Waldmeyer und der Vulkanausbruch

Oder: Ist die nächste grosse Krise der Ausbruch des Vesuvs…?

Es mag etwas voreilig sein, aber wir können heute schon behaupten: Wir konnten, zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg, alle Krisen einigermassen gut bewältigen. Ob die Finanzkrise 2007/2008, später Corona, oder – bis jetzt – die «Trump-Krise». Allerdings zum Teil zu derart hohen volkswirtschaftlichen Kosten, dass wir dafür beten müssen, dass vergleichbare Ereignisse nicht gleich wieder eintreten mögen. Waldmeyer betet nicht, aber er analysiert und bereitet sich vor.

„Vergiss Capri, Schatz, das ist mir zu brenzlig“, meinte Max Waldmeyer zu Charlotte, als sie Google Maps wieder mal nach lohnenswerten Reisezielen durchforsteten. Charlotte verzog die Mundwinkel. Sie erinnerte sich dabei, wie sie damals, vor rund 30 Jahren, mit Antonio im alten Fiat Panda der Amalfiküste entlangzuckelten und nach Capri übersetzten. Sie teilte ihre Erinnerung jetzt aber nicht.

Waldmeyer überlegte, ob er künftig das Risiko von Vulkanausbrüchen in seine Ferienplanung einbeziehen sollte. Der Vesuv bei Neapel, der Ätna oder der Stromboli im Raum Sizilien, der Fuji in Japan, der Gunung Agung auf Bali, der Toba oder der Tambora in Indonesien usw.: Es gibt nun mal Gegenden mit erhöhten Risiken. Heikel wird die Kombination eines erhöhten Risikos mit einer ebenso hohen Auswirkung.

Waldmeyer ist sich bewusst, dass es auch eine Vielzahl von anderen Katastrophen geben könnte, mit ganz unterschiedlichen Eintretenswahrscheinlichkeit und, je nachdem, grossen regionalen oder globalen Auswirkungen. Eine grosse Atomkatastrophe, ein Cyberkrieg, nochmals eine böse Pandemie – das sind alles Krisen, die ein Desaster darstellen können. Oder man stelle sich vor, dass der irre Pate im Oval Office den US-Dollar kollabieren lässt und die gesamte Weltwirtschaft den Bach runtergeht. Aber auch der Ausbruch des Vesuvs könnte unser Leben schlagartig verändern.

Waldmeyer ist nicht paranoid. Aber er würde sich doch als etwas «teil-paranoid» bezeichnen. Für den Moment, für dieses Wochenende zumindest, nahm er sich vor, sich erst mal nur auf die Vulkane zu konzentrieren.

Ein Warnschuss erfolgte im Jahr 2010

Waldmeyer erinnert sich an den Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island. Der Himmel ganzer Erdteile war über Tage und Wochen in Vulkanstaub gehüllt, der Flugverkehr über weite Teile lahmgelegt, das Klima beeinträchtigt, lokal ebenso die Gesundheit der Bevölkerung. Es war ein kurzes, glücklicherweise nur vorübergehendes Ereignis.

Im Jahr 1815 war es anders. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien hatte schwerwiegende globale Auswirkungen: Amerika und Europa mussten in der Folge nämlich ein „Jahr ohne Sommer“ verzeichnen. Ein grosser Teil der Menschheit litt an Kälteeinbrüchen, Missernten, Überschwemmungen. In der Schweiz brach eine Hungersnot aus. Der russische Zar Alexander I. erbarmte sich und lieferte Getreide und Geld an die Ostschweiz. Ob Präsident Putin uns heute auch helfen würde? Aus Deutschland wanderten damals, aufgrund der grossen Not, viele Menschen in den Süden Russlands oder in die USA aus. Und in den USA selbst gab es eine Wanderbewegung vom Osten in den Westen. Das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Ja.

Alle hundert Jahre ein grosser Ausbruch

Die Wahrscheinlichkeit lehrt uns, dass etwa einmal pro hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch globale Auswirkungen haben könnte. Wir kennen alle die Geschichte vom Aussterben der Dinosaurier. Die Wissenschaft rätselt bis heute, ob es ein grosser Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag war, der eine reduzierte Sonneneinstrahlung zur Folge hatte und einen dramatischen Klima- und Vegetationswandel auslöste.

Als der Vesuv 79 n. Chr. ausbrach, verschwand Pompeji unter einer 12 Meter hohen Lava- und Ascheschicht. Noch heute gilt der Vesuv als einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Geologen bezeichnen ihn als Zeitbombe.

Der Ausbruch des Vesuvs könnte verheerende Auswirkungen haben

Die Wahrscheinlichkeit für einen richtig grossen Ausbruch des Vesuvs wird auf 1% geschätzt, dies für den Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Also ein einigermassen überblickbares Szenario. Dennoch: Waldmeyer stellte sich vor, dass er mit verbundenen Augen eine wenig befahrene Strasse überqueren sollte. Die Wahrscheinlichkeit, überfahren zu werden, liegt bei nur 1%. Er würde an der Strasse stehen und er hätte die Wahl, entweder mehrere Stunden zu warten, bis ihm jemand die Augenbinde abnimmt, oder das geringe Risiko einzugehen, die Überquerung zu wagen. Nun, Waldmeyer würde jetzt noch am Strassenrand stehen und warten. Merke: Auch ein geringes Risiko gilt als zu fatal, wenn es eintritt.

Leider müssten wir uns vom schönen Capri verabschieden

Waldmeyer am Strassenrand hätte zumindest die Wahl, er kann den Eintritt eines Risikos beeinflussen. Er könnte an einem geselligen Abend auch das Risiko eines Hangovers beeinflussen. Könnte.

Bei einem grossen Vulkanausbruch ist das leider anders. Er findet statt oder nicht. Gewissheit herrscht nur darüber, dass ein solcher verheerend wäre. Wir würden uns dann nicht nur über eine vorübergehende Beeinträchtigung des Flugverkehrs unterhalten.

Nun also zum Vesuv: Neapel zählt über eine Million Einwohner, der betroffene Grossraum (leider inklusive der schönen Insel Capri) sogar über drei Millionen. Hunderttausende von Todesopfern wären zu beklagen. Die Szenarien sind bekannt, gemacht wird wenig. Analog zu unserer Pandemie-Vorbereitung (Stichwort Masken, Krisenpläne etc.). Es gibt zwar seit langem Umsiedlungspläne in der Region, selbst mit Prämien. Praktiziert wird indessen das Gegenteil, in den besonders betroffenen „roten Zonen“ wird nämlich kräftig gebaut. Die heutigen Evakuierungspläne für einen Ausbruch gehen von einer Vorlaufzeit von 14 Tagen aus. Buona Fortuna! Die Evakuierung der Region würde wohl zu einem mehr als italienischen Chaos ausarten, zumal die Fluchtmöglichkeiten beschränkt sind. Elend und Plünderungen wären vorprogrammiert, die Armee müsste eingreifen. Abgesehen von den drastischen ökonomischen Auswirkungen in der ganzen Region wäre der direkte Einfluss auch überregional und würde mit Bestimmtheit ebenso die Schweiz betreffen. Strom- und Kommunikationsverbindungen könnten gekappt werden, halb Europa wäre von Hospitalisierungen betroffen. Apocalypse now?

Auch globale Auswirkungen

Ein grosser Vulkanausbruch würde nicht nur einen Aschenregen über die Alpen niedergehen und die Airlines grounden lassen. Der „Flügelschlag des Schmetterlings“ würde Kollateralschäden produzieren, an die wir im ersten Moment kaum denken: Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Tsunamis. Die Klimaveränderung könnte auch längerfristig anhalten. Lieferketten würden unterbrochen, Versorgungsengpässe wären vorprogrammiert, globale ökonomische Auswirkungen wahrscheinlich. Über Washington würde zwar kein Ascheregen niedergehen, aber auch dort wäre die Stratosphäre mit Asche-Mikropartikeln kontaminiert und würde die Sonneneinstrahlung und das Klima beeinflussen. Donald Trump würde im Rosengarten die neuen Zölle mit der Maske vor dem Gesicht verkünden.

Und das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Die Frage müssen wir leider nochmals mit Ja beantworten. Das einzig Positive an dem Szenario: Es ist in der Tat wenig wahrscheinlich. Aber würde es eintreten, würden wir uns Trumps Zölle herbeiwünschen oder andere, einigermassen überblickbare Unbill.

Wieso unterhalten wir uns so lange über den Vesuv…?

Lohnt es sich überhaupt, sich mit wenig wahrscheinlichen Krisen auseinanderzusetzen? Die Krux liegt darin, dass sich ein ganzer Reigen an vielen weiteren Krisen präsentieren könnte: Strommangellagen, Cyberattacken, Atom-Terrorismus, neue Pandemien, Russlands Überfall aufs Baltikum etc. Der Bundesrat hatte schon 1999 und nochmals 2015 definiert, welche Krisenereignisse die wahrscheinlichsten sind. Der Russe, der den Rhein überschreitet, war damals nicht mehr auf der Liste. Die Pandemie indessen schon, sogar auf Platz 2. Und trotzdem waren wir nur knapp vorbereitet. Wir sind also bereit, den Russen zu empfangen, weil wir nicht glauben, dass dieses Ereignis eintreten würde, nicht aber eine Pandemie. Den Vesuv hatte der Bundesrat entweder vergessen auf die Liste zu setzen – oder vielleicht wäre er nur auf eine verlängerte Liste geraten (zusammen mit dem Meteoriteneinschlag)?

 

Vergessen wir die Campi Flegrei nicht!

Gleich neben Neapel, in Konkurrenz zum Vesuv, brodelt die Erde bereits: Aus den Phlegräischen Feldern traten gerade vor ein paar Tagen wieder Schwefeldämpfe auf und die Erde bebte – immerhin mit Stärke 4.4 auf der Richterskala. Die Chose könnte jederzeit hochgehen, ein riesiges Magmafeld unter der dünnen Erdkruste wartet nur darauf, explodieren zu dürfen. Die Italiener vor Ort kümmerts wenig – es war schon immer so. Sie lassen sich davon nicht stören, dass hier ein Gebiet mit einer Ausdehnung von fast 150 Quadratkilometern gefährlich vor sich hingrummelt. 1538 waren diese gigantischen Magmakammern zum letzten Mal explodiert. Die Campi Flegrei gelten als das gefährlichste Vulkangebiet der Welt. Die Ausbruchwahrscheinlichkeit ist jedoch relativ gering. Angesichts dieser relativ beruhigenden Information nahm sich Waldmeyer vor, sich erst mal auf die Causa Vesuv zu konzentrieren.

Breaking News: Der Vesuv meldet sich zurück – ganz Neapel hat jetzt Meerblick!

Waldmeyer stellte sich vor, wie denn so ein Szenario eines Ausbruches konkret aussehen würde. So in der Stadt Neapel, in einer Winternacht, um 23:03 beispielsweise:  Nach jahrhundertelanger Ruhe würde sich der Vesuv mit einer Geste von überwältigender Grandezza zurückmelden. Im Gegensatz zu damals, in Pompeji, würde es indessen nicht nur eine friedliche kleine Stadt treffen. Die gesamte Region Kampanien würde innerhalb von Minuten in ein Instagram-unfreundliches Szenario verwandelt. Der Flughafen Neapel würde zur Lavasauna, während sich Touristen aus aller Welt über Google Maps wundern, warum die Strassenkarte im Satellitenmodus plötzlich rot glüht.

Tatsächlich könnte Neapel, aufgrund einer gewaltigen Explosion seines Hausberges, nun auch in seinen nördlichen und östlichen Wohngegenden mit einem Schlag plötzlich über Meersicht verfügen – allerdings dann ohne Fenster. Die wenigen Informationen, die vor Ort erhältlich sein würden, wären, abgesehen von lokalen Hilferufen, ein paar bruchstückhafte Versprechungen der italienischen Regierung, alles „zügig wieder aufzubauen»; sie würde auf die Wiederaufbauhilfe in den Abruzzen verweisen, nach dem grossen Erdbeben 2009 (Anm. der Redaktion: Die Wiederaufbauhilfe kam allerdings bis heute kaum an).

Im direkten Umkreis des Vesuvs bliebe kein Stein auf dem anderen, im weiteren Umkreis von rund 20 Kilometer Radius bräche die gesamte Infrastruktur zusammen. Vielleicht wäre die Flucht allenfalls noch mit einem Mountainbike möglich, überlegte Waldmeyer, über die Felder und Äcker, bewaffnet mit einer Flasche San Pellegrino und mit einem nassen Schal um den Kopf gewickelt. Auf jeden Fall müssten besiedelte Gebiete und Strassen gemieden werden. Letztere wären hoffnungslos verstopft, der Asphalt könnte schmelzen und Feuerstürme die Gebäude heimsuchen. So oder so müsste der Start der Radtour etwas weiter weg vom Eruptionsort stattfinden, so ausserhalb eines Radius’ von mindestens fünf Kilometern, denn ansonsten würden bis zu 700 Grad heisse Luftströmungen ein Fortkommen doch erheblich erschweren. Es gälte auch, möglichst rasch das Weite zu suchen, denn selbst innerhalb eines Radius von 10-20 Kilometern würde sehr bald Asche niedergehen, bis zu einem halben Meter, was auch die gröbsten Reifenprofile eines Mountainbikes überfordern würden. Wichtig ist auch, sich weit vom Meer weg zu begeben, denn es müsste mit einem Tsunami gerechnet werden.

Noch Monate und Jahre nach der Eruption wären die verheerenden Schäden in der weiteren Region zu sehen: die komplette Zerstörung des Verkehrs-, Energie- und Wasserversorgungsnetzes, die totale Vernichtung der Basis für den Wein-, Oliven- und Obstanbau. Ganz Kampanien würde wirtschaftlich kollabieren und die angrenzenden Regionen wären heillos überfordert mit Hilfeleistungen. Ganz zu schweigen vom Tourismus in ganz Süditalien, welcher einen Totalschaden erleiden würde. Keine schönen Aussichten, meinte Waldmeyer und überlegte sich, ob das der Staat Italien überleben würde. Der Bel Paese liegt bekanntlich, wirtschaftliche betrachtet, seit längerem auf der Intensivstation und wird laufend am offenen Herzen operiert.

Waldmeyers Vorbereitung

Waldmeyer überlegte sich, was er denn selbst tun müsste, um sich auf die Vesuvkrise adäquat vorzubereiten. Man stelle sich vor, dieser bricht tatsächlich aus. Nehmen wir an, es wäre das volle Programm angesagt – wie oben angedacht. Also eine Eruption wie vor nahezu 2‘000 Jahren.  Die Verwüstung rund um Neapel würde Waldmeyer in Meisterschwanden nur in Fragmenten mitbekommen, denn alle Kommunikationsmittel der betroffenen Region würden versagen. Aber Cornelia Boesch würde die Satellitenaufnahmen in der Schweizer Tageschau präsentieren, sie würde ein schwarzes Kleid tragen und einen Bundesrat via Satellitentelefon aus seinem Weinberg in Bursins in der Waadt interviewen.

Der Ausbruch würde zum unvorteilhaftesten Zeitpunkt erfolgen, nämlich nachts, am 28. Dezember. Alle Entscheidungsträger würden in den Ferien hocken. Wenn sich der Aschenregen auf die Pisten in Zermatt niederlegt, würde es jedoch auch dem Letzten klarwerden, was jetzt käme: Ein Zusammenbruch des Elektrizitätsnetzes, denn die Solaranlagen würden kein einziges Watt mehr produzieren, die Windräder nicht mehr drehen usw. Der Bahnbetrieb von Zermatt nach Täsch würde eingestellt, und auch Martin Schlegel, der Nationalbankpräsident, würde im dunklen Zermatt blockiert sein und könnte sich nicht in sein Büro nach Zürich absetzen, um von dort aus die Zinsen zu senken oder der Bevölkerung gut zuzureden.

Die Bundesräte wären eh nicht zu erreichen. Einzig Guy Parmelin, welcher den ganzen Tag versucht hatte, seine Rebstöcke von diesem toxischen Fallout zu befreien. Die kurzfristigen Auswirkungen in der Schweiz (Verdunkelung, etwas Asche, regionale Zusammenbrüche der Energieversorgung und Kommunikationskanäle, Zusammenbruch in den Spitälern, aufgrund der Aufnahme der vielen Verletzten aus Italien) wären überblickbar. Fataler wären die mittel- und langfristigen Auswirkungen: Kaputte Aprikosenernte, lokal verseuchtes Trinkwasser usw. Waldmeyer überlegte gleich, wie er seine Solaranlage auf dem Dach seiner Villa in Meisterschwanden reinigen würde. Ja, das wäre wohl eine Sofortmassnahme, denn Energie ist das A und O. Aber seine Nahrungsmittelvorräte würden wohl nicht reichen, abgesehen vom Weinkeller.

