Haus in Porto fertiggebaut, die AHV konnten sie aber nicht abheben, die bleibt nun in der Schweiz eingefroren und sie müssen 10 Jahre warten, bis sie monatlich als Pension überwiesen wird. Fatimas Mutter putze nun inzwischen in Haushalten von Expats, das bringe am meisten ein.

«Bosnien», warf Waldmeyer ein, «das wäre eine elegante Lösung». Fatimas Eltern hätten nach Bosnien auswandern sollen. Tatsächlich gibt es gewisse Länder, rund ein Dutzend, in die man die AHV-Kohle frühzeitig und komplett mitnehmen kann, mit einer richtigen «Auszahlung».

«Spinnst du Dad, wer geht denn schon in ein muslimisches Land und läuft dann mit einem Kopftuch rum!»

Notfalls nach Albanien

Waldmeyer klärte weiter auf. Man könnte auch in die Türkei auswandern (allerdings auch muslimisch). Oder nach Albanien (auch). Oder nach Japan. Wichtig ist, dass man sofort einen Ehepartner mit dieser Staatsbürgschaft findet, Staatsbürger des auserkorenen Landes wird und den Schweizer Pass zurückgibt. Dann kann man die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital beziehen. Einfacher noch geht es, wenn man, nur beispielsweise, bereits Albaner ist, keinen Schweizer Pass hat und in sein Heimatland zurückgeht. Ja, so kann man sich die AHV sichern, cash auszahlen lassen und nicht Gefahr laufen, dass diese später einmal bankrott ist, weil es in der Schweiz nur noch alte Leute gibt und niemand mehr einzahlt.

Der Worst Case: Die Einheitsrente

Wenn die Einheitsrente kommt, also die staatliche Rente aus der fusionierten AHV und PK, wird die komplette Umverteilung der Ersparnisse stattfinden. Ein Blick nach Deutschland zeigt, in welche Abgründe man da mit einer umfassenden Volksrente blicken kann: Die Beitragssätze werden dort demnächst auf 22% erhöht. Aber es wird nichts nützen, denn die Renten bleiben trotzdem tief, und das System wird unweigerlich kollabieren – zumal immer mehr tüchtige Beitragszahler abwandern. In die Schweiz z.B., dort sind sie als Beitragszahler in unsere Sozialsysteme hochwillkommen.

Aber zurück zur möglichen Auswanderung. Es könnte nämlich noch dicker kommen. Waldmeyer dozierte weiter am Frühstückstisch, dass bei einer dergestalt, nach sozialistischem Muster umgestalteten einheitlichen Volksrente ein Kapitalbezug natürlich nicht mehr möglich wäre. Auch hier macht es Deutschland übrigens vor, wie geschäftstüchtig ein Staat sein kann (zumindest beim Steuereintreiben): Wandert man aus, muss die Rente nicht etwa in der neuen Heimat versteuert werden, sondern tatsächlich immer in Deutschland. «Das ist Fiskalterrorismus», meinte Waldmeyer vielsagend.

Waldmeyer fasst zusammen

«Also, ihr müsst künftig einfach gut verdienen und möglichst alle Ersparnisse separat auf die hohe Kante legen. Ihr könnt euch nicht auf Renten verlassen, weder auf staatliche, die ihr in 40 oder mehr Jahren einmal (vielleicht) erhalten werdet – noch auf private, welche vielleicht einmal verallgemeinert werden oder nur mit horrenden Steuertarifen bezogen werden können. Also bitte alles schön selber auf die Seite legen. Aber schön, habt ihr für die 13. AHV gestimmt, die ihr jetzt mitfinanzieren dürft!»

Noa tippte derweil auf seinem Handy rum. «Du bist schon am Rechnen, Noa, gell!», triumphierte Waldmeyer. «Nein, ich schaue nach Flügen nach Kalifornien», grinste Noa zurück.