Auf die Frage von Cornelia Boesch an den desperate Bundesrat im Weinberg, wie es ihm denn jetzt persönlich gehe, würde Parmelin nur lakonisch antworten: «Diese Jahrgang wird eine Catastrophe werden.» Parmelin wüsste aber auch gleich die Bevölkerung zu beruhigen: Man prüfe den Import von FFP3-Masken.

Das neue Jahr ohne Sommer

Die Auswirkungen eines Vesuvausbruchs wären nicht nur für die ganze Grossregion Neapels und Italien im Allgemeinen dramatisch. An den europäischen Flughäfen und in den Parlamenten würde erst mal Panik ausbrechen, es käme zu Hamsterkäufen in den Supermärkten. In der Schweiz wäre, einmal mehr, das Toilettenpapier noch gleichentags ausverkauft. In Deutschland würde eine Sondersitzung des Bundestages einberufen, um die CO2-Misere zu besprechen. Klimagegner würden auftrumpfen, dass mit dem voraussichtlichen Temperatursturz das Problem mit der Klimaerwärmung gelöst sei. In Frankreich würden die Winzer mehr Fördermittel für den Weinanbau verlangen, um die italienischen Ernteausfälle zu kompensieren. Sie würden aber noch nicht ahnen, dass ihre eigene Ernte ziemlich kümmerlich ausfallen würde – kein Wunder, in einem Jahr ohne Sommer.

In den USA würde kaum schwarze Asche niedergehen, aber insbesondere Nordamerika würde ebenso unter einem Temperaturrückgang von mindestens einem Grad Celsius leiden; die Sonne würde auch in den USA weniger scheinen und aufgrund der reduzierten Photosynthese würden auch hier die Ernten zurückgehen. Es käme zu einem starken Preisanstieg der Nahrungsmittel, zu Lieferengpässen und generell zu grossen Schwierigkeiten in den Lieferketten, denn der Flugverkehr wäre über Wochen lahmgelegt. «Thank you Brussels» würde Donald Trump auf True Social nach Europa tweeten. Auf Telegram würde die Verschwörungstheorie auftauchen, dass Bill Gates den Vesuv ferngesteuert hat, und auf Fox News würde die Naturkatastrophe als ein linkes Projekt des woken Europas dargestellt.

In China würde es im Norden des Landes zu Dürren kommen, im Süden zu Überschwemmungen. Aber China würde die Gunst der Stunde erkennen, um sich in ein gutes Licht zu setzen und würde Soforthilfe leisten. So würde Xi Jinping eine ganze Drohnen-Armada losschicken und Pasta-Pakete über Italien abwerfen. Gleichzeitig würde er Giorgia Meloni vorschlagen, die Belt and Road Initiative wieder aufzunehmen mit einer direkten neuen sino-italo Seidenstrasse von Peking nach Neapel.

Globale Erkenntnisse

Nicht nur die Auswirkungen wären global, sondern auch die Erkenntnisse. Wissenschaftler würden sich rechtfertigen, dass der Ausbruch «statistisch möglich gewesen sei», allerdings «gesellschaftlich unangemessen». Das würde nicht viel weiterhelfen, aber zu der globalen Erkenntnis führen, dass sich die Natur eben nicht an ein Protokoll hält. Bei Ausgrabungen im Jahr 2075 würde man vielleicht ein verkohltes Handy finden, darauf, auf dem Screen eingebrannt, die letzte Nachricht seines unglücklichen Besitzers: «OMG, Vesuv just erupted! ☹»

Man hätte nichts gegen diesen Ausbruch unternehmen können – die Weltgemeinschaft wäre sich wohl einig. Es gibt nun mal globale Imponderabilien. Aber sich ein bisschen auf Katastrophen vorbereiten könnte man schon.

Vorbereitung: also doch…?

«Asche zu Asche, Staub zu Staub», murmelte Waldmeyer von seinem Longchair aus und studierte weiter die Passatwinde und die Auswirkungen der Aschepartikel auf die Stratosphäre. Charlotte antwortete nicht.

Lokal könnte man sich sehr wohl auf ein solch unappetitliches Ereignis vorbereiten. In Neapel beispielsweise, denn man könnte die Krisenpläne auf Vordermann bringen, man könnte Bauverbote für die brenzligen Zonen durchsetzen – und vieles mehr. Überregional oder sogar global wird die Sache heikel: Wir können uns kaum auf einen Sommer ohne Sonne vorbereiten. Waldmeyer würde sich vielleicht noch etwas mehr Proviant zulegen, vielleicht ein paar Goldvreneli verstecken und das Verteidigungsdispositiv in Meisterschwanden überprüfen, um sich gegen Plünderungen zu wappnen. Und bei der Wahl der Urlaubsorte wird er künftig ein bisschen vorsichtiger sein. Man kann ja ausweichen: Den Teller Spaghetti alle Vongole muss man nicht zwingend in Neapel geniessen. Como würde es vielleicht auch tun. Er würde seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) vollgetankt vor dem Ristorante stehen lassen, um jederzeit die Flucht zurück über den Gotthard antreten zu können.

 «Wir können ja von Glück reden, ist der Porsche schwarz, Charlotte – wegen der Asche», meldete Waldmeyer. Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer und warum Trump scheitern wird

Nun scheint es auch Hardcore-Fans von Trump langsam wie Schuppen von den Augen zu fallen: Da ist ein Hasardeur, ein Gambler am Drücker, der die ganze Welt in wirtschaftliche Geiselhaft nimmt. Er vollführt einen gefährlichen Drahtseilakt, erratisch, keiner Logik und keinen Regeln gehorchend. Oder gibt es einen Masterplan dahinter?

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Waldmeyer glaubt nicht an einen Masterplan. Donald the chosen one mag mit einer guten Portion Frechheit und Raffinesse gesegnet zu sein, aber er scheint ein multiples Problem zu haben: mit seinem überbordenden Narzissmus, seiner mangelnden ökonomischen Kompetenz und seinem Fehler, sich auf einen wahnwitzigen Kreis aus wenigen, meist gut begüterten und befangenen Beratern zu verlassen. Das kann nicht gut gehen. Zumindest eines erkennt Waldmeyer: Da gibt es zwar einen langfristigen Plan seiner Getreuen, so betreffend Zerschlagung der überbordenden Bürokratie, der Eindämmung der Immigration usw. Und es gibt einen gefährlichen Politplan (Agenda 47, bzw. Project 2025), welcher eine Art neue autokratische Regierungsform in den USA vorsieht – gesteuert vorab von der Wirtschaft, bzw. ihren grossen Tech-Protagonisten. Der Begriff Oligarchie darf hier durchaus fallen, auch der Vergleich mit Putins Reich, zumindest in der ersten Phase nach dem Jahr 2000. Auch ein Mafia-Vergleich würde Waldmeyer erlauben: Trump der Pate, der gibt und nimmt. Er erpresst, adelt und zockt ab.

Nein, Trump selbst hat keinen Masterplan. Sein Plan ist vorab, keinen zu haben. Er betreibt einfach erratisches Mikro-Management mit dem Ziel, möglichst viel Verwirrung zu stiften und sein eigenes Macht-Ego pflegen zu können.

Auch betreffend Zollkrieg gibt es keinen austarierten langfristigen Masterplan. Da hat sich der grosse Zampano mit den orange-blondierten Haaren wohl einfach verrannt. Er konnte sich zwar in der Situation suhlen, dass alle Staaten der Welt bei ihm nun zu Kreuze kriechen (O-Ton Trump: «They all kiss my ass»). Das hat ihn wirklich gefreut, es muss ja auch Spass machen, so Hof zu halten. Vor allem, weil sein Ego so unendlich tief mit Narzissmus getränkt ist.

Was inzwischen klar wurde: Es geht gar nicht um Zölle, es geht um Handelsdefizite. Die Berechnung der Strafzölle beruhte bekanntlich nur auf der Milchmädchenrechnung, das Handelsdefizit in Prozent der Importe zu berechnen und durch zwei zu dividieren: Und fertig ist die Strafsteuer. Easy. Als begnadeter Marketingmensch verwendet Trump dazu den Begriff «reziproke» Zölle.

Leider kommen den Amerikanern bei vielen ihrer Pläne immer wieder ihre mangelnden Geografie-Kenntnisse in die Quere. Präsident Trump verortete Spanien kürzlich als Brics-Staat. Auch ist es fraglich, ob er Swaziland, Switzerland und Sweden tatsächlich sauber auseinanderhalten kann. Diese schlagenden Wissenslücken bringen allerdings auch immer wieder allerlei amüsante Resultate zutage, so gerade bei diesem Zoll-Schwank: Die Heard und McDonald Inseln in der Arktis, von keiner Menschenseele bewohnt, kriegten auch den Zollhammer zu spüren. Der nachgeschobene Grund, dass man offenbar lückenlos Schlupflöcher stopfen wollte, ist nicht glaubwürdig: Syrien z.B. wurde nämlich «vergessen» – oder wohl nicht aufgeführt, weil es dort zurzeit überhaupt keinen Handel gibt. Wie beim Vatikan. Oder bei den Pinguinen in der Antarktis, wie oben erwähnt. Russland, Weissrussland, Nordkorea, Iran, Kuba usw. gingen interessanterweise in der Liste ebenfalls «vergessen» – letztlich ein Club von Unstaaten, untereinander jedoch ganz gut vernetzt. Die letztere Entscheidung war weniger den mangelnden Geografie-Kenntnissen geschuldet, denn Trump wollte wohl vor allem erst den geplanten Rohstoff-Deal mit Russland in trockenen Tüchern sehen.

Andererseits kamen Länder wie Lesotho mit einem 50%-Zoll auf die Liste. Diese Abgabe wurde mit dem üblichen Berechnungsmodus errechnet. Lesotho ist insofern ein lustiges Beispiel, als es die absurde Strategie Trumps sehr plakativ offenlegt. Denn Lesotho, dieses mausarme Land im Süden Afrikas, hat schlichtweg kein Geld, um irgendwelche US-Waren zu importieren, der Grossteil der Bevölkerung wird sich nicht einmal eine Flasche Heinz-Ketchup leisten können. Aber sie schaffen es, etwas zu exportieren, nämlich billige Textilien, insbesondere günstig hergestellte Denim-Stoffe. Die Strafzölle haben dann wohl zum Effekt, so die Pläne der Zoll-Intelligenzia in Washington, dass die USA diese wertvolle Denim-Produktion in die USA zurückholen möchten!? Wahrscheinlich sollten wieder grossräumig Baumwollfelder angelegt werden, und neue günstige, handverlesene Immigranten würden die Baumwolle pflücken – so, wie vor 200 Jahren die Sklaven in den Südstaaten, die singend und glücklich ihr Tagewerk verrichteten. Anschliessend, so vermutlich die Vorstellung Trumps, wird die Baumwolle von ebenso glücklichen neuen Immigranten in vielen Teilen der USA zu beautiful Denim verarbeitet, welcher dann in beautiful, echten US-produzierten Jeans endet. Ja, so sieht Re-Industrialisierung aus. Peter Navarro, der Handelsberater Trumps und Spin Doctor dieser verqueren Zollpolitik, fabuliert dabei alternativ immer wieder von Robotern, um die mangelnden Fachkräfte zu kompensieren. Was Lesotho betrifft: Das Land wird aufgrund dieser neuen Zölle vielleicht zugrunde gehen. Oder bestenfalls in die Arme Chinas getrieben. Allerdings wird dies nicht im selben Quartal stattfinden, sondern etwas später – was eben die mangelnde Weitsicht der neuen US-Regierung nicht offenbart.

Sri Lanka, Laos oder Kambodscha befinden sich in der gleichen Liga: Da gibt es kein Handelsdefizit auszugleichen, das kriegen diese Länder nie hin. Und die USA selbst auch nicht, weil sie die Billigprodukte dieser Länder unmöglich selbst herstellen können. Oder sucht die USA vielleicht wieder den Anschluss an die Low-Tech-Industrie, an den Primärsektor?

Vergleichbar, nur anders gelagert, verhält es sich mit der Schweiz: Es ist schlichtweg eine Illusion, dass unsere Rolexuhren später einmal in feinen, beautiful factories in den USA produziert werden. Rolex made in USA? Das wird nicht funktionieren, deshalb gibt es hier nichts zum «Zurückholen». Auch nicht bei unserer weltbesten Schoggi («made in USA»?). Die präzisen Emmentaler-Löcher würden sie in einer eigenen Käseproduktion auch nicht hinkriegen. Auch die Ansiedlung einer hochkarätigen Maschinenindustrie nicht, denn die USA kennen ja nicht einmal eine Berufslehre, welche einfache Mechaniker oder Werkzeugmacher hervorbringen könnte. Wenn Novartis künftig ein paar Pillen mehr in den USA herstellen möchte, low-tech-mässig fast, dann mag das noch halbwegs funktionieren und einen Gewinn für die USA darstellen. Solche Produktions- und allenfalls Verpackungszentren lassen sich tatsächlich in ein bis zwei Jahren hochziehen. Anspruchsvollere Produktionen jedoch erfordern einen sehr langfristigen Horizont. Echte Hightech-Industrien lassen sich gar nur in Dezennien aufbauen. Aber sollten die dafür notwendigen Investitionen aus dem Ausland tatsächlich kommen, bräuchte es vorab erst einmal eine Vertrauensbasis und eine Planungssicherheit – welche seit Trumps Antritt nachhaltig beschädigt worden ist.

Oder sollte Nestlé nun seine Nespresso-Kapseln in den USA produzieren – zumindest die 25% der Weltproduktion, die sie in Nordamerika absetzt, so um die 2.5 Milliarden Stück? Nun, Nestlé würde einen Teufel tun. Denn morgen könnten in den USA hohe Zölle auf den Kaffee- und Aluimporten aus irgendwelchen Ländern anfallen.

Liechtenstein steckt in einer ähnlichen Situation, dem Land wurde gar ein Zoll von 37% angedroht. Der Ministaat hat das Problem, dass seine Hilti-Maschinen einfach zu gut sind und es im Gegenzug nicht noch mehr Ketchup oder Bourbon konsumieren kann. Aber auch Hilti wird sich dreimal überlegen, grosse Produktionseinheiten jetzt in die USA auszulagern.

Findige Köpfe in der Schweiz überlegten schon, ob man nun Orangen aus Florida, Pinienkerne und andere Produkte, die unserer heiligen Landwirtschaft nichts anhaben könnten, vermehrt zollfrei in die Schweiz lassen sollte, um damit die Gunst des Zoll-Paten zu erlangen. In der Tat betragen die Schweizer Zölle auf US-Agrarwaren zum Teil über 100%. Aber selbst wenn Helvetien hier ein bisschen nachgeben würde (Waldmeyer dachte schon mit Freude an nur noch halb so teure Tomahawk-Steaks), so würde dies das Handelsdefizit nicht nachhaltig verändern. Tatsächlich sind es u.a. Güter wie Edelsteine oder Gold, deren Handel oft über die Schweiz abgewickelt wird, welche die Handelsbilanz der USA erheblich belasten. Natürlich könnte dieser Handel spielend auch über andere Länder abgewickelt werden, die Wertschöpfung in der Schweiz ist dabei eh nicht hoch. Oder sollte der irre Zoll-Zampano vielleicht auch diese Produkte künftig in den USA herstellen? Also wieder Gold schürfen, wie früher im Wilden Westen? Eventuell könnte er in Mar-a-Lago damit beginnen und den schönen Golfplatz umpflügen (zwecks Edelsteinabbaus)?

Dieses politische Muskelspiel der USA, aufgebaut auf falsch interpretierter makroökonomischer Logik, wird nicht aufgehen. Denn, wie wir gesehen haben: Nur in der Not würden ausländische Unternehmen ihre Produktionen in die USA verlagern, und nur mit Mühe könnten US-Firmen damit Erfolg haben, die alte Industrie «zurückzuholen».

Vordergründig brüstet sich der Dealmaker im Weissen Haus nun damit, dass er mit seinen Zollspielen den Dollar bereits etwas geschwächt hat. Ja, er hätte gerne einen leichteren Dollar, denn dann können die beautiful US products besser exportiert werden. Offenbar vergisst er aber, dass damit die Importe teurer werden, was die Inflation anheizt. Wenn er das Handelsbilanzdefizit, über alle Länder gerechnet, verbessern kann, stärkt das wiederum den Dollar – was bekanntlich nicht gut ist für den Export. Der Zielkonflikt des grossen Ökonomen im Oval Office ist mit Händen zu greifen und er wird ihn nicht lösen können. Wenn er zusätzlich seine brandgefährliche Idee realisieren würde, den Staaten, welche US-Staatsanleihen halten, eine «Gebühr» zu verlangen, würde das den Wert der Anleihen schmälern, die Renditen erhöhen und damit auch die Staatsausgaben aufgrund erhöhter Zinszahlungen. Er könnte zwar very high fees einstreichen und America ganz kurzfristig rich machen, aber es würde den Dollar schwächen.