Waldmeyer und das Geheimnis der Suwalki-Lücke

Kaum jemand kennt die «Suwalki-Lücke». Und ob sich um diese tatsächlich Geheimnisse ranken, wird Waldmeyer nun aufdecken. Auf jeden Fall hat das Ganze nichts mit den Urlaubsplänen von Charlotte zu tun. Eher schon mit handfesten geopolitischen Analysen unseres Militärstrategen Max Waldmeyer.

Charlotte liebte diese «what if…?»-Fragen. Und sie wusste, dass Max auch zu den absurdesten Fragen immer eine prägnante Antwort aus dem Hut zaubern konnte. Aber manchmal sind die Vorstellungen doch sehr anspruchsvoll, sich in etwas hineinzuversetzen, das man gar nicht möchte.

So geschehen, gerade gestern, als Charlotte, angesichts des Schlamassels in der Ukraine, mit der Frage rausrückte: «Was würdest du tun, wenn du Putin wärst…?»

Waldmeyer antwortete wie aus der Pistole geschossen: «Ich würde nie Putin sein wollen. Oder Putin gewesen sein wollen. Putin ist ein No-Go. Ein schlauer Kerl, sehr gewieft, auch ein Bluffer. Aber ein Geo-Krimineller, machtbesessen, brutal und gemein. Ein Kriegsverbrecher. Er wickelt alle um den Finger, verdreht Tatsachen und Fakten, erfindet Narrative und absurde Geschichten. Schon die Merkel ist ihm früh auf den Leim gekrochen. Putin war früher bekanntlich ein hoher Geheimdienst-Agent, sogar in Deutschland stationiert. Schon damals hatte er vermutlich Dreck am Stecken.»

«Aber wenn du nun wirklich Putin wärst, wie würdest du heute gegenüber dem Westen reagieren, zumal es ja an der Ukrainefront nicht nach Plan läuft?»

Stimmt, mit Putins Westerweiterung läuft es nicht optimal. Putin hatte sich das anders vorgestellt als er dachte, zum Zeitpunkt der Invasion im Februar 2022. Diese abtrünnige Sowjetrepublik hätte gemäss seinem Plan schon nach ein paar Tagen kapitulieren sollen. Seine Jungs hatten in den Panzern sogar die Ausgangsuniform dabei, um sich dann in Kiew gleich für die grosse Parade in Schale zu werfen. Und jetzt wird der Kremlherr, und das auch nur im besten Fall, zu einem faulen Kompromiss Hand bieten müssen. So einen Deal kann man allerdings nur abschliessen, wenn man einen Plan B hat. In diesem Fall könnte dieser lauten: «Reculer pour mieux sauter!». Also einen Schritt zurücktreten – aber nur um Anlauf zu holen.

«An den anderen West-Fronten läuft es doch hervorragend für Putin!», stellte Waldmeyer fest und versuchte eine neue Fährte zu legen, damit Charlotte ihn nicht wieder mit der absurden Frage bedrängte, was wäre, wenn er, Max Waldmeyer aus Meisterschwanden, Wladimir Putin wäre.

Tatsächlich läuft es ganz gut in Sachen russischer Hegemonie: An allerlei Plätzen ist Russland sehr aktiv. Weniger im Nahen Osten, da hat er einen Schuh voll rausgezogen in Syrien. Aber Afrika läuft sehr gut. In Libyen hat er erfolgreich einen Anker geworfen und in der Saharazone, quer durch den Kontinent, hat er bald alle Staaten unter seiner Kontrolle – bzw. unter seinem Einfluss, da er diverse korrupte Miltärjuntas oder Rebellengruppen unterstützt, finanziell und militärisch. So werden westliche Staaten erfolgreich verdrängt. In Kuba, Venezuela und Nicaragua hat er auch einen guten Lauf.