Trump vollzieht also einen ökonomischen Drahtseilakt, und wie so oft verlässt er sich mehr auf seine spontane Intuition als auf erhärtete Fakten der Wirtschaftswissenschaften. Die unumstösslichen Fakten sind: Die Zölle werden die Inflation in den USA hochtreiben, eine Rezession steht vor der Tür, im besten Fall eine Stagflation. In diesen schwierigen Momenten kommt (in freien demokratischen Staaten) jeweils die Notenbank auf den Plan. Sie muss die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu killen. Aber Trump wird das vermutlich zu übersteuern wissen. Vielleicht sollte er sich die Sünden von Erdogan in der Türkei einmal ansehen, was man mit derlei nonchalanter Vernachlässigung der goldenen Wirtschaftsregeln provozieren kann: eine gefährliche galoppierende Inflation, garniert mit einem Wirtschaftseinbruch und einem Vertrauensverlust der Märkte. Es könnte ein langer Marsch in den Niedergang werden, mit vielen Verlierern. Wenn nicht die USA, so könnten allerdings Trump und seine Dynastie dabei durchaus gewinnen, da sie die präsidialen Ökonomie-Spielchen zu antizipieren wissen – und sie könnten dabei einmal mehr mit einem blauen Auge davonkommen. Auch seine Tech-Oligarchen könnten dabei profitieren. Der Rest der Welt würde indessen verlieren. Vielleicht würde in der Folge eine neue Regierung kommen, vielleicht eine besonnenere, welche wieder auf den echten Regeln der Demokratie aufbaut, eine regelbasierte Weltordnung achtet und gleichzeitig den Staat vernünftig lenken kann. Vielleicht werden die Republikaner wieder am Drücker sein, vielleicht die Demokraten. Sofern sich das geeignete Personal denn aus einem der Lager finden lässt. Trumps Aufstieg war ja letztlich dem Umstand zu verdanken, dass man aus dem Fundus von 340 Millionen Amerikanern tatsächlich keine anderen tauglichen Leader gefunden hatte. Ein Jammer.

Waldmeyer und die verklärte Wahrnehmung von «Trömp»

Was sich unsere Politiker hinter die Ohren schreiben sollten: Diese neue US-Administration funktioniert anders, nämlich nicht der Logik und den Fakten folgend, sondern der Erratik. Aber unsere Volksvertreter verstehen das nicht. Dabei könnte es einen raffinierten Ausweg geben, überlegt Waldmeyer.

 

Lustig, wie unsere Regierungsleute in der Schweiz auf den Trump’schen Zollhammer reagiert hatten. Rechtsaussen-Politiker vermuteten erst mal einen «Rechnungsfehler» und ein «Missverständnis», das man den USA nun erklären müsste. Natürlich war es nicht so, sondern nur eine bewusste Provokation, um etwas herauszuholen – wobei es in der Regel gar nicht um Zollabbau ging, sondern a) um das «Zurückholen» der Industrieproduktion in die USA und b) tatsächlich auch darum, Einnahmen zu generieren. Zölle können tatsächlich viel Geld ins Land reinspülen, die Versuchung ist also gross, dieses Manna, so es denn vom Himmel fällt, zu nehmen, zu behalten oder gleich kunstvoll wieder einzusetzen. Das deckt sich mit dem weitverbreiteten Planungshorizont der Amerikaner, welcher ein Quartal selten übersteigt. Die Chinesen denken in hundert Jahren. Die Europäer, zumindest was die Politiker anbelangt, liegen irgendwo dazwischen, so in etwa bei dem Horizont einer Wahlperiode. Die Schweizer legen den Horizont situativ fest; er liegt meistens dort, wo er am wenigsten Probleme bereitet, sie schlängeln sich quasi zwischen den Widerwärtigkeiten der Welt hindurch.

Aber die Schweizer Politiker lagen, was Trump anbelangt, komplett falsch. Da wurde die exzellente Zusammenarbeit mit den USA aufgrund eines Besuches von Ueli Maurer in Washington glorifiziert, denn dieser durfte dem US-Präsidenten bereits 2019 die Hand schütteln. Trump und Maurer konnten sich damals zwar, sprachlich bedingt, kaum austauschen, aber es war, aus Schweizer Sicht, ein sehr erfolgreiches Ereignis. Auch unsere sympathische Magdalena Martullo-Blocher sah bis vor kurzem noch keinen Anlass zur Besorgnis in Sachen Zöllen: Trump habe die Schweiz sehr gern. So viel zur Naivität unserer sogenannten Classe politique und zur Wahrheit – welche sich leider so gestaltet, dass die neue US-Regierung auf wirklich niemanden Rücksicht nimmt und in Sachen Zöllen querbeet die ganze Welt in die Pfanne haut. Unser Winzer und Bundesrat Parmelin konnte sich zu einem „ungerechtfertigt“ durchringen und Karin Keller-Sutter war «enttäuscht» (sic)… Trump hat diese Statements sicher beeindruckt.

Dass die Schweiz erst kürzlich sämtliche Industriezölle abgeschafft hatte, kratzte die Trump-Administration überhaupt nicht – und verschonte die Eidgenossen nicht von einem sehr hohen «reziproken» Strafzoll. Kurzum: Unsere Politiker im Glashaus glauben immer noch an Facts and Figures, an die Logik und an die Wahrheit. So viel zu ihrer kognitiven Wahrnehmung.

Auslegeordnungen und tatsachenbasierte Erklärungen sind nutzlos. Donald Trump spielt ein Spiel, einen Poker, er amüsiert sich köstlich dabei – und alles ist erlaubt. Dieses Psychogramm, das hinter einer solchen Strategie steht, passt unseren aufrechten Beamten natürlich gar nicht.

Und immer wieder wird das so freundschaftliche Verhältnis mit den USA ins Feld geführt. Ueli der Maurer, um nochmals seinen berühmten Besuch im Oval Office zu erwähnen, durfte sich sogar in die Gästeliste eintragen. „Sänkiu, Mister Präsident!“

Nun, vielleicht merken inzwischen langsam auch alle Magdalenas unserer verklärten Trömp-Anhänger: „There is no free löntsch.“ Und solange die USA Europa als Quasikolonie betrachten, da verteidigungsmässig hoffnungslos ausgeliefert, wird sich das nicht ändern. Das gilt auch für die Schweiz. Ja, so kommen wir langsam bei den Fakten an – bei den real facts, nicht den „alternative facts“. Ob sich Christoph Blocher daran erinnert, dass er einst den Anschluss an die NAFTA vorschlug, zusammen mit Mexiko und Kanada – als Alternative zum EWR quasi? Zollmässig stehen diese beiden Länder gegenüber den USA heute, wie wir wissen, in deep shit.

Die USA haben eigentlich gar kein riesiges Handelsbilanzproblem. Die Gesamthandelsbilanz besteht bekanntlich aus der Warenbilanz und der Dienstleistungsbilanz – was Trump allerdings nicht interessiert. Die Dienstleistungsbilanz der USA kann sich nämlich sehen lassen, sie kompensiert zu einem guten Teil das Defizit der Warenhandelsbilanz. Der neue Pate im Oval Office interessiert sich allerdings nur für Warenströme. Ihn stört beispielsweise, dass die Italiener nicht in einem Dodge Ram durch Neapel zirkeln. Die Dienstleistungen beschäftigen ihn nicht – oder er möchte sie einfach nicht erwähnen, das mag zum Verhandlungsspiel gehören. Vielleicht liess sich klein Donald schon von Pippi Langstrumpf inspirieren: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Bei den Dienstleistungsexporten ist die USA, wie erwähnt, zumindest im Austausch mit industrialisierten Ländern, ganz gut: Während es bei den Waren für die USA im Verhältnis mit der Schweiz tatsächlich schlecht aussieht (51 Milliarden USD Importe stehen nur 15 Milliarden Exporten gegenüber, macht 43 Milliarden Warenhandelsdefizit), brilliert die USA geradezu bei den Dienstleistungen (Exporte in die Schweiz 54 Milliarden, Importe nur 31 Milliarden, also ein US-Überschuss von 23 Milliarden).

Die Schweiz erzielt also im Dienstleistungshandel mit den USA ein deutliches Defizit, die USA einen deutlichen Überschuss. Rechnet man die beiden Bilanzen zusammen (Waren und Dienstleistungen), sieht die Gesamthandelsbilanz nahezu ausgeglichen aus – vor allem, wenn man noch den zahlenverzerrenden Gold- und Edelsteinhandel rausrechnet. Aber wie schon festgestellt: Donald, der gewiefte Businessman, nimmt sich eben die Zahlen raus, die ihm passen.

Die überragenden Dienstleistungsexporte der USA in die Schweiz betreffen vor allem Software/IT-Produkte, Lizenzen und Finanzdienstleistungen. Microsoft, Apple Services, Google Cloud, Netflix oder Disney beispielsweise erzielen Milliardenumsätze. Dazu kommen Bildungsausgaben (so durch die Zahlungen internationaler Studenten) und der Tourismus und Geschäftsreisen. Der Konsum ausländischer Touristen in den USA wird nun mal als Dienstleistungsexport klassifiziert und hat einen positiven Einfluss auf die Bilanz der USA. Da zählen Waldmeyers Aufenthalte im Hotel in New York, die Badeferien in Miami Beach, die vorzeitig gebuchten Inlandflüge und das Steakrestaurant – alles zählt. Sogar die 21 USD für das ungeliebte ESTA-Formular, um überhaupt einreisen zu dürfen.

Nun zu Waldmeyers durchaus ernst gemeintem Vorschlag: Unsere möglichen Vergeltungsmassnahmen könnten Dienstleistungszölle vorsehen. Es wären dann auch „reziproke“ Zölle – frei nach Donald’s Prinzip: Wer mehr verkauft als kauft, muss blechen. Die Berechnungsmethode dieser neuen Dienstleistungszölle liegt auf der Hand: Wir werden den berühmten Milchmädchen-Schlüssel der Trump-Administration verwenden. Wir berechnen unser Dienstleistungsdefizit in Prozent des gesamten Dienstleistungsaustausches, dividieren durch zwei und erhalten eine beautiful tax. Sie wird sogar sehr fair und bescheiden ausfallen, es wurden 14% errechnet. Gleichzeitig wäre dieser Zoll, gefühlt, gar nicht so dramatisch. 14% auf dem Microsoft-Programm oder auf dem Netflixabo? Das würden wir locker wegstecken. Uns selbst würden wir uns damit nicht gross schaden – dies im Vergleich zu den Amerikanern, welche die 31% auf unserer Schoggi nur spüren sollen!

In Deutschland würde die gleiche Berechnungsmethode, also ebenso nach Trump’scher Manier, einen Zoll von nur 2% auf allen Dienstleistungsimporten aus den USA ergeben. Ein extrem tiefer Wert, verglichen mit der Schweiz. Tatsächlich stehen die bescheidenen Dienstleistungsimporte Germaniens von nur 67 Milliarden USD in keinem Verhältnis zur Schweiz (31 Milliarden). Waldmeyer vermutet, dass vielleicht die vielen türkischen Einwanderer in Deutschland nicht Netflix schauen oder es doch am niedrigen Digitalisierungsgrad des Landes liegt. Aber die Überlegung ist irrelevant, weil die EU, gemäss Trump-Prinzip ohnehin einen generellen Dienstleistungszoll von 8% erheben würde.

Unsere 14% dürfen nicht unterschätzt werden, denn sie werden auf einem erheblichen Volumen erhoben, tatsächlich würde dies der Eidgenossenschaft Milliarden in die Bundeskasse spülen. Ja, let’s make Switzerland rich!

Bei der Erhebung der Dienstleistungssteuer sollten die US-Touristen nicht vergessen gehen. Alle aus Amerika Einreisende, die in die Schweiz kommen, müssten mit Zöllen und Gebühren überzogen werden. Es beginnt künftig mit einem schweizerischen ESTA-Formular. Dieser elektronische Einreisezettel würde in der Schweiz allerdings 50 Stutz kosten. Ja, bei uns kostet alles ein bisschen mehr, das lässt sich jedoch immer mit der überragenden helvetischen Qualität erklären.

Als besondere Massnahme würde Waldmeyer gerne eine WAT einführen: Eine Weight Added Tax. Sie wird von besonders übergewichtigen US-Bürgern an der Grenze eingezogen, kommt allerdings erst ab 300 Pfund Trockenkörpergewicht zum Tragen (136 kg). Dann mit 100%, aber sie gilt nur für den ÖV. Da die Billetkontrolleure nicht umständliche Waagen mitschleppen können, muss das Augenmass herhalten und die Added Tax wird so eingezogen, dass einfach zwei Billette pro Person gelöst werden müssen. Allerdings dürfen dann im Tram, im Bus oder in der SBB, selbst aufs Schilthorn rauf, auch zwei Plätze pro Person belegt werden. Unsere einheimischen Mitfahrer würden dann den betroffenen Amerikanern anerkennend zunicken – im Wissen darum, dass sie unseren defizitären ÖV ordentlich mitfinanzieren. Ja, man kriegt bei uns also etwas fürs Geld und die Steuer bleibt damit sozialverträglich. Die WAT bietet übrigens einen weiteren Vorteil: Deren Einnahmen werden laufend steigen, denn die Amerikaner werden immer schwerer. Heute gelten bereits 74% der Amerikaner als übergewichtig, Tendenz steigend.

Das Übergewicht ist bei uns ebenso willkommen, wenn es auch das Portemonnaie betrifft. Denn je höher die Ausgaben der amerikanischen Touristen in der Schweiz, desto mehr Tourismus-Zoll müssen sie künftig abdrücken. Verschiedene Ansätze könnten angedacht werden, so eine Raclettesteuer (plus 31% pro Portion), selbstredend auch eine beautiful tax auf allen Hotelübernachtungen. Eine Sondertaste (goldenes „A“) bei den Geräten für die Kreditkartenabrechnungen könnten den Steuereinzug vereinfachen. Bei den Eintritten (Schaukäserei, Swiss Miniature, allenfalls auch bei Sprüngli am Paradeplatz etc.) könnte allenfalls eher die WAT zum Tragen kommen; sie ist verursachergerechter.

Da der Kaugummikauf und andere Ausgaben der Amis in der Schweiz nicht präzise erhoben werden können, werden wir darauf verzichten. Wichtig ist, dass in der Summe die 14% stimmen. Wir möchten ja nicht mogeln. Die Umsetzung mag etwas anspruchsvoll sein, wir müssten also ein bisschen innovativ sein, damit wir direkt und effizient abkassieren können. Zudem ist sich Waldmeyer bewusst, dass wir uns mit der EU und anderen Ländern in Europa abstimmen sollten. Es wäre schade, wenn die Amerikaner nur wegen dieser Dienstleistungszölle in irgendwelche andere Länder ausweichen würden. Mit Albanien, Nordmazedonien usw. müssten wir uns jedoch nicht absprechen, das Ausweichrisiko wäre vernachlässigbar.

Kurzum: Sollte Trump auf den willkürlich erhobenen Zollandrohungen auf Schweizer Waren beharren, sollten wir in der Schweiz, zusammen mit Resteuropa, reziproke Dienstleistungszölle erheben.

Aber wie gedenkt unser Bundesrat nun tatsächlich, die Kuh vom Eis zu bringen? Die Antwort liegt bereits in der Luft: Es wird ein gut-eidgenössisches Rückzugsgefecht geben, mit Ankündigungen, die möglichst nicht umgesetzt werden müssen. Gleichzeitig wird intern weiter von einem fiktiven Freihandelsabkommen fabuliert werden (welches, zum Leidwesen Waldmeyers, Agrargüter inkl. Tomahawk-Steak, ausschliesst). Und was machen wir Bürger und eine ganze Anzahl betroffener Schweizer Unternehmer mit den USA? Waldmeyer meint: „It‘s time to say Goodbye!“. Zumindest mental und vorübergehend, bis sich der Trump‘sche Nebel gelichtet hat.

Waldmeyer und der Rentenklau

Der Sonntagsmorgen-Tisch bei Waldmeyers in Meisterschwanden bietet die seltene Möglichkeit, Grundsätzliches zu besprechen. Diesen Sonntag war es ein besonders günstiger Moment, denn Charlotte hatte sich zum Tennis abgeseilt. Eine gute Gelegenheit also, um die Kinder ungestört zu kalibrieren. Waldmeyer hatte sich für heute das Thema «Rente» vorgenommen.

«Charlotte hat mir verraten, dass ihr beide damals für die 13. AHV gestimmt habt. Ihr seid eine Lichtgestalt in der Sozialwelt. Dafür möchte ich euch danken. Ihr seid nämlich ziemlich selbstlos, denn  i c h  werde die 13. einmal erhalten, ihr aber nicht. Die 13. kostet uns übrigens rund fünf Milliarden zusätzlich pro Jahr. Lara, weisst du, wie viele Nullen eine Milliarde hat?»