Was die europäischen Staaten aber noch mehr ärgert, sind Putins Winkelzüge direkt vor ihrer Türe. Da läuft es sogar hervorragend. Sogar in gestandenen Ländern Europas hat er nun seine Botschafter installiert, so in Frankreich mit Le Pen, bei der AfD in Deutschland oder mit Roger Köppel bei der Weltwoche in der Schweiz. Ganz zu schweigen von Viktor Orban, seinem geheimen Statthalter in Ungarn. Neu in den Club aufgenommen wurde Freund Fico, Slowakei. Zum Teil gehen diese Botschafter heute als gestandene Putinversteher durch.

Insbesondere in den verlorenen Staaten der Ex-Sowjetunion geht er weniger subtil vor. Das Muster Putins ist dabei immer dasselbe, doch nun wird es langsam sichtbarer: erst mal drohen, dann unterminieren, dann zur Hilfe eilen. Und alles so steuern, dass es der tumbe Westen möglichst nicht merkt.

Putin war immer schon sehr grosszügig mit Hilfeleistungen an „unterdrückte“ russische Minderheiten in anderen Ländern. Das wird auch heute im Baltikum, in Bulgarien oder Rumänien so gehandhabt: Da werden politische Parteien und Bewegungen unterstützt, kremlfreundliche Politiker gefördert und mit Trolls und Fake News nachgeholfen.

So läuft beispielsweise die Unterstützung in Moldawien auf Hochtouren. Der Osten des Landes, Transnistrien, ist sogar seit geraumer Weile ein russisches Protektorat und hat sich der moldawischen Staatlichkeit entzogen. Nun werden gewisse Regionen im Süden bearbeitet, damit sich diese ebenso in eine Sezession stürzen und Russland zuwenden.

Georgiens Präsidentenwahl 2024 war getürkt. Stimmen wurden gekauft, viel Geld investiert und so ein kremlfreundlicher Oligarch an die Spitze gehievt.

Der Präsidentschaftskandidat in Rumänien, Georgescu, erhielt wesentliche Unterstützung aus Moskau, monatelang warben russische Nachrichtenagenturen für ihn, und bezahlte Beiträge in den Social Medias taten ihr Übriges; seinen Wahlkampf führte Georgescu, wohl ein Jünger aus Ceausescus Securitate, wer‘s glaubt, „ohne Geldeinsatz“.

Die Regierungen in Ungarn und Serbien betrachten den Kremlherrn gar als guten Freund. Russland dreckelt auch im Kosovo, was wohl als Schulterschluss Moskaus mit Serbien verstanden werden muss.

Wer meint, es ginge der russischen Nomenklatur nur um die Ukraine, muss mit Blindheit geschlagen sein. Der abgehalfterte russische Ex-Präsident Medwedew meinte schon mal, er wünschte sich „eine Sowjetunion von Wladiwostok bis Lissabon“. Das mag natürlich eine Provokation gewesen sein. Aber zumindest die Grenzen eines schönen Zarenreiches wünscht sich Russland schon zurück. Die Ex-Sowjetunion, wie sie bis 1989 bestand, sicher auch. Das Minimum sieht wohl so aus, dass man das Baltikum, die Ukraine, Moldawien, Bulgarien und Rumänien gerne zurück hätte. Die aktuelle Unterminierung in diesen Ländern erfolgt ja nicht zum Spass. Das kostet einiges an Anstrengung, und deshalb gibt es selbstredend einen klaren Plan dahinter.

«Was ist jetzt, Max, was wäre, wenn du Putin wärst, was wären deine nächsten Schritte?»

«Wenn ich Putin wäre, müsste ich sein Ego und seine strategischen Pläne übernehmen. Das möchte ich wirklich nicht, das wäre unappetitlich.»

Waldmeyer gab in der Folge trotzdem nach und legte vier konkrete Pläne offen. Alle vier würden zum Ziel haben, den Westen zu stören und zu verblüffen, die NATO weiter auseinanderzubringen, aber keinen direkten Gegenschlag der westlichen Allianz zu provozieren:

Der erste Schritt wäre einen Angriff auf die Schweiz, der zweite die Übernahme Moldawiens. Der dritte Schritt könnte die Besetzung von Spitzbergen sein. Und in einem vierten Schritt würde sich Wladimir Waldmeyer die Suwalki-Lücke vorknöpfen. Oder das Ganze in einer anderen Reihenfolge.

„Bitte alles der Reihe nach“, amüsierte sich Charlotte. „Das wird gar nicht so lustig werden, Schatz“, konterte Waldmeyer und holte aus.

 Das stärkste Mosaikstück im Plan und eine der vier Optionen wäre der Abwurf einer taktischen Atombombe. Das könnte vor allem notwendig werden, wenn die anderen drei Optionen – in den Augen Russlands – nichts taugten. Putin könnte als Ziel bewusst die Schweiz auswählen. Das Land ist fast das einzige in Europa, das weder in der NATO noch in der EU ist (mit dem EU-Beistandspakt). Eine Hyperschallrakete, aus Kaliningrad losgeschickt, würde in maximal zwölf Minuten in der Schweiz einschlagen. Sie könnte über dem Industriegebiet im Zürcher Oerlikon niedergehen, vermutlich in einer Samstagnacht, dann kommen nicht so viele Zivilisten zu Schaden. Eine taktische Atombombe muss also gar nicht so schlimm sein. Die sind sehr präzise und sie verseuchen das Gebiet kaum. Leider kann sie kaum abgewehrt werden. Erstens, weil die Nato dann schläft (und zudem kaum reagieren würde), zweitens, weil die Schweiz, trotz fünf Milliarden, die sie jährlich in die Armee buttert, über keine tauglichen Abwehrsysteme verfügt. Die sind erst für 2030 geplant. Und diese müssten dann zu alledem noch binnen Sekunden funktionieren.

Waldmeyer fragte sich, was anschliessend passieren würde, und er gab sich gleich selbst die Antwort: nichts. Der neue Verteidigungsminister würde sich noch in der Nacht die Handynummer des NATO-Oberbefehlshabers raussuchen lassen und ihn anrufen – er würde ihn aber wohl nicht am Sonntag, sondern erst am Montag erreichen: «Mark, kannst du uns helfen?» Aber Mark Rutte würde nicht helfen können, denn Art. 5 der NATO würde keinen Beistandsfall erkennen. Und ausserdem müsste er zuerst Präsident Trump fragen – zurzeit taktisch eher heikel, da noch ein paar wichtigere Fragen anstehen. Er würde die Deutschen und die Franzosen bitten, ein paar Ambulanzen loszuschicken und sich dann später im Hauptquartier erst mal gründlich beraten lassen. Dann vielleicht auch mit Präsident Trump. Der würde ihm antworten: “Holy shit, Putin is a son of a bitch. Sweden is part of NATO, yes? We have a problem.” Nachdem Rutte ihm dann die europäische Geografie in Erinnerung gerufen hat, würde Trump antworten: «Ok, I got it. But we have no deal with this Swaziland, or Switzerland. It’s none of our business.»

Mark Rutte würde dann immerhin eine Warnung nach Russland senden. Vielleicht würde sogar China ein bisschen protestieren – ein bisschen. In der UNO würde sich eine grosse Anzahl der Staaten hinter Russlands Interpretation stellen, dass die Schweiz mit der Blockierung von immer mehr Russenvermögen provoziert hätte. Schliesslich hat kein Staat der Welt im Verhältnis zu seiner Population mehr Milliarden blockiert als die Eidgenossenschaft. Russland würde zudem technische Erklärungen liefern und beweisen, dass eine taktische Atombombe keine Atombombe ist.