Lara tippte auf ihrem Handy rum und fand keine schlüssige Antwort. „Du bist entschuldigt, Lara, denn ein Grossteil der Stimmbürger weiss es auch nicht. Aber zum Vergleich: Es entspricht etwa der Summe, die uns jährlich die Landwirtschaft kostet oder die Armee. Jährlich. Hätten die Stimmbürger die Grössenverhältnisse gekannt, hätten sie vielleicht anders gestimmt. Aber Elisabeth wusste das mit den Nullen vielleicht auch nicht.“

„Elisabeth who?“, wollte Lara wissen.

«Elisabeth Baume-Schneider, die Bundesrätin. Die mit den Schwarznasenschafen.»

Noa blickte kurz von seinem Handy auf, noch etwas vom Restalkohol des Vorabends gekennzeichnet. Was sein Vater heute nun schon wieder vorhatte? Noa, nach ein paar Semestern Studium in Betriebswirtschaft, witterte eine Falle. Lara blieb – vorerst – noch indifferent.

Wir werden zu alt

Waldmeyer holte aus und erklärte die Finanzierungsprobleme unserer Sozialsysteme. So wird zum Beispiel die AHV langfristig nicht gesichert sein. In rund 15 Jahren werden auf jeden AHV-Bezüger nur noch zwei Beitragszahler kommen, wenn überhaupt. Ja, wir werden zu alt. Bei der Einführung der AHV betrug die Restlebenszeit noch ein paar wenige Jahre, heute hingegen haben die 65-Jährigen noch rund 20 Jahre vor sich. Und sie werden immer mehr. Im Strassenbild wird es bald nur noch Greise geben, vielleicht noch ein paar jüngere Mitbürger, mit anderer Hautfarbe und schäbig gekleidet, welche kaum ins Rentensystem einzahlen. Genau gleich wird es sich mit den privaten Pensionskassen verhalten: Immer weniger werden immer mehr unterhalten müssen – womit immer weniger Rente verbleibt. Eine Anpassung der Systeme ist kaum möglich, die verschiedenen Abstimmungen der Bürger zeigen es. Nun war auch Lara dabei, sie runzelte die Stirn.

Rentenalter 75?

Das Rentenalter wird folglich zwingend heraufgesetzt werden müssen. Auf 70 oder gar 75 Jahre? Oder noch höher? Oder die Renten müssen drastisch gekürzt werden. Oder die Beiträge massiv erhöht werden. Oder der Staat wird einschiessen müssen, aber dann muss er die Steuern erhöhen. So beispielsweise auch die MWST, damit gerade auch die Rentner schön mitzahlen. Alle diese Lösungen werden vom Souverän wohl erst abgelehnt werden, aber kurz, nur ganz kurz vor dem Kollaps der AHV, zum Beispiel, so Waldmeyer, wird dann zu einer Radikallösung gegriffen werden.

Endlich hatte Waldmeyer die Aufmerksamkeit von Noa und Lara. Lara runzelte erneut die Stirn: «Nein, nein, so weit wird es nicht kommen, die werden eine bessere Lösung finden», warf sie ein.

Waldmeyer baute nun seine geballte Sprachkraft auf: «Nun, mit «die» meinst du euch, ja?» entgegnete er und kam langsam in Fahrt.

Der offene Geheimplan der Linken und der Grünen

In der Folge erklärte Waldmeyer die Bestrebungen der Grünen und der SP: Sie steuern auf eine staatliche Einheitsrente hin. Das Ziel soll die Verstaatlichung der 2. Säule sein. So gab es bereits einen parlamentarischen Vorstoss in diese Richtung. Dieser kam nicht durch –zumindest vorerst nicht. Aber es wird weitere Vorstösse geben. Ein solches Unterfangen, nämlich die «Fusion» der staatlichen und privaten Rentensysteme, wäre zwar nicht leicht umzusetzen, denn das hätte Enteignungscharakter. Aber nichts ist unmöglich, wenn letztlich die Mehrheit der Bevölkerung dafür stimmen würde. Eine von den Gewerkschaften initiierte Initiative, mit Sukkurs der Grünen, der SP und der Juso, könnte zu einem Durchbruch führen.

«Dann würde ich auswandern. Ich würde vorher die Kohle beziehen und einfach abhauen», warf Noa ein.

Grosse Hindernisse beim Kapitalbezug

Das wäre tatsächlich eine Lösung: Die Kohle einfach beziehen. Allerdings geht das nicht so einfach, wenn das Auswanderungsland in der EU liegt oder ein EFTA-Staat ist. Dann kann man sein angespartes Rentenguthaben aus der Pensionskasse nicht einfach so als Kapitalbezug «beziehen» und auswandern: Nur der überobligatorische Teil der PK und die Säule 3a können bezogen werden. Und wenn der Auswanderungszeitpunkt nach dem Renteneintritt liegt, sind allfällige Entscheidungen eh zu spät: Die Wahl zwischen Rentenzahlung und Kapitalbezug muss vorher stattgefunden haben.

«Ihr müsstet aus Europa raus. Ausser ihr wollt nach Serbien. Oder nach Bosnien.»

«Ich geh dann eh nach Miami», verkündete Noa überzeugt, «oder nach Kalifornien und gründe eine Kryptowährung!» Waldmeyer weiss genau, wie er bei den Ideen seines Sohnes reagieren muss: «Gut so, mach das!»

Der zweite Geheimplan

Dieser ist eigentlich nicht geheim, wurde aber in der gleichen politischen Ecke fabriziert: Die steuerliche Bevorzugung des Kapitalbezuges der Pensionskasse soll fallen. Für grössere Summen käme dann als Alternative vermutlich nur noch die Rente in Frage. Damit wird allerdings das ganze System der Säulen 2 und 3 in Frage gestellt. Waldmeyer weiss, was schon heute zu tun ist. Erstens: keine freiwilligen Einzahlungen mehr in Rentensysteme. Zweitens: Take the money and run. Das heisst, wenn immer möglich jetzt schon Rentenkapitalien beziehen, zur Reduktion von Hypotheken oder im Rahmen einer Teilpensionierung. Das Vertrauen in Bundesbern ist dahin.

Die AHV sich als Kapital auszahlen lassen…?

Bei der AHV ist alles noch schwieriger. Kann die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital bezogen werden?

Ja, da gibt es ein paar Schlupflöcher! Wenn man dem Risiko entfliehen möchte, später einmal nur noch eine reduzierte Rente zu kriegen, obwohl man Jahre oder Jahrzehnte einbezahlt hat, weil diese staatliche Kasse pleite ist, könnte man proaktiv mit einem Kapitalbezug reagieren. Also nicht erst warten, bis man 65 wird (oder eben 70), sondern schon frühzeitig das Weite suchen. Take the money and run. Also sich die AHV frühzeitig auszahlen lassen, indem man sich ins Ausland absetzt. «Das geht aber nicht», warf nun Lara ein. Die Eltern von Fatima, ihrer Studienfreundin an der Uni (Basel, Ethnologie, schon länger), seien nun mit 55 wieder zurück nach Portugal gezogen. Die Hälfte der PK hätten sie zwar mitnehmen können und damit das Haus in Porto fertiggebaut, die AHV konnten sie aber nicht abheben, die bleibt nun in der Schweiz eingefroren und sie müssen 10 Jahre warten, bis sie monatlich als Pension überwiesen wird. Fatimas Mutter putze nun inzwischen in Haushalten von Expats, das bringe am meisten ein.

«Bosnien», warf Waldmeyer ein, «das wäre eine elegante Lösung». Fatimas Eltern hätten nach Bosnien auswandern sollen. Tatsächlich gibt es gewisse Länder, rund ein Dutzend, in die man die AHV-Kohle frühzeitig und komplett mitnehmen kann, mit einer richtigen «Auszahlung».

«Spinnst du Dad, wer geht denn schon in ein muslimisches Land und läuft dann mit einem Kopftuch rum!»

Notfalls nach Albanien

Waldmeyer klärte weiter auf. Man könnte auch in die Türkei auswandern (allerdings auch muslimisch). Oder nach Albanien (auch). Oder nach Japan. Wichtig ist, dass man sofort einen Ehepartner mit dieser Staatsbürgschaft findet, Staatsbürger des auserkorenen Landes wird und den Schweizer Pass zurückgibt. Dann kann man die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital beziehen. Einfacher noch geht es, wenn man, nur beispielsweise, bereits Albaner ist, keinen Schweizer Pass hat und in sein Heimatland zurückgeht. Ja, so kann man sich die AHV sichern, cash auszahlen lassen und nicht Gefahr laufen, dass diese später einmal bankrott ist, weil es in der Schweiz nur noch alte Leute gibt und niemand mehr einzahlt.

Der Worst Case: Die Einheitsrente

Wenn die Einheitsrente kommt, also die staatliche Rente aus der fusionierten AHV und PK, wird die komplette Umverteilung der Ersparnisse stattfinden. Ein Blick nach Deutschland zeigt, in welche Abgründe man da mit einer umfassenden Volksrente blicken kann: Die Beitragssätze werden dort demnächst auf 22% erhöht. Aber es wird nichts nützen, denn die Renten bleiben trotzdem tief, und das System wird unweigerlich kollabieren – zumal immer mehr tüchtige Beitragszahler abwandern. In die Schweiz z.B., dort sind sie als Beitragszahler in unsere Sozialsysteme hochwillkommen.

Aber zurück zur möglichen Auswanderung. Es könnte nämlich noch dicker kommen. Waldmeyer dozierte weiter am Frühstückstisch, dass bei einer dergestalt, nach sozialistischem Muster umgestalteten einheitlichen Volksrente ein Kapitalbezug natürlich nicht mehr möglich wäre. Auch hier macht es Deutschland übrigens vor, wie geschäftstüchtig ein Staat sein kann (zumindest beim Steuereintreiben): Wandert man aus, muss die Rente nicht etwa in der neuen Heimat versteuert werden, sondern tatsächlich immer in Deutschland. «Das ist Fiskalterrorismus», meinte Waldmeyer vielsagend.

Waldmeyer fasst zusammen

«Also, ihr müsst künftig einfach gut verdienen und möglichst alle Ersparnisse separat auf die hohe Kante legen. Ihr könnt euch nicht auf Renten verlassen, weder auf staatliche, die ihr in 40 oder mehr Jahren einmal (vielleicht) erhalten werdet – noch auf private, welche vielleicht einmal verallgemeinert werden oder nur mit horrenden Steuertarifen bezogen werden können. Also bitte alles schön selber auf die Seite legen. Aber schön, habt ihr für die 13. AHV gestimmt, die ihr jetzt mitfinanzieren dürft!»

Noa tippte derweil auf seinem Handy rum. «Du bist schon am Rechnen, Noa, gell!», triumphierte Waldmeyer. «Nein, ich schaue nach Flügen nach Kalifornien», grinste Noa zurück.

Waldmeyer und das Geheimnis der Suwalki-Lücke

Kaum jemand kennt die «Suwalki-Lücke». Und ob sich um diese tatsächlich Geheimnisse ranken, wird Waldmeyer nun aufdecken. Auf jeden Fall hat das Ganze nichts mit den Urlaubsplänen von Charlotte zu tun. Eher schon mit handfesten geopolitischen Analysen unseres Militärstrategen Max Waldmeyer.

Charlotte liebte diese «what if…?»-Fragen. Und sie wusste, dass Max auch zu den absurdesten Fragen immer eine prägnante Antwort aus dem Hut zaubern konnte. Aber manchmal sind die Vorstellungen doch sehr anspruchsvoll, sich in etwas hineinzuversetzen, das man gar nicht möchte.

So geschehen, gerade gestern, als Charlotte, angesichts des Schlamassels in der Ukraine, mit der Frage rausrückte: «Was würdest du tun, wenn du Putin wärst…?»

Waldmeyer antwortete wie aus der Pistole geschossen: «Ich würde nie Putin sein wollen. Oder Putin gewesen sein wollen. Putin ist ein No-Go. Ein schlauer Kerl, sehr gewieft, auch ein Bluffer. Aber ein Geo-Krimineller, machtbesessen, brutal und gemein. Ein Kriegsverbrecher. Er wickelt alle um den Finger, verdreht Tatsachen und Fakten, erfindet Narrative und absurde Geschichten. Schon die Merkel ist ihm früh auf den Leim gekrochen. Putin war früher bekanntlich ein hoher Geheimdienst-Agent, sogar in Deutschland stationiert. Schon damals hatte er vermutlich Dreck am Stecken.»

«Aber wenn du nun wirklich Putin wärst, wie würdest du heute gegenüber dem Westen reagieren, zumal es ja an der Ukrainefront nicht nach Plan läuft?»

Stimmt, mit Putins Westerweiterung läuft es nicht optimal. Putin hatte sich das anders vorgestellt als er dachte, zum Zeitpunkt der Invasion im Februar 2022. Diese abtrünnige Sowjetrepublik hätte gemäss seinem Plan schon nach ein paar Tagen kapitulieren sollen. Seine Jungs hatten in den Panzern sogar die Ausgangsuniform dabei, um sich dann in Kiew gleich für die grosse Parade in Schale zu werfen. Und jetzt wird der Kremlherr, und das auch nur im besten Fall, zu einem faulen Kompromiss Hand bieten müssen. So einen Deal kann man allerdings nur abschliessen, wenn man einen Plan B hat. In diesem Fall könnte dieser lauten: «Reculer pour mieux sauter!». Also einen Schritt zurücktreten – aber nur um Anlauf zu holen.

«An den anderen West-Fronten läuft es doch hervorragend für Putin!», stellte Waldmeyer fest und versuchte eine neue Fährte zu legen, damit Charlotte ihn nicht wieder mit der absurden Frage bedrängte, was wäre, wenn er, Max Waldmeyer aus Meisterschwanden, Wladimir Putin wäre.

Tatsächlich läuft es ganz gut in Sachen russischer Hegemonie: An allerlei Plätzen ist Russland sehr aktiv. Weniger im Nahen Osten, da hat er einen Schuh voll rausgezogen in Syrien. Aber Afrika läuft sehr gut. In Libyen hat er erfolgreich einen Anker geworfen und in der Saharazone, quer durch den Kontinent, hat er bald alle Staaten unter seiner Kontrolle – bzw. unter seinem Einfluss, da er diverse korrupte Miltärjuntas oder Rebellengruppen unterstützt, finanziell und militärisch. So werden westliche Staaten erfolgreich verdrängt. In Kuba, Venezuela und Nicaragua hat er auch einen guten Lauf.

Was die europäischen Staaten aber noch mehr ärgert, sind Putins Winkelzüge direkt vor ihrer Türe. Da läuft es sogar hervorragend. Sogar in gestandenen Ländern Europas hat er nun seine Botschafter installiert, so in Frankreich mit Le Pen, bei der AfD in Deutschland oder mit Roger Köppel bei der Weltwoche in der Schweiz. Ganz zu schweigen von Viktor Orban, seinem geheimen Statthalter in Ungarn. Neu in den Club aufgenommen wurde Freund Fico, Slowakei. Zum Teil gehen diese Botschafter heute als gestandene Putinversteher durch.

Insbesondere in den verlorenen Staaten der Ex-Sowjetunion geht er weniger subtil vor. Das Muster Putins ist dabei immer dasselbe, doch nun wird es langsam sichtbarer: erst mal drohen, dann unterminieren, dann zur Hilfe eilen. Und alles so steuern, dass es der tumbe Westen möglichst nicht merkt.

Putin war immer schon sehr grosszügig mit Hilfeleistungen an „unterdrückte“ russische Minderheiten in anderen Ländern. Das wird auch heute im Baltikum, in Bulgarien oder Rumänien so gehandhabt: Da werden politische Parteien und Bewegungen unterstützt, kremlfreundliche Politiker gefördert und mit Trolls und Fake News nachgeholfen.

So läuft beispielsweise die Unterstützung in Moldawien auf Hochtouren. Der Osten des Landes, Transnistrien, ist sogar seit geraumer Weile ein russisches Protektorat und hat sich der moldawischen Staatlichkeit entzogen. Nun werden gewisse Regionen im Süden bearbeitet, damit sich diese ebenso in eine Sezession stürzen und Russland zuwenden.

Georgiens Präsidentenwahl 2024 war getürkt. Stimmen wurden gekauft, viel Geld investiert und so ein kremlfreundlicher Oligarch an die Spitze gehievt.

Der Präsidentschaftskandidat in Rumänien, Georgescu, erhielt wesentliche Unterstützung aus Moskau, monatelang warben russische Nachrichtenagenturen für ihn, und bezahlte Beiträge in den Social Medias taten ihr Übriges; seinen Wahlkampf führte Georgescu, wohl ein Jünger aus Ceausescus Securitate, wer‘s glaubt, „ohne Geldeinsatz“.

Die Regierungen in Ungarn und Serbien betrachten den Kremlherrn gar als guten Freund. Russland dreckelt auch im Kosovo, was wohl als Schulterschluss Moskaus mit Serbien verstanden werden muss.

Wer meint, es ginge der russischen Nomenklatur nur um die Ukraine, muss mit Blindheit geschlagen sein. Der abgehalfterte russische Ex-Präsident Medwedew meinte schon mal, er wünschte sich „eine Sowjetunion von Wladiwostok bis Lissabon“. Das mag natürlich eine Provokation gewesen sein. Aber zumindest die Grenzen eines schönen Zarenreiches wünscht sich Russland schon zurück. Die Ex-Sowjetunion, wie sie bis 1989 bestand, sicher auch. Das Minimum sieht wohl so aus, dass man das Baltikum, die Ukraine, Moldawien, Bulgarien und Rumänien gerne zurück hätte. Die aktuelle Unterminierung in diesen Ländern erfolgt ja nicht zum Spass. Das kostet einiges an Anstrengung, und deshalb gibt es selbstredend einen klaren Plan dahinter.

«Was ist jetzt, Max, was wäre, wenn du Putin wärst, was wären deine nächsten Schritte?»

«Wenn ich Putin wäre, müsste ich sein Ego und seine strategischen Pläne übernehmen. Das möchte ich wirklich nicht, das wäre unappetitlich.»

Waldmeyer gab in der Folge trotzdem nach und legte vier konkrete Pläne offen. Alle vier würden zum Ziel haben, den Westen zu stören und zu verblüffen, die NATO weiter auseinanderzubringen, aber keinen direkten Gegenschlag der westlichen Allianz zu provozieren:

Der erste Schritt wäre einen Angriff auf die Schweiz, der zweite die Übernahme Moldawiens. Der dritte Schritt könnte die Besetzung von Spitzbergen sein. Und in einem vierten Schritt würde sich Wladimir Waldmeyer die Suwalki-Lücke vorknöpfen. Oder das Ganze in einer anderen Reihenfolge.

„Bitte alles der Reihe nach“, amüsierte sich Charlotte. „Das wird gar nicht so lustig werden, Schatz“, konterte Waldmeyer und holte aus.

 Das stärkste Mosaikstück im Plan und eine der vier Optionen wäre der Abwurf einer taktischen Atombombe. Das könnte vor allem notwendig werden, wenn die anderen drei Optionen – in den Augen Russlands – nichts taugten. Putin könnte als Ziel bewusst die Schweiz auswählen. Das Land ist fast das einzige in Europa, das weder in der NATO noch in der EU ist (mit dem EU-Beistandspakt). Eine Hyperschallrakete, aus Kaliningrad losgeschickt, würde in maximal zwölf Minuten in der Schweiz einschlagen. Sie könnte über dem Industriegebiet im Zürcher Oerlikon niedergehen, vermutlich in einer Samstagnacht, dann kommen nicht so viele Zivilisten zu Schaden. Eine taktische Atombombe muss also gar nicht so schlimm sein. Die sind sehr präzise und sie verseuchen das Gebiet kaum. Leider kann sie kaum abgewehrt werden. Erstens, weil die Nato dann schläft (und zudem kaum reagieren würde), zweitens, weil die Schweiz, trotz fünf Milliarden, die sie jährlich in die Armee buttert, über keine tauglichen Abwehrsysteme verfügt. Die sind erst für 2030 geplant. Und diese müssten dann zu alledem noch binnen Sekunden funktionieren.

Waldmeyer fragte sich, was anschliessend passieren würde, und er gab sich gleich selbst die Antwort: nichts. Der neue Verteidigungsminister würde sich noch in der Nacht die Handynummer des NATO-Oberbefehlshabers raussuchen lassen und ihn anrufen – er würde ihn aber wohl nicht am Sonntag, sondern erst am Montag erreichen: «Mark, kannst du uns helfen?» Aber Mark Rutte würde nicht helfen können, denn Art. 5 der NATO würde keinen Beistandsfall erkennen. Und ausserdem müsste er zuerst Präsident Trump fragen – zurzeit taktisch eher heikel, da noch ein paar wichtigere Fragen anstehen. Er würde die Deutschen und die Franzosen bitten, ein paar Ambulanzen loszuschicken und sich dann später im Hauptquartier erst mal gründlich beraten lassen. Dann vielleicht auch mit Präsident Trump. Der würde ihm antworten: “Holy shit, Putin is a son of a bitch. Sweden is part of NATO, yes? We have a problem.” Nachdem Rutte ihm dann die europäische Geografie in Erinnerung gerufen hat, würde Trump antworten: «Ok, I got it. But we have no deal with this Swaziland, or Switzerland. It’s none of our business.»

Mark Rutte würde dann immerhin eine Warnung nach Russland senden. Vielleicht würde sogar China ein bisschen protestieren – ein bisschen. In der UNO würde sich eine grosse Anzahl der Staaten hinter Russlands Interpretation stellen, dass die Schweiz mit der Blockierung von immer mehr Russenvermögen provoziert hätte. Schliesslich hat kein Staat der Welt im Verhältnis zu seiner Population mehr Milliarden blockiert als die Eidgenossenschaft. Russland würde zudem technische Erklärungen liefern und beweisen, dass eine taktische Atombombe keine Atombombe ist.

Charlotte war nicht so überzeugt, dass dieses Szenario wirklich realistisch ist. Also war sie gespannt auf das Thema Moldawien. Und das würde, laut Waldmeyers Vision, so ablaufen:

Moldawiens russische Minorität würde einen Hilfeschrei Richtung Kreml abschicken. Wonach ihre Rechte beschnitten seien, ihre Sprache keine Amtssprache sei etc. Russland würde von Transnistrien aus dann ein paar Armeepolizisten reinschicken. Die würden plötzlich auch den Fernsehsender und das Parlamentsgebäude besetzen. Die schwache moldawische Armee würde sofort die Waffen abgeben. Und dann? Dann passiert eben auch nichts. Moldawien ist nicht in der NATO, auch nicht in der EU. Zwar gilt Moldawien als EU-Beitrittskandidat – aber das ist etwa so viel wert wie Waldmeyers Mitgliedschaft im Rotary Club Meisterschwanden. In der UNO würde die Geschichte rumgereicht, dass Moldawien sich freiwillig und hilfesuchend Russland zugewandt hat. Innerhalb der NATO käme es zu einer Zerreissprobe: Tschechien, das Baltikum und Polen würden auf einen NATO-Truppenaufmarsch an der rumänischen Grenze insistieren und auf knüppelharte Sanktionen. Rumänien würde rumlavieren, Deutschland sich Bedenkzeit ausbedingen, der französische Präsident würde zum Telefon greifen und mit Putin sprechen wollen, und Trump weiss gar nicht, wo Moldawien liegt.

Waldmeyer schob sich selbst noch eine Frage nach: Was würde wohl die Schweiz machen? Nun, die Schweiz würde neutral bleiben und hoffen, dass sie bei den Sanktionen nicht mitmachen muss, die der Westen vielleicht doch noch verhängen würde. Bundesrat Parmelin würde anmerken, dass wir zwar ein Freihandelsabkommen mit Moldawien haben, dass das Handelsvolumen allerdings kaum messbar sei.

Und nun zu Spitzbergen – auch ein taktisch sehr kluger Schritt:

Spitzbergen ist ja so etwas wie eine Kolonie Norwegens. Es leben nur gut 2‘500 Leute dort, Ausser Eisbären, etwas Rohstoffe und viel Alkohol in den wenigen Bars gibt es nichts. Aber Spitzbergen kommt, rein geografisch, eine nicht uninteressante Rolle zu. Laut dem Pariser Vertrag von 1920 muss Spitzbergen entmilitarisiert bleiben, gewährt jedoch verschiedenen Staaten, auch Russland, ein Recht auf wirtschaftliche Aktivitäten, so für Bergbau, Fischerei und Handel. Russland könnte das ausweiten. Und sich dann beklagen, dass die russischen „Einwohner“ in Spitzbergen diskriminiert werden. Ein paar Forschungsschiffe könnten 250 russische „Polizisten“ auf das karge Eiland schicken, um die „Ordnung wieder herzustellen“. Mittels Salami-Taktik würde der Einfluss monatlich verstärkt, am Schluss weht die russische Flagge in Longyearbyen, der ziemlich verloren wirkenden „Hauptstadt“ der Insel.

Leider ist Spitzbergen, obwohl dem NATO-Mitglied Norwegens zuzurechnen, militärisch kein NATO-Staat. Was dann passieren würde? Wohl auch nichts. Die Einverleibung Spitzbergens würde den Artikel 5, den Beistandspakt der NATO, nicht aktivieren. Trump würde sich ärgern: „Why didn’t we buy this f… Spitzenbergen before?“, oder so.

 Charlotte wurde nun langsam ungeduldig: „Und was passiert jetzt mit diesem Suwalki-Ding?“

Waldmeyer war besonders stolz auf diese Vision. Nur schon, weil sie die naheliegendste, einfachste und raffinierteste Variante wäre, um viel Zwist zu säen und grosse Unruhe zu stiften. Die Suwalki-Lücke trennt (bzw. verbindet) das russische Kaliningrad an der Ostsee von Belarus, also Weissrussland – heute de facto ein Protektorat Russlands. Eine ganz schmale, nur gut 60 Kilometer lange Lücke der Grenze entlang zwischen Litauen und Polen. Heute führen bereits Aufmarschautobahnen von Belarus aus bis zu dieser Lücke. Die vordergründig sinnlos erstellten Strassen enden irgendwo im Wald, kurz vor den Grenzen Polens und Litauens.

Wäre Waldmeyer also Putin, würde er hier einfach mal durchfahren, also von Weissrussland aus haarscharf dem Grenzverlauf zwischen Litauen und Polen folgen, bis ins russische Kaliningrad. Mit modernen Radpanzern dauert das eine gute Stunde. Bis dann hat die NATO nicht reagiert. Litauen hätte bereits protestiert, der Kreml aber zur Antwort gegeben, dass man die litauische Grenze nicht verletzt hätte. Eine analoge Erklärung würde Polen erhalten.

So läge eine vordergründig unklare weitere Provokation auf dem Tisch. Putin würde diese Aktion anschliessend in eine zwingende Forderung nach einer lebenswichtigen Versorgungsachse umwandeln, die man nun so bestehen lassen müsse. Schliesslich hätte man ihm die Handelswege zu seinem geliebten Kaliningrad „abgeschnitten“. Die Nato wäre perplex und würde Russland sicher nicht angreifen. Nur wegen dieser blöden Lücke…? Im UNO-Sicherheitsrat würden die Parteien zu fairen Verhandlungen aufrufen. Mark Rutte würde rumrudern, dann aber einen kühlen Kopf bewahren und die Suwalki-Lücke einfach opfern. Ein Landstreifen, nur 50 Meter breit, um den Zugang zu Kaliningrad zu gewährleisten? Das wäre einen grossen Konflikt nicht wert. Was also passieren würde: wirklich nichts.

Die Suwalki-Lücke wird der nächste Hotspot in Osteuropa sein, ist Waldmeyer überzeugt. Ein solch taktischer Schritt Putins, ein „Mut zur Lücke“ eigentlich, bzw. zum Füllen der Lücke, würde am meisten Sinn machen. Der Suwalki-Begriff ist damit auch nicht mehr mit einem Geheimnis verbunden, denn zu offensichtlich könnte ein solcher Suwalki-Plan sein. Der Begriff ist nur (noch) zu wenig bekannt. So ein Handstreich wäre provokativ, brächte aber sofort viel strategischen Nutzen. Und er würde, mit hoher Wahrscheinlichkeit, keine Menschenleben kosten oder irgendwelche Zerstörungen zur Folge haben – und somit kaum eine geharnischte NATO-Reaktion nach sich ziehen. Über Suwalki werden wir demnächst noch des Öfteren sprechen, ist Waldmeyer überzeugt. «Ich sage nur:  S-u-w-a-l-k-i ! Man wird sich den Begriff merken müssen»!

Charlotte wirkte plötzlich interessiert, denn sie schaute sehr nachdenklich. „Meinst du wirklich, Max…?“

«Vielleicht sollten wir uns diesen Landstrich mal näher ansehen, Charlotte? Im Sommer scheint es dort ganz pittoresk zu sein.»

Charlotte antwortete nicht, sie blickte konzentriert auf ihr Tablet. Waldmeyer schaute über ihre Schulter, überhaupt nicht von Neugierde getrieben. Charlotte suchte offenbar gerade etwas bei booking.com. Und da gefror Waldmeyer das Blut in den Adern: Charlotte tippte soeben «Suwalki» ein.

Waldmeyer und die Waldmeyer-Partei

Waldmeyer sieht sich immer mehr der Situation ausgeliefert, dass er gegen etwas ist. Er distanziert sich von allerlei Dingen. Und Personen. Und Ideen. Sein Umfeld könnte ihm nun vorwerfen, dass er nur kritisiert und die positiven Punkte nicht herausschält. Waldmeyer sucht nach einem Ausweg.

Waldmeyer war eigentlich schon immer gegen Trump. Oder gegen «Trömp», helvetisch formuliert, insbesondere aus etwas bildungsferneren helvetischen und hoffnungslos rechtsgerichteten Kreisen. Aber, offen gestanden, war Waldmeyer auch gegen Kamala Harris. Er ist auch gegen Putin, partiell gegen die Chinesen, gegen die Hamas, gegen die Jusos, gegen die Zürcher Stadtregierung und gegen den Klimawandel. Auch Inflation findet er nicht lustig, das Älterwerden ebenso wenig. Und selbstredend ist er auch gegen Hepatitis und gegen Krebs, beispielsweise. Also gegen vieles. Aber alles der Reihe nach.

Waldmeyer betrachtet Trump als einen geopolitischen Analphabeten, einen narzisstischen Selbstdarsteller, als einen notorischen Schwindler, als einen rücksichtslosen, letztlich aber nur mittelmässig begabten Geschäftsmann und als gefährlich. Allerdings muss er eingestehen, dass er den Kerl früher ab und an auch ganz witzig und unterhaltsam fand. Früher. Aber jetzt hat er rote Linien überschritten und destabilisiert die ganze Welt.

Kamala hat keinen blassen Schimmer von Ökonomie und verhaspelte sich im Wahlkampf in Randthemen wie Genderanliegen und Abtreibung. So richtig für Kamala konnte man damit tatsächlich nicht sein, als Wahlalternative zu Trump taugte sie nur bedingt. Nun, too late to cry.

Waldmeyer ist, bzw. war, also gegen beide. Und darum froh, nicht Amerikaner zu sein und abstimmen zu müssen. Er ist auch froh, nicht im Rustbelt zu leben, alles andere als eine mangelhafte Schulbildung erhalten zu haben, sich nicht von Junkfood ernähren zu müssen, nicht, wie 70% der Amis, übergewichtig zu sein, Zugang (in seiner Welt) zu einer ordentlichen Gesundheitsversorgung zu erhalten und so vermutlich nicht frühzeitig sterben zu müssen. Kurzum: also doch besser in Meisterschwanden zu leben und sich nur über lokale Unbill zu ärgern.

Aber wofür und für wen könnte man denn sein, wäre man Amerikaner? Damned difficult.

Jochen Rubinstein, ein deutscher Jugendfreund Waldmeyers (Steuerberater in Hamburg, Kordhose, randlose Brille, Pferdelederschuhe, intellektueller Habitus) meinte einmal, Waldmeyer sei ein «Nihilist» – er sei einfach gegen alle und alles und stelle auch das letzte Alles noch in Frage. Aber das war zu kurz gegriffen. Denn Waldmeyer, erklärtermassen ein grosser Kritiker der deutschen Regierung, wäre beispielsweise durchaus für etwas: also etwa für eine neue zukunftsgerichtete und funktionierende Führung in Deutschland, für mehr Selbstbewusstsein und ein Wiedererstarken des ganzen Landes. Vielleicht sogar für ein neues Volk in diesem Landstrich. Waldmeyer ist also, so sein Verteidigungskonzept, mitunter durchaus für Fürs. Er wäre auch, angesichts der neuen geopolitischen Verwerfungen, für ein erwachendes neues Europa. Wäre.

Aber zurück zu den Gegen: Natürlich ist Waldmeyer gegen gewisse Entwicklungen. So eben gegen die Hegemonieabsichten Chinas, Russlands und der USA. Aber auch, weil das geografisch so nahe liegt, gegen die Rückschritte in unserem nördlichen Nachbarland – weshalb auch immer dieser Disput mit Rubinstein auftritt. Ganz einfach, weil es ihn, Waldmeyer, über kurz oder lang auch selbst betreffen würde. Deutschland liegt verdammt nah. Von Meisterschwanden aus sind es, Luftlinie, nur gut 30 Kilometer. Schon seit geraumer Zeit mahnt er deshalb die «teutonische Kernschmelze» an.