Charlotte war nicht so überzeugt, dass dieses Szenario wirklich realistisch ist. Also war sie gespannt auf das Thema Moldawien. Und das würde, laut Waldmeyers Vision, so ablaufen:

Moldawiens russische Minorität würde einen Hilfeschrei Richtung Kreml abschicken. Wonach ihre Rechte beschnitten seien, ihre Sprache keine Amtssprache sei etc. Russland würde von Transnistrien aus dann ein paar Armeepolizisten reinschicken. Die würden plötzlich auch den Fernsehsender und das Parlamentsgebäude besetzen. Die schwache moldawische Armee würde sofort die Waffen abgeben. Und dann? Dann passiert eben auch nichts. Moldawien ist nicht in der NATO, auch nicht in der EU. Zwar gilt Moldawien als EU-Beitrittskandidat – aber das ist etwa so viel wert wie Waldmeyers Mitgliedschaft im Rotary Club Meisterschwanden. In der UNO würde die Geschichte rumgereicht, dass Moldawien sich freiwillig und hilfesuchend Russland zugewandt hat. Innerhalb der NATO käme es zu einer Zerreissprobe: Tschechien, das Baltikum und Polen würden auf einen NATO-Truppenaufmarsch an der rumänischen Grenze insistieren und auf knüppelharte Sanktionen. Rumänien würde rumlavieren, Deutschland sich Bedenkzeit ausbedingen, der französische Präsident würde zum Telefon greifen und mit Putin sprechen wollen, und Trump weiss gar nicht, wo Moldawien liegt.

Waldmeyer schob sich selbst noch eine Frage nach: Was würde wohl die Schweiz machen? Nun, die Schweiz würde neutral bleiben und hoffen, dass sie bei den Sanktionen nicht mitmachen muss, die der Westen vielleicht doch noch verhängen würde. Bundesrat Parmelin würde anmerken, dass wir zwar ein Freihandelsabkommen mit Moldawien haben, dass das Handelsvolumen allerdings kaum messbar sei.

Und nun zu Spitzbergen – auch ein taktisch sehr kluger Schritt:

Spitzbergen ist ja so etwas wie eine Kolonie Norwegens. Es leben nur gut 2‘500 Leute dort, Ausser Eisbären, etwas Rohstoffe und viel Alkohol in den wenigen Bars gibt es nichts. Aber Spitzbergen kommt, rein geografisch, eine nicht uninteressante Rolle zu. Laut dem Pariser Vertrag von 1920 muss Spitzbergen entmilitarisiert bleiben, gewährt jedoch verschiedenen Staaten, auch Russland, ein Recht auf wirtschaftliche Aktivitäten, so für Bergbau, Fischerei und Handel. Russland könnte das ausweiten. Und sich dann beklagen, dass die russischen „Einwohner“ in Spitzbergen diskriminiert werden. Ein paar Forschungsschiffe könnten 250 russische „Polizisten“ auf das karge Eiland schicken, um die „Ordnung wieder herzustellen“. Mittels Salami-Taktik würde der Einfluss monatlich verstärkt, am Schluss weht die russische Flagge in Longyearbyen, der ziemlich verloren wirkenden „Hauptstadt“ der Insel.

Leider ist Spitzbergen, obwohl dem NATO-Mitglied Norwegens zuzurechnen, militärisch kein NATO-Staat. Was dann passieren würde? Wohl auch nichts. Die Einverleibung Spitzbergens würde den Artikel 5, den Beistandspakt der NATO, nicht aktivieren. Trump würde sich ärgern: „Why didn’t we buy this f… Spitzenbergen before?“, oder so.

 Charlotte wurde nun langsam ungeduldig: „Und was passiert jetzt mit diesem Suwalki-Ding?“

Waldmeyer war besonders stolz auf diese Vision. Nur schon, weil sie die naheliegendste, einfachste und raffinierteste Variante wäre, um viel Zwist zu säen und grosse Unruhe zu stiften. Die Suwalki-Lücke trennt (bzw. verbindet) das russische Kaliningrad an der Ostsee von Belarus, also Weissrussland – heute de facto ein Protektorat Russlands. Eine ganz schmale, nur gut 60 Kilometer lange Lücke der Grenze entlang zwischen Litauen und Polen. Heute führen bereits Aufmarschautobahnen von Belarus aus bis zu dieser Lücke. Die vordergründig sinnlos erstellten Strassen enden irgendwo im Wald, kurz vor den Grenzen Polens und Litauens.

Wäre Waldmeyer also Putin, würde er hier einfach mal durchfahren, also von Weissrussland aus haarscharf dem Grenzverlauf zwischen Litauen und Polen folgen, bis ins russische Kaliningrad. Mit modernen Radpanzern dauert das eine gute Stunde. Bis dann hat die NATO nicht reagiert. Litauen hätte bereits protestiert, der Kreml aber zur Antwort gegeben, dass man die litauische Grenze nicht verletzt hätte. Eine analoge Erklärung würde Polen erhalten.

So läge eine vordergründig unklare weitere Provokation auf dem Tisch. Putin würde diese Aktion anschliessend in eine zwingende Forderung nach einer lebenswichtigen Versorgungsachse umwandeln, die man nun so bestehen lassen müsse. Schliesslich hätte man ihm die Handelswege zu seinem geliebten Kaliningrad „abgeschnitten“. Die Nato wäre perplex und würde Russland sicher nicht angreifen. Nur wegen dieser blöden Lücke…? Im UNO-Sicherheitsrat würden die Parteien zu fairen Verhandlungen aufrufen. Mark Rutte würde rumrudern, dann aber einen kühlen Kopf bewahren und die Suwalki-Lücke einfach opfern. Ein Landstreifen, nur 50 Meter breit, um den Zugang zu Kaliningrad zu gewährleisten? Das wäre einen grossen Konflikt nicht wert. Was also passieren würde: wirklich nichts.

Die Suwalki-Lücke wird der nächste Hotspot in Osteuropa sein, ist Waldmeyer überzeugt. Ein solch taktischer Schritt Putins, ein „Mut zur Lücke“ eigentlich, bzw. zum Füllen der Lücke, würde am meisten Sinn machen. Der Suwalki-Begriff ist damit auch nicht mehr mit einem Geheimnis verbunden, denn zu offensichtlich könnte ein solcher Suwalki-Plan sein. Der Begriff ist nur (noch) zu wenig bekannt. So ein Handstreich wäre provokativ, brächte aber sofort viel strategischen Nutzen. Und er würde, mit hoher Wahrscheinlichkeit, keine Menschenleben kosten oder irgendwelche Zerstörungen zur Folge haben – und somit kaum eine geharnischte NATO-Reaktion nach sich ziehen. Über Suwalki werden wir demnächst noch des Öfteren sprechen, ist Waldmeyer überzeugt. «Ich sage nur:  S-u-w-a-l-k-i ! Man wird sich den Begriff merken müssen»!

Charlotte wirkte plötzlich interessiert, denn sie schaute sehr nachdenklich. „Meinst du wirklich, Max…?“

«Vielleicht sollten wir uns diesen Landstrich mal näher ansehen, Charlotte? Im Sommer scheint es dort ganz pittoresk zu sein.»

Charlotte antwortete nicht, sie blickte konzentriert auf ihr Tablet. Waldmeyer schaute über ihre Schulter, überhaupt nicht von Neugierde getrieben. Charlotte suchte offenbar gerade etwas bei booking.com. Und da gefror Waldmeyer das Blut in den Adern: Charlotte tippte soeben «Suwalki» ein.

Waldmeyer und die Waldmeyer-Partei

Waldmeyer sieht sich immer mehr der Situation ausgeliefert, dass er gegen etwas ist. Er distanziert sich von allerlei Dingen. Und Personen. Und Ideen. Sein Umfeld könnte ihm nun vorwerfen, dass er nur kritisiert und die positiven Punkte nicht herausschält. Waldmeyer sucht nach einem Ausweg.

Waldmeyer war eigentlich schon immer gegen Trump. Oder gegen «Trömp», helvetisch formuliert, insbesondere aus etwas bildungsferneren helvetischen und hoffnungslos rechtsgerichteten Kreisen. Aber, offen gestanden, war Waldmeyer auch gegen Kamala Harris. Er ist auch gegen Putin, partiell gegen die Chinesen, gegen die Hamas, gegen die Jusos, gegen die Zürcher Stadtregierung und gegen den Klimawandel. Auch Inflation findet er nicht lustig, das Älterwerden ebenso wenig. Und selbstredend ist er auch gegen Hepatitis und gegen Krebs, beispielsweise. Also gegen vieles. Aber alles der Reihe nach.