Auch Frankreich bereitet Waldmeyer Sorgen: Die Staatsverschuldung des Landes läuft aus dem Ruder, die Leute streiken lieber, als dass sie arbeiten, und so weiter. Ist Waldmeyer also für oder gegen Frankreich? Wenn er an die frischen Austern denkt im Languedoc, ist er sicher für Frankreich. Auch für die Weine aus dem Bordeaux. Ja, man muss die Fürs halt herausschälen.

Die weltfremde Zürcher Regierung bietet Waldmeyer auch immer eine wunderbare Projektionsfläche. Auch die Jusos. Die Fürs, über alles, bleiben da halt in der Minderheit.

Waldmeyers Nachbar Freddy Honegger (mit seiner Bettina) ist auch gegen vieles: gegen 5G, gegen das Impfen, gegen Soros und gegen Bill Gates. Dafür für allerlei lustige Verschwörungstheorien. Honeggers haben also ein ganz anderes Setup. Es lässt sich nicht vergleichen mit Waldmeyers Problem, denn Waldmeyer, so seine Empfindung, widmet sich mehr dem Big Picture, er überwacht eher die wichtigen Sachen in der Welt und beurteilt sie, wenn auch mit seiner ihm eigenen subjektiven Objektivität.

Waldmeyer ist, wie bereits erwähnt, auch gegen Putin. Wie fast alle normal denkenden Menschen. Ausser zum Beispiel Roger Köppel von der Weltwoche.

Waldmeyer ist ebenso gegen den Schulabgänger aus Gümligen und Köniz, also den etwas adipösen Kim in Nordkorea mit der lustigen Frisur und den zu weit geschnittenen Hosen. Waldmeyer ist ebenso gegen die Ayatollahs im Iran. Und so weiter. Da kann man fast nur dagegen sein. Auch gegen Meister Xi in China, trotz seines maskenhaften Lächelns und dem verkrampften Versuch, sich als Gutmensch darzustellen. In der Gegenposition verorten muss Waldmeyer leider auch die ehemalige Kinderärztin von der Leyen – dies aufgrund ihrer dünnen Kompetenz, ihres Machttriebes und der Wahl falscher Prioritäten. Im Gegenlager befindet sich selbstredend auch der ungarische Spaltpilz Orban. Ah, und Lukaschenko noch, der Chef des letzten kommunistischen Staates in Europa. Im Prinzip auch gegen Maduro, den ehemaligen Busfahrer (aktuell Präsident und Diktator in Venezuela) – wenn auch letzterer für uns in Europa einer gewissen Relevanz entbehrt.

Waldmeyer war doch etwas verzweifelt mit seiner Auslegeordnung. Es gibt offenbar nur viele «Gegen», Brandherde und Probleme. Wie sollte man dergestalt, angesichts dieser schwierigen Ausgangslage, denn gegen diese Gegen sein? Dass Lara, seine Tochter, im x-ten Semester Ethnologie studiert, ist auch kein Highlight, da ist er ebenso klar dagegen, darf es aber leider so nicht formulieren.

Also versuchte sich Waldmeyer doch noch auf ein paar Fürs zu konzentrieren. Er wäre z.B. klar für den Ausbau der Autobahnen (es kann ja nicht sein, dass wir bei einer Vervielfachung des Verkehrs auf den gleichen Routen steckenbleiben). Er wäre auch für ein schlaues Abkommen mit der EU – aber zu seinen Bedingungen. Beim Klimawandel ist er sich nicht ganz sicher, denn die Erwärmung, so sie auch in der Schweiz stattfinden würde, müsste ja nicht nur unangenehm sein. Im Süden Englands wird jetzt bereits Schaumwein produziert, man muss also auch das Positive sehen.

Charlotte hatte plötzlich Erbarmen mit Waldmeyers lauten Gedanken, die er – wieder einmal – beim Dinner ausbreitete. Sie gönnte ihm ein weiteres Glas Terre Brune und meinte: «Du musst nun definitiv in die Politik einsteigen, Max. So geht es nicht weiter. «Change», weisst du. Andere nehmen sich vor, Kriege binnen 24 Stunden zu beenden. Da wirst du ja auch noch etwas hinkriegen.»

«Und wo beginne ich in dieser ganzen Scheisse, kannst du mir das sagen?»

«Nun, du gründest erst mal eine neue Partei. Vielleicht die Waldmeyer-Partei? Zumindest hast du schon ein erstes Mitglied.»

Waldmeyer und das Geheimnis der Seltenen Erden

Den Frieden in der Ukraine konnte Trump zwar nicht binnen 24 Stunden, wie versprochen, herstellen. Es mag nun etwas länger dauern, bis die Kuh vom Eis ist, und der Deal wird ausserdem ganz anders aussehen, als dies Europa geplant hatte. Vielleicht träumt Trump, in seiner kognitiven Wahrnehmung, bereits vom Friedensnobelpreis. Der Hintergrund des Deals, so wird immer klarer, ist allerdings kein militärischer, schon gar nicht ein humanistischer. Es ist ein ganz anderer, es ist ein simples Geschäftsmodell. Waldmeyer hinterleuchtet.

Wir ahnten es schon: Der Ukraine-Friedensdeal der USA ist de facto ein banaler Handelsdeal! Trump möchte sich wertvolle Rohstoffe und die Seltenen Erden der Ukraine krallen. Es geht indessen nur vordergründig um die Ukraine, es geht um Geschäfte mit Russland. Aber alles der Reihe nach.

Die ganze Welt hat ein Problem mit diesen begehrten Metallen und Seltenen Erden – weil sie eben selten sind. Aber sie sind matchentscheidend, um Hochtechnologie-Güter herzustellen. Es geht dabei nicht nur um Silizium oder Lithium, Halbmetalle und Metalle, zwar begehrt, aber nicht so selten. Seltene Erden kennen wir namentlich kaum, weil sie, nicht überraschend, so selten sind, sie heissen beispielsweise Erbium oder Yttrium, Cer oder Terbium.

Waldmeyer verbrachte letzten Sonntagmorgen zusammen mit seinem besten neuen Freund, der KI. Er machte sich, zusammen mit ChatGPT, schlau betreffend diese Seltenen Erden. Er schaute gleichzeitig aus seinem Bürofenster in Meisterschwanden und blickte auf die Wiesen, die sein bescheidenes Anwesen vom Hallwilersee trennen. Unter den satten, grünen Wiesen steckt auch Erde, aber wohl nicht seltene, denn sonst würde der Hablützel Ruedi hier mit Sicherheit graben und nicht die Kühe weiden lassen, überlegte Waldmeyer. Waldmeyer weiss, dass ein paar dieser raren Erden in Elektroautos verbaut werden. «Zum Glück haben wir nie so einen blöden Tesla gekauft, sonst wären wir auch von diesen Seltenen Erden abhängig!», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

«Du bist so oder so abhängig, lieber Max», erwiderte Charlotte, «in deinem iPhone steckt Europium, in den LED-Lampen Terbium, im Katalysator deines Autos (Anm. der Red.: Porsche Cayenne, schwarz, innen auch) wurde Cer verbaut und in der Überwachungskamera Lanthan!» Waldmeyer war erst verblüfft, dann aber beruhigt, als er entdeckte, dass Charlotte sich inzwischen auch bei Chat auf ihrem Tablet eingeloggt hatte.

Waldmeyer erkannte, dass Seltene Erden tatsächlich unverzichtbar sind für moderne Technologien – für viele Elektro- und Elektronikgeräte, über Fahrzeug- und Medizinaltechnik, Windräder, Glasfaserprodukte, bis hin zur Raumfahrt.

Die Krux liegt nun darin, dass fast die Hälfte des Weltvorkommens dieser kostbaren Metalle in China liegen. Und nicht genug, China möchte die absolute Kontrolle darüber erlangen. Die 2013 gestartete Belt and Road Initiative war natürlich kein humanitäres Projekt. Es ging einerseits darum, sich weltweit Abbaustätten zu sichern, andererseits auch, um die Transportwege, raffiniert getarnt als «neue Seidenstrasse», dafür zu gewährleisten. Nicht vergeblich investiert China in ganz Asien, Afrika und Südamerika in allerlei Projekte, handelt Knebelverträge aus und sichert sich so seine industrielle Beschaffung.

Die Seltenen Erden sind das neue Gold: Sie sind ungemein wertvoll und man kommt um sie einfach nicht mehr herum. Wer sie hat, ist in der Lage, technologisch anspruchsvolle Güter zu produzieren. Wer sie nicht hat, muss Käse oder Uhren oder Pillen herstellen und exportieren, wie die Schweiz. Und ist dann darauf angewiesen, die Seltenen Erden teuer irgendwo einzukaufen. Noch eleganter ist es, wenn man gleich die fertigen Produkte kauft, teuer allerdings, in denen diese ominösen Erden stecken – dann ist es vielleicht einerlei, wer sie wo reingetan hat.

Leider liegen die Seltenen Erden nur an wenigen Orten in Europa und in den USA. Schon interessanter ist da Kanada, dort gibt es attraktive Vorkommen. Kein Wunder also, würde die neue US-Administration Kanada gerne als 51. Staat aufnehmen. Man muss ja nur auf die Landkarte schauen, denn da stimmt etwas nicht. Alaska, ganz oben links auf dem Kontinent, ist durch dieses störende riesige Gebiet, angeschrieben mit «Kanada», von den anderen US-Staaten abgetrennt, zum Teil mit einer willkürlich gezogenen, ganz geraden Staatsgrenze.

    Dass unter der dicken grönländischen Eisdecke unter anderem Neodym, Praseodym oder Dysprosium liegen – wichtige Stoffe für die Herstellung von Hightech-Magneten und Elektroautos – ist ebenso interessant. Keine Überraschung also, ist Donald der Auserwählte scharf auf diese Super-Metalle und die ganze Insel (welche praktischerweise eh schon auf der amerikanischen Kontinentalplatte liegt).

In diesem Kontext begreifen wir nun auch diesen schelmischen Ukraine-Deal besser, welcher u.a. Sicherheit gegen die Abtretung von 50% der Vorkommen diverser Rohstoffe und Seltener Erden an die USA vorsieht: Wenn schon der Kanada-Deal und auch der Grönland-Deal nicht in trockenen Tüchern sind, macht es durchaus Sinn, es in der Ukraine zu versuchen. Da schlummern zum Beispiel bemerkenswerte Vorräte an Neodym, wie erwähnt ein unverzichtbarer Stoff für die Herstellung in der Elektronik.

Trump und seine Oligarchenfreunde sind dabei nicht nur die Details eines «Friedensdeals» oder die Hegemoniebestrebungen Russlands egal. Ihnen ist auch egal, mit einem Paria-Staat wieder zu kooperieren. Wenn die NATO zerfällt, ist das auch egal, die war immer defizitär in ihren Augen, und wenn der Westen zusehends auseinanderbricht, ist das ebenso einerlei.

Egal ist auch, wenn sich Russland, nach einem Friedensschluss mit der Ukraine, nicht so genau an einen Friedensplan halten wird. Gleichzeitig werden die Störmanöver in vielen ehemaligen und heute freien Ostblockländer vermutlich fortgesetzt: In Georgien beispielsweise. Oder in der Moldau, mit der Beeinflussung der freien Wahlen. In Rumänien versuchte man, einen russlandfreundlichen Oligarchen mittels Trolls, Fakenews und viel Geld als neuen Präsidenten zu installieren. In Bulgarien wird gedreckelt, auch in den serbischen Provinzen von Bosnien-Herzegowina. Serbien selbst erhält direkte Unterstützung, Marine Le Pen früher mit Sicherheit. Die AfD und die FPÖ unterhalten rege freundschaftliche Kontakte mit Russland, Ungarn und die Slowakei eh. Die hybride und verdeckte Kriegsführung Russlands gegenüber europäischen Staaten ist eine weitere Tatsache: Unterseekabel werden gekappt, Drohnen in den Westen geschickt, gar klandestine Anschläge verübt. Der neuen US-Führung ist das alles egal, denn das findet weit weg statt und ist ein europäisches Problem. China ist die neue Bedrohung, der Kontrollverlust im pazifischen Raum ein viel wichtigeres Thema. Über dem Scheiterhaufen der jüngsten Geschichte wird, was die Ukraine betrifft, einmal ein Schild prangen mit dem Wort „Friede?“, allerdings mit einem grossen Fragezeigen.

Aber zurück zum möglichen Rohstoff-Pakt mit der Ukraine: Das wäre tatsächlich ein super Deal. Die Europäer müssten sich verpflichten, den Frieden in der Ukraine zu garantieren, und die USA würden sich der kostspieligen Unterstützung der Ukraine entledigen – im Gegenzug ungestört in der Lage sein, diese feinen Mineralien ausbuddeln zu können. Ja, so sehen lukrative Deals aus: Die Kosten müssen outgesourct, die Gewinne selbst eingestrichen werden. Trump ist ja nicht blöd, er ist ein gewiefter Geschäftsmann.

Jetzt kommt allerdings das dicke Ende: Die Ukraine ist nämlich nur die Spitze des vorteilhaften Deals. In Wahrheit geht es um viel, viel mehr, nämlich um den künftigen Handel der USA mit Russland. Die USA werden davon ausgehen, dass mit einem Friedensplan in der Ukraine diese lästigen Sanktionen gegenüber Russland vom Tisch sind. Putin, Kriegsverbrecher und bedeutendster Angriffsaggressor seit Hitlers Überfall auf Polen 1939, wird rehabilitiert werden. Der Kremlherr wird wohl auch nicht verpflichtet werden, Reparationszahlungen an die Ukraine abzudrücken. Das Land wird selbstredend nur von den Europäern wieder aufgebaut werden. Auch die Schweiz wird ihren Beitrag leisten, so könnte sie beispielsweise ein ordentliches Bankensystem aufbauen, eine Schaukäserei erstellen oder aufzeigen, wie man kantonale, komplizierte Verfassungen realisiert. Sie könnte auch einen Vorschlag für ein verkehrsfreies Kiew ausarbeiten und ausgediente Verkehrsradars liefern.

Aber aus Sicht der USA ist ein Wiederaufbau des versehrten Landes gar nicht nötig. Das bringt nämlich überhaupt nichts für die geplanten Bergbau-Aktivitäten. Die feinen Mineralien liegen ja nicht in den Städten, die hatte der Herrgott glücklicherweise eher etwas ausserhalb angesiedelt. Und «ausserhalb» ist ziemlich gross, rund 15-mal grösser als Helvetien.

Waldmeyer hatte sich die Mühe genommen, sich etwas in den von den USA ausgearbeiteten Rohstoffvertrag einzulesen, der Selensky zur Unterschrift vorgelegt wurde. Grosszügigerweise stand da auch noch etwas von Aufbauhilfe – allerdings nur für die Abbaugebiete der Rohstoffe…

Waldmeyer wandte sich nun wieder Russland zu. Da stimmt etwas nicht mit dem Handelsvolumen zwischen den USA und Russland. 2011 betrug dieses noch 43 Milliarden USD pro Jahr, heute nur noch gut 4 Milliarden. Zum Vergleich: Mit der Schweiz liegt es heute bei 70 Milliarden.

Schuld an dem kümmerlichen Handelsaustausch mit Russland sind vor allem die Sanktionen. Das wird jetzt neu als eine Verschwendung betrachtet, denn die USA könnten ihre grossen schönen Fahrzeuge und die Steaks liefern, im Gegenzug könnte Russland Rohstoffe verschicken. Russland verfügt über die zweitgrössten Reserven der Welt an Seltenen Erden. Über grosse Mengen an Yttrium beispielsweise oder Lanthan, beides unverzichtbare Metalle für die Produktion von Bildschirmen oder Elektromotoren.

Elon Musk wird wohl auch scharf sein auf Dysprosium und Praseodym: zwei Seltene Erden, die sowohl in ukrainischen als auch in russischen Böden schlummern und die in der Raumfahrtindustrie gebraucht werden. Elon wäre entzückt, er könnte sie für seine Raketenspiele verwenden.

Insgesamt könnte sich ein Handelsvolumen USA/Russland von 100 bis 200 Milliarden ergeben. Aber kein Deal ohne Ukraine-Frieden, erst müssen die Russland-Sanktionen weg – und zwar subito.

Ja, wir sollten uns ein Beispiel an den USA nehmen. Die denken strategisch, die tun was. Sie sind einfach geschäftstüchtig, da sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Bundesrat Parmelin, unser Wirtschaftsminister, sollte das US-Konzept einmal genauer studieren. Wir könnten wieder unsere schönen Uhren nach Moskau liefern, im Gegenzug erhalten wir dann ebenso schönes, silbern-funkelndes Yttrium. Waldmeyer kratzt sich am Kopf: Sollten wir wirklich so dazulernen?