Waldmeyer betrachtet Trump als einen geopolitischen Analphabeten, einen narzisstischen Selbstdarsteller, als einen notorischen Schwindler, als einen rücksichtslosen, letztlich aber nur mittelmässig begabten Geschäftsmann und als gefährlich. Allerdings muss er eingestehen, dass er den Kerl früher ab und an auch ganz witzig und unterhaltsam fand. Früher. Aber jetzt hat er rote Linien überschritten und destabilisiert die ganze Welt.

Kamala hat keinen blassen Schimmer von Ökonomie und verhaspelte sich im Wahlkampf in Randthemen wie Genderanliegen und Abtreibung. So richtig für Kamala konnte man damit tatsächlich nicht sein, als Wahlalternative zu Trump taugte sie nur bedingt. Nun, too late to cry.

Waldmeyer ist, bzw. war, also gegen beide. Und darum froh, nicht Amerikaner zu sein und abstimmen zu müssen. Er ist auch froh, nicht im Rustbelt zu leben, alles andere als eine mangelhafte Schulbildung erhalten zu haben, sich nicht von Junkfood ernähren zu müssen, nicht, wie 70% der Amis, übergewichtig zu sein, Zugang (in seiner Welt) zu einer ordentlichen Gesundheitsversorgung zu erhalten und so vermutlich nicht frühzeitig sterben zu müssen. Kurzum: also doch besser in Meisterschwanden zu leben und sich nur über lokale Unbill zu ärgern.

Aber wofür und für wen könnte man denn sein, wäre man Amerikaner? Damned difficult.

Jochen Rubinstein, ein deutscher Jugendfreund Waldmeyers (Steuerberater in Hamburg, Kordhose, randlose Brille, Pferdelederschuhe, intellektueller Habitus) meinte einmal, Waldmeyer sei ein «Nihilist» – er sei einfach gegen alle und alles und stelle auch das letzte Alles noch in Frage. Aber das war zu kurz gegriffen. Denn Waldmeyer, erklärtermassen ein grosser Kritiker der deutschen Regierung, wäre beispielsweise durchaus für etwas: also etwa für eine neue zukunftsgerichtete und funktionierende Führung in Deutschland, für mehr Selbstbewusstsein und ein Wiedererstarken des ganzen Landes. Vielleicht sogar für ein neues Volk in diesem Landstrich. Waldmeyer ist also, so sein Verteidigungskonzept, mitunter durchaus für Fürs. Er wäre auch, angesichts der neuen geopolitischen Verwerfungen, für ein erwachendes neues Europa. Wäre.

Aber zurück zu den Gegen: Natürlich ist Waldmeyer gegen gewisse Entwicklungen. So eben gegen die Hegemonieabsichten Chinas, Russlands und der USA. Aber auch, weil das geografisch so nahe liegt, gegen die Rückschritte in unserem nördlichen Nachbarland – weshalb auch immer dieser Disput mit Rubinstein auftritt. Ganz einfach, weil es ihn, Waldmeyer, über kurz oder lang auch selbst betreffen würde. Deutschland liegt verdammt nah. Von Meisterschwanden aus sind es, Luftlinie, nur gut 30 Kilometer. Schon seit geraumer Zeit mahnt er deshalb die «teutonische Kernschmelze» an.

Auch Frankreich bereitet Waldmeyer Sorgen: Die Staatsverschuldung des Landes läuft aus dem Ruder, die Leute streiken lieber, als dass sie arbeiten, und so weiter. Ist Waldmeyer also für oder gegen Frankreich? Wenn er an die frischen Austern denkt im Languedoc, ist er sicher für Frankreich. Auch für die Weine aus dem Bordeaux. Ja, man muss die Fürs halt herausschälen.