Waldmeyer und die Psyche der Deutschen

Der wirtschaftliche Niedergang unserer Nachbarn ist ärgerlich, weil das auch auf Helvetien abfärbt. Und es werden allerlei dumme antikapitalistische Ideen importiert. Italien und Frankreich scheinen heute kaum mehr regierbar zu sein, und Deutschland, der bei weitem wichtigste Handelspartner der Schweiz, kommt aus dem Schlamassel nicht heraus. Max Waldmeyer sieht dafür tiefere Gründe und lässt sich von Rebecca Carpenter interviewen.

 

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, du hast schon mal den etwas plakativen Begriff der «teutonischen Kernschmelze» geprägt. Wir wollen der Sache nochmals etwas auf den Grund gehen. Welches Psychogramm müsste denn ein Bürger haben, um ein optimales Wirtschaftssubjekt darzustellen? Oder: Eignet sich der Deutsche überhaupt, um eine Volkswirtschaft vorwärtszubringen? Und: Auf der Welt gibt es ganz unterschiedliche Charaktere der Völker. Was sind denn die ausschlaggebenden Ausprägungen für einen wirtschaftlichen Erfolg?

 

Max Waldmeyer: Ja, die Unterschiede sind nur schon im kleinen Europa mit Händen zu greifen. Wenn wir, leicht überzeichnet, sehen, wie z.B. die Italiener sind: nämlich Chaoten, aber oft mit viel Improvisationskunst. Die Franzosen sind zwar arrogant, aber das muss sich wirtschaftlich nicht per se negativ bemerkbar machen. Die Griechen, so wird kolportiert, halten es mit der Ehrlichkeit nicht immer genau, was sich zwangsläufig nachteilig auswirkt. Die Engländer haben gar nie richtig arbeiten müssen, die hatten ihre Kolonien, ein geniales System von Outsourcing wurde da entwickelt. Die Spanier haben die Siesta erfunden, was sich allerdings immer wieder hemmend im Arbeitsverhalten manifestiert. Die Portugiesen dagegen waren dem rauen Atlantik ausgesetzt, die durften also nicht mediterran sein, sie mussten immer etwas mehr arbeiten, hatten am Ende ihrer Kolonialzeit allerdings alles verloren. Die Amerikaner, Kanadier und die Australier waren alles rührige Einwanderer aus Europa, die meisten aus dem Vereinigten Königreich und aus Irland. Da waren jedoch auch ein paar deportierte Pferdediebe dabei – aber zur Verschiffung gelangte schon mal eine arbeitssame Auslese. Die Chinesen sind unglaublich leistungsfähig und geldgetrieben, das hilft bei der Entwicklung. Die Japaner andererseits waren einfach gezwungen, clever zu sein, verfügten sie doch über keine Rohstoffe, sie gehören heute zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen – wenn sie auch ausgesprochen humorlos sind.

Das sagt man auch von den Deutschen.

Japaner sind nicht lustig. Deutsche aber auch nicht immer. Es fehlt oft an Humor. Im Süden Deutschlands ist noch etwas vorhanden, gegen Norden flacht es ab, insbesondere im deutschen Rustbelt (Anmerkung der Redaktion: im erweiterten Ruhrgebiet, in der Region mit Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln etc.). Im Norden dann blitzt so was wie ein bisschen englischer schwarzer Humor auf, die Hamburger z.B. weisen einen durchaus intelligenten Stil auf. Im Osten Deutschlands dann grassiert die absolute Humorlosigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Geschichte geschuldet ist, aber es ist so. Generell gilt: Deutsche sind anders. No grey area, only black and white. Da ist immer etwas Absolutes dabei, oft etwas Verstocktes. Das ist natürlich nicht sehr hilfreich für eine prosperierende Entwicklung einer offenen Volkswirtschaft.

Vielleicht liegt einfach alles im zufälligen Verlauf der Historie?

Manchmal lohnt sich tatsächlich ein Blick zurück in der Geschichte. Da gab es allerdings Hochkulturen, die sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Vor allem wirtschaftlich.

Von den Mayas und den Azteken sprechen wir heute überhaupt nicht mehr. Die hochentwickelten Perser, heute Iraner, steinigen ihre Frauen. Die Imperien der Griechen und der Römer sind versunken.

Aber es waren nicht nur Hochkulturen, die eine grosse wirtschaftliche Blüte erschufen. Frankreich beispielsweise war nie eine Hochkultur, auch wenn die Gallier ein Auslaufprodukt der Römer sind; sie kolonialisierten aber ziemlich erfolgreich die Welt und organisierten ihren Laden zuhause ganz leidlich. Die Briten ebenso, die haben es fast noch besser gemacht, sie profitieren noch heute von den Pfründen ihres Commonwealth, König Charles z.B. darf mit Vergnügen seine Untertanen in Australien besuchen.

Nun, jetzt bewegen wir uns langsam auf dünnem historisch-philosophischem Eis!

Auf jeden Fall: Die Deutschen waren nie Bürger einer Hochkultur. Aber da gab es bisweilen schon ein paar ganz erhellende Zeitabschnitte. Dieser Ludwig der II. zum Beispiel war ein lustiger Kerl. Oder was die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen hatten, war beachtlich – wenn auch aus der Not heraus und nur dank dem Marschallplan.

Es wird immer wieder die Theorie vertreten, dass ein Land möglichst wenig Rohstoffe haben sollte, um innovativ und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ja, ich sehe das, mit Einschränkungen, auch so. Die Schweiz beispielsweise hatte gar keine Wahl, sie musste sich mit Fleiss, Erfindergeist und Handel behelfen. Hätte sie es nicht getan, wäre sie heute immer noch ein bedauernswertes Volk aus Bauern und Söldnern. Das Land würde sich vielleicht, geografisch bedingt, als grosser Mittelempfänger in der EU wiederfinden. Die Deutschen übrigens hatten immer mehr Rohstoffe als wir, ein Grossteil der Bevölkerung wohnt ja heute noch auf einem riesigen Kohleberg, der fleissig abgebaut wird. Ein Teil des Landes arbeitet so noch im Primärsektor, auf der untersten Entwicklungsstufe der Makroökonomie. Und von den Russen bezogen sie während Jahren fast uneingeschränkt billiges Öl und Gas, als ob es ihnen gehören würde. Das ist der Fluch der Rohstoffe: Wenn die im Überfluss und günstig zu haben sind, tritt Lethargie ein. Man müsste den Ländern die Rohstoffe wegnehmen, dann würden sie sich vielleicht ordentlicher entwickeln. Vielleicht sollte man den Deutschen die Kohle wegnehmen.

 

Du sprichst den Fluch des Erdöls an: Gewisse Staaten auf der Welt sind damit stinkreich geworden, erlangten aber nie einen gesunden Status einer Volkswirtschaft.

So ist es: Nigeria oder Venezuela könnten auf der Entwicklungsstufe der Emirate stehen, hätten sie die Pfründen der Erdöleinnahmen etwas anständiger verteilt. Die Rohstoffe verhindern in der Regel immer echte Wertschöpfung. Hätte die Schweiz Erdöl gehabt, gäbe es vielleicht das Schweizer Taschenmesser gar nicht. Die Russen übrigens haben noch nie was Gescheites produziert, sie exportieren nur Erdöl, Erdgas, Waffen und Trolls. Nicht mal Wodka, darin sind die Schweden gut.

Jetzt schweifen wir aber etwas ab. Also zurück zu Deutschland und zur Psyche des Bürgers: Ist diese nun gut oder schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich denke, diese Analyse ist schon wichtig. Weniger die Frage, ob Humor mehr Wirtschaftsleistung produziert. Wir müssen indessen irgendwie begreifen, wie sich der Deutsche in der Welt und im Markt, im Wettbewerb bewegt. Dann verstehen wir die Resultate. Die Psyche der Unternehmer und der Arbeitnehmer spielt da schon eine Rolle. Es mag heute vielleicht zwei erfolgreiche Ausprägungen einer volkswirtschaftlichen Entwicklung geben, die auf der Psyche der Gesellschaft basiert: die offene, innovative Haltung – so in den USA, ausgeprägt beispielsweise in Kalifornien – und die disziplin- und geldgetriebene Psyche der asiatischen Länder. Deutschland hat nichts von beidem. Früher wurden diese Mankos durch eine arbeitssame Haltung kompensiert. Wie wir wissen, ist das vorbei, denn jeder bastelt heute nur noch an seiner Work-Life-Balance rum. Da kommt dann, makroökonomisch gesehen, nicht mehr viel raus.

 

Natürlich ist es offensichtlich, dass eine Volkswirtschaft leidet, wenn nur noch auf Zuruf gearbeitet wird. Nine-to-five sozusagen. Am Freitag to-twelve.

Für einen Teil der Industrie mögen nicht zu profund denkende Heerscharen von Arbeitenden vielleicht hilfreich sein. Das war aber eher früher ein günstiger Umstand, zu Beginn der Industrialisierung, da war etwas Kadavergehorsam ganz willkommen. Ein Gutteil der deutschen Bürger schätzt es auch heute noch, in einem grossen Räderwerk einer grossen Firma unterzugehen. Alles ist durchgetaktet, jeder weiss genau, was er zu tun hat, und Obrigkeitshörigkeit herrscht vor. Jeder führt aus. Die grossen Konzerne profitieren durchaus von dieser Denke, vor allem die Firmen, die weniger innovationslastig sind. Also die Mid-Tech-Industrie, die Chemie, die Pharmabranche. Da braucht es weniger kluge Nerds im Kapuzenpullover, die geniale Inputs einbringen.

Du willst doch nicht sagen, dass das Outfit der Arbeitnehmenden einen Einfluss auf die Volkswirtschaft hat?

Doch, indirekt schon! In den klassischen deutschen Konzernen springt das vorab männlich dominierte Management immer noch im Dreiteiler rum, mit Krawatte, mit akkurat gebundenem doppelten Windsor-Knoten. Also nichts von Rollkragenpullover und Sneakers. Das mögen Äusserlichkeiten sein, aber es sind eben die Insignien des Stillstandes. Da wird auf Distanz gemacht.

In Kalifornien begrüsst man sich mit «how you’re doing», das Gegenüber antwortet dann auch mit «how you’re doing». Vielleicht lässt man in den Korridoren der Firma auch nur ein «Hi» fallen. In Deutschland ist das anders: «Guten Tag, wie geht’s Ihnen». «Danke, gut, und Ihnen?» «Nichts zu beklagen, danke». Das wäre ungefähr die Minimalkonversation, welche indessen bereits ein paar wertvolle Sekunden Arbeitszeit verbraucht hat, nur Distanz zementiert und sicher keine Basis für ein innovatives Brainstorming ist. Und dann kommt noch etwas hinzu, z.B. in Kalifornien: Man würde dann auf dem Korridor, am Freitagmorgen, gleich noch etwas Positives mitteilen: «I‘ll try to finish the profile for this project M4 till tonight!” “Great.”

Und wie würde eine solche Konversation denn in Deutschland ablaufen?

Nun, zum Beispiel so: “Ich mach dann mittags mal Schluss, ich fahr noch südwärts». «Toll. Ich hol die Kleine von der Schule, dann geht’s ab in den Streichelzoo.»

Also: Es geht um die unterschiedliche Haltung, die Bereitschaft, eine Extra Mile zu leisten. Nicht alles ist perfekt in anderen Ländern, beileibe nicht, es gibt auch viel Misere. Aber die Deutschen sind definitiv in der Wohlstandfalle angekommen – obwohl der Wohlstand dort ja gar nicht flächendeckend verbreitet ist.

Hat das deutsche Modell also ausgedient?

Im Moment ja, ganz klar. Aber das urdeutsche Modell, so wie es nach dem Krieg bis anfangs der 70er Jahre bestanden hatte, hätte überhaupt nicht ausgedient. Es wurde jedoch komplett verwässert, denn der allmächtige Staat kam, der allen die Verantwortung klaute. Im Gegenzug hat er eine verblüffende Regeldichte erstellt.

Zum Glück hatte Deutschland die Chance, über eine sehr starke Grossindustrie zu verfügen. Diese Räderwerke konnten immer viel Umsatz abspulen. Sie wurden vom Staat die ganze Zeit stark unterstützt, politisch, mit wirtschaftlichen Hilfen, Steuererleichterungen etc. Währenddessen verbluteten allerdings die KMU. Das Resultat sieht man heute: Es gibt nach wie vor ein paar sehr erfolgreiche Grosskonzerne, auch im Dienstleistungsbereich, währenddessen die kleineren Firmen verkümmern. Ich glaube, wenn ich etwas nicht sein wollte, dann wäre es ein mittelständiger Unternehmer in Deutschland. Vielleicht wäre ich deshalb eher Chef eines Grosskonzerns – dann müsste ich mich allerdings mit den Gewerkschaften, einer verqueren Politik und Bürgern rumschlagen, die ganz anderes als Arbeiten im Kopf haben.

Mit dem Regierungswechsel soll nun ja alles anders werden.

Ich bin ebenso froh, nicht Teil dieser neuen Regierung zu sein. Denn die hat ein grosses Problem: Sie kann ja das Volk nicht auswechseln.

Nun, Du wirst kein mittelständisches Unternehmen führen müssen, auch keine Regierung. Zu solchen Strafen werden wir dich nicht verdonnern, Max! Herzlichen Dank für die erhellenden Einblicke in deine Analysen!

Waldmeyer und Trumps Attacke auf die Schweiz

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Attacke ist noch nicht da. Aber Waldmeyer ist überzeugt, dass diese zeitnah kommen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Schweiz hat ein grosses, latentes und noch wenig bewirtschaftetes Problem. Irgendjemand wird es Trump flüstern, und dann wird sich unsere Regierung warm anziehen müssen.

Trump wird sich zu Beginn seiner Regentschaft nun vieles vorknöpfen – schliesslich muss er doch einige Versprechen einlösen. Dass er – wie versprochen – gleich den Benzinpreis halbieren und die Lebensmittelpreise senken wird, ist natürlich eine alberne Vorstellung. Vorab wird er sich erst einmal an seinen Widersachern im Wahlkampf rächen. Und dann wird er zahlreiche Dekrete unterschreiben.

Waldmeyer weiss, dass das Dekrete-Unterschreiben eine Lieblingsbeschäftigung des «Chosen One», also des Auserwählten, ist. Der Präsident tut dies mit Inbrunst, am liebsten im Scheinwerferlicht und mit seinen berühmten grossen schwarzen Filzstiften. Die Unterschriften sind ebenso gross und weisen zugegebenermassen eine gewisse Grandezza auf. Was Trump unterschreibt, ist ihm im Detail nie so ganz klar. Aber er tut es. Waldmeyer erinnern diese Episoden an Nachrichten-Schauen aus vergangenen Zeiten, auch aus Entwicklungsländern: Dort sieht man jeweils, wie wichtige Staatsdiener regieren, sie laden ebenso wichtige Gäste ein, halten Hof oder steigen aus fetten schwarzen Limousinen aus. Alles wird von pathetischer und triumphaler Musik begleitet. Und ja: Sie unterschreiben dann diese wichtigen Dekrete.

So viel zur starken Aussenwirkung, optimales Regieren vorausgesetzt. Trump versteht es. Und immerhin tut er was – das muss Waldmeyer anerkennend würdigen.

Aber nun zu den wichtigen Regierungsgeschäften. Der neu-alte Präsident ist diesmal besser vorbereitet. Sein Plan steht. Es ist die «Agenda 47». Diese sieht vor, dass dem amerikanischen Volk künftig einiges an Last abgenommen wird. Denn der Chosen One wird viel mehr entscheiden können. Die Institutionen, Gesetze und Dekrete werden so zurechtgebogen, dass Donald Trump weitgehend frei walten und schalten kann.

Es gibt viel zu tun: Immigranten rauswerfen, Zölle erhöhen, Golf spielen, Ministerien abbauen, bei Putin den Gang einlegen, das Oval Office neu dekorieren und vieles mehr.

Seine Berater – und diesmal hat er sie bewusster ausgewählt – flüstern ihm laufend neue Sachen ein. Waldmeyer meint dabei nicht nur den Chef-Berater Elon Musk. Dieser konzentriert sich eher auf einen «Haircut» im Beamtendschungel, was, zumindest partiell, sich wohl tatsächlich wohltuend auf das horrende Budgetdefizit der grössten Volkswirtschaft der Welt auswirken wird. Musk allerdings, so ist Waldmeyer überzeugt, hat nur eine begrenzte Halbwertszeit, denn die beiden Alphatiere Trump und Musk werden sich in absehbarer Zeit bestimmt noch in die Haare geraten.

Waldmeyer meint, dass die anderen Berater ebenso wichtig sind. Zum Beispiel die von Trump ernannten Männer fürs Grobe, die sich um den Welthandel mit den USA kümmern müssen. Im Vordergrund steht China, denn da verzeichnen die USA ein Handelsdefizit von jährlich 280 Milliarden USD.

Aber die Berater werden Trump noch weitere Dinge einflüstern: So die zu hohen Handelsdefizite mit weiteren Ländern. Dabei geht es, beispielsweise, nicht um die EU, welche Trump auch schon mal, es mag einiges früher gewesen sein, gelobt hatte («Brussels is a nice country»). Es geht um einzelne Länder. Man wird Trump also vorrechnen, dass allein Deutschland einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA von 63 Mia aufweist: Da werden zwar Waren im Wert von 158 Mia aus Deutschland eingeführt, aber viel weniger ausgeführt (95 Mia). Das ist ungerecht, in den Augen Trumps. Die Deutschen sollten also mehr US-Waren kaufen. Aber, um Gottes Willen, was denn? Ketchup, amerikanische Pickups, iPhones? Waldmeyer erinnert sich, dass er vor Jahren auch mal Wein aus dem Nappa Valley bezog. Seine alten 501-Jeans sind US-Style – aber sie kommen direkt aus Indien. Also, was, for God’s sake, sollten die Deutschen denn noch kaufen von den USA? Nun, vielleicht Dienstleistungen! Deutsche könnten mehr Urlaub machen in den USA, das trägt auch zur Verbesserung des Handelsbilanzdefizits bei. Aber eben nicht viel. Trump ist es zudem egal, wie im Detail das Handelsbilanzdefizit (aus US-Sicht) runtergebracht, bzw. der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber den USA verringert wird. 63 Milliarden sind eine Menge Geld. Das sind 750 USD pro Kopf der deutschen Bevölkerung, alle türkischen und syrischen Einwanderer eingerechnet.

Aber nun zum tatsächlichen Fiasko: Ein weiterer Einflüsterer wird Trump nämlich erklären, dass das grösste von allen Handelsdefiziten von der Schweiz ausgeht!

“Why do we have a problem with Sweden”, wird Trump antworten. Aber man wird ihm die Unterschiede zwischen Sweden, Swasiland und Switzerland anschliessend genau erklären. Und dann die Zahlen nennen. Da werden nämlich Waren im Wert von 48 Mia von der Schweiz importiert, das kleine Land kauft aber US-Waren nur im Wert von 14 Mia. Tatsächlich beträgt der Handelsbilanzüberschuss, inklusive Dienstleistungen, der Schweiz gegenüber den USA rund 35 Mia USD. Das ist halb so viel wie der Überschuss Deutschlands. Aber pro Kopf ist dieser Saldo gigantisch, es sind fast 4’000 USD. Die Einflüsterer werden ihrem Chef noch unter die Nase binden, dass die Vergleichssumme bei den Chinesen nur 230 USD beträgt. Helvetien verzeichnet damit einen Weltrekord. «Mister President, these cheese eaters produce a deficit per capita which is 17 times higher than the Chinese one. Switzerland is the problem, not China!”

Was nun folgen wird, ist vorgezeichnet: Trump wird auf den Zug aufspringen. «Why the f… do they export to us, but they do not import?”

Dann wird der Druck aufgebaut. Die Medien-Maschine wird angeworfen, Restriktionen für Aktivitäten von Schweizer Firmen in den USA angedroht. Aussenminister Cassis wird ins Weisse Hause beordert und abgekanzelt. Guy Parmelin, notabene der Wirtschaftsminister und damit verantwortlich für diese ungebührlichen Exporte, wird sich die amerikanischen Zeitungsberichte gelegentlich ins Französische übersetzen lassen. Bundespräsidentin Keller-Suter wird, notabene in gutem Oxford-English, was leider eben nicht gut ankommt in den USA, die Sache bei der neuen US-Botschafterin zu glätten versuchen. Vergeblich, natürlich wird sie dort auf Granit beissen. Der Bundesrat wird diverse Task Forces ins Leben rufen und einen runden Tisch einberufen. Die SVP wird sich empören und mit Wirtschaftssanktionen drohen. Ex-Bundesrat Blocher wird einen strengen Visumszwang für US-Bürger vorschlagen und US-Studenten auffordern, doch zuhause – und nicht in der Schweiz – zu studieren. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello wird den Bundesrat zur sofortigen De-Eskalation aufrufen, und die Jungen Grünen werden uns alle daran erinnern, dass wir ein Null-Wachstum anstreben und so auch weniger exportieren sollten.

Die Amerikaner werden alle unsere internen Vorschläge jedoch gar nicht wahrnehmen. Die Schweizer Banken mit Ausrichtung Private Banking für amerikanische Kunden werden gewaltig unter Druck kommen. Trump wird zusätzlich eine Spitze gegen die Schweiz abschiessen, dass sie zu wenig für die Verteidigung ihres Landes beiträgt, das 2%-Minimum des BIP wird nie und nimmer erreicht, obwohl das die Vorgabe für alle NATO-Länder ist. Also könnte die Schweiz doch etwas mehr Armeegüter aus den USA ordern? Die Schweiz ist nicht in der NATO, aber wie sollte Trump das wissen…? Die Swiss könnte auch mehr Flugzeuge von Boing kaufen. Die verlieren zwar zuweilen die Türen und können die Fahrwerke nicht ausfahren oder glänzen durch andere Unzuverlässigkeiten. Aber es muss ja nicht immer ein Airbus sein. Das wäre zumindest ein Anfang. Auf jeden Fall wird The Chosen One seine Forderung präsentieren, den Handelsbilanzüberschuss abzubauen. Und zwar subito.

Der Polit-Tsunami, der über Helvetien hereinbrechen wird, wird zahlreiche Wirtschaftszweige erfassen. «The pills are the problem, Mister President», wird man Trump dann noch stecken. Und tatsächlich: Die Schweiz exportiert pro Jahr für fast 30 Milliarden Pharmaprodukte in die USA. Trumps Gesundheitsminister, der mehr als umstrittene Robert F. Kennedy jr., wird seinem Chef vorschlagen, dass diese Cheese Eaters die Preise um 50% senken sollten – das käme nämlich auch dem verkorksten US-Gesundheitswesen zugute. Kurzum, der Tsunami wird nicht eingedämmt werden, obwohl die Schweiz noch länger davon träumen wird, das Problem aussitzen zu können.

Waldmeyer weiss, was in diesen Fällen zu tun ist: Da man auf den Bundesrat, das Parlament oder die Wirtschaft im Allgemeinen nicht zählen kann, muss man eben selbst entscheiden und in Eigenregie einen Beitrag leisten. Einen amerikanischen Pickup möchte Waldmeyer allerdings nicht kaufen – sein Nachbar Freddy Honegger würde zu viele Fragen stellen. Vielleicht sollte man einfach im Kleinen beginnen?

«Wieviel Ketchup haben wir noch im Kühlschrank, Charlotte», fragte Waldmeyer, «vielleicht sollten wir etwas aufstocken?»

«Wenn du das Handelsbilanzdefizit mit den USA ansprichst, lieber Max: Dann sollten wir im Herbst besser Urlaub in den USA machen und deine Wein-Reise in die Toscana streichen.  Das ist effizienter, damit bringen wir die Zahlen rascher runter!»

Waldmeyers Protest war vergeblich. Auch sein Vorschlag, alternativ zwei neue iPhones zu kaufen, zerpflückte Charlotte in Nu, da diese vorab in China gefertigt werden. «Es sind die Pillen, Max, wir müssen wohl dort ansetzen. Steck das doch mal dem Parmelin!»

Waldmeyer und das neue Wohnrecht

Die Bundesverfassung garantiert jedem Bürger eine adäquate Bleibe. Aber eine Verfassung muss sich immer weiterentwickeln und den neuen Ansprüchen gerecht werden. Waldmeyer weiss, wie die Wohnwelt in der Zukunft aussehen wird!

Den Ökonomieverweigerern sei Dank

Die Wohnmisere ist schon seit Jahren mit Händen zu greifen: Es gibt zu wenig Wohnraum, und er wird immer teurer. An sich ein normaler Vorgang, denn wenn es von einer Sache zu wenig gibt, wird sie immer teurer. SP- und Grünen-Politiker hätten das inzwischen schon selbst merken müssen, zum Beispiel, wenn sie im Sommer einen Campingplatz buchen. Da wird plötzlich alles teurer, wenn zu wenig auf dem Markt ist. Was die Protagonisten unserer politischen Gesellschaft auf ihrem Bildungsweg oder im realen Leben verpasst haben, holt sie dann plötzlich ein: Angebot und Nachfrage stimmen nicht mehr überein, und der Preis gleicht das aus. Das ist ein ganz banales ökonomisches Prinzip. Man kann dagegen sein – aber es nützt nichts, es ist ein Kampf gegen die Windmühlen.

Zu allem holt einen das volkswirtschaftliche Ungleichgewicht bereits auf der Fahrt in den Süden schon am Gotthard ein, wenn die Autokolonnen immer länger werden. Vielleicht reisen die Ökonomieverweigerer natürlich mit der Bahn, dann merken sie nicht, wie der zur Verfügung stehende Platz an Strassenfläche der Nachfrage nicht mehr gerecht wird. Aber eventuell hilft die überfüllte Bahn dann, als einfaches edukatives Mittel, zur Erklärung der Ökonomie?

Die grosse, dumme Bauverhinderung

Aber zurück zum Schweizer Wohnangebot. Waldmeyer stellte fest, dass das Bauen an sich immer teurer wird, nur schon aufgrund der Vorschriften. Es fehlt auch an Einzonungen. Zwar liegen ganze Industrie- und Gewerbeflächen brach, und es gibt ein Überangebot an alten Büroflächen. Umnutzungen benötigen indessen, gefühlt, mindestens eine Generation bis sie greifen. Komplizierte und langwierige Baubewilligungen tun dann noch das Ihre für jahrelange Verzögerungen. Und unsere direkte Demokratie, an sich eine nette Errungenschaft, ermöglicht auch die unmöglichsten Einsprachen – zumal das Einspracherecht seit einiger Zeit auch noch allerlei Vereinen und Organisationen zur Verfügung steht.

Gleichzeitig wächst unsere Bevölkerung, und der Anspruch an grössere Wohnflächen steigt. In der Summe stimmen Angebot und Nachfrage nicht mehr überein. Es wird auch in Jahren noch nicht übereinstimmen, denn so schnell wie die Nachfrage steigt, kann gar nicht gebaut werden. Ein Jammer. Aber der Preis gleicht glücklicherweise aus, die verfügbare Menge wird einfach teurer. Erste Lektion in der Wirtschaftslehre.

Besser in den Jura?

Wieder einmal wagte Waldmeyer einen vorsichtigen Blick in die Zukunft. Auch künftig wird es jungen Leuten schlichtweg verwehrt sein, Wohneigentum zu erwerben. Auch 10-jähriges Sparen hilft da nicht weiter. Die Banker werden nur ein müdes Lächeln übrig haben für die jungen Paare, die sich mit 200’000 Franken angespartem Eigenkapital ein Haus leisten wollen. «Da müssen Sie wohl in den Jura ziehen», könnte auch in Jahren noch eine ihrer Antworten lauten.

Wie die Politik das in der Zukunft also zu gestalten gedenkt? Mit vereinfachten Baubewilligungen, vernünftigeren Bauvorschriften, gescheiten Einzonungen? Nun, es werden leider wohl andere, politischere Lösungen angestrebt werden.

Waldmeyers Blick in die Zukunft

Waldmeyer liess seinen Zeitstrahl in die Zukunft gleiten und blickte von dort zurück: Den Beginn machten die grossen Städte im Land. Ab 2025 plafonierten sie nämlich die Mieten, bauten viele Sozialwohnungen und verhinderten erfolgreich das private Bauen. Zürich bewirkte einen Dammbruch, schon 2024, als die Regierung dort bestimmte, dass nun auch Bessersituierte eine vom Staat mitfinanzierte Bleibe beziehen dürfen. Offenbar liessen sich die vielen staatseigenen vergünstigten Sozialwohnungen nicht mehr mit mittellosen Bürgern füllen. Auch gab es, beispielsweise auch in Zürich, zu wenig Stadträte der SP und der Grünen, die in einer stadteigenen Wohnung leben durften (über die Hälfte belegte bereits 2024 eine solche schöne subventionierte Bleibe).

Das neue Wohnmodell basierte offenbar auf der klugen Erkenntnis, dass es eigentlich gar keine Bedürftigen mehr gibt. De facto beginnt die neue Nahrungskette ab Stufe gehobener Mittelstand. Darunter gibt es nur Asylanten und Randständige, welche ihr Schicksal selbst gewählt haben.

Der Durchbruch: die AirWohn&Wohn App

Waldmeyers Blick in die Zukunft sah nun so aus: Den Menschen, die künftig kaum mehr bedürftig sein werden, wird es immer noch an Wohnraum fehlen – und dafür war nun der Staat zuständig.

Inzwischen, so die Vision Waldmeyers, wurden auf privater Basis konsequenterweise kaum mehr neue Bauten erstellt, da sich die meisten Investoren zurückgezogen hatten. Das war indessen egal, denn der Staat betrieb nun neu eine AirWohn&Wohn App, welche alle Single-Bürger und kleinere Familien zu sinnvollen Clustern zusammenführt, die sich eine Wohnung teilen können.

Waldmeyer blickte von seiner Terrassenliege in Meisterschwanden auf den See runter. Ja, er selber durfte ganz angenehm wohnen. Frau Rodrigues hantierte mit dem Staubsauger lautstark im Wohnzimmer; Waldmeyer liess sich indessen nicht stören, da er wusste, dass es der neue Dyson war. Charlotte neben ihm studierte Reiseländer, in die sie nie fahren würden. Das Wohnproblem betraf also nicht ihn. Umso interessanter ist es, über Probleme der anderen nachzudenken. Die Wohnzukunft wird folglich so aussehen, so malte sich das Waldmeyer weiter aus, dass endlich keine Wohnungsnot mehr herrschen sollte, und alle werden glückliche Wohnungspartner gefunden haben.

Die neue Chefin des Departementes des Innern, Fatima Ramadani, löst das Problem

Unsere Wohnbauministerin, Elisabeth Baume-Schneider, hatte sich nach acht ereignislosen Jahren wieder in den Jura verkrochen und ihre Nachfolgerin, die nonbinäre Fatima Ramadani, hatte die Zügel fest in die Hand genommen. Ihr Cousin hatte in ihrem Auftrag diese geniale AirWohn&Wohn-App mit einem Stab Kosovofreunden aus dem Homeoffice entwickelt. Die clevere App wird sogar eine soziale Garantie abgeben, dass die Wohngemeinschaft funktioniert, sie ist KI-gesteuert und kann selbst die schwierigsten Psychogramme der Mieter zusammenführen. Sicherheitshalber werden ethnische Cluster gebildet, was auf der Hand liegt, denn Menschen mit einem serbischen Hintergrund, beispielsweise, kann man nicht mit Albanern kombinieren – das gibt nur Zoff. Schweizer mit Schweizer geht. Eritreer mit Äthiopier geht aber nicht. Die App ist so intelligent, dass sie auch kluge gastronomische Zusammensetzungen vorschlägt. So dürfen Muslime mit Juden problemlos unter einem Dach leben, da sie beide kein Schweinefleisch essen. In diesem Fall sieht die Wohneinheit jedoch zwei Kühlschränke vor, beschriftet mit «halal» und «koscher». Ja, die KI denkt an alles!

Bleibt Waldmeyer in Meisterschwanden?

Wenn’s nicht klappt mit dem Zusammenwohnen hat jeder Mieter maximal 12-mal pro Jahr Anrecht auf einen Wohnungswechsel. Umziehen wird eh einfach sein, denn sämtliche Möbel und das Kleininventar werden von der staatlichen Plattform zur Verfügung gestellt. So entfällt der lästige und wenig klimafreundliche Umzug. Vereinzelte Stimmen werden zu Beginn monieren, dass dieses neue Wohnmodell post-marxistische Züge trägt oder eine moderne Kibbuz-Interpretation sei. Aber weit gefehlt, denn es basiert auf Einsicht und Freiwilligkeit. Den meisten Bürgern wird es gefallen.

Max Waldmeyer freut sich auf die künftigen cleveren Lösungen im Wohnungsbau. Er selbst zieht es vor, in seiner Villa in Meisterschwanden zu bleiben und von dort aus die neue, lustige Wohnwelt zu beobachten. «Ich glaube, wir bleiben in Meisterschwanden. Ich begreife die Leute nicht, die nicht in ein Eigenheim ziehen wollen», meinte er zu Charlotte.

Charlotte antwortet in der Regel nicht, wenn Max wenig Sozialverträgliches zum Besten gibt. Heute aber schon: „Du kannst ja hier bleiben, Max, ich buche für mich jetzt mal was auf dieser neuen App!“

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