Die weltfremde Zürcher Regierung bietet Waldmeyer auch immer eine wunderbare Projektionsfläche. Auch die Jusos. Die Fürs, über alles, bleiben da halt in der Minderheit.

Waldmeyers Nachbar Freddy Honegger (mit seiner Bettina) ist auch gegen vieles: gegen 5G, gegen das Impfen, gegen Soros und gegen Bill Gates. Dafür für allerlei lustige Verschwörungstheorien. Honeggers haben also ein ganz anderes Setup. Es lässt sich nicht vergleichen mit Waldmeyers Problem, denn Waldmeyer, so seine Empfindung, widmet sich mehr dem Big Picture, er überwacht eher die wichtigen Sachen in der Welt und beurteilt sie, wenn auch mit seiner ihm eigenen subjektiven Objektivität.

Waldmeyer ist, wie bereits erwähnt, auch gegen Putin. Wie fast alle normal denkenden Menschen. Ausser zum Beispiel Roger Köppel von der Weltwoche.

Waldmeyer ist ebenso gegen den Schulabgänger aus Gümligen und Köniz, also den etwas adipösen Kim in Nordkorea mit der lustigen Frisur und den zu weit geschnittenen Hosen. Waldmeyer ist ebenso gegen die Ayatollahs im Iran. Und so weiter. Da kann man fast nur dagegen sein. Auch gegen Meister Xi in China, trotz seines maskenhaften Lächelns und dem verkrampften Versuch, sich als Gutmensch darzustellen. In der Gegenposition verorten muss Waldmeyer leider auch die ehemalige Kinderärztin von der Leyen – dies aufgrund ihrer dünnen Kompetenz, ihres Machttriebes und der Wahl falscher Prioritäten. Im Gegenlager befindet sich selbstredend auch der ungarische Spaltpilz Orban. Ah, und Lukaschenko noch, der Chef des letzten kommunistischen Staates in Europa. Im Prinzip auch gegen Maduro, den ehemaligen Busfahrer (aktuell Präsident und Diktator in Venezuela) – wenn auch letzterer für uns in Europa einer gewissen Relevanz entbehrt.

Waldmeyer war doch etwas verzweifelt mit seiner Auslegeordnung. Es gibt offenbar nur viele «Gegen», Brandherde und Probleme. Wie sollte man dergestalt, angesichts dieser schwierigen Ausgangslage, denn gegen diese Gegen sein? Dass Lara, seine Tochter, im x-ten Semester Ethnologie studiert, ist auch kein Highlight, da ist er ebenso klar dagegen, darf es aber leider so nicht formulieren.

Also versuchte sich Waldmeyer doch noch auf ein paar Fürs zu konzentrieren. Er wäre z.B. klar für den Ausbau der Autobahnen (es kann ja nicht sein, dass wir bei einer Vervielfachung des Verkehrs auf den gleichen Routen steckenbleiben). Er wäre auch für ein schlaues Abkommen mit der EU – aber zu seinen Bedingungen. Beim Klimawandel ist er sich nicht ganz sicher, denn die Erwärmung, so sie auch in der Schweiz stattfinden würde, müsste ja nicht nur unangenehm sein. Im Süden Englands wird jetzt bereits Schaumwein produziert, man muss also auch das Positive sehen.

Charlotte hatte plötzlich Erbarmen mit Waldmeyers lauten Gedanken, die er – wieder einmal – beim Dinner ausbreitete. Sie gönnte ihm ein weiteres Glas Terre Brune und meinte: «Du musst nun definitiv in die Politik einsteigen, Max. So geht es nicht weiter. «Change», weisst du. Andere nehmen sich vor, Kriege binnen 24 Stunden zu beenden. Da wirst du ja auch noch etwas hinkriegen.»

«Und wo beginne ich in dieser ganzen Scheisse, kannst du mir das sagen?»

«Nun, du gründest erst mal eine neue Partei. Vielleicht die Waldmeyer-Partei? Zumindest hast du schon ein erstes Mitglied.»

